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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

geschäftlich sehr geschickt. Könnte man ihn nur von dem nicht stichhaltigen, christlich
sozialen Agitationstreiben losmachen.

8. Oktober. Der Kaiser hat sich, als Graf Stolberg in Baden war, gefügt.
Graf Stolberg sagt mir aber, dem Kaiser gehe es nicht gut. Er hat nachträglich
wieder Skrupel, kann nicht schlafen und klagt. Graf Stolberg sagt, der Moment
sei sehr ernst.

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Kreise Nienburg bin ich gegen den
nationalliberalen Kaufmann Werstler durchgefallen. Ich habe es nicht anders er¬
wartet. Die Konservativen haben 69 Sitze gewonnen und haben mit den Frei¬
konservativen die Mehrheit gegen Fortschritt und Nationalliberale. Mithin gibt
das Zentrum (78) den Ausschlag.

11. Oktober. Graf Stolberg ist nach Wernigerode abgereist. Der Bündnis¬
vertrag mit Österreich ist unterschrieben. Die Presse weiß noch nichts davon.

23. Oktober. Graf Stolberg sprach mit mir über die törichten Zeituugs-
gerüchte wegen eines angeblich beabsichtigten Ressorttcmschs zwischen einzelnen Mi¬
nistern. An allem Gerede dieser Art, das mit großer Wichtigtuerei in den Zeitungen
ausgekramt wird, sei, sagte er, auch nicht ein Körnchen Wahrheit. Puttkamers
leichtgeschürzte Reden gefallen weder den andern Ministern noch dem Grafen
Stolberg. Mit Recht aber meinte dieser, man müsse doch erst sehen, wie er im
Abgeordnetenhause durchkomme. Der Justizminister Leonhard hat endlich sein
Abschiedsgesuch eingereicht. Graf Stolberg meinte, am meisten Aussichten, Leon-
hards Nachfolger zu werden, scheine Friedberg zu haben; sein Liberalismus sei
nur sehr mäßig. Schelling sei wenig beliebt; was ich über den Präsidenten von
Kunowski in Posen wisse? Der ist noch unbeliebter. Graf Eulenburgs Bedeutung
erkannte Graf Stolberg so rückhaltlos an, wie noch nie. Daß Graf Eulenburg
dem Kanzler nicht sehr sympathisch sei, sei richtig. Dieser Mangel an Sympathie
beziehe sich aber nur auf rein persönliche Verhältnisse und Eigenschaften. Gleich¬
wohl erkenne Bismarck Eulenburgs enorme Tüchtigkeit vollkommen an. Bismarck
könne es nur nicht leiden, daß Graf Eulenburg ihm immer gleich mit Paragraphen
ins Gesicht springe. Paragraphen brauche nach Bismcircks Ansicht ein Minister
überhaupt nicht zu wissen; die müsse er sich sagen lassen, wenn er sie brauche.

Morgen findet das Begräbnis des verstorbnen Ministers Leonhard von Bülow
statt. Sein Tod ist ein großer Verlust für deu Kaiser, den Fürsten Bismarck und
das Land. Er war auch ein ernster, tief gegründeter und darum vorurteils¬
freier Christ.

25. Oktober. Der Kultusminister von Puttkamer hat in der Generalsynode
heute über das Verhältnis vou Kirche und Schule gesprochen. Gut, weil vorsichtig
und mit Wahrung des staatlichen Charakters der Schule, auch zugunsten der All¬
gemeinen Bestimmungen von 1873. Auf die Synode hat aber die Rede keinen
besondern Eindruck gemacht.

26. Oktober. Nach der Kirche schickte mich Graf Stolberg zu dem Ge¬
heimen Kabinettsrat vou Wilmowski, um ihm zu sagen, er möge doch dafür sorgen,
daß das Entlassungsgesuch des Justizministers Leonhard nicht an den Minister¬
präsidenten nach Varzin zum Bericht geschickt werde; Bismarck sei wieder ungemein
erregt und sei mit ihm, dem Grafen Stolberg, über den Vorschlag eines Nach¬
folgers schon im reinen. Der Portier der Wilmowskischen Wohnung gab an, Herr
von Wilmowski sei zur Kirche gegangen, und seine Rückkehr sei unbestimmt. Als
ich aber meine Karte abgab und sagte, in wessen Auftrag ich käme, trug sie der
aufs Lügen dressierte Portier doch hinauf, und ich wurde angenommen. Herr von
Wilmowski meinte, der König wolle das Gesuch durch ein Handschreiben erledigen
und zugleich Leonhard eine Dekoration verleihen. Als ich dies dem Grafen Stol¬
berg meldete, war er nicht einverstanden. Ich mußte an Herrn von Wilmowski
schreiben, korrekt sei es, daß die Entlassung durch eine kontrnsignierte Order erfolge,
und daß keine Vakanz eintrete; er, Stolberg, sei in der Lage, im Einverständnis
mit Bismarck sofort Vorschläge wegen des Nachfolgers machen zu können.


