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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Überhaupt muß man sich doch darüber klar sein, daß alle Kolonialfragen für
Deutschland vor allem Flottenfragen sind. Wir sitzen in Wilhelmshaven nicht viel
anders als die Russen in Port Arthur, das heißt auf deutsch: wenn es den Eng¬
ländern so gefällt, kommen wir aus der Nordsee nicht heraus und werden von
der feindlichen Übermacht dort einfach blockiert. Zu den Engländern werden sich
in solchem Falle gern die Franzosen gesellen, die zu einem Kriege gegen Deutsch¬
land immer bereit sein werden, sobald sie nur den entsprechenden Verbündeten
finden. Da sie auf Rußland, gleichviel wie der japanische Krieg ausfallen mag,
vorläufig doch nicht zählen dürfen, so haben sie sich England um so leichter nähern
können, als dieses ihnen auf halbem Wege mit großen Zugeständnissen entgegen¬
gekommen ist. Von da bis zu einem Kriegsbündnis wäre im gegebnen Falle der
Weg nicht so weit, auch ist ja nicht ausgeschlossen, daß die englisch-französischen
Abmachungen noch von einer geheimen Verabredung oder von einem geheimen Proto¬
koll als Grundlage einer künftigen Verabredung begleitet sind. Wir können gegen
eine blockierende englische Flotte allerdings eine Defensivschlacht schlagen, die ja
vielleicht den Engländern viel Schaden zufügen, uns aber des Kampfmittels zur
See wohl in einem Umfange berauben dürste, daß wir uns fortab auf Minen
und Torpedos angewiesen sehen würden. Das wissen die Engländer, bei aller
Hochachtung, die sie vor der Organisation unsrer Flotte, der Qualität der Offi¬
ziere und der Mannschaften, sowie auch unsrer neuern Schiffe haben, ganz genau.
Trotzdem ist in den wirklich leitenden Kreisen Großbritanniens heute wohl niemand,
der sich mit offensiven Kriegsgedanken gegen Deutschland trüge, so wenig wie in
den entscheidenden deutschen Kreisen irgend jemand an einen Offensivkrieg gegen
England denkt. Auch die handeltreibenden Kreise drüben werden es sich zweimal
überlegen, bevor sie sich das sehr lukrative deutsche Geschäft verderben. Den
australischen Chauvinismus wird man in London im Zaum zu halten wissen.
Es soll keineswegs geleugnet werden, daß in der Südsee und dem dortigen Kolonial¬
gebiet ebenso wie in Ostnsien die Keime zu allerlei Schwierigkeiten ziemlich reich¬
lich gesät sind. Doch das alles macht noch keinen Krieg nötig. In London
scheint man viel mehr mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Deutschland eines Tages
der Verbündete eines Gegners von England sein könnte, und daraufhin rüstet man
sich- Aber auch dazu würde doch für Deutschland eine Notwendigkeit höchstens erst dann
vorliegen, wenn es sich in vitalen Fragen von England benachteiligt oder unbillig be¬
handelt sähe. Das marokkanische Abkommen ist aber dazu in keiner Weise zu rechnen.

Unsre Marine hat, wie jüngst in der "Tägl. Rundschau" von berufner Feder aus¬
geführt worden ist, an der Atlanticküste von Marokko nicht das geringste Interesse, weil
es dort keinen einzigen Hafen von Bedeutung für die Kriegsflotte gibt, sogar Mogadvr
kommt nicht in Betracht, weil es zu geringen Tiefgang hat. Ob man mit sehr großen
Aufwendungen dennoch einen Kriegshafen schaffen könnte, ist Wohl von keiner Marine,
außer vielleicht von der englischen, mit einiger Bestimmtheit festgestellt worden. Alle
übrigen Küstenplätze liegen an der offnen See und bieten auch kleinen Kreuzern keinen
Schutz. Dazu kommt, daß -- demselben Gewährsmann, Kontreadmiral Rosendahl,
zufolge -- an der ganzen Küste kein Baumaterial zu finden ist, das also erst
Weither transportiert werden müßte. Wie es mit den Arbeitskräften stünde, von dem
feindlichen Verhalten der Bewohner ganz abgesehen, ist auch noch eine besondre Frage.
