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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Der Instinkt der Tiere

Diese Triebe werden als Instinkt bezeichnet. Die darwinistische Natur¬
forschung, die im Menschen ein höher entwickeltes Tier sieht, leugnet den
Instinkt und behauptet, nicht nur die Menschen, auch die Tiere hätten Geist
und Vernunft, die ihr Leben regeln; der Instinkt sei unerklärlich. Das ist er
auch für uns, und wir gebrauchen das Wort Instinkt nnr als eine Kollektiv-
bezeichnung für alle verschiednen dem Tiere unbewußten Impulse, die, bei
jeder Tierart auf andre Weise, durch Zwang deren Leben regelt, und erklären
ausdrücklich, daß uns diese instinktiven Triebe ebenso merkwürdig wie uner¬
klärlich sind.

Unter Instinkt wird demnach hier im Gegensatz zur freien, bewußten,
selbständigen Überlegung ein blinder, unbewußter, unselbständiger, gezwungner
Trieb zum Handeln verstanden, der jedem Tier angeboren und bei jeder Tier¬
art mehr oder weniger verschieden ist; man kann danach die Tiere im Gegen¬
satz zum Menschen für ihre Handlungen in der freien Natur nicht verant¬
wortlich machen.

Der Instinkt der Tiere ist lediglich auf die Ernährung, die Fortpflanzung
und den Aufenthalt gerichtet.

Die darwinistische Naturforschung glaubt alle menschlichen Eigenschaften
in ihren Anfängen bei den Tieren wiederzufinden, sodaß sich der Mensch vom
Tier in diesem Sinne nnr quantitativ, nicht qualitativ unterschiede. Aus
dem Heidentum stammt das stolze, edle Wort: Homo sum,, nuinavi old.it g,
räh küienuin puto, der Darwinist aber ändert es in Rostig, sum ot bsstiali
uib.it g, ins ickisnum xrcko.

Daß der Mensch volle Willensfreiheit hat, und daß er mit Vernunft und
Überlegung handelt, steht fest; läßt es sich nun nachweisen, und wir glauben
un folgenden den Beweis zu liefern, daß das gesamte Tierreich lediglich in¬
stinktiv handelt, so ist damit eine unüberbrückbare Kluft zwischen Mensch und
Tier festgestellt, und damit das darwinische Gesetz, wenigstens soweit es den
Menschen betrifft, für illusorisch erklärt.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, Handlungen von Tieren zu schildern,
an denen man ein vernünftiges, überlegtes Handeln erkennen will. So las
man kürzlich in einer verbreiteten und angesehenen deutschen Zeitschrift zum
Beweis, daß ein Hund mit vernünftiger Überlegung handeln könne, ein Mann
sei im Sommer bei gutem Wetter in Begleitung seines Hundes ausgegangen,
als ein Gewitter aufgezogen sei; der Hund sei plötzlich verschwunden, bis er
uach einiger Zeit mit einem Regenschirm im Maule zurückgekehrt sei.

Ein Förster wollte beobachtet haben, daß ein Fuchs mehreremale hinter-
nnander mit einem schweren Ast im Maule auf einen abgesagter Baumstumpf
sprang; einige Zeit daraus ging eine Bache mit Frischlingen an dem Baume
vorbei; der Fuchs hatte sich hier in den Hinterhalt gelegt, faßte einen der
Frischlinge und sprang mit demselben im Maule auf den Baumstumpf, wo
die Bache ihn nicht erreichen konnte; das Springen mit dem Ast hatte als
Vorübung gedient. Derselbe Förster beobachtete im Winter bei Spürschnee,
daß sein Hund eine ganze Anzahl Wildschweine aus einem Kessel im Walde
Vertrieb, in den nur die Führte eines einzigen Tieres führte, und meint, die


Der Instinkt der Tiere

Diese Triebe werden als Instinkt bezeichnet. Die darwinistische Natur¬
forschung, die im Menschen ein höher entwickeltes Tier sieht, leugnet den
Instinkt und behauptet, nicht nur die Menschen, auch die Tiere hätten Geist
und Vernunft, die ihr Leben regeln; der Instinkt sei unerklärlich. Das ist er
auch für uns, und wir gebrauchen das Wort Instinkt nnr als eine Kollektiv-
bezeichnung für alle verschiednen dem Tiere unbewußten Impulse, die, bei
jeder Tierart auf andre Weise, durch Zwang deren Leben regelt, und erklären
ausdrücklich, daß uns diese instinktiven Triebe ebenso merkwürdig wie uner¬
klärlich sind.

Unter Instinkt wird demnach hier im Gegensatz zur freien, bewußten,
selbständigen Überlegung ein blinder, unbewußter, unselbständiger, gezwungner
Trieb zum Handeln verstanden, der jedem Tier angeboren und bei jeder Tier¬
art mehr oder weniger verschieden ist; man kann danach die Tiere im Gegen¬
satz zum Menschen für ihre Handlungen in der freien Natur nicht verant¬
wortlich machen.

Der Instinkt der Tiere ist lediglich auf die Ernährung, die Fortpflanzung
und den Aufenthalt gerichtet.

Die darwinistische Naturforschung glaubt alle menschlichen Eigenschaften
in ihren Anfängen bei den Tieren wiederzufinden, sodaß sich der Mensch vom
Tier in diesem Sinne nnr quantitativ, nicht qualitativ unterschiede. Aus
dem Heidentum stammt das stolze, edle Wort: Homo sum,, nuinavi old.it g,
räh küienuin puto, der Darwinist aber ändert es in Rostig, sum ot bsstiali
uib.it g, ins ickisnum xrcko.

