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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

komischen Anstrichs nicht entbehrenden Geheimnisse des preußischen Ordenswesen
kannte er bis in die entferntesten Einzelheiten. Man sagte von ihm -- und er
selbst tat sich schmunzelnd etwas darauf zugute --, daß ihm in der sichern Kenntnis
dieser Ordensfinessen nur ein einziger überlegen sei, das sei der Kaiser Wilhelm.
Er war ein unverbesserlicher Hagestolz und sehr wohlhabend, lebte aber für seine
Person einfach und anspruchslos in dem von seinem Vater ererbten Hause in der
Lennestraße, wo ihn eine ebenfalls schon aus seinem Elternhnuse übernommene alte
Haushälterin tyrannisierte. Er konnte, wenn er bei guter Stimmung war, ganz
witzig sein, freute sich -- vielleicht ein wenig zu merklich -- an seinem eignen Humor
und schonte auch dritte Personen uicht. Dem Fürsten Bismarck war er nicht sympathisch.
Bismarck behauptete, er habe, wenn er Homeyer sähe, immer den Eindruck, daß dieser
ein mokcmtes Lächeln verberge. Homeyer wußte, daß der Fürst ihn persönlich nicht
gerade gern mochte, und er litt darunter empfindlich. Er war übrigens ein muster¬
haft gewissenhafter Beamter und den Anforderungen seines Amtes durchaus gewachsen.
Er war von konservativer Gesinnung, auch kirchlich positiv und im Grunde ein kreuz¬
braver, ehrlicher und zuverlässiger Mann, nur dann und wann von seinen Launen
und Stimmungen allzu abhängig. Wenn er übler Laune war, so konnte er recht
eckig und unfreundlich sein und seine Umgebung von oben herab unwirsch be¬
handeln. Ich bin aber im ganzen gut mit ihm ausgekommen. Er schenkte mir je
länger desto mehr sein Vertrauen, und sein Verhältnis zu mir nahm sogar all¬
mählich mehr und mehr ein freundschaftliches Gepräge an. Dafür war ich ihm
dankbar, und er wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte.

Außer ihm fand ich als Vortragenden Rat beim Staatsministerium uur noch
den schon erwähnten Freiherrn v. Wangenheim vor, dessen Domäne die Disziplinar¬
ischen waren. Andre Geschäfte wies ihm der Unterstaatssekretär nicht zu. Er war
ein liebenswürdiger, alter Herr, streng katholisch, anspruchslos und ein guter Ge¬
sellschafter. Sein Vater war in Württemberg Minister gewesen, und er wußte von
diesem manche eignen Züge gut zu erzählen. Besonders gefallen hat mir der, daß
dieser Minister, wenn vom Sterben die Rede war, und dem Gleichmut des Philosophen
zu sagen Pflegte: "Allzeit bereit, aber es pressiert nit." Mir ist unser alter Geheimer
Oberregieruugsrat v. Wangenheim immer ein lieber und freundlicher Kollege gewesen.
Hilfsarbeiter beim Staatsministerium war uoch der Assessor v. Kurowski, der zugleich
in der Reichskanzlei beschäftigt wurde und viel im Hause des Fürsten Bismarck ver¬
kehrte. Er war Kurator des vom Staatsministerium ressortierenden Reichs- und
Staatsanzeigers. Auch mit ihm stand ich auf freundlichem Fuße. Zu tun hatten
wir alle drei, wenn man den Maßstab des Arbeitpensums der Räte in andern
Ministerien anlegte, recht wenig. Ich bin heute noch der Meinung, daß der Unter¬
staatssekretär mit einem einzigen Vortragenden Rate die Geschäfte beim Staats¬
ministerium spielend hätte bewältigen können.

Erwähnung verdient hier auch der damalige Bureauvorsteher des Staats-
ministeriums, Geh. Kanzleirat Insel, ein alter in die kleinen und großen Geheim¬
nisse der Behörde vollkommen eingeweihter Beamter von nicht gewöhnlicher all¬
gemeiner und literarischer Bildung. Er bewegte sich, ohne anspruchsvoll zu sein,
in den guten Formen des alten, höhern Berliner Beamten, hatte noch unter dem
Stnatsrat Stegemann, unter Costenoble, Hegel, Wehrmann und Wagener gearbeitet
und sich immer des uneingeschränkten Vertrauens seiner Vorgesetzten erfreut. Da
alle Eingänge seit Jahren durch seine Hand gegangen und von ihm gelesen waren,
so hatte er sich ein oft überraschend zutreffendes Urteil über die leitenden Personen
gebildet, mit dem er aber in taktvoller Würdigung seiner Stellung äußerst zurück¬
haltend war. Mir war er sehr zugetan, und nach und nach gewann ich sein Ver¬
trauen in dem Maße, daß er mir von seinen Lebenserfahrungen dann und wann
interessante Mitteilungen machte. Er hatte Schleiermacher persönlich gekannt und
war dessen eifrigster Hörer in der Dreifaltigkeitskirche gewesen. Auch seine Er¬
zählungen von seinen Erlebnissen im Jahre 1848, von den damaligen Zuständen


