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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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ließ sich die nicht mehr ganz frischbacknen vortrefflich munden, und da an jedem
Backtage zahllose Kuchen aller Art für die Kinder und den Gast in den Ofen
geschoben wurden, so sahen der Kaffee- und der Teetisch immer nach Geburts¬
tag aus.

Für den Braten mußten, wenn nicht gerade in die Stadt geschickt oder auf
dem Hofe geschlachtet worden war, der Hühnerhof und die Jagd sorgen. Der Oheim
hatte aufgehört, auf die Jagd zu gehn; nicht weil er dafür zu bejahrt oder sonst
nicht rüstig genug gewesen wäre, sondern weil ihm die Gutsverwaltung, die er sich
so ziemlich ganz auf den Hals geladen hatte, zuviel zu schaffe" machte, und weil
er -- der Pfarrherr war kein Liebhaber des Weidwerks und hielt es für einen
seines Amtes unwürdigen Zeitvertreib -- meistens mit dem Förster allein hätte
jagen müssen. Nachbarschaft gab es überhaupt wenig, in den schönen Monaten
noch weniger als im übrigen Jahre; denn wer irgend fortkonnte, ging auf Reisen,
und wer nicht fortkonnte, nnn der hatte für nachbarliche Allotria ebensowenig Zeit
wie der Oheim.

Aber es gab Jagdgerät, es gab den Förster, und es gab Wildenten im Achter-
wasser. Noch ehe meine Verwandten mich gesehen und sich davon überzeugt hatten,
daß es wenig angebracht war, etwas besondres zu meiner Unterhaltung anzustellen,
weil ich mich am liebsten frei und zwecklos umhertrieb, war eine Entenjagd in Aus¬
sicht genommen worden, und gleich am Tage nach meiner Ankunft wurde Sämtliches
Schuhwerk, das ich mitgebracht hatte, geprüft und -- zu leicht befunden. Leider
war ich bei meiner Ausrüstung nicht von richtigen Voraussetzungen ausgegangen;
sie war eher auf eine Saison in Doberan berechnet, und eine weitausgeschnittene
Weste von kornblumenblauem Seidenplüsch, von der ich mir für Diners viel ver¬
sprochen hatte, konnte keinen meiner Stiefel wasserdicht und "montant" genug machen.
Die Leute, die in den Schleusen arbeiteten, hatten, das wurde mir klar, was ge¬
braucht wurde, eine Art am untern Ende in Lederboote auslaufender Elefanten¬
rüssel, in denen man mit Haut und Haar verschwunden wäre, wenn man sich hätte
auseinandernehmen können wie die beiden Hälften eines Butterbrots. Zuviel Glanz
und zu wenig Trau hatte der Oheim mit einem geringschätzigen Blick auf die ihm
vorgelegten Perlen städtischer Schusterkunst bemerkt, aber wasserdichte Stiefel bekam
ich doch, die seinen, und aus ihm hätte man zwei Neffen machen können, und es
wäre noch etwas Zeug für einen Großneffen übrig geblieben.

Ja, wenn Trau wasserdicht macht -- und das tut er --, so waren das die
Stiefel, die ich brauchte, und wenn gewohnheitsmäßige Orgien nicht auch den
Geruchssinn abstumpfen, so würden, das konnte ich hoffen, die Blinden von Forks¬
dorf meine Nähe spüren oder, wie Fiesco sagt, meinen Tritt kennen. Es war mir,
wie wenn eben in meinem Zimmer ein großer und nicht mehr ganz frischer Wal¬
fisch in seine nutzbaren Bestandteile zerlegt worden wäre, als Friedrich -- ohne
jeglichen Wilhelm davor oder dahinter war das der Diener -- mit den beiden
Booten angesegelt gekommen war.

Ich muß hier eine Klammer öffnen, um einen Wehruf über schlechten moralischen
Geruch im allgemeinen auszustoßen und in Bezug auf Friedrich insbesondre dem
Leser unter sieben Siegeln anzuvertrauen, daß er im Geruch stand, -- bisweilen --
mehr zu sich zu nehmen, als er vertragen konnte, Getränk natürlich, nicht Speise.
An sich wäre das ja kein Unglück gewesen, da sich ein ehrbarer Rausch, der das
Opfer lahmt, ausschlafen läßt und dann, wie sich der moderne Dramatiker aus¬
drückt, "Vergangenheit" ist. Man hat mit solchen Leuten eine reinliche Teilung,
sie sind nüchtern, oder sie sind -- es nicht. Wenn sie nüchtern sind, kann man
ihnen Altmeißner Porzellanfiguren mit Spitzengarnitur anvertrauen, und wenn
sie -- es nicht sind, braucht man ihnen nicht zuzureden, sich niederzulegen,
denn man findet sie ja in der Regel schon am Boden. Mit Friedrich war es
anders: es hieß, nnr der Oheim könne mit Bestimmtheit sagen, ob Friedrich nüchtern
sei -- oder nicht. Alle übrigen Mitglieder des Haushalts schwebten in steter


<Lin Sommerurlaub in Pommern

ließ sich die nicht mehr ganz frischbacknen vortrefflich munden, und da an jedem
Backtage zahllose Kuchen aller Art für die Kinder und den Gast in den Ofen
geschoben wurden, so sahen der Kaffee- und der Teetisch immer nach Geburts¬
tag aus.

