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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Straßburger Bilder

trauten Freunde des Münsters gewährt es eine Art Befriedigung, zu sehen, daß
man bemüht ist, auch künftigen Geschlechtern den herrlichen Anblick zu erhalten,
den es gewährt. Bei besondern Anlässen, z. B. am Abend des Papstjubiläums,
oder wenn Straßburgs Gästen etwas ganz besondres dargeboten werden soll, wie
bei der diesjährigen Tagung der deutscheu Anwälte, wird die sogenannte Münstcr-
belenchtung veranstaltet, ein etwas kostspieliger Spaß, der aber in der Tat geeignet
ist, auch recht verwöhnten Sinnen noch einen überraschenden Genuß zu bereite".
Während nämlich an allen Ecken und Kanten des Turmes und der Brüstungen
bis hinauf an die äußerste Spitze Lichter aufflammen und seine vornehm schlanken
Formen gegen den dunkeln Nachthimmel in strahlenden Linien abzeichnen, erglüht
der ganze Turm von der Plattform an von innen heraus in bunten bengalischen
Lichtern und zeigt den wundervoll leichten durchsichtigen Aufbau dieses gewaltigen
Wegweisers zum Himmel -- in der Tat ein Anblick von fast märchenhafter Schönheit.
Und doch -- lieber, weil viel vertrauter und natürlicher ist mir der Blick auf den
Turin an den gewöhnlichen Tagen, mag er des Morgens seine zierlichen Linien
mit lichtblauem Duft umhüllen, mag er an wolkenschweren Tagen in dunkelm Blau¬
grau fast drohend dreinschauen, mag er an klaren Herbsttagen das wundervolle
Spitzenwerk seiner Steinmetzarbeit zum Greifen nahe bis in die zartesten Feinheiten
enthüllen, mag er in flammendem Rot erglühen, wenn die scheidende Sonne ihn
noch einmal mit ihren Strahlen umflutet, mag er in schwüler Mitternacht im grellen
Zackenschein der Blitze aus dem Dunkel der Nacht auftauchen oder in duftiger Voll-
mondnacht silberne Fäden um seine Krone und Zierate winden und flüssiges Silber
an seinen schlanken Linien entlang rieseln lassen -- er bleibt immer schön: meine
zweite Liebe.

Das Innere des Münsters überrascht den Eintretenden dnrch das Dämmer¬
licht, das seine hohen Räume durchflutet. Alle Fenster sind mit bunten Glas¬
malereien bedeckt, sodaß kein störender Sonnenstrahl hineindringen, kein zerstreuter
Blick hiiiansfliehen kaun. Dadurch erhöht sich der Eindruck weltentrückter Ab¬
geschiedenheit, die so seltsam und oft so wohltuend wirkt im Gegensatz zu dem
Hasten und Treiben da draußen im grellen Tageslicht. Gern tritt der Straßburger,
den Zufall oder Beruf am Münster vorbeiführt, für kurze Zeit ein in die heiligen
Hallen; der Katholik und wohl auch der gläubige Protestant zu stillem Gebet,
andre, um mitten im Lärm des Tages dem Geist eine kurze Ruhepause zu gönnen
und aus der nüchternen Alltäglichkeit auf einige Minuten zu den erhabnen Ein¬
drücken zu flüchten, die hier in der Sprache vieler Jahrhunderte von Vergänglichen
und von Ewigen zu uns reden. So findet man an jedem Tag und zu jeder
Stunde des Tages eine weit größere Anzahl Andächtiger im Münster, als in
andern Kirchen, natürlich aber auch ebensoviel oder noch mehr neugierig umher¬
wandelnde Fremde. Treibts einer von diesen gar zu arg, so wird er wohl von
einem der umfangreichen "Schweizer," die mit Dreimaster und gelber Schärpe
umherstolzieren und bei jedem zweiten Schritte mit dem langen goldknöpfigen Stäbe
auf die Steinfliesen des Fußbodens aufstoßen, zur Ruhe gewiesen.

Was dem Norddeutschen auffällt, ist der völlige Mangel an Sitzbänkeu; un¬
gehemmt kann man die mächtigen drei Schiffe des Riesenrcmmes in allen Richtungen
durchwandeln; außer den gewaltigen Pfeilern, die die Wölbungen der Decke tragen,
und dem Gitter, das die Treppenstufen zum Hochaltar abschließt, hemmt nichts den
wandernden Fuß. Nur eine Anzahl Betstuhle mit niedrigen Sitzen und hohen
Lehnen sind an den Wänden eines Seitenschiffes aufgestapelt und werden von den
Kircheufranen gegen eine Miete von zwei "Sons" (8 Pfennigen) an die Andächtigen,
die sich ihrer zu bedienen wünschen, vermietet. Diese tragen sie sich dann um irgend
einen ihnen genehmen Platz, den sie nach Belieben wechseln können, wenn der
zuerst gewählte ihnen nicht zusagt. Die Mädchen und die Frauen bedienen sich
der Stühle meist zum Knien; sie wissen offenbar genau, wie anmutige Linien die
Gestalt der frommen Betenden zeigt, wenn sie die Knie gegen den niedrigen Sitz


