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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vätern doch unheimlich, mis sie sahen, wie die Kirche nicht nnr mit Dentschlnnd,
sondern auch mit der Schweiz, mit Holland, England und sogar mit Österreich und
Spanien in Konflikt kam, während ans Frankreich, trotz Mac Masons Präsident¬
schaft, kein rechter Verlaß war. Es mußte wohl erkannt werden, daß mit dem
Poltern über den "tönernen Koloß," den bald ein Steinchen zerschmettern werde,
in Dentschlnnd kein Umschwung zu erzielen sei, daß dagegen ein "friedliebender
Papst" nach Bismarcks Erklärungen große Aussicht habe, in Deutschland für seine
Kirche Errungenschaften einzuheimsen. Es ist möglich, daß Plus den Ordensleitern
"aus dem Steuer gelaufen" war.

Dafür spricht immerhin die Person des neuen Papstes. Auf dem Boden des
Jesuitismus stand, das mag nochmals betont werden, auch dieser und wird sicher
der neue Papst stehn. Was allenfalls an antijesuitischen Elementen noch in der
Kirche ist, ist viel zu schwach, einen Sieg über den Orden erringen zu können.
Kardinal Pecei war ein Jesuitenzögling. Nie hat er eine Äußerung gemacht, die
einen Gegensatz zwischen ihm und der Gesellschaft Jesu auch nur andeutete.
Toleranz gegen die evangelische Kirche wird kein vernünftiger Mensch von irgend
einem Papst erwarten. Wer sich für das unfehlbare, vom heiligen Geist un¬
mittelbar erleuchtete Haupt der ganzen Christenheit hält, der kann gar nicht zu¬
geben, daß Leute auf den Weg des Heils kommen können, die von seiner Hirten-
schaft nichts wissen wollen. Unter seinen Eneykliken find manche, die die Protestanten
schwer verletzt und sogar Anlaß zu der Forderung gegeben haben, daß die straf¬
rechtliche Ahndung der Beschimpfung der katholischen Kirche aufgehoben werden
müsse, wenn deren Oberhaupt ungestraft solche Beleidigungen der Evangelischen
in Dentschland verkünden lassen könne. Höchst bezeichnend für Leos Mangel an
Beziehung zur modernen Welt war eine Eneyklikci, in der er allen Christen die
Philosophie des heiligen Thomas von Aanino empfahl, daß sie einen Wegweiser
für ihre sorgenvollen Betrachtungen über Gott und Welt hätten. Die Philosophie
dieses alten Scholastikers wurde'zu der offiziellen des Katholizismus unsrer Zeit
gemacht. Daraus ersieht man, wie wenig der Mann, dessen Lebensaufgabe die
Leitung der gläubigen Gemüter sein soll, die Veränderung der Zeiten begriffen
hatte. Es wäre aber auch von den Protestanten töricht, etwas andres zu wünschen,
denn sie müssen sich doch sagen, daß auch ihnen das kleinste Kompromiß unmöglich
ist. Sie halten mit Recht an ihrem Vertrauen auf die freie Forschung ebenso fest,
wie der Katholizismus an seinem unfehlbaren Papst und seiner mittelalterlichen
Weltanschauung.

Aber Leo war ein Weltmann, der nicht wie sein Vorgänger mit dem Kopf
gegen die Wand rannte. Er hatte als langjähriger Gesandter in Brüssel die Welt
kennen lernen und wußte die Menschen zu nehmen. Es muß die Absicht des vom
Geiste des Jesuitismus erfüllten Kardinalkollegiums gewesen sein, einen solchen Manu
mit der dreiteiliger Krone zu bekleiden. Der Gegensatz gegen Pius ist offenbar,
und mau muß daraus schließen, daß der Orden selbst eingesehen hatte, wie verkehrt
das Temperament des letzten Papstes in der letzten Zeit gewirkt hatte.

Für einen "friedliebenden" Papst wie Leo standen namentlich in Deutschland
alle Türen offen. Vismarck war des Zusammenarbeitens mit den Liberalen müde.
Er hatte 1877 zwischen Weihnachten und Neujahr Rudolf von Bennigsen aus
Varziu ziehn lassen, ohne daß es zu einer (wie man nachträglich erfuhr, auch vom
Kaiser perhorreszierten) Verständigung gekommen wäre. Der Kanzler sprach es
offen aus, daß nicht immer ein so nntraitabler Mann wie Pius auf dem Stuhle
Petri sitzen, und daß er mit einem versöhnlichen Nachfolger zur Verständigung
kommen werde. Da starb um 7. Februar 1878 Pius, und schon am 2V. ging
Bismarcks Wunsch nach einem "friedliebenden" Nachfolger in Erfüllung. Auch
Kaiser Wilhelm war des .Kulturkampfes satt. Er stand zu Falk in einem zu¬
nehmenden Gegensatz! dessen Freund und Gesinnungsgenossen, den liberalen Ober¬
kirchenrat Herrmann hatte er schon entlassen und dnrch einen Orthodoxen ersetzt.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vätern doch unheimlich, mis sie sahen, wie die Kirche nicht nnr mit Dentschlnnd,
sondern auch mit der Schweiz, mit Holland, England und sogar mit Österreich und
Spanien in Konflikt kam, während ans Frankreich, trotz Mac Masons Präsident¬
schaft, kein rechter Verlaß war. Es mußte wohl erkannt werden, daß mit dem
Poltern über den „tönernen Koloß," den bald ein Steinchen zerschmettern werde,
in Dentschlnnd kein Umschwung zu erzielen sei, daß dagegen ein „friedliebender
Papst" nach Bismarcks Erklärungen große Aussicht habe, in Deutschland für seine
Kirche Errungenschaften einzuheimsen. Es ist möglich, daß Plus den Ordensleitern
„aus dem Steuer gelaufen" war.