Somit wäre auch die südliche Hälfte der Westküste von Marokko auf absehbare Zeit für
uns wertlos und anch für eine luxuriöse Kolonialpolitik zu teuer. Unsre Regierung tut
"tho sehr recht daran, wenn sie lieber alle erreichbaren Mittel auf den Ausbau
und die Ergänzung der Flotte verwendet, deren ungestörte friedliche und deshalb
zu beschleunigende Entwicklung eine Lebensfrage für Deutschland ist. sind wir
stark, so wird unsre Freundschaft gesucht, unsre Gegnerschaft gefürchtet werden.
B's dahin machen wir uns nur lächerlich, wenn wir die Faust in der Tasche
ballen oder voreilig auf den Tisch schlagen, oder "nach allen Benefizien hungrig
schnappen." Selbst wenn sich Deutschlands Handel und Ausfuhr auf dem Weltmarkt
"och viel üppiger entfalten, wird die daraus erwachsende Verstimmung einer


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Überhaupt muß man sich doch darüber klar sein, daß alle Kolonialfragen für
Deutschland vor allem Flottenfragen sind. Wir sitzen in Wilhelmshaven nicht viel
anders als die Russen in Port Arthur, das heißt auf deutsch: wenn es den Eng¬
ländern so gefällt, kommen wir aus der Nordsee nicht heraus und werden von
der feindlichen Übermacht dort einfach blockiert. Zu den Engländern werden sich
in solchem Falle gern die Franzosen gesellen, die zu einem Kriege gegen Deutsch¬
land immer bereit sein werden, sobald sie nur den entsprechenden Verbündeten
finden. Da sie auf Rußland, gleichviel wie der japanische Krieg ausfallen mag,
vorläufig doch nicht zählen dürfen, so haben sie sich England um so leichter nähern
können, als dieses ihnen auf halbem Wege mit großen Zugeständnissen entgegen¬
gekommen ist. Von da bis zu einem Kriegsbündnis wäre im gegebnen Falle der
Weg nicht so weit, auch ist ja nicht ausgeschlossen, daß die englisch-französischen
Abmachungen noch von einer geheimen Verabredung oder von einem geheimen Proto¬
koll als Grundlage einer künftigen Verabredung begleitet sind. Wir können gegen
eine blockierende englische Flotte allerdings eine Defensivschlacht schlagen, die ja
vielleicht den Engländern viel Schaden zufügen, uns aber des Kampfmittels zur
See wohl in einem Umfange berauben dürste, daß wir uns fortab auf Minen
und Torpedos angewiesen sehen würden. Das wissen die Engländer, bei aller
Hochachtung, die sie vor der Organisation unsrer Flotte, der Qualität der Offi¬
ziere und der Mannschaften, sowie auch unsrer neuern Schiffe haben, ganz genau.
Trotzdem ist in den wirklich leitenden Kreisen Großbritanniens heute wohl niemand,
der sich mit offensiven Kriegsgedanken gegen Deutschland trüge, so wenig wie in
den entscheidenden deutschen Kreisen irgend jemand an einen Offensivkrieg gegen
England denkt. Auch die handeltreibenden Kreise drüben werden es sich zweimal
überlegen, bevor sie sich das sehr lukrative deutsche Geschäft verderben. Den
australischen Chauvinismus wird man in London im Zaum zu halten wissen.