Daß der Mensch volle Willensfreiheit hat, und daß er mit Vernunft und
Überlegung handelt, steht fest; läßt es sich nun nachweisen, und wir glauben
un folgenden den Beweis zu liefern, daß das gesamte Tierreich lediglich in¬
stinktiv handelt, so ist damit eine unüberbrückbare Kluft zwischen Mensch und
Tier festgestellt, und damit das darwinische Gesetz, wenigstens soweit es den
Menschen betrifft, für illusorisch erklärt.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, Handlungen von Tieren zu schildern,
an denen man ein vernünftiges, überlegtes Handeln erkennen will. So las
man kürzlich in einer verbreiteten und angesehenen deutschen Zeitschrift zum
Beweis, daß ein Hund mit vernünftiger Überlegung handeln könne, ein Mann
sei im Sommer bei gutem Wetter in Begleitung seines Hundes ausgegangen,
als ein Gewitter aufgezogen sei; der Hund sei plötzlich verschwunden, bis er
uach einiger Zeit mit einem Regenschirm im Maule zurückgekehrt sei.

Ein Förster wollte beobachtet haben, daß ein Fuchs mehreremale hinter-
nnander mit einem schweren Ast im Maule auf einen abgesagter Baumstumpf
sprang; einige Zeit daraus ging eine Bache mit Frischlingen an dem Baume
vorbei; der Fuchs hatte sich hier in den Hinterhalt gelegt, faßte einen der
Frischlinge und sprang mit demselben im Maule auf den Baumstumpf, wo
die Bache ihn nicht erreichen konnte; das Springen mit dem Ast hatte als
Vorübung gedient. Derselbe Förster beobachtete im Winter bei Spürschnee,
daß sein Hund eine ganze Anzahl Wildschweine aus einem Kessel im Walde
Vertrieb, in den nur die Führte eines einzigen Tieres führte, und meint, die


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[0721] Der Instinkt der Tiere Diese Triebe werden als Instinkt bezeichnet. Die darwinistische Natur¬ forschung, die im Menschen ein höher entwickeltes Tier sieht, leugnet den Instinkt und behauptet, nicht nur die Menschen, auch die Tiere hätten Geist und Vernunft, die ihr Leben regeln; der Instinkt sei unerklärlich. Das ist er auch für uns, und wir gebrauchen das Wort Instinkt nnr als eine Kollektiv- bezeichnung für alle verschiednen dem Tiere unbewußten Impulse, die, bei jeder Tierart auf andre Weise, durch Zwang deren Leben regelt, und erklären ausdrücklich, daß uns diese instinktiven Triebe ebenso merkwürdig wie uner¬ klärlich sind. Unter Instinkt wird demnach hier im Gegensatz zur freien, bewußten, selbständigen Überlegung ein blinder, unbewußter, unselbständiger, gezwungner Trieb zum Handeln verstanden, der jedem Tier angeboren und bei jeder Tier¬ art mehr oder weniger verschieden ist; man kann danach die Tiere im Gegen¬ satz zum Menschen für ihre Handlungen in der freien Natur nicht verant¬ wortlich machen. Der Instinkt der Tiere ist lediglich auf die Ernährung, die Fortpflanzung und den Aufenthalt gerichtet. Die darwinistische Naturforschung glaubt alle menschlichen Eigenschaften in ihren Anfängen bei den Tieren wiederzufinden, sodaß sich der Mensch vom Tier in diesem Sinne nnr quantitativ, nicht qualitativ unterschiede. Aus dem Heidentum stammt das stolze, edle Wort: Homo sum,, nuinavi old.it g, räh küienuin puto, der Darwinist aber ändert es in Rostig, sum ot bsstiali uib.it g, ins ickisnum xrcko. Daß der Mensch volle Willensfreiheit hat, und daß er mit Vernunft und Überlegung handelt, steht fest; läßt es sich nun nachweisen, und wir glauben un folgenden den Beweis zu liefern, daß das gesamte Tierreich lediglich in¬ stinktiv handelt, so ist damit eine unüberbrückbare Kluft zwischen Mensch und Tier festgestellt, und damit das darwinische Gesetz, wenigstens soweit es den Menschen betrifft, für illusorisch erklärt. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, Handlungen von Tieren zu schildern, an denen man ein vernünftiges, überlegtes Handeln erkennen will. So las man kürzlich in einer verbreiteten und angesehenen deutschen Zeitschrift zum Beweis, daß ein Hund mit vernünftiger Überlegung handeln könne, ein Mann sei im Sommer bei gutem Wetter in Begleitung seines Hundes ausgegangen, als ein Gewitter aufgezogen sei; der Hund sei plötzlich verschwunden, bis er uach einiger Zeit mit einem Regenschirm im Maule zurückgekehrt sei. Ein Förster wollte beobachtet haben, daß ein Fuchs mehreremale hinter- nnander mit einem schweren Ast im Maule auf einen abgesagter Baumstumpf sprang; einige Zeit daraus ging eine Bache mit Frischlingen an dem Baume vorbei; der Fuchs hatte sich hier in den Hinterhalt gelegt, faßte einen der Frischlinge und sprang mit demselben im Maule auf den Baumstumpf, wo die Bache ihn nicht erreichen konnte; das Springen mit dem Ast hatte als Vorübung gedient. Derselbe Förster beobachtete im Winter bei Spürschnee, daß sein Hund eine ganze Anzahl Wildschweine aus einem Kessel im Walde Vertrieb, in den nur die Führte eines einzigen Tieres führte, und meint, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/721>, abgerufen am 15.05.2024.