Dafür spricht immerhin die Person des neuen Papstes. Auf dem Boden des
Jesuitismus stand, das mag nochmals betont werden, auch dieser und wird sicher
der neue Papst stehn. Was allenfalls an antijesuitischen Elementen noch in der
Kirche ist, ist viel zu schwach, einen Sieg über den Orden erringen zu können.
Kardinal Pecei war ein Jesuitenzögling. Nie hat er eine Äußerung gemacht, die
einen Gegensatz zwischen ihm und der Gesellschaft Jesu auch nur andeutete.
Toleranz gegen die evangelische Kirche wird kein vernünftiger Mensch von irgend
einem Papst erwarten. Wer sich für das unfehlbare, vom heiligen Geist un¬
mittelbar erleuchtete Haupt der ganzen Christenheit hält, der kann gar nicht zu¬
geben, daß Leute auf den Weg des Heils kommen können, die von seiner Hirten-
schaft nichts wissen wollen. Unter seinen Eneykliken find manche, die die Protestanten
schwer verletzt und sogar Anlaß zu der Forderung gegeben haben, daß die straf¬
rechtliche Ahndung der Beschimpfung der katholischen Kirche aufgehoben werden
müsse, wenn deren Oberhaupt ungestraft solche Beleidigungen der Evangelischen
in Dentschland verkünden lassen könne. Höchst bezeichnend für Leos Mangel an
Beziehung zur modernen Welt war eine Eneyklikci, in der er allen Christen die
Philosophie des heiligen Thomas von Aanino empfahl, daß sie einen Wegweiser
für ihre sorgenvollen Betrachtungen über Gott und Welt hätten. Die Philosophie
dieses alten Scholastikers wurde'zu der offiziellen des Katholizismus unsrer Zeit
gemacht. Daraus ersieht man, wie wenig der Mann, dessen Lebensaufgabe die
Leitung der gläubigen Gemüter sein soll, die Veränderung der Zeiten begriffen
hatte. Es wäre aber auch von den Protestanten töricht, etwas andres zu wünschen,
denn sie müssen sich doch sagen, daß auch ihnen das kleinste Kompromiß unmöglich
ist. Sie halten mit Recht an ihrem Vertrauen auf die freie Forschung ebenso fest,
wie der Katholizismus an seinem unfehlbaren Papst und seiner mittelalterlichen
Weltanschauung.

Aber Leo war ein Weltmann, der nicht wie sein Vorgänger mit dem Kopf
gegen die Wand rannte. Er hatte als langjähriger Gesandter in Brüssel die Welt
kennen lernen und wußte die Menschen zu nehmen. Es muß die Absicht des vom
Geiste des Jesuitismus erfüllten Kardinalkollegiums gewesen sein, einen solchen Manu
mit der dreiteiliger Krone zu bekleiden. Der Gegensatz gegen Pius ist offenbar,
und mau muß daraus schließen, daß der Orden selbst eingesehen hatte, wie verkehrt
das Temperament des letzten Papstes in der letzten Zeit gewirkt hatte.

Für einen „friedliebenden" Papst wie Leo standen namentlich in Deutschland
alle Türen offen. Vismarck war des Zusammenarbeitens mit den Liberalen müde.
Er hatte 1877 zwischen Weihnachten und Neujahr Rudolf von Bennigsen aus
Varziu ziehn lassen, ohne daß es zu einer (wie man nachträglich erfuhr, auch vom
Kaiser perhorreszierten) Verständigung gekommen wäre. Der Kanzler sprach es
offen aus, daß nicht immer ein so nntraitabler Mann wie Pius auf dem Stuhle
Petri sitzen, und daß er mit einem versöhnlichen Nachfolger zur Verständigung
kommen werde. Da starb um 7. Februar 1878 Pius, und schon am 2V. ging
Bismarcks Wunsch nach einem „friedliebenden" Nachfolger in Erfüllung. Auch
Kaiser Wilhelm war des .Kulturkampfes satt. Er stand zu Falk in einem zu¬
nehmenden Gegensatz! dessen Freund und Gesinnungsgenossen, den liberalen Ober¬
kirchenrat Herrmann hatte er schon entlassen und dnrch einen Orthodoxen ersetzt.