Es soll keineswegs geleugnet werden, daß in der Südsee und dem dortigen Kolonial¬
gebiet ebenso wie in Ostnsien die Keime zu allerlei Schwierigkeiten ziemlich reich¬
lich gesät sind. Doch das alles macht noch keinen Krieg nötig. In London
scheint man viel mehr mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Deutschland eines Tages
der Verbündete eines Gegners von England sein könnte, und daraufhin rüstet man
sich- Aber auch dazu würde doch für Deutschland eine Notwendigkeit höchstens erst dann
vorliegen, wenn es sich in vitalen Fragen von England benachteiligt oder unbillig be¬
handelt sähe. Das marokkanische Abkommen ist aber dazu in keiner Weise zu rechnen.

Unsre Marine hat, wie jüngst in der „Tägl. Rundschau" von berufner Feder aus¬
geführt worden ist, an der Atlanticküste von Marokko nicht das geringste Interesse, weil
es dort keinen einzigen Hafen von Bedeutung für die Kriegsflotte gibt, sogar Mogadvr
kommt nicht in Betracht, weil es zu geringen Tiefgang hat. Ob man mit sehr großen
Aufwendungen dennoch einen Kriegshafen schaffen könnte, ist Wohl von keiner Marine,
außer vielleicht von der englischen, mit einiger Bestimmtheit festgestellt worden. Alle
übrigen Küstenplätze liegen an der offnen See und bieten auch kleinen Kreuzern keinen
Schutz. Dazu kommt, daß — demselben Gewährsmann, Kontreadmiral Rosendahl,
zufolge — an der ganzen Küste kein Baumaterial zu finden ist, das also erst
Weither transportiert werden müßte. Wie es mit den Arbeitskräften stünde, von dem
feindlichen Verhalten der Bewohner ganz abgesehen, ist auch noch eine besondre Frage.
Somit wäre auch die südliche Hälfte der Westküste von Marokko auf absehbare Zeit für
uns wertlos und anch für eine luxuriöse Kolonialpolitik zu teuer. Unsre Regierung tut
"tho sehr recht daran, wenn sie lieber alle erreichbaren Mittel auf den Ausbau
und die Ergänzung der Flotte verwendet, deren ungestörte friedliche und deshalb
zu beschleunigende Entwicklung eine Lebensfrage für Deutschland ist. sind wir
stark, so wird unsre Freundschaft gesucht, unsre Gegnerschaft gefürchtet werden.
B's dahin machen wir uns nur lächerlich, wenn wir die Faust in der Tasche
ballen oder voreilig auf den Tisch schlagen, oder „nach allen Benefizien hungrig
schnappen." Selbst wenn sich Deutschlands Handel und Ausfuhr auf dem Weltmarkt
"och viel üppiger entfalten, wird die daraus erwachsende Verstimmung einer


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[0183] Maßgebliches und Unmaßgebliches Überhaupt muß man sich doch darüber klar sein, daß alle Kolonialfragen für Deutschland vor allem Flottenfragen sind. Wir sitzen in Wilhelmshaven nicht viel anders als die Russen in Port Arthur, das heißt auf deutsch: wenn es den Eng¬ ländern so gefällt, kommen wir aus der Nordsee nicht heraus und werden von der feindlichen Übermacht dort einfach blockiert. Zu den Engländern werden sich in solchem Falle gern die Franzosen gesellen, die zu einem Kriege gegen Deutsch¬ land immer bereit sein werden, sobald sie nur den entsprechenden Verbündeten finden. Da sie auf Rußland, gleichviel wie der japanische Krieg ausfallen mag, vorläufig doch nicht zählen dürfen, so haben sie sich England um so leichter nähern können, als dieses ihnen auf halbem Wege mit großen Zugeständnissen entgegen¬ gekommen ist. Von da bis zu einem Kriegsbündnis wäre im gegebnen Falle der Weg nicht so weit, auch ist ja nicht ausgeschlossen, daß die englisch-französischen Abmachungen noch von einer geheimen Verabredung oder von einem geheimen