Erinnerungen

komischen Anstrichs nicht entbehrenden Geheimnisse des preußischen Ordenswesen
kannte er bis in die entferntesten Einzelheiten. Man sagte von ihm — und er
selbst tat sich schmunzelnd etwas darauf zugute —, daß ihm in der sichern Kenntnis
dieser Ordensfinessen nur ein einziger überlegen sei, das sei der Kaiser Wilhelm.
Er war ein unverbesserlicher Hagestolz und sehr wohlhabend, lebte aber für seine
Person einfach und anspruchslos in dem von seinem Vater ererbten Hause in der
Lennestraße, wo ihn eine ebenfalls schon aus seinem Elternhnuse übernommene alte
Haushälterin tyrannisierte. Er konnte, wenn er bei guter Stimmung war, ganz
witzig sein, freute sich — vielleicht ein wenig zu merklich — an seinem eignen Humor
und schonte auch dritte Personen uicht. Dem Fürsten Bismarck war er nicht sympathisch.
Bismarck behauptete, er habe, wenn er Homeyer sähe, immer den Eindruck, daß dieser
ein mokcmtes Lächeln verberge. Homeyer wußte, daß der Fürst ihn persönlich nicht
gerade gern mochte, und er litt darunter empfindlich. Er war übrigens ein muster¬
haft gewissenhafter Beamter und den Anforderungen seines Amtes durchaus gewachsen.
Er war von konservativer Gesinnung, auch kirchlich positiv und im Grunde ein kreuz¬
braver, ehrlicher und zuverlässiger Mann, nur dann und wann von seinen Launen
und Stimmungen allzu abhängig. Wenn er übler Laune war, so konnte er recht
eckig und unfreundlich sein und seine Umgebung von oben herab unwirsch be¬
handeln. Ich bin aber im ganzen gut mit ihm ausgekommen. Er schenkte mir je
länger desto mehr sein Vertrauen, und sein Verhältnis zu mir nahm sogar all¬
mählich mehr und mehr ein freundschaftliches Gepräge an. Dafür war ich ihm
dankbar, und er wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte.

Außer ihm fand ich als Vortragenden Rat beim Staatsministerium uur noch
den schon erwähnten Freiherrn v. Wangenheim vor, dessen Domäne die Disziplinar¬
ischen waren. Andre Geschäfte wies ihm der Unterstaatssekretär nicht zu. Er war
ein liebenswürdiger, alter Herr, streng katholisch, anspruchslos und ein guter Ge¬
sellschafter. Sein Vater war in Württemberg Minister gewesen, und er wußte von
diesem manche eignen Züge gut zu erzählen. Besonders gefallen hat mir der, daß
dieser Minister, wenn vom Sterben die Rede war, und dem Gleichmut des Philosophen
zu sagen Pflegte: „Allzeit bereit, aber es pressiert nit." Mir ist unser alter Geheimer
Oberregieruugsrat v. Wangenheim immer ein lieber und freundlicher Kollege gewesen.
Hilfsarbeiter beim Staatsministerium war uoch der Assessor v. Kurowski, der zugleich
in der Reichskanzlei beschäftigt wurde und viel im Hause des Fürsten Bismarck ver¬
kehrte. Er war Kurator des vom Staatsministerium ressortierenden Reichs- und
Staatsanzeigers. Auch mit ihm stand ich auf freundlichem Fuße. Zu tun hatten
wir alle drei, wenn man den Maßstab des Arbeitpensums der Räte in andern
Ministerien anlegte, recht wenig. Ich bin heute noch der Meinung, daß der Unter¬
staatssekretär mit einem einzigen Vortragenden Rate die Geschäfte beim Staats¬
ministerium spielend hätte bewältigen können.

Erwähnung verdient hier auch der damalige Bureauvorsteher des Staats-
ministeriums, Geh. Kanzleirat Insel, ein alter in die kleinen und großen Geheim¬
nisse der Behörde vollkommen eingeweihter Beamter von nicht gewöhnlicher all¬
gemeiner und literarischer Bildung. Er bewegte sich, ohne anspruchsvoll zu sein,
in den guten Formen des alten, höhern Berliner Beamten, hatte noch unter dem
Stnatsrat Stegemann, unter Costenoble, Hegel, Wehrmann und Wagener gearbeitet
und sich immer des uneingeschränkten Vertrauens seiner Vorgesetzten erfreut. Da
alle Eingänge seit Jahren durch seine Hand gegangen und von ihm gelesen waren,
so hatte er sich ein oft überraschend zutreffendes Urteil über die leitenden Personen
gebildet, mit dem er aber in taktvoller Würdigung seiner Stellung äußerst zurück¬
haltend war. Mir war er sehr zugetan, und nach und nach gewann ich sein Ver¬
trauen in dem Maße, daß er mir von seinen Lebenserfahrungen dann und wann
interessante Mitteilungen machte. Er hatte Schleiermacher persönlich gekannt und
war dessen eifrigster Hörer in der Dreifaltigkeitskirche gewesen. Auch seine Er¬
zählungen von seinen Erlebnissen im Jahre 1848, von den damaligen Zuständen


