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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Romane und Novellen

Aber er hütet sich, solche Verallgemeinerung in den Lauf der Erzählung
zu verflechten. Löst sie doch die Trüne und die Bangigkeit menschlichen
Alleinseins in uns, so danken wir die Wirkung der reifen Kunst, die in ent¬
schlossener Beschränkung ein ergreifendes Werk geschaffen hat.

Mit leichterer Ware steuert ein Novellist von der Wasserkante, Max
Dreyer, sein Schiff hinaus. Das Laute gerät ihm besser als das Leise in
dem Geschichtenbuch, dessen Titel diese beiden Gegensätze vereint (Lautes und
Leises; Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 3. Aufl., 1900). Der
derbe Humor der ersten Geschichten ist erquickender als die psychologische
Feinheit, die Dreyer in den beiden andern erstrebt. Es ist hübsch, sich ein¬
mal mit bierfröhlichen Mutis in dem alten Rostock zu tummeln, das Adolf
Wilbrandt mit so viel ernsten Gestalten bevölkert hat. Und gegenüber dem
Filigranhumor des dritten Mecklenburgers, Seidels, erinnern diese gröbern
Allotria mehr an den vierten, unerreichten Fritz Reuter. Man lächelt und
man lacht, wenn man selbst mit einigem Zagen vor der ersten Bierrede und
dem ersten Bierjungen gestanden hat, mit dem jungen Friedemann Gries, der
sich an der Kommerstafel sozusagen entdeckt und dann den Sieg über den
grämlichen, abstinenten Vater davontrügt.

Auch du, glaub ich, hättest an dem rein Närrischen, das in solchen Dingen
steckt, deine Freude gehabt, Albert Einhard, redlicher Kämpfer gegen das ver¬
fluchte Objekt, gegen Menschenunart und Menschenverknöcherung! Es tut so
gut, wieder einmal die Dinge jener und dieser Welt und sich selbst einmal
wieder an dem krausen, aber unbestechlichen Wesen deiner Männlichkeit zu
messen, unsterblicher Albert Einhard. Da stehst du nach langer Zeit am
Meere, und in deine Seele fällt wie Tau ewiger Firne das Gefühl: "O, da
gibt es viel Gott!" Da spielst du mit deinen Hunden, den getreuen Knechten,
und weißt ihrem Umgang selbst abzulocken, was ihrem Herrn, dem Menschen,
sein Leben lieb und wertvoll machen soll: "Je mehr getreuer Knecht, um so
mehr bist du frei und Herr." Auf den unbegangnen Wegen des Gebirges
und in den Straßen der kleinen Stadt suchst du gleichermaßen Gott und
findest ihn, lauter gespiegelt, im eignen starken Herzen. Und bleibst so
stark und wirst immer mehr Gottes und dein eigen, indem der Kampf mit
dem ewig Kleinen dir so oft den Tag zerstört, dich von der Tafel der
Schmausenden scheucht und dich dir selbst lächerlicher macht als der verständnis¬
losen Umgebung.

Denn das ist an Friedrich Theodor Wischers Reisebekannten ja das
eigentlich Tragische, daß er den Krieg mit dem Objekt immer wieder beginnt,
obwohl er im Oberstock des menschlichen Seins mehr zuhause ist als die un¬
geheure Menge; daß er gewissermaßen ein nach innen blutender Märtyrer
dieser kleinen Dinge wird, die ihm neben dem Moralischen ("das versteht sich
immer von selbst") doch so ephemer erscheinen. Und erst da der Tod ihm


Deutsche Romane und Novellen

Aber er hütet sich, solche Verallgemeinerung in den Lauf der Erzählung
zu verflechten. Löst sie doch die Trüne und die Bangigkeit menschlichen
Alleinseins in uns, so danken wir die Wirkung der reifen Kunst, die in ent¬
schlossener Beschränkung ein ergreifendes Werk geschaffen hat.

Mit leichterer Ware steuert ein Novellist von der Wasserkante, Max
Dreyer, sein Schiff hinaus. Das Laute gerät ihm besser als das Leise in
dem Geschichtenbuch, dessen Titel diese beiden Gegensätze vereint (Lautes und
Leises; Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 3. Aufl., 1900). Der
derbe Humor der ersten Geschichten ist erquickender als die psychologische
Feinheit, die Dreyer in den beiden andern erstrebt. Es ist hübsch, sich ein¬
mal mit bierfröhlichen Mutis in dem alten Rostock zu tummeln, das Adolf
Wilbrandt mit so viel ernsten Gestalten bevölkert hat. Und gegenüber dem
Filigranhumor des dritten Mecklenburgers, Seidels, erinnern diese gröbern
Allotria mehr an den vierten, unerreichten Fritz Reuter. Man lächelt und
man lacht, wenn man selbst mit einigem Zagen vor der ersten Bierrede und
dem ersten Bierjungen gestanden hat, mit dem jungen Friedemann Gries, der
sich an der Kommerstafel sozusagen entdeckt und dann den Sieg über den
grämlichen, abstinenten Vater davontrügt.