Für den Braten mußten, wenn nicht gerade in die Stadt geschickt oder auf
dem Hofe geschlachtet worden war, der Hühnerhof und die Jagd sorgen. Der Oheim
hatte aufgehört, auf die Jagd zu gehn; nicht weil er dafür zu bejahrt oder sonst
nicht rüstig genug gewesen wäre, sondern weil ihm die Gutsverwaltung, die er sich
so ziemlich ganz auf den Hals geladen hatte, zuviel zu schaffe» machte, und weil
er — der Pfarrherr war kein Liebhaber des Weidwerks und hielt es für einen
seines Amtes unwürdigen Zeitvertreib — meistens mit dem Förster allein hätte
jagen müssen. Nachbarschaft gab es überhaupt wenig, in den schönen Monaten
noch weniger als im übrigen Jahre; denn wer irgend fortkonnte, ging auf Reisen,
und wer nicht fortkonnte, nnn der hatte für nachbarliche Allotria ebensowenig Zeit
wie der Oheim.

Aber es gab Jagdgerät, es gab den Förster, und es gab Wildenten im Achter-
wasser. Noch ehe meine Verwandten mich gesehen und sich davon überzeugt hatten,
daß es wenig angebracht war, etwas besondres zu meiner Unterhaltung anzustellen,
weil ich mich am liebsten frei und zwecklos umhertrieb, war eine Entenjagd in Aus¬
sicht genommen worden, und gleich am Tage nach meiner Ankunft wurde Sämtliches
Schuhwerk, das ich mitgebracht hatte, geprüft und — zu leicht befunden. Leider
war ich bei meiner Ausrüstung nicht von richtigen Voraussetzungen ausgegangen;
sie war eher auf eine Saison in Doberan berechnet, und eine weitausgeschnittene
Weste von kornblumenblauem Seidenplüsch, von der ich mir für Diners viel ver¬
sprochen hatte, konnte keinen meiner Stiefel wasserdicht und „montant" genug machen.
Die Leute, die in den Schleusen arbeiteten, hatten, das wurde mir klar, was ge¬
braucht wurde, eine Art am untern Ende in Lederboote auslaufender Elefanten¬
rüssel, in denen man mit Haut und Haar verschwunden wäre, wenn man sich hätte
auseinandernehmen können wie die beiden Hälften eines Butterbrots. Zuviel Glanz
und zu wenig Trau hatte der Oheim mit einem geringschätzigen Blick auf die ihm
vorgelegten Perlen städtischer Schusterkunst bemerkt, aber wasserdichte Stiefel bekam
ich doch, die seinen, und aus ihm hätte man zwei Neffen machen können, und es
wäre noch etwas Zeug für einen Großneffen übrig geblieben.

Ja, wenn Trau wasserdicht macht — und das tut er —, so waren das die
Stiefel, die ich brauchte, und wenn gewohnheitsmäßige Orgien nicht auch den
Geruchssinn abstumpfen, so würden, das konnte ich hoffen, die Blinden von Forks¬
dorf meine Nähe spüren oder, wie Fiesco sagt, meinen Tritt kennen. Es war mir,
wie wenn eben in meinem Zimmer ein großer und nicht mehr ganz frischer Wal¬
fisch in seine nutzbaren Bestandteile zerlegt worden wäre, als Friedrich — ohne
jeglichen Wilhelm davor oder dahinter war das der Diener — mit den beiden
Booten angesegelt gekommen war.

Ich muß hier eine Klammer öffnen, um einen Wehruf über schlechten moralischen
Geruch im allgemeinen auszustoßen und in Bezug auf Friedrich insbesondre dem
Leser unter sieben Siegeln anzuvertrauen, daß er im Geruch stand, — bisweilen —
mehr zu sich zu nehmen, als er vertragen konnte, Getränk natürlich, nicht Speise.
An sich wäre das ja kein Unglück gewesen, da sich ein ehrbarer Rausch, der das
Opfer lahmt, ausschlafen läßt und dann, wie sich der moderne Dramatiker aus¬
drückt, „Vergangenheit" ist. Man hat mit solchen Leuten eine reinliche Teilung,
sie sind nüchtern, oder sie sind — es nicht. Wenn sie nüchtern sind, kann man
ihnen Altmeißner Porzellanfiguren mit Spitzengarnitur anvertrauen, und wenn
sie — es nicht sind, braucht man ihnen nicht zuzureden, sich niederzulegen,
denn man findet sie ja in der Regel schon am Boden. Mit Friedrich war es
anders: es hieß, nnr der Oheim könne mit Bestimmtheit sagen, ob Friedrich nüchtern
sei — oder nicht. Alle übrigen Mitglieder des Haushalts schwebten in steter