Erinnerungen

geschäftlich sehr geschickt. Könnte man ihn nur von dem nicht stichhaltigen, christlich
sozialen Agitationstreiben losmachen.

8. Oktober. Der Kaiser hat sich, als Graf Stolberg in Baden war, gefügt.
Graf Stolberg sagt mir aber, dem Kaiser gehe es nicht gut. Er hat nachträglich
wieder Skrupel, kann nicht schlafen und klagt. Graf Stolberg sagt, der Moment
sei sehr ernst.

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Kreise Nienburg bin ich gegen den
nationalliberalen Kaufmann Werstler durchgefallen. Ich habe es nicht anders er¬
wartet. Die Konservativen haben 69 Sitze gewonnen und haben mit den Frei¬
konservativen die Mehrheit gegen Fortschritt und Nationalliberale. Mithin gibt
das Zentrum (78) den Ausschlag.

11. Oktober. Graf Stolberg ist nach Wernigerode abgereist. Der Bündnis¬
vertrag mit Österreich ist unterschrieben. Die Presse weiß noch nichts davon.

23. Oktober. Graf Stolberg sprach mit mir über die törichten Zeituugs-
gerüchte wegen eines angeblich beabsichtigten Ressorttcmschs zwischen einzelnen Mi¬
nistern. An allem Gerede dieser Art, das mit großer Wichtigtuerei in den Zeitungen
ausgekramt wird, sei, sagte er, auch nicht ein Körnchen Wahrheit. Puttkamers
leichtgeschürzte Reden gefallen weder den andern Ministern noch dem Grafen
Stolberg. Mit Recht aber meinte dieser, man müsse doch erst sehen, wie er im
Abgeordnetenhause durchkomme. Der Justizminister Leonhard hat endlich sein
Abschiedsgesuch eingereicht. Graf Stolberg meinte, am meisten Aussichten, Leon-
hards Nachfolger zu werden, scheine Friedberg zu haben; sein Liberalismus sei
nur sehr mäßig. Schelling sei wenig beliebt; was ich über den Präsidenten von
Kunowski in Posen wisse? Der ist noch unbeliebter. Graf Eulenburgs Bedeutung
erkannte Graf Stolberg so rückhaltlos an, wie noch nie. Daß Graf Eulenburg
dem Kanzler nicht sehr sympathisch sei, sei richtig. Dieser Mangel an Sympathie
beziehe sich aber nur auf rein persönliche Verhältnisse und Eigenschaften. Gleich¬
wohl erkenne Bismarck Eulenburgs enorme Tüchtigkeit vollkommen an. Bismarck
könne es nur nicht leiden, daß Graf Eulenburg ihm immer gleich mit Paragraphen
ins Gesicht springe. Paragraphen brauche nach Bismcircks Ansicht ein Minister
überhaupt nicht zu wissen; die müsse er sich sagen lassen, wenn er sie brauche.

Morgen findet das Begräbnis des verstorbnen Ministers Leonhard von Bülow
statt. Sein Tod ist ein großer Verlust für deu Kaiser, den Fürsten Bismarck und
das Land. Er war auch ein ernster, tief gegründeter und darum vorurteils¬
freier Christ.

25. Oktober. Der Kultusminister von Puttkamer hat in der Generalsynode
heute über das Verhältnis vou Kirche und Schule gesprochen. Gut, weil vorsichtig
und mit Wahrung des staatlichen Charakters der Schule, auch zugunsten der All¬
gemeinen Bestimmungen von 1873. Auf die Synode hat aber die Rede keinen
besondern Eindruck gemacht.

26. Oktober. Nach der Kirche schickte mich Graf Stolberg zu dem Ge¬
heimen Kabinettsrat vou Wilmowski, um ihm zu sagen, er möge doch dafür sorgen,
daß das Entlassungsgesuch des Justizministers Leonhard nicht an den Minister¬
präsidenten nach Varzin zum Bericht geschickt werde; Bismarck sei wieder ungemein
erregt und sei mit ihm, dem Grafen Stolberg, über den Vorschlag eines Nach¬
folgers schon im reinen. Der Portier der Wilmowskischen Wohnung gab an, Herr
von Wilmowski sei zur Kirche gegangen, und seine Rückkehr sei unbestimmt. Als
ich aber meine Karte abgab und sagte, in wessen Auftrag ich käme, trug sie der
aufs Lügen dressierte Portier doch hinauf, und ich wurde angenommen. Herr von
Wilmowski meinte, der König wolle das Gesuch durch ein Handschreiben erledigen
und zugleich Leonhard eine Dekoration verleihen. Als ich dies dem Grafen Stol¬
berg meldete, war er nicht einverstanden. Ich mußte an Herrn von Wilmowski
schreiben, korrekt sei es, daß die Entlassung durch eine kontrnsignierte Order erfolge,
und daß keine Vakanz eintrete; er, Stolberg, sei in der Lage, im Einverständnis
mit Bismarck sofort Vorschläge wegen des Nachfolgers machen zu können.


