Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Gold in der mythischen Vorstellung der Germanen

Emportauchen verleiht dem Ring einen zauberischen Charakter. Vor allen
Dingen vermehrt er sich selbst, dann aber auch Schätze überhaupt; mit dem
Verlust des Ringes ist die Zauberkraft dahin, wie z, B. bei dem Verlust der
weiblichen Gürtel, bei dem Ringe der Walküren u. a.; wenn der Schwan den
Ring in den See fallen läßt, geht die Welt unter. Die kühne Tat aber er¬
ringt ihn manchmal: mit dem Blitze schleudert Thor nach den Frauen, mit
dem Axthieb besiegt der Malknecht die goldriuggeschmückte Swauwit, mit dem
Schuß gewinnt Wieland die Schwanjungfrau; bekannt sind die beiden Beispiele
des Nibelungenliedes, Brunhilds Gürtel und Krimhilds Ring; mit dem Ring
hat Lohengrin seinen Schwan gezwungen (Parcival, 826, 16):

Durch seiue Kraft können sich Götter und Menschen in allerlei Gestalt
wandeln; er macht sichtbar oder unsichtbar.

Ein weiteres Stück des Schatzes ist der Kamm oder die Krone, die aber
bei weitem nicht die Rolle in der Sage spielt, wie der Ring. Sie gehört ur¬
sprünglich nicht zum Schatze, sondern ist der Kopfschmuck der den Wolken¬
schatz hütenden Schlange oder des Drachens, des schlangengleich durch die
Wolken oder zur Erde 'hinschießenden Blitzes. Die Schlange hat einen goldnen
Kamm oder eine goldne Krone ans dem Haupte. Aus den Gewittervorgängen
kann ich mir allerdings diese Vorstellung nicht genügend erklären, aber sie scheint
eine Analogie zu der Phantasie zu sein, die alle Ungeheuer mit blitzsprühenden
Augen, slaminenschnaubcndcu Nüstern und funkenknisterndem Schuppenpanzer
vor sich sieht. So scheint aus dem Haupte der Blitzesschlange das Feuer zu
züngeln, wie es bei Hesiod vom Typhorus heißt:

Eine Übergangsvorstellung vom leuchtenden Haupte zur Krone dürfte in
der cölnischen Sage von der Frühjahrs-Schlangenvcrsammlung am Marknstcig
zu finden sein: die Unterirdischen haben dem Schlangcnkönig seine Krone ge¬
schmiedet; der blendende Glanz lockt sämtliche Schlangen heran, daß sie um den
König einen Häuser von der Größe eines großen Heuschobers bilden, aus dem
das Haupt des Königs gleich der Sonne hervorleuchtet.

In die Krone ist der Schlangenstein eingesetzt; er verleiht, so lange er dem
Besitzer verbleibt, Sieg und Unverletzbarkeit und wird darum auch Siegstein
genannt; mit seinem Verlust wird Widerstandskraft und aller Mut genommen.
König Niduilg läßt den Kampf solange aussetzen, bis ihm der vergessene
Talisman gebracht ist. Dieser Stein ist vielleicht das Symbol des Blitzens
und Funkelns der Sonne.

Ich habe hier versucht, in kurzen Zügen Grundvorstellungen der Gold-
und Schatzsage einheitlich darzustellen; es sollte hier nicht gezeigt werden, wie


Das Gold in der mythischen Vorstellung der Germanen

Emportauchen verleiht dem Ring einen zauberischen Charakter. Vor allen
Dingen vermehrt er sich selbst, dann aber auch Schätze überhaupt; mit dem
Verlust des Ringes ist die Zauberkraft dahin, wie z, B. bei dem Verlust der
weiblichen Gürtel, bei dem Ringe der Walküren u. a.; wenn der Schwan den
Ring in den See fallen läßt, geht die Welt unter. Die kühne Tat aber er¬
ringt ihn manchmal: mit dem Blitze schleudert Thor nach den Frauen, mit
dem Axthieb besiegt der Malknecht die goldriuggeschmückte Swauwit, mit dem
Schuß gewinnt Wieland die Schwanjungfrau; bekannt sind die beiden Beispiele
des Nibelungenliedes, Brunhilds Gürtel und Krimhilds Ring; mit dem Ring
hat Lohengrin seinen Schwan gezwungen (Parcival, 826, 16):

Durch seiue Kraft können sich Götter und Menschen in allerlei Gestalt
wandeln; er macht sichtbar oder unsichtbar.