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[0191] Maßgebliches und Unmaßgebliches Vätern doch unheimlich, mis sie sahen, wie die Kirche nicht nnr mit Dentschlnnd, sondern auch mit der Schweiz, mit Holland, England und sogar mit Österreich und Spanien in Konflikt kam, während ans Frankreich, trotz Mac Masons Präsident¬ schaft, kein rechter Verlaß war. Es mußte wohl erkannt werden, daß mit dem Poltern über den „tönernen Koloß," den bald ein Steinchen zerschmettern werde, in Dentschlnnd kein Umschwung zu erzielen sei, daß dagegen ein „friedliebender Papst" nach Bismarcks Erklärungen große Aussicht habe, in Deutschland für seine Kirche Errungenschaften einzuheimsen. Es ist möglich, daß Plus den Ordensleitern „aus dem Steuer gelaufen" war. Dafür spricht immerhin die Person des neuen Papstes. Auf dem Boden des Jesuitismus stand, das mag nochmals betont werden, auch dieser und wird sicher der neue Papst stehn. Was allenfalls an antijesuitischen Elementen noch in der Kirche ist, ist viel zu schwach, einen Sieg über den Orden erringen zu können. Kardinal Pecei war ein Jesuitenzögling. Nie hat er eine Äußerung gemacht, die einen Gegensatz zwischen ihm und der Gesellschaft Jesu auch nur andeutete. Toleranz gegen die evangelische Kirche wird kein vernünftiger Mensch von irgend einem Papst erwarten. Wer sich für das unfehlbare, vom heiligen Geist un¬ mittelbar erleuchtete Haupt der ganzen Christenheit hält, der kann gar nicht zu¬ geben, daß Leute auf den Weg des Heils kommen können, die von seiner Hirten- schaft nichts wissen wollen. Unter seinen Eneykliken find manche, die die Protestanten schwer verletzt und sogar Anlaß zu der Forderung gegeben haben, daß die straf¬ rechtliche Ahndung der Beschimpfung der katholischen Kirche aufgehoben werden müsse, wenn deren Oberhaupt ungestraft solche Beleidigungen der Evangelischen in Dentschland verkünden lassen könne. Höchst bezeichnend für Leos Mangel an Beziehung zur modernen Welt war eine Eneyklikci, in der er allen Christen die Philosophie des heiligen Thomas von Aanino empfahl, daß sie einen Wegweiser für ihre sorgenvollen Betrachtungen über Gott und Welt hätten. Die Philosophie dieses alten Scholastikers wurde'zu der offiziellen des Katholizismus unsrer Zeit gemacht. Daraus ersieht man, wie wenig der Mann, dessen Lebensaufgabe die Leitung der gläubigen Gemüter sein soll, die Veränderung der Zeiten begriffen hatte. Es wäre aber auch von den Protestanten töricht, etwas andres zu wünschen, denn sie müssen sich doch sagen, daß auch ihnen das kleinste Kompromiß unmöglich ist. Sie halten mit Recht an ihrem Vertrauen auf die freie Forschung ebenso fest, wie der Katholizismus an seinem unfehlbaren Papst und seiner mittelalterlichen Weltanschauung. Aber Leo war ein Weltmann, der nicht wie sein Vorgänger mit dem Kopf gegen die Wand rannte. Er hatte als langjähriger Gesandter in Brüssel die Welt kennen lernen und wußte die Menschen zu nehmen. Es muß die Absicht des vom Geiste des Jesuitismus erfüllten Kardinalkollegiums gewesen sein, einen solchen Manu mit der dreiteiliger Krone zu bekleiden. Der Gegensatz gegen Pius ist offenbar, und mau muß daraus schließen, daß der Orden selbst eingesehen hatte, wie verkehrt das Temperament des letzten Papstes in der letzten Zeit gewirkt hatte. Für einen „friedliebenden" Papst wie Leo standen namentlich in Deutschland alle Türen offen. Vismarck war des Zusammenarbeitens mit den Liberalen müde. Er hatte 1877 zwischen Weihnachten und Neujahr Rudolf von Bennigsen aus Varziu ziehn lassen, ohne daß es zu einer (wie man nachträglich erfuhr, auch vom Kaiser perhorreszierten) Verständigung gekommen wäre. Der Kanzler sprach es offen aus, daß nicht immer ein so nntraitabler Mann wie Pius auf dem Stuhle Petri sitzen, und daß er mit einem versöhnlichen Nachfolger zur Verständigung kommen werde. Da starb um 7. Februar 1878 Pius, und schon am 2V. ging Bismarcks Wunsch nach einem „friedliebenden" Nachfolger in Erfüllung. Auch Kaiser Wilhelm war des .Kulturkampfes satt. Er stand zu Falk in einem zu¬ nehmenden Gegensatz! dessen Freund und Gesinnungsgenossen, den liberalen Ober¬ kirchenrat Herrmann hatte er schon entlassen und dnrch einen Orthodoxen ersetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/191>, abgerufen am 03.06.2024.