Straßburger Bilder

trauten Freunde des Münsters gewährt es eine Art Befriedigung, zu sehen, daß
man bemüht ist, auch künftigen Geschlechtern den herrlichen Anblick zu erhalten,
den es gewährt. Bei besondern Anlässen, z. B. am Abend des Papstjubiläums,
oder wenn Straßburgs Gästen etwas ganz besondres dargeboten werden soll, wie
bei der diesjährigen Tagung der deutscheu Anwälte, wird die sogenannte Münstcr-
belenchtung veranstaltet, ein etwas kostspieliger Spaß, der aber in der Tat geeignet
ist, auch recht verwöhnten Sinnen noch einen überraschenden Genuß zu bereite«.
Während nämlich an allen Ecken und Kanten des Turmes und der Brüstungen
bis hinauf an die äußerste Spitze Lichter aufflammen und seine vornehm schlanken
Formen gegen den dunkeln Nachthimmel in strahlenden Linien abzeichnen, erglüht
der ganze Turm von der Plattform an von innen heraus in bunten bengalischen
Lichtern und zeigt den wundervoll leichten durchsichtigen Aufbau dieses gewaltigen
Wegweisers zum Himmel — in der Tat ein Anblick von fast märchenhafter Schönheit.
Und doch — lieber, weil viel vertrauter und natürlicher ist mir der Blick auf den
Turin an den gewöhnlichen Tagen, mag er des Morgens seine zierlichen Linien
mit lichtblauem Duft umhüllen, mag er an wolkenschweren Tagen in dunkelm Blau¬
grau fast drohend dreinschauen, mag er an klaren Herbsttagen das wundervolle
Spitzenwerk seiner Steinmetzarbeit zum Greifen nahe bis in die zartesten Feinheiten
enthüllen, mag er in flammendem Rot erglühen, wenn die scheidende Sonne ihn
noch einmal mit ihren Strahlen umflutet, mag er in schwüler Mitternacht im grellen
Zackenschein der Blitze aus dem Dunkel der Nacht auftauchen oder in duftiger Voll-
mondnacht silberne Fäden um seine Krone und Zierate winden und flüssiges Silber
an seinen schlanken Linien entlang rieseln lassen — er bleibt immer schön: meine
zweite Liebe.

Das Innere des Münsters überrascht den Eintretenden dnrch das Dämmer¬
licht, das seine hohen Räume durchflutet. Alle Fenster sind mit bunten Glas¬
malereien bedeckt, sodaß kein störender Sonnenstrahl hineindringen, kein zerstreuter
Blick hiiiansfliehen kaun. Dadurch erhöht sich der Eindruck weltentrückter Ab¬
geschiedenheit, die so seltsam und oft so wohltuend wirkt im Gegensatz zu dem
Hasten und Treiben da draußen im grellen Tageslicht. Gern tritt der Straßburger,
den Zufall oder Beruf am Münster vorbeiführt, für kurze Zeit ein in die heiligen
Hallen; der Katholik und wohl auch der gläubige Protestant zu stillem Gebet,
andre, um mitten im Lärm des Tages dem Geist eine kurze Ruhepause zu gönnen
und aus der nüchternen Alltäglichkeit auf einige Minuten zu den erhabnen Ein¬
drücken zu flüchten, die hier in der Sprache vieler Jahrhunderte von Vergänglichen
und von Ewigen zu uns reden. So findet man an jedem Tag und zu jeder
Stunde des Tages eine weit größere Anzahl Andächtiger im Münster, als in
andern Kirchen, natürlich aber auch ebensoviel oder noch mehr neugierig umher¬
wandelnde Fremde. Treibts einer von diesen gar zu arg, so wird er wohl von
einem der umfangreichen „Schweizer," die mit Dreimaster und gelber Schärpe
umherstolzieren und bei jedem zweiten Schritte mit dem langen goldknöpfigen Stäbe
auf die Steinfliesen des Fußbodens aufstoßen, zur Ruhe gewiesen.

Was dem Norddeutschen auffällt, ist der völlige Mangel an Sitzbänkeu; un¬
gehemmt kann man die mächtigen drei Schiffe des Riesenrcmmes in allen Richtungen
durchwandeln; außer den gewaltigen Pfeilern, die die Wölbungen der Decke tragen,
und dem Gitter, das die Treppenstufen zum Hochaltar abschließt, hemmt nichts den
wandernden Fuß. Nur eine Anzahl Betstuhle mit niedrigen Sitzen und hohen
Lehnen sind an den Wänden eines Seitenschiffes aufgestapelt und werden von den
Kircheufranen gegen eine Miete von zwei „Sons" (8 Pfennigen) an die Andächtigen,
die sich ihrer zu bedienen wünschen, vermietet. Diese tragen sie sich dann um irgend
einen ihnen genehmen Platz, den sie nach Belieben wechseln können, wenn der
zuerst gewählte ihnen nicht zusagt. Die Mädchen und die Frauen bedienen sich
der Stühle meist zum Knien; sie wissen offenbar genau, wie anmutige Linien die
Gestalt der frommen Betenden zeigt, wenn sie die Knie gegen den niedrigen Sitz


