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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Stellung zu England und gewissen deutschfeindlichen Treibereien

Tibet gegen russische Machtgelüste zu schützen, vielleicht um dieses weltentrückte,
aber als strategischer Posten auf dem asiatischen Hochplateau wichtige Land
unter englische Macht zu bringen.

Der Herr Wesselitzky hat trotz alledem die Hoffnung nicht aufgegeben,
aus England und Rußland zwei Freunde zu machen. Er hat über diesen
Punkt vor zwei Wochen in der Ogntral ^flau Looiet^ in London einen
Vortrag gehalten, und die Times hilft ihm durch Aufnahme eines Referats
seine Gedanken zu verbreiten. Er meint, in Japans Erfolgen sei die gelbe
Gefahr schon lebendig geworden, die ganz Europa, vor allem aber England
und Rußland nötige, zusammenzustehn. Der englisch-russische Gegensatz müsse
beseitigt werden. Der Redner hat dabei wohl mehr daran gedacht, daß es
auf Kosten Deutschlands geschehe, das er mit seinem ganz besondern Hasse
beehrt, als daß Japans Vordringen gehemmt werde. Ein Redner sekundierte
ihm und meinte, das englisch-japanische Bündnis sei schon rechtlich hinfällig,
weil Japan die Neutralität Koreas verletzt habe. Zwei andre Redner, Colqu'hour
und Grnham, traten aber scharf auf die andre Seite. Eine Gefahr für
England könne in dem jetzigen Gang der Dinge nicht entdeckt werden,
noch weniger ein Grund zu einer englisch-russischen Verständigung. Erst
müßten die Russen ein freies Volk werden und Rußland aufhören, in Asien
Eroberungspolitik zu treiben. Eine nichtssagende Resolution beschloß die Ver¬
sammlung.

Obgleich demnach für eine russisch-englische Verbrüderung die Aussichten
sehr ungünstig sind, bleiben die Freunde beisammen, um den Faden der
Feindschaft gegen Deutschland weiter zu spinnen. Dies war nämlich ihr
zweites und vielleicht wichtigstes Ziel. Auf Kosten Deutschlands war es, daß
sich Russen und Engländer verständigen sollten. Seine politische und wirt¬
schaftliche Macht wollte man eindämmen. Und damit trifft man in England
wieder mit vielen Leuten zusammen, die an eine Verständigung mit Rußland
nicht glauben, die vielmehr Deutschland nichts so sehr verargen, als daß es
sich nicht zum Sturmbock englischer Interessen gegen Rußland verwenden
läßt. Unsre Leser wissen, daß an dieser Stelle nicht die Feindschaft gegen
England angefeuert wird, sondern daß wir auf freundschaftliche Beziehungen
mit beiden so sehr verschiednen Mächten hinarbeiten. Wir würden es für
ein Unglück halten, wenn Deutschland in das Schlepptau der einen geriete;
das würde aber sicher geschehen, wenn es sich mit der andern entzweite.
Wir wollen offne Tür nach beiden Seiten haben, was uus kein vernünftiger
Politiker verdenken kann. Denn nur auf diesem Wege kann Deutschland
seiner Friedenspolitik mit Erfolg nachgehn. Wenn wir wieder einmal in die
Machenschaften eines russisch-englischen Konventikels hineinleuchten, so geschieht
es also durchaus nicht in der Absicht, Haß gegen England zu säen.

Im Gegenteil, wir möchten damit zeigen, welche Nachteile es gehabt
hat, daß viele Jahre laug ohne ausreichende Gegenwirkung von vernünftigerer
Seite in Deutschland gegen England gehetzt worden ist. Es war schon ein ge¬
wisses Maß von Übelwollen gegen Deutschland in England vorhanden. Man
kann die einzelnen Akte seit 1863 an den Fingern herzählen. Obwohl nun


Deutschlands Stellung zu England und gewissen deutschfeindlichen Treibereien

Tibet gegen russische Machtgelüste zu schützen, vielleicht um dieses weltentrückte,
aber als strategischer Posten auf dem asiatischen Hochplateau wichtige Land
unter englische Macht zu bringen.

Der Herr Wesselitzky hat trotz alledem die Hoffnung nicht aufgegeben,
aus England und Rußland zwei Freunde zu machen. Er hat über diesen
Punkt vor zwei Wochen in der Ogntral ^flau Looiet^ in London einen
Vortrag gehalten, und die Times hilft ihm durch Aufnahme eines Referats
seine Gedanken zu verbreiten. Er meint, in Japans Erfolgen sei die gelbe
Gefahr schon lebendig geworden, die ganz Europa, vor allem aber England
und Rußland nötige, zusammenzustehn. Der englisch-russische Gegensatz müsse
beseitigt werden. Der Redner hat dabei wohl mehr daran gedacht, daß es
auf Kosten Deutschlands geschehe, das er mit seinem ganz besondern Hasse
beehrt, als daß Japans Vordringen gehemmt werde. Ein Redner sekundierte
ihm und meinte, das englisch-japanische Bündnis sei schon rechtlich hinfällig,
weil Japan die Neutralität Koreas verletzt habe. Zwei andre Redner, Colqu'hour
und Grnham, traten aber scharf auf die andre Seite. Eine Gefahr für
England könne in dem jetzigen Gang der Dinge nicht entdeckt werden,
noch weniger ein Grund zu einer englisch-russischen Verständigung. Erst
müßten die Russen ein freies Volk werden und Rußland aufhören, in Asien
Eroberungspolitik zu treiben. Eine nichtssagende Resolution beschloß die Ver¬
sammlung.

Obgleich demnach für eine russisch-englische Verbrüderung die Aussichten
sehr ungünstig sind, bleiben die Freunde beisammen, um den Faden der
Feindschaft gegen Deutschland weiter zu spinnen. Dies war nämlich ihr
zweites und vielleicht wichtigstes Ziel. Auf Kosten Deutschlands war es, daß
sich Russen und Engländer verständigen sollten. Seine politische und wirt¬
schaftliche Macht wollte man eindämmen. Und damit trifft man in England
wieder mit vielen Leuten zusammen, die an eine Verständigung mit Rußland
nicht glauben, die vielmehr Deutschland nichts so sehr verargen, als daß es
sich nicht zum Sturmbock englischer Interessen gegen Rußland verwenden
läßt. Unsre Leser wissen, daß an dieser Stelle nicht die Feindschaft gegen
England angefeuert wird, sondern daß wir auf freundschaftliche Beziehungen
mit beiden so sehr verschiednen Mächten hinarbeiten. Wir würden es für
ein Unglück halten, wenn Deutschland in das Schlepptau der einen geriete;
das würde aber sicher geschehen, wenn es sich mit der andern entzweite.
Wir wollen offne Tür nach beiden Seiten haben, was uus kein vernünftiger
Politiker verdenken kann. Denn nur auf diesem Wege kann Deutschland
seiner Friedenspolitik mit Erfolg nachgehn. Wenn wir wieder einmal in die
Machenschaften eines russisch-englischen Konventikels hineinleuchten, so geschieht
es also durchaus nicht in der Absicht, Haß gegen England zu säen.

Im Gegenteil, wir möchten damit zeigen, welche Nachteile es gehabt
hat, daß viele Jahre laug ohne ausreichende Gegenwirkung von vernünftigerer
Seite in Deutschland gegen England gehetzt worden ist. Es war schon ein ge¬
wisses Maß von Übelwollen gegen Deutschland in England vorhanden. Man
kann die einzelnen Akte seit 1863 an den Fingern herzählen. Obwohl nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/674>, abgerufen am 22.05.2024.