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[0732] <Lin Sommerurlaub in Pommern ließ sich die nicht mehr ganz frischbacknen vortrefflich munden, und da an jedem Backtage zahllose Kuchen aller Art für die Kinder und den Gast in den Ofen geschoben wurden, so sahen der Kaffee- und der Teetisch immer nach Geburts¬ tag aus. Für den Braten mußten, wenn nicht gerade in die Stadt geschickt oder auf dem Hofe geschlachtet worden war, der Hühnerhof und die Jagd sorgen. Der Oheim hatte aufgehört, auf die Jagd zu gehn; nicht weil er dafür zu bejahrt oder sonst nicht rüstig genug gewesen wäre, sondern weil ihm die Gutsverwaltung, die er sich so ziemlich ganz auf den Hals geladen hatte, zuviel zu schaffe» machte, und weil er — der Pfarrherr war kein Liebhaber des Weidwerks und hielt es für einen seines Amtes unwürdigen Zeitvertreib — meistens mit dem Förster allein hätte jagen müssen. Nachbarschaft gab es überhaupt wenig, in den schönen Monaten noch weniger als im übrigen Jahre; denn wer irgend fortkonnte, ging auf Reisen, und wer nicht fortkonnte, nnn der hatte für nachbarliche Allotria ebensowenig Zeit wie der Oheim. Aber es gab Jagdgerät, es gab den Förster, und es gab Wildenten im Achter- wasser. Noch ehe meine Verwandten mich gesehen und sich davon überzeugt hatten, daß es wenig angebracht war, etwas besondres zu meiner Unterhaltung anzustellen, weil ich mich am liebsten frei und zwecklos umhertrieb, war eine Entenjagd in Aus¬ sicht genommen worden, und gleich am Tage nach meiner Ankunft wurde Sämtliches Schuhwerk, das ich mitgebracht hatte, geprüft und — zu leicht befunden. Leider war ich bei meiner Ausrüstung nicht von richtigen Voraussetzungen ausgegangen; sie war eher auf eine Saison in Doberan berechnet, und eine weitausgeschnittene Weste von kornblumenblauem Seidenplüsch, von der ich mir für Diners viel ver¬ sprochen hatte, konnte keinen meiner Stiefel wasserdicht und „montant" genug machen. Die Leute, die in den Schleusen arbeiteten, hatten, das wurde mir klar, was ge¬ braucht wurde, eine Art am untern Ende in Lederboote auslaufender Elefanten¬ rüssel, in denen man mit Haut und Haar verschwunden wäre, wenn man sich hätte auseinandernehmen können wie die beiden Hälften eines Butterbrots. Zuviel Glanz und zu wenig Trau hatte der Oheim mit einem geringschätzigen Blick auf die ihm vorgelegten Perlen städtischer Schusterkunst bemerkt, aber wasserdichte Stiefel bekam ich doch, die seinen, und aus ihm hätte man zwei Neffen machen können, und es wäre noch etwas Zeug für einen Großneffen übrig geblieben. Ja, wenn Trau wasserdicht macht — und das tut er —, so waren das die Stiefel, die ich brauchte, und wenn gewohnheitsmäßige Orgien nicht auch den Geruchssinn abstumpfen, so würden, das konnte ich hoffen, die Blinden von Forks¬ dorf meine Nähe spüren oder, wie Fiesco sagt, meinen Tritt kennen. Es war mir, wie wenn eben in meinem Zimmer ein großer und nicht mehr ganz frischer Wal¬ fisch in seine nutzbaren Bestandteile zerlegt worden wäre, als Friedrich — ohne jeglichen Wilhelm davor oder dahinter war das der Diener — mit den beiden Booten angesegelt gekommen war. Ich muß hier eine Klammer öffnen, um einen Wehruf über schlechten moralischen Geruch im allgemeinen auszustoßen und in Bezug auf Friedrich insbesondre dem Leser unter sieben Siegeln anzuvertrauen, daß er im Geruch stand, — bisweilen — mehr zu sich zu nehmen, als er vertragen konnte, Getränk natürlich, nicht Speise. An sich wäre das ja kein Unglück gewesen, da sich ein ehrbarer Rausch, der das Opfer lahmt, ausschlafen läßt und dann, wie sich der moderne Dramatiker aus¬ drückt, „Vergangenheit" ist. Man hat mit solchen Leuten eine reinliche Teilung, sie sind nüchtern, oder sie sind — es nicht. Wenn sie nüchtern sind, kann man ihnen Altmeißner Porzellanfiguren mit Spitzengarnitur anvertrauen, und wenn sie — es nicht sind, braucht man ihnen nicht zuzureden, sich niederzulegen, denn man findet sie ja in der Regel schon am Boden. Mit Friedrich war es anders: es hieß, nnr der Oheim könne mit Bestimmtheit sagen, ob Friedrich nüchtern sei — oder nicht. Alle übrigen Mitglieder des Haushalts schwebten in steter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/732>, abgerufen am 05.06.2024.