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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Wolkensteiner

zu Sabine entsprungen, das so Übel ausklingen sollte. Im Gefängnis war er
so mißhandelt worden, daß er hinkte und einer Krücke bedürfte; darauf geht
ein Fastnachtgedicht, wohl im Gefängnis in guter Laune ersonnen, und die
Melodie gleich dazu:



Eine Zeit lang war ihm übrigens, als es ihm so schlecht erging, der Humor
ausgegangen; damals dichtete und komponierte er -- in allem, was er anfaßt,
kräftig -- ernsthaft empfundne und gedachte religiöse Lieder. Meist begnügte
er sich mit einstimmigen Melodien, doch sind auch eine Anzahl primitiver mehr¬
stimmiger Kompositionen in der Wiener und in der großen Innsbrucker Hand¬
schrift seiner Werke überliefert, zu geistlichen und namentlich zu weltlichen
Gedichten. Wir teilen zum Schluß, um auch davon eine Vorstellung zu geben,
die kleine Trinkerfuge mit, bei deren erster Ausführung man vor fünfhundert
Jahren, so simpel sie uns heute vorkommt, fröhlich und stolz genug gewesen sein
mag (Salbe ist Glück):



Die Krücke ist diesesmal seine Fastnachtstänzerin; wie schmiegt er sie unter die Achsel,
daß sie terre, d. h. quietscht! Eine bessere Erregung auf die Fastnacht hin kann er sich nicht
denken. Die letzten Worte ahmen entweder das Gejammer der Mitgefangnen nach -- ein andermal
beklagt er sich bitter darüber, daß er im Gefängnis mit so ekler Sippschaft aus einer Schüssel
essen müsse -- und verweisen es ihnen, oder sie sind an die knarrende Krücke gerichtet, die hier
als weinerliche Tänzerin mit Ihr angeredet wird. -- Diese wie die folgende Musikprobe sind
in kürzern Notcnwerten gegeben, als die Originale sie bieten, weil sich die durchschnittlichen
Wertverhältnisse der Notenmaße seit damals sehr geändert haben. -- Der Aufsatz beruht auf
der neuen großen Oswaldcmsgnbe von Schatz und Koller (Denkmäler der Tonkunst in Österreich,
1902) und eigner Vergleichung der Innsbrucker Handschriften.
Der Wolkensteiner

zu Sabine entsprungen, das so Übel ausklingen sollte. Im Gefängnis war er
so mißhandelt worden, daß er hinkte und einer Krücke bedürfte; darauf geht
ein Fastnachtgedicht, wohl im Gefängnis in guter Laune ersonnen, und die
Melodie gleich dazu:



Eine Zeit lang war ihm übrigens, als es ihm so schlecht erging, der Humor
ausgegangen; damals dichtete und komponierte er — in allem, was er anfaßt,
kräftig — ernsthaft empfundne und gedachte religiöse Lieder. Meist begnügte
er sich mit einstimmigen Melodien, doch sind auch eine Anzahl primitiver mehr¬
stimmiger Kompositionen in der Wiener und in der großen Innsbrucker Hand¬
schrift seiner Werke überliefert, zu geistlichen und namentlich zu weltlichen
Gedichten. Wir teilen zum Schluß, um auch davon eine Vorstellung zu geben,
die kleine Trinkerfuge mit, bei deren erster Ausführung man vor fünfhundert
Jahren, so simpel sie uns heute vorkommt, fröhlich und stolz genug gewesen sein
mag (Salbe ist Glück):



Die Krücke ist diesesmal seine Fastnachtstänzerin; wie schmiegt er sie unter die Achsel,
daß sie terre, d. h. quietscht! Eine bessere Erregung auf die Fastnacht hin kann er sich nicht
denken. Die letzten Worte ahmen entweder das Gejammer der Mitgefangnen nach — ein andermal
beklagt er sich bitter darüber, daß er im Gefängnis mit so ekler Sippschaft aus einer Schüssel
essen müsse — und verweisen es ihnen, oder sie sind an die knarrende Krücke gerichtet, die hier
als weinerliche Tänzerin mit Ihr angeredet wird. — Diese wie die folgende Musikprobe sind
in kürzern Notcnwerten gegeben, als die Originale sie bieten, weil sich die durchschnittlichen
Wertverhältnisse der Notenmaße seit damals sehr geändert haben. — Der Aufsatz beruht auf
der neuen großen Oswaldcmsgnbe von Schatz und Koller (Denkmäler der Tonkunst in Österreich,
1902) und eigner Vergleichung der Innsbrucker Handschriften.
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[0548] Der Wolkensteiner zu Sabine entsprungen, das so Übel ausklingen sollte. Im Gefängnis war er so mißhandelt worden, daß er hinkte und einer Krücke bedürfte; darauf geht ein Fastnachtgedicht, wohl im Gefängnis in guter Laune ersonnen, und die Melodie gleich dazu: [Abbildung] Eine Zeit lang war ihm übrigens, als es ihm so schlecht erging, der Humor ausgegangen; damals dichtete und komponierte er — in allem, was er anfaßt, kräftig — ernsthaft empfundne und gedachte religiöse Lieder. Meist begnügte er sich mit einstimmigen Melodien, doch sind auch eine Anzahl primitiver mehr¬ stimmiger Kompositionen in der Wiener und in der großen Innsbrucker Hand¬ schrift seiner Werke überliefert, zu geistlichen und namentlich zu weltlichen Gedichten. Wir teilen zum Schluß, um auch davon eine Vorstellung zu geben, die kleine Trinkerfuge mit, bei deren erster Ausführung man vor fünfhundert Jahren, so simpel sie uns heute vorkommt, fröhlich und stolz genug gewesen sein mag (Salbe ist Glück): Die Krücke ist diesesmal seine Fastnachtstänzerin; wie schmiegt er sie unter die Achsel, daß sie terre, d. h. quietscht! Eine bessere Erregung auf die Fastnacht hin kann er sich nicht denken. Die letzten Worte ahmen entweder das Gejammer der Mitgefangnen nach — ein andermal beklagt er sich bitter darüber, daß er im Gefängnis mit so ekler Sippschaft aus einer Schüssel essen müsse — und verweisen es ihnen, oder sie sind an die knarrende Krücke gerichtet, die hier als weinerliche Tänzerin mit Ihr angeredet wird. — Diese wie die folgende Musikprobe sind in kürzern Notcnwerten gegeben, als die Originale sie bieten, weil sich die durchschnittlichen Wertverhältnisse der Notenmaße seit damals sehr geändert haben. — Der Aufsatz beruht auf der neuen großen Oswaldcmsgnbe von Schatz und Koller (Denkmäler der Tonkunst in Österreich, 1902) und eigner Vergleichung der Innsbrucker Handschriften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/548>, abgerufen am 18.05.2024.