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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ein Satz ist, das papierne "denselben" nicht fehlen, und anstatt zu sagen "bei einer
Geldstrafe, die bis zu 15 Mark erhöht werden kann," oder ähnlich so, heißt es
mit juristischer Prägnanz "bei Strafe bis 15 Mark." In der Tat eine rechte
Warnungstafel nicht sowohl für solche, die es etwa gelüsten sollte, die Anlagen
-- gemeint sind die Rasenplätze der Anlagen -- zu betreten, als für solche, denen
es obliegt, Warnungstafeln aufzustellen und ihre Aufschriften zu verfassen.


Neue Sprachdummheiten. 1. Fußfrei.

Seit kurzer Zeit bieten die
Kleiderhändler unsern Frauen und Mädchen fußfreic Röcke und Kleider an. So
vernünftig und erfreulich die Sache ist, die damit bezeichnet werden soll, so un¬
vernünftig ist die Sprnchform, in der das geschieht. In den meisten Zusammen¬
setzungen mit frei, die jedem einfallen werden, der sich ein wenig in seinem Sprach¬
vorrat umsieht, bedeutet das Bestimmungswort einfach die Sache, von der eine
andre Sache frei ist, und zwar gewöhnlich einen Mangel, etwas Unangenehmes,
Störendes. Man denke an fehlerfrei, fieberfrei, staubfrei, zugfrei (ein zug¬
freier Garten), eisfrei sein eisfreier Hafen), schulfrei (ein schulfreier Nach¬
mittag -- für die Schuljugend ist ja die Schule das Unangenehmste und Störendsie,
was es geben kann!>, das jetzt so beliebte neumodische einwandfrei (für tadel¬
los) und ähnliches. Daß in diese Klasse das Wort fußfrei nicht eingereiht werden
kann, liegt auf der Hand. Es gibt ja aber auch Zusammensetzungen mit frei,
bei deuen das Bestimmungswort in einem andern Verhältnis zu dem Worte frei
steht, als bei fehlerfrei. In vogelfret z.B. drückt das Bestimmungswort eine
Vergleichung aus; wer für vogelfrei erklärt wurde, galt für so frei wie der
Vogel in der Luft, den jeder wegfnngen oder wegschießen durfte. Auch solche
Zusammensetzungen gibt es in Menge, z. B. baumlang, riesengroß, feuerrot,
eiskalt usw. Unsre Schuljugend nenut einen freien Nachmittag, an dem die
Schulstunden wegen großer Hitze ausfallen, hitzefrei. Hier gibt das Bestimmungs¬
wort den Grund der Freiheit an. Kann fußfrei in eine dieser beiden Klassen
eingereiht werden? Unmöglich! So mannigfaltige Verhältnisse auch das Be¬
stimmungswort ausdrücken mag, das Wort fußfrei wird nie einen vernünftige"
Sinn bekommen. Der es gebildet hat -- doch wohl ein Schneider oder Kleider¬
händler --, ist ein unklarer Kopf gewesen. Er hat ausdrücken wollen, daß bei den
neuen Kleidern der Fuß kleidfrci bleibe; das hat er einfach herumgedreht und
nennt nun das Kleid fußfrei!

Also kaun man wohl ein Kleid, das die Füße frei läßt, gar nicht durch ein
zusammengesetztes Wort bezeichnen? O, gewiß kann man das, man muß es nur
richtig bilden. Wenn ein Schütze beim Schießen Hand und Büchse nicht stützt,
sondern frei in der Luft hält, so nennt man das nicht handfrei schießen, sondern
freihändig. Auf Weinkarten oder Preisverzeichnissen von Weinhändlern findet
man bisweilen zur Charakterisierung einer Weinsorte das Wort vollmundig.
Man braucht kein Kenner zu sein, um zu ahnen, was damit gemeint ist. Das
Wort enthält zwar einen Verstoß gegen die Lautgesetze, es sollte vollmüudig
heißen, aber im übrigen ist es grammatisch richtig gebildet, keinem Weinhändler wird
es einfallen, einen Wein mund voll zu nennen. Ein mundo oller Wein -- das
wäre genau dieselbe Sprachdummheit wie ein fußfreies Kleid.

Jeder Leser und jede Leserin wird sich nun selber sagen können, wie ein Kleid,
das die Füße freiläßt, in richtigem Deutsch nur genannt werden kann: es kaun
nur ein freifüßiges Kleid heißen. Wollen sich unsre Modezeitnngen nicht ent¬
schließen, die falsche, sinnlose Bildung mit der richtigen, sinnvollen zu vertauschen?
Noch ist es Zeit dazu.