Proto¬ koll als Grundlage einer künftigen Verabredung begleitet sind. Wir können gegen eine blockierende englische Flotte allerdings eine Defensivschlacht schlagen, die ja vielleicht den Engländern viel Schaden zufügen, uns aber des Kampfmittels zur See wohl in einem Umfange berauben dürste, daß wir uns fortab auf Minen und Torpedos angewiesen sehen würden. Das wissen die Engländer, bei aller Hochachtung, die sie vor der Organisation unsrer Flotte, der Qualität der Offi¬ ziere und der Mannschaften, sowie auch unsrer neuern Schiffe haben, ganz genau. Trotzdem ist in den wirklich leitenden Kreisen Großbritanniens heute wohl niemand, der sich mit offensiven Kriegsgedanken gegen Deutschland trüge, so wenig wie in den entscheidenden deutschen Kreisen irgend jemand an einen Offensivkrieg gegen England denkt. Auch die handeltreibenden Kreise drüben werden es sich zweimal überlegen, bevor sie sich das sehr lukrative deutsche Geschäft verderben. Den australischen Chauvinismus wird man in London im Zaum zu halten wissen. Es soll keineswegs geleugnet werden, daß in der Südsee und dem dortigen Kolonial¬ gebiet ebenso wie in Ostnsien die Keime zu allerlei Schwierigkeiten ziemlich reich¬ lich gesät sind. Doch das alles macht noch keinen Krieg nötig. In London scheint man viel mehr mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Deutschland eines Tages der Verbündete eines Gegners von England sein könnte, und daraufhin rüstet man sich- Aber auch dazu würde doch für Deutschland eine Notwendigkeit höchstens erst dann vorliegen, wenn es sich in vitalen Fragen von England benachteiligt oder unbillig be¬ handelt sähe. Das marokkanische Abkommen ist aber dazu in keiner Weise zu rechnen. Unsre Marine hat, wie jüngst in der „Tägl. Rundschau" von berufner Feder aus¬ geführt worden ist, an der Atlanticküste von Marokko nicht das geringste Interesse, weil es dort keinen einzigen Hafen von Bedeutung für die Kriegsflotte gibt, sogar Mogadvr kommt nicht in Betracht, weil es zu geringen Tiefgang hat. Ob man mit sehr großen Aufwendungen dennoch einen Kriegshafen schaffen könnte, ist Wohl von keiner Marine, außer vielleicht von der englischen, mit einiger Bestimmtheit festgestellt worden. Alle übrigen Küstenplätze liegen an der offnen See und bieten auch kleinen Kreuzern keinen Schutz. Dazu kommt, daß — demselben Gewährsmann, Kontreadmiral Rosendahl, zufolge — an der ganzen Küste kein Baumaterial zu finden ist, das also erst Weither transportiert werden müßte. Wie es mit den Arbeitskräften stünde, von dem feindlichen Verhalten der Bewohner ganz abgesehen, ist auch noch eine besondre Frage. Somit wäre auch die südliche Hälfte der Westküste von Marokko auf absehbare Zeit für uns wertlos und anch für eine luxuriöse Kolonialpolitik zu teuer. Unsre Regierung tut "tho sehr recht daran, wenn sie lieber alle erreichbaren Mittel auf den Ausbau und die Ergänzung der Flotte verwendet, deren ungestörte friedliche und deshalb zu beschleunigende Entwicklung eine Lebensfrage für Deutschland ist. sind wir stark, so wird unsre Freundschaft gesucht, unsre Gegnerschaft gefürchtet werden. B's dahin machen wir uns nur lächerlich, wenn wir die Faust in der Tasche ballen oder voreilig auf den Tisch schlagen, oder „nach allen Benefizien hungrig schnappen." Selbst wenn sich Deutschlands Handel und Ausfuhr auf dem Weltmarkt "och viel üppiger entfalten, wird die daraus erwachsende Verstimmung einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/183>, abgerufen am 20.05.2024.