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[0651] Erinnerungen geschäftlich sehr geschickt. Könnte man ihn nur von dem nicht stichhaltigen, christlich sozialen Agitationstreiben losmachen. 8. Oktober. Der Kaiser hat sich, als Graf Stolberg in Baden war, gefügt. Graf Stolberg sagt mir aber, dem Kaiser gehe es nicht gut. Er hat nachträglich wieder Skrupel, kann nicht schlafen und klagt. Graf Stolberg sagt, der Moment sei sehr ernst. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Kreise Nienburg bin ich gegen den nationalliberalen Kaufmann Werstler durchgefallen. Ich habe es nicht anders er¬ wartet. Die Konservativen haben 69 Sitze gewonnen und haben mit den Frei¬ konservativen die Mehrheit gegen Fortschritt und Nationalliberale. Mithin gibt das Zentrum (78) den Ausschlag. 11. Oktober. Graf Stolberg ist nach Wernigerode abgereist. Der Bündnis¬ vertrag mit Österreich ist unterschrieben. Die Presse weiß noch nichts davon. 23. Oktober. Graf Stolberg sprach mit mir über die törichten Zeituugs- gerüchte wegen eines angeblich beabsichtigten Ressorttcmschs zwischen einzelnen Mi¬ nistern. An allem Gerede dieser Art, das mit großer Wichtigtuerei in den Zeitungen ausgekramt wird, sei, sagte er, auch nicht ein Körnchen Wahrheit. Puttkamers leichtgeschürzte Reden gefallen weder den andern Ministern noch dem Grafen Stolberg. Mit Recht aber meinte dieser, man müsse doch erst sehen, wie er im Abgeordnetenhause durchkomme. Der Justizminister Leonhard hat endlich sein Abschiedsgesuch eingereicht. Graf Stolberg meinte, am meisten Aussichten, Leon- hards Nachfolger zu werden, scheine Friedberg zu haben; sein Liberalismus sei nur sehr mäßig. Schelling sei wenig beliebt; was ich über den Präsidenten von Kunowski in Posen wisse? Der ist noch unbeliebter. Graf Eulenburgs Bedeutung erkannte Graf Stolberg so rückhaltlos an, wie noch nie. Daß Graf Eulenburg dem Kanzler nicht sehr sympathisch sei, sei richtig. Dieser Mangel an Sympathie beziehe sich aber nur auf rein persönliche Verhältnisse und Eigenschaften. Gleich¬ wohl erkenne Bismarck Eulenburgs enorme Tüchtigkeit vollkommen an. Bismarck könne es nur nicht leiden, daß Graf Eulenburg ihm immer gleich mit Paragraphen ins Gesicht springe. Paragraphen brauche nach Bismcircks Ansicht ein Minister überhaupt nicht zu wissen; die müsse er sich sagen lassen, wenn er sie brauche. Morgen findet das Begräbnis des verstorbnen Ministers Leonhard von Bülow statt. Sein Tod ist ein großer Verlust für deu Kaiser, den Fürsten Bismarck und das Land. Er war auch ein ernster, tief gegründeter und darum vorurteils¬ freier Christ. 25. Oktober. Der Kultusminister von Puttkamer hat in der Generalsynode heute über das Verhältnis vou Kirche und Schule gesprochen. Gut, weil vorsichtig und mit Wahrung des staatlichen Charakters der Schule, auch zugunsten der All¬ gemeinen Bestimmungen von 1873. Auf die Synode hat aber die Rede keinen besondern Eindruck gemacht. 26. Oktober. Nach der Kirche schickte mich Graf Stolberg zu dem Ge¬ heimen Kabinettsrat vou Wilmowski, um ihm zu sagen, er möge doch dafür sorgen, daß das Entlassungsgesuch des Justizministers Leonhard nicht an den Minister¬ präsidenten nach Varzin zum Bericht geschickt werde; Bismarck sei wieder ungemein erregt und sei mit ihm, dem Grafen Stolberg, über den Vorschlag eines Nach¬ folgers schon im reinen. Der Portier der Wilmowskischen Wohnung gab an, Herr von Wilmowski sei zur Kirche gegangen, und seine Rückkehr sei unbestimmt. Als ich aber meine Karte abgab und sagte, in wessen Auftrag ich käme, trug sie der aufs Lügen dressierte Portier doch hinauf, und ich wurde angenommen. Herr von Wilmowski meinte, der König wolle das Gesuch durch ein Handschreiben erledigen und zugleich Leonhard eine Dekoration verleihen. Als ich dies dem Grafen Stol¬ berg meldete, war er nicht einverstanden. Ich mußte an Herrn von Wilmowski schreiben, korrekt sei es, daß die Entlassung durch eine kontrnsignierte Order erfolge, und daß keine Vakanz eintrete; er, Stolberg, sei in der Lage, im Einverständnis mit Bismarck sofort Vorschläge wegen des Nachfolgers machen zu können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/651>, abgerufen am 20.05.2024.