Ein weiteres Stück des Schatzes ist der Kamm oder die Krone, die aber
bei weitem nicht die Rolle in der Sage spielt, wie der Ring. Sie gehört ur¬
sprünglich nicht zum Schatze, sondern ist der Kopfschmuck der den Wolken¬
schatz hütenden Schlange oder des Drachens, des schlangengleich durch die
Wolken oder zur Erde 'hinschießenden Blitzes. Die Schlange hat einen goldnen
Kamm oder eine goldne Krone ans dem Haupte. Aus den Gewittervorgängen
kann ich mir allerdings diese Vorstellung nicht genügend erklären, aber sie scheint
eine Analogie zu der Phantasie zu sein, die alle Ungeheuer mit blitzsprühenden
Augen, slaminenschnaubcndcu Nüstern und funkenknisterndem Schuppenpanzer
vor sich sieht. So scheint aus dem Haupte der Blitzesschlange das Feuer zu
züngeln, wie es bei Hesiod vom Typhorus heißt:

Eine Übergangsvorstellung vom leuchtenden Haupte zur Krone dürfte in
der cölnischen Sage von der Frühjahrs-Schlangenvcrsammlung am Marknstcig
zu finden sein: die Unterirdischen haben dem Schlangcnkönig seine Krone ge¬
schmiedet; der blendende Glanz lockt sämtliche Schlangen heran, daß sie um den
König einen Häuser von der Größe eines großen Heuschobers bilden, aus dem
das Haupt des Königs gleich der Sonne hervorleuchtet.

In die Krone ist der Schlangenstein eingesetzt; er verleiht, so lange er dem
Besitzer verbleibt, Sieg und Unverletzbarkeit und wird darum auch Siegstein
genannt; mit seinem Verlust wird Widerstandskraft und aller Mut genommen.
König Niduilg läßt den Kampf solange aussetzen, bis ihm der vergessene
Talisman gebracht ist. Dieser Stein ist vielleicht das Symbol des Blitzens
und Funkelns der Sonne.