(Nachschrift. Aber leider wenig Aussicht, denn schon fängt der Fehler an
Nachahmung zu finden: in den Fliegenden Blättern empfiehlt eine Münchner Firma
ihre hnndfreien Wettermäntel!)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

ein Satz ist, das papierne „denselben" nicht fehlen, und anstatt zu sagen „bei einer
Geldstrafe, die bis zu 15 Mark erhöht werden kann," oder ähnlich so, heißt es
mit juristischer Prägnanz „bei Strafe bis 15 Mark." In der Tat eine rechte
Warnungstafel nicht sowohl für solche, die es etwa gelüsten sollte, die Anlagen
— gemeint sind die Rasenplätze der Anlagen — zu betreten, als für solche, denen
es obliegt, Warnungstafeln aufzustellen und ihre Aufschriften zu verfassen.


Neue Sprachdummheiten. 1. Fußfrei.

Seit kurzer Zeit bieten die
Kleiderhändler unsern Frauen und Mädchen fußfreic Röcke und Kleider an. So
vernünftig und erfreulich die Sache ist, die damit bezeichnet werden soll, so un¬
vernünftig ist die Sprnchform, in der das geschieht. In den meisten Zusammen¬
setzungen mit frei, die jedem einfallen werden, der sich ein wenig in seinem Sprach¬
vorrat umsieht, bedeutet das Bestimmungswort einfach die Sache, von der eine
andre Sache frei ist, und zwar gewöhnlich einen Mangel, etwas Unangenehmes,
Störendes. Man denke an fehlerfrei, fieberfrei, staubfrei, zugfrei (ein zug¬
freier Garten), eisfrei sein eisfreier Hafen), schulfrei (ein schulfreier Nach¬
mittag — für die Schuljugend ist ja die Schule das Unangenehmste und Störendsie,
was es geben kann!>, das jetzt so beliebte neumodische einwandfrei (für tadel¬
los) und ähnliches. Daß in diese Klasse das Wort fußfrei nicht eingereiht werden
kann, liegt auf der Hand. Es gibt ja aber auch Zusammensetzungen mit frei,
bei deuen das Bestimmungswort in einem andern Verhältnis zu dem Worte frei
steht, als bei fehlerfrei. In vogelfret z.B. drückt das Bestimmungswort eine
Vergleichung aus; wer für vogelfrei erklärt wurde, galt für so frei wie der
Vogel in der Luft, den jeder wegfnngen oder wegschießen durfte. Auch solche
Zusammensetzungen gibt es in Menge, z. B. baumlang, riesengroß, feuerrot,
eiskalt usw. Unsre Schuljugend nenut einen freien Nachmittag, an dem die
Schulstunden wegen großer Hitze ausfallen, hitzefrei. Hier gibt das Bestimmungs¬
wort den Grund der Freiheit an. Kann fußfrei in eine dieser beiden Klassen
eingereiht werden? Unmöglich! So mannigfaltige Verhältnisse auch das Be¬
stimmungswort ausdrücken mag, das Wort fußfrei wird nie einen vernünftige»
Sinn bekommen. Der es gebildet hat — doch wohl ein Schneider oder Kleider¬
händler —, ist ein unklarer Kopf gewesen. Er hat ausdrücken wollen, daß bei den
neuen Kleidern der Fuß kleidfrci bleibe; das hat er einfach herumgedreht und
nennt nun das Kleid fußfrei!

Also kaun man wohl ein Kleid, das die Füße frei läßt, gar nicht durch ein
zusammengesetztes Wort bezeichnen? O, gewiß kann man das, man muß es nur
richtig bilden. Wenn ein Schütze beim Schießen Hand und Büchse nicht stützt,
sondern frei in der Luft hält, so nennt man das nicht handfrei schießen, sondern
freihändig. Auf Weinkarten oder Preisverzeichnissen von Weinhändlern findet
man bisweilen zur Charakterisierung einer Weinsorte das Wort vollmundig.
Man braucht kein Kenner zu sein, um zu ahnen, was damit gemeint ist. Das
Wort enthält zwar einen Verstoß gegen die Lautgesetze, es sollte vollmüudig
heißen, aber im übrigen ist es grammatisch richtig gebildet, keinem Weinhändler wird
es einfallen, einen Wein mund voll zu nennen. Ein mundo oller Wein — das
wäre genau dieselbe Sprachdummheit wie ein fußfreies Kleid.

Jeder Leser und jede Leserin wird sich nun selber sagen können, wie ein Kleid,
das die Füße freiläßt, in richtigem Deutsch nur genannt werden kann: es kaun
nur ein freifüßiges Kleid heißen. Wollen sich unsre Modezeitnngen nicht ent¬
schließen, die falsche, sinnlose Bildung mit der richtigen, sinnvollen zu vertauschen?
Noch ist es Zeit dazu.

(Nachschrift. Aber leider wenig Aussicht, denn schon fängt der Fehler an
Nachahmung zu finden: in den Fliegenden Blättern empfiehlt eine Münchner Firma
ihre hnndfreien Wettermäntel!)