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[0166] Erinnerungen komischen Anstrichs nicht entbehrenden Geheimnisse des preußischen Ordenswesen kannte er bis in die entferntesten Einzelheiten. Man sagte von ihm — und er selbst tat sich schmunzelnd etwas darauf zugute —, daß ihm in der sichern Kenntnis dieser Ordensfinessen nur ein einziger überlegen sei, das sei der Kaiser Wilhelm. Er war ein unverbesserlicher Hagestolz und sehr wohlhabend, lebte aber für seine Person einfach und anspruchslos in dem von seinem Vater ererbten Hause in der Lennestraße, wo ihn eine ebenfalls schon aus seinem Elternhnuse übernommene alte Haushälterin tyrannisierte. Er konnte, wenn er bei guter Stimmung war, ganz witzig sein, freute sich — vielleicht ein wenig zu merklich — an seinem eignen Humor und schonte auch dritte Personen uicht. Dem Fürsten Bismarck war er nicht sympathisch. Bismarck behauptete, er habe, wenn er Homeyer sähe, immer den Eindruck, daß dieser ein mokcmtes Lächeln verberge. Homeyer wußte, daß der Fürst ihn persönlich nicht gerade gern mochte, und er litt darunter empfindlich. Er war übrigens ein muster¬ haft gewissenhafter Beamter und den Anforderungen seines Amtes durchaus gewachsen. Er war von konservativer Gesinnung, auch kirchlich positiv und im Grunde ein kreuz¬ braver, ehrlicher und zuverlässiger Mann, nur dann und wann von seinen Launen und Stimmungen allzu abhängig. Wenn er übler Laune war, so konnte er recht eckig und unfreundlich sein und seine Umgebung von oben herab unwirsch be¬ handeln. Ich bin aber im ganzen gut mit ihm ausgekommen. Er schenkte mir je länger desto mehr sein Vertrauen, und sein Verhältnis zu mir nahm sogar all¬ mählich mehr und mehr ein freundschaftliches Gepräge an. Dafür war ich ihm dankbar, und er wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte. Außer ihm fand ich als Vortragenden Rat beim Staatsministerium uur noch den schon erwähnten Freiherrn v. Wangenheim vor, dessen Domäne die Disziplinar¬ ischen waren. Andre Geschäfte wies ihm der Unterstaatssekretär nicht zu. Er war ein liebenswürdiger, alter Herr, streng katholisch, anspruchslos und ein guter Ge¬ sellschafter. Sein Vater war in Württemberg Minister gewesen, und er wußte von diesem manche eignen Züge gut zu erzählen. Besonders gefallen hat mir der, daß dieser Minister, wenn vom Sterben die Rede war, und dem Gleichmut des Philosophen zu sagen Pflegte: „Allzeit bereit, aber es pressiert nit." Mir ist unser alter Geheimer Oberregieruugsrat v. Wangenheim immer ein lieber und freundlicher Kollege gewesen. Hilfsarbeiter beim Staatsministerium war uoch der Assessor v. Kurowski, der zugleich in der Reichskanzlei beschäftigt wurde und viel im Hause des Fürsten Bismarck ver¬ kehrte. Er war Kurator des vom Staatsministerium ressortierenden Reichs- und Staatsanzeigers. Auch mit ihm stand ich auf freundlichem Fuße. Zu tun hatten wir alle drei, wenn man den Maßstab des Arbeitpensums der Räte in andern Ministerien anlegte, recht wenig. Ich bin heute noch der Meinung, daß der Unter¬ staatssekretär mit einem einzigen Vortragenden Rate die Geschäfte beim Staats¬ ministerium spielend hätte bewältigen können. Erwähnung verdient hier auch der damalige Bureauvorsteher des Staats- ministeriums, Geh. Kanzleirat Insel, ein alter in die kleinen und großen Geheim¬ nisse der Behörde vollkommen eingeweihter Beamter von nicht gewöhnlicher all¬ gemeiner und literarischer Bildung. Er bewegte sich, ohne anspruchsvoll zu sein, in den guten Formen des alten, höhern Berliner Beamten, hatte noch unter dem Stnatsrat Stegemann, unter Costenoble, Hegel, Wehrmann und Wagener gearbeitet und sich immer des uneingeschränkten Vertrauens seiner Vorgesetzten erfreut. Da alle Eingänge seit Jahren durch seine Hand gegangen und von ihm gelesen waren, so hatte er sich ein oft überraschend zutreffendes Urteil über die leitenden Personen gebildet, mit dem er aber in taktvoller Würdigung seiner Stellung äußerst zurück¬ haltend war. Mir war er sehr zugetan, und nach und nach gewann ich sein Ver¬ trauen in dem Maße, daß er mir von seinen Lebenserfahrungen dann und wann interessante Mitteilungen machte. Er hatte Schleiermacher persönlich gekannt und war dessen eifrigster Hörer in der Dreifaltigkeitskirche gewesen. Auch seine Er¬ zählungen von seinen Erlebnissen im Jahre 1848, von den damaligen Zuständen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/166>, abgerufen am 20.05.2024.