Ich habe hier versucht, in kurzen Zügen Grundvorstellungen der Gold-
und Schatzsage einheitlich darzustellen; es sollte hier nicht gezeigt werden, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242117"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Gold in der mythischen Vorstellung der Germanen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_123" prev="#ID_122"> Emportauchen verleiht dem Ring einen zauberischen Charakter. Vor allen<lb/>
Dingen vermehrt er sich selbst, dann aber auch Schätze überhaupt; mit dem<lb/>
Verlust des Ringes ist die Zauberkraft dahin, wie z, B. bei dem Verlust der<lb/>
weiblichen Gürtel, bei dem Ringe der Walküren u. a.; wenn der Schwan den<lb/>
Ring in den See fallen läßt, geht die Welt unter. Die kühne Tat aber er¬<lb/>
ringt ihn manchmal: mit dem Blitze schleudert Thor nach den Frauen, mit<lb/>
dem Axthieb besiegt der Malknecht die goldriuggeschmückte Swauwit, mit dem<lb/>
Schuß gewinnt Wieland die Schwanjungfrau; bekannt sind die beiden Beispiele<lb/>
des Nibelungenliedes, Brunhilds Gürtel und Krimhilds Ring; mit dem Ring<lb/>
hat Lohengrin seinen Schwan gezwungen (Parcival, 826, 16):</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_4" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_124"> Durch seiue Kraft können sich Götter und Menschen in allerlei Gestalt<lb/>
wandeln; er macht sichtbar oder unsichtbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_125"> Ein weiteres Stück des Schatzes ist der Kamm oder die Krone, die aber<lb/>
bei weitem nicht die Rolle in der Sage spielt, wie der Ring. Sie gehört ur¬<lb/>
sprünglich nicht zum Schatze, sondern ist der Kopfschmuck der den Wolken¬<lb/>
schatz hütenden Schlange oder des Drachens, des schlangengleich durch die<lb/>
Wolken oder zur Erde 'hinschießenden Blitzes. Die Schlange hat einen goldnen<lb/>
Kamm oder eine goldne Krone ans dem Haupte. Aus den Gewittervorgängen<lb/>
kann ich mir allerdings diese Vorstellung nicht genügend erklären, aber sie scheint<lb/>
eine Analogie zu der Phantasie zu sein, die alle Ungeheuer mit blitzsprühenden<lb/>
Augen, slaminenschnaubcndcu Nüstern und funkenknisterndem Schuppenpanzer<lb/>
vor sich sieht. So scheint aus dem Haupte der Blitzesschlange das Feuer zu<lb/>
züngeln, wie es bei Hesiod vom Typhorus heißt:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_5" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_126"> Eine Übergangsvorstellung vom leuchtenden Haupte zur Krone dürfte in<lb/>
der cölnischen Sage von der Frühjahrs-Schlangenvcrsammlung am Marknstcig<lb/>
zu finden sein: die Unterirdischen haben dem Schlangcnkönig seine Krone ge¬<lb/>
schmiedet; der blendende Glanz lockt sämtliche Schlangen heran, daß sie um den<lb/>
König einen Häuser von der Größe eines großen Heuschobers bilden, aus dem<lb/>
das Haupt des Königs gleich der Sonne hervorleuchtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_127"> In die Krone ist der Schlangenstein eingesetzt; er verleiht, so lange er dem<lb/>
Besitzer verbleibt, Sieg und Unverletzbarkeit und wird darum auch Siegstein<lb/>
genannt; mit seinem Verlust wird Widerstandskraft und aller Mut genommen.<lb/>
König Niduilg läßt den Kampf solange aussetzen, bis ihm der vergessene<lb/>
Talisman gebracht ist. Dieser Stein ist vielleicht das Symbol des Blitzens<lb/>
und Funkelns der Sonne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_128" next="#ID_129"> Ich habe hier versucht, in kurzen Zügen Grundvorstellungen der Gold-<lb/>
und Schatzsage einheitlich darzustellen; es sollte hier nicht gezeigt werden, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Das Gold in der mythischen Vorstellung der Germanen Emportauchen verleiht dem Ring einen zauberischen Charakter. Vor allen Dingen vermehrt er sich selbst, dann aber auch Schätze überhaupt; mit dem Verlust des Ringes ist die Zauberkraft dahin, wie z, B. bei dem Verlust der weiblichen Gürtel, bei dem Ringe der Walküren u. a.; wenn der Schwan den Ring in den See fallen läßt, geht die Welt unter. Die kühne Tat aber er¬ ringt ihn manchmal: mit dem Blitze schleudert Thor nach den Frauen, mit dem Axthieb besiegt der Malknecht die goldriuggeschmückte Swauwit, mit dem Schuß gewinnt Wieland die Schwanjungfrau; bekannt sind die beiden Beispiele des Nibelungenliedes, Brunhilds Gürtel und Krimhilds Ring; mit dem Ring hat Lohengrin seinen Schwan gezwungen (Parcival, 826, 16): Durch seiue Kraft können sich Götter und Menschen in allerlei Gestalt wandeln; er macht sichtbar oder unsichtbar. Ein weiteres Stück des Schatzes ist der Kamm oder die Krone, die aber bei weitem nicht die Rolle in der Sage spielt, wie der Ring. Sie gehört ur¬ sprünglich nicht zum Schatze, sondern ist der Kopfschmuck der den Wolken¬ schatz hütenden Schlange oder des Drachens, des schlangengleich durch die Wolken oder zur Erde 'hinschießenden Blitzes. Die Schlange hat einen goldnen Kamm oder eine goldne Krone ans dem Haupte. Aus den Gewittervorgängen kann ich mir allerdings diese Vorstellung nicht genügend erklären, aber sie scheint eine Analogie zu der Phantasie zu sein, die alle Ungeheuer mit blitzsprühenden Augen, slaminenschnaubcndcu Nüstern und funkenknisterndem Schuppenpanzer vor sich sieht. So scheint aus dem Haupte der Blitzesschlange das Feuer zu züngeln, wie es bei Hesiod vom Typhorus heißt: Eine Übergangsvorstellung vom leuchtenden Haupte zur Krone dürfte in der cölnischen Sage von der Frühjahrs-Schlangenvcrsammlung am Marknstcig zu finden sein: die Unterirdischen haben dem Schlangcnkönig seine Krone ge¬ schmiedet; der blendende Glanz lockt sämtliche Schlangen heran, daß sie um den König einen Häuser von der Größe eines großen Heuschobers bilden, aus dem das Haupt des Königs gleich der Sonne hervorleuchtet. In die Krone ist der Schlangenstein eingesetzt; er verleiht, so lange er dem Besitzer verbleibt, Sieg und Unverletzbarkeit und wird darum auch Siegstein genannt; mit seinem Verlust wird Widerstandskraft und aller Mut genommen. König Niduilg läßt den Kampf solange aussetzen, bis ihm der vergessene Talisman gebracht ist. Dieser Stein ist vielleicht das Symbol des Blitzens und Funkelns der Sonne. Ich habe hier versucht, in kurzen Zügen Grundvorstellungen der Gold- und Schatzsage einheitlich darzustellen; es sollte hier nicht gezeigt werden, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/49>, abgerufen am 18.05.2024.