Auch du, glaub ich, hättest an dem rein Närrischen, das in solchen Dingen
steckt, deine Freude gehabt, Albert Einhard, redlicher Kämpfer gegen das ver¬
fluchte Objekt, gegen Menschenunart und Menschenverknöcherung! Es tut so
gut, wieder einmal die Dinge jener und dieser Welt und sich selbst einmal
wieder an dem krausen, aber unbestechlichen Wesen deiner Männlichkeit zu
messen, unsterblicher Albert Einhard. Da stehst du nach langer Zeit am
Meere, und in deine Seele fällt wie Tau ewiger Firne das Gefühl: „O, da
gibt es viel Gott!" Da spielst du mit deinen Hunden, den getreuen Knechten,
und weißt ihrem Umgang selbst abzulocken, was ihrem Herrn, dem Menschen,
sein Leben lieb und wertvoll machen soll: „Je mehr getreuer Knecht, um so
mehr bist du frei und Herr." Auf den unbegangnen Wegen des Gebirges
und in den Straßen der kleinen Stadt suchst du gleichermaßen Gott und
findest ihn, lauter gespiegelt, im eignen starken Herzen. Und bleibst so
stark und wirst immer mehr Gottes und dein eigen, indem der Kampf mit
dem ewig Kleinen dir so oft den Tag zerstört, dich von der Tafel der
Schmausenden scheucht und dich dir selbst lächerlicher macht als der verständnis¬
losen Umgebung.

Denn das ist an Friedrich Theodor Wischers Reisebekannten ja das
eigentlich Tragische, daß er den Krieg mit dem Objekt immer wieder beginnt,
obwohl er im Oberstock des menschlichen Seins mehr zuhause ist als die un¬
geheure Menge; daß er gewissermaßen ein nach innen blutender Märtyrer
dieser kleinen Dinge wird, die ihm neben dem Moralischen („das versteht sich
immer von selbst") doch so ephemer erscheinen. Und erst da der Tod ihm


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[0586] Deutsche Romane und Novellen Aber er hütet sich, solche Verallgemeinerung in den Lauf der Erzählung zu verflechten. Löst sie doch die Trüne und die Bangigkeit menschlichen Alleinseins in uns, so danken wir die Wirkung der reifen Kunst, die in ent¬ schlossener Beschränkung ein ergreifendes Werk geschaffen hat. Mit leichterer Ware steuert ein Novellist von der Wasserkante, Max Dreyer, sein Schiff hinaus. Das Laute gerät ihm besser als das Leise in dem Geschichtenbuch, dessen Titel diese beiden Gegensätze vereint (Lautes und Leises; Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 3. Aufl., 1900). Der derbe Humor der ersten Geschichten ist erquickender als die psychologische Feinheit, die Dreyer in den beiden andern erstrebt. Es ist hübsch, sich ein¬ mal mit bierfröhlichen Mutis in dem alten Rostock zu tummeln, das Adolf Wilbrandt mit so viel ernsten Gestalten bevölkert hat. Und gegenüber dem Filigranhumor des dritten Mecklenburgers, Seidels, erinnern diese gröbern Allotria mehr an den vierten, unerreichten Fritz Reuter. Man lächelt und man lacht, wenn man selbst mit einigem Zagen vor der ersten Bierrede und dem ersten Bierjungen gestanden hat, mit dem jungen Friedemann Gries, der sich an der Kommerstafel sozusagen entdeckt und dann den Sieg über den grämlichen, abstinenten Vater davontrügt. Auch du, glaub ich, hättest an dem rein Närrischen, das in solchen Dingen steckt, deine Freude gehabt, Albert Einhard, redlicher Kämpfer gegen das ver¬ fluchte Objekt, gegen Menschenunart und Menschenverknöcherung! Es tut so gut, wieder einmal die Dinge jener und dieser Welt und sich selbst einmal wieder an dem krausen, aber unbestechlichen Wesen deiner Männlichkeit zu messen, unsterblicher Albert Einhard. Da stehst du nach langer Zeit am Meere, und in deine Seele fällt wie Tau ewiger Firne das Gefühl: „O, da gibt es viel Gott!" Da spielst du mit deinen Hunden, den getreuen Knechten, und weißt ihrem Umgang selbst abzulocken, was ihrem Herrn, dem Menschen, sein Leben lieb und wertvoll machen soll: „Je mehr getreuer Knecht, um so mehr bist du frei und Herr." Auf den unbegangnen Wegen des Gebirges und in den Straßen der kleinen Stadt suchst du gleichermaßen Gott und findest ihn, lauter gespiegelt, im eignen starken Herzen. Und bleibst so stark und wirst immer mehr Gottes und dein eigen, indem der Kampf mit dem ewig Kleinen dir so oft den Tag zerstört, dich von der Tafel der Schmausenden scheucht und dich dir selbst lächerlicher macht als der verständnis¬ losen Umgebung. Denn das ist an Friedrich Theodor Wischers Reisebekannten ja das eigentlich Tragische, daß er den Krieg mit dem Objekt immer wieder beginnt, obwohl er im Oberstock des menschlichen Seins mehr zuhause ist als die un¬ geheure Menge; daß er gewissermaßen ein nach innen blutender Märtyrer dieser kleinen Dinge wird, die ihm neben dem Moralischen („das versteht sich immer von selbst") doch so ephemer erscheinen. Und erst da der Tod ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/586>, abgerufen am 21.05.2024.