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[0048] Straßburger Bilder trauten Freunde des Münsters gewährt es eine Art Befriedigung, zu sehen, daß man bemüht ist, auch künftigen Geschlechtern den herrlichen Anblick zu erhalten, den es gewährt. Bei besondern Anlässen, z. B. am Abend des Papstjubiläums, oder wenn Straßburgs Gästen etwas ganz besondres dargeboten werden soll, wie bei der diesjährigen Tagung der deutscheu Anwälte, wird die sogenannte Münstcr- belenchtung veranstaltet, ein etwas kostspieliger Spaß, der aber in der Tat geeignet ist, auch recht verwöhnten Sinnen noch einen überraschenden Genuß zu bereite«. Während nämlich an allen Ecken und Kanten des Turmes und der Brüstungen bis hinauf an die äußerste Spitze Lichter aufflammen und seine vornehm schlanken Formen gegen den dunkeln Nachthimmel in strahlenden Linien abzeichnen, erglüht der ganze Turm von der Plattform an von innen heraus in bunten bengalischen Lichtern und zeigt den wundervoll leichten durchsichtigen Aufbau dieses gewaltigen Wegweisers zum Himmel — in der Tat ein Anblick von fast märchenhafter Schönheit. Und doch — lieber, weil viel vertrauter und natürlicher ist mir der Blick auf den Turin an den gewöhnlichen Tagen, mag er des Morgens seine zierlichen Linien mit lichtblauem Duft umhüllen, mag er an wolkenschweren Tagen in dunkelm Blau¬ grau fast drohend dreinschauen, mag er an klaren Herbsttagen das wundervolle Spitzenwerk seiner Steinmetzarbeit zum Greifen nahe bis in die zartesten Feinheiten enthüllen, mag er in flammendem Rot erglühen, wenn die scheidende Sonne ihn noch einmal mit ihren Strahlen umflutet, mag er in schwüler Mitternacht im grellen Zackenschein der Blitze aus dem Dunkel der Nacht auftauchen oder in duftiger Voll- mondnacht silberne Fäden um seine Krone und Zierate winden und flüssiges Silber an seinen schlanken Linien entlang rieseln lassen — er bleibt immer schön: meine zweite Liebe. Das Innere des Münsters überrascht den Eintretenden dnrch das Dämmer¬ licht, das seine hohen Räume durchflutet. Alle Fenster sind mit bunten Glas¬ malereien bedeckt, sodaß kein störender Sonnenstrahl hineindringen, kein zerstreuter Blick hiiiansfliehen kaun. Dadurch erhöht sich der Eindruck weltentrückter Ab¬ geschiedenheit, die so seltsam und oft so wohltuend wirkt im Gegensatz zu dem Hasten und Treiben da draußen im grellen Tageslicht. Gern tritt der Straßburger, den Zufall oder Beruf am Münster vorbeiführt, für kurze Zeit ein in die heiligen Hallen; der Katholik und wohl auch der gläubige Protestant zu stillem Gebet, andre, um mitten im Lärm des Tages dem Geist eine kurze Ruhepause zu gönnen und aus der nüchternen Alltäglichkeit auf einige Minuten zu den erhabnen Ein¬ drücken zu flüchten, die hier in der Sprache vieler Jahrhunderte von Vergänglichen und von Ewigen zu uns reden. So findet man an jedem Tag und zu jeder Stunde des Tages eine weit größere Anzahl Andächtiger im Münster, als in andern Kirchen, natürlich aber auch ebensoviel oder noch mehr neugierig umher¬ wandelnde Fremde. Treibts einer von diesen gar zu arg, so wird er wohl von einem der umfangreichen „Schweizer," die mit Dreimaster und gelber Schärpe umherstolzieren und bei jedem zweiten Schritte mit dem langen goldknöpfigen Stäbe auf die Steinfliesen des Fußbodens aufstoßen, zur Ruhe gewiesen. Was dem Norddeutschen auffällt, ist der völlige Mangel an Sitzbänkeu; un¬ gehemmt kann man die mächtigen drei Schiffe des Riesenrcmmes in allen Richtungen durchwandeln; außer den gewaltigen Pfeilern, die die Wölbungen der Decke tragen, und dem Gitter, das die Treppenstufen zum Hochaltar abschließt, hemmt nichts den wandernden Fuß. Nur eine Anzahl Betstuhle mit niedrigen Sitzen und hohen Lehnen sind an den Wänden eines Seitenschiffes aufgestapelt und werden von den Kircheufranen gegen eine Miete von zwei „Sons" (8 Pfennigen) an die Andächtigen, die sich ihrer zu bedienen wünschen, vermietet. Diese tragen sie sich dann um irgend einen ihnen genehmen Platz, den sie nach Belieben wechseln können, wenn der zuerst gewählte ihnen nicht zusagt. Die Mädchen und die Frauen bedienen sich der Stühle meist zum Knien; sie wissen offenbar genau, wie anmutige Linien die Gestalt der frommen Betenden zeigt, wenn sie die Knie gegen den niedrigen Sitz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/48>, abgerufen am 18.05.2024.