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[0074] Maßgebliches und Unmaßgebliches ein Satz ist, das papierne „denselben" nicht fehlen, und anstatt zu sagen „bei einer Geldstrafe, die bis zu 15 Mark erhöht werden kann," oder ähnlich so, heißt es mit juristischer Prägnanz „bei Strafe bis 15 Mark." In der Tat eine rechte Warnungstafel nicht sowohl für solche, die es etwa gelüsten sollte, die Anlagen — gemeint sind die Rasenplätze der Anlagen — zu betreten, als für solche, denen es obliegt, Warnungstafeln aufzustellen und ihre Aufschriften zu verfassen. Neue Sprachdummheiten. 1. Fußfrei. Seit kurzer Zeit bieten die Kleiderhändler unsern Frauen und Mädchen fußfreic Röcke und Kleider an. So vernünftig und erfreulich die Sache ist, die damit bezeichnet werden soll, so un¬ vernünftig ist die Sprnchform, in der das geschieht. In den meisten Zusammen¬ setzungen mit frei, die jedem einfallen werden, der sich ein wenig in seinem Sprach¬ vorrat umsieht, bedeutet das Bestimmungswort einfach die Sache, von der eine andre Sache frei ist, und zwar gewöhnlich einen Mangel, etwas Unangenehmes, Störendes. Man denke an fehlerfrei, fieberfrei, staubfrei, zugfrei (ein zug¬ freier Garten), eisfrei sein eisfreier Hafen), schulfrei (ein schulfreier Nach¬ mittag — für die Schuljugend ist ja die Schule das Unangenehmste und Störendsie, was es geben kann!>, das jetzt so beliebte neumodische einwandfrei (für tadel¬ los) und ähnliches. Daß in diese Klasse das Wort fußfrei nicht eingereiht werden kann, liegt auf der Hand. Es gibt ja aber auch Zusammensetzungen mit frei, bei deuen das Bestimmungswort in einem andern Verhältnis zu dem Worte frei steht, als bei fehlerfrei. In vogelfret z.B. drückt das Bestimmungswort eine Vergleichung aus; wer für vogelfrei erklärt wurde, galt für so frei wie der Vogel in der Luft, den jeder wegfnngen oder wegschießen durfte. Auch solche Zusammensetzungen gibt es in Menge, z. B. baumlang, riesengroß, feuerrot, eiskalt usw. Unsre Schuljugend nenut einen freien Nachmittag, an dem die Schulstunden wegen großer Hitze ausfallen, hitzefrei. Hier gibt das Bestimmungs¬ wort den Grund der Freiheit an. Kann fußfrei in eine dieser beiden Klassen eingereiht werden? Unmöglich! So mannigfaltige Verhältnisse auch das Be¬ stimmungswort ausdrücken mag, das Wort fußfrei wird nie einen vernünftige» Sinn bekommen. Der es gebildet hat — doch wohl ein Schneider oder Kleider¬ händler —, ist ein unklarer Kopf gewesen. Er hat ausdrücken wollen, daß bei den neuen Kleidern der Fuß kleidfrci bleibe; das hat er einfach herumgedreht und nennt nun das Kleid fußfrei! Also kaun man wohl ein Kleid, das die Füße frei läßt, gar nicht durch ein zusammengesetztes Wort bezeichnen? O, gewiß kann man das, man muß es nur richtig bilden. Wenn ein Schütze beim Schießen Hand und Büchse nicht stützt, sondern frei in der Luft hält, so nennt man das nicht handfrei schießen, sondern freihändig. Auf Weinkarten oder Preisverzeichnissen von Weinhändlern findet man bisweilen zur Charakterisierung einer Weinsorte das Wort vollmundig. Man braucht kein Kenner zu sein, um zu ahnen, was damit gemeint ist. Das Wort enthält zwar einen Verstoß gegen die Lautgesetze, es sollte vollmüudig heißen, aber im übrigen ist es grammatisch richtig gebildet, keinem Weinhändler wird es einfallen, einen Wein mund voll zu nennen. Ein mundo oller Wein — das wäre genau dieselbe Sprachdummheit wie ein fußfreies Kleid. Jeder Leser und jede Leserin wird sich nun selber sagen können, wie ein Kleid, das die Füße freiläßt, in richtigem Deutsch nur genannt werden kann: es kaun nur ein freifüßiges Kleid heißen. Wollen sich unsre Modezeitnngen nicht ent¬ schließen, die falsche, sinnlose Bildung mit der richtigen, sinnvollen zu vertauschen? Noch ist es Zeit dazu. (Nachschrift. Aber leider wenig Aussicht, denn schon fängt der Fehler an Nachahmung zu finden: in den Fliegenden Blättern empfiehlt eine Münchner Firma ihre hnndfreien Wettermäntel!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/74>, abgerufen am 26.05.2024.