Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wanderungen in der Niederlausttz

essanteste Bauwerk ist die Nikolaikirche, ein in Ziegelgotik ausgeführter mächtiger
dreischiffiger Hallenbau, ein Denkmal selbstbewußten Bürgertums und zugleich einer
hochstrebenden Geistlichkeit. Diese offenbart sich in dem auffallend großen, durch
Mauern von den Seitenschiffen getrennten Chöre, jenes in den zahlreichen Patrizier-
logen der reichen Kauf- und Fabrikherren, die noch die bunte Malerei des sieb¬
zehnten Jahrhunderts zeigen, vor allem aber in der sich halbkreisförmig über die
ganze Kirchenbreite erstreckenden Ratsloge unterm Singechor. Wenn man sich vor¬
stellt, wie von etwa dreißig Sitzen dieser Loge die gepuderten Perücken des Hoch¬
wohlweisen Rats in das mit Kleinbürgern und Tuchmachergesellen gefüllte Schiff
hinunternickten, so hat mau ein Bild der vergangnen Lnckauer Herrlichkeit.

Wir verließen die Stadt in westlicher Richtung und passierten dabei eine be¬
festigte Brücke, die nach dem Vororte Santo hinüberführte; auch auf den nach
Zöllmersdorf zu liegenden Höhen sind Reste der Napoleonischen Schanzen erhalten.
In genau westlicher Fahrt erreichten wir den Eisenbahnknotenpunkt Atro, ehedem
ein Dorf der Herrschaft Sonnewalde, aus älterer Zeit dadurch bekannt, daß sich
hier die Bauern 1548 gegen Franz von Minkwitz empörten, der ihre Lasten eigen¬
mächtig erhöhen wollte. Die Niederlausitzer Minkwitze waren im sechzehnten Jahr¬
hundert überhaupt ein gewalttätiges Geschlecht: berühmt ist vor allem die Fehde,
die Nickel Minkwitz 1528 bis 1534 gegen den Bischof von Lebus und gegen den
Kurfürsten Joachim den Ersten von Brandenburg gehabt hat.

Von Atro kamen wir über einen schön mit Kiefern bewaldeten Landrücken
hinunter in die fruchtbaren Gefilde von Dahme. Auch dieses Städtchen hat seine
kursächsischen Erinnerungen. Das Schloß, das jetzt die landwirtschaftliche Schule
enthält, war ehedem der Witwensitz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels. Friedrich,
der Sohn des Herzogs August (1657 bis 1680), baute es neu und starb hier 1715.
Auch Johann Adolf der Zweite, der den Schloßgarten anlegte, hat oft hier re¬
sidiert. Kurfürst Friedrich August der Gerechte übernachtete hier, als er 1769 zur
Huldigung nach Lübben und nach Wittenberg fuhr, und dann abermals am 27. No¬
vember und am 3. Dezember 1806 auf der Reise nach Berlin und von Berlin
heimwärts, nachdem er dort dem korsischen Emporkömmling hatte huldigen müssen.
Auch in den Kämpfen des Jahres 1813 spielte Dahme eine Rolle: nach der Schlacht
von Dennewitz nahm der preußische General Wobser hier am 7. September sechs¬
tausend Franzosen gefangen.

Unser nächstes Ziel war das Dorf Lebusa, das wahrscheinlich mit dem von
Thietmar vou Merseburg erwähnten großen slawischen Orte Liubussua identisch ist.
Thietmar erzählt, König Heinrich habe im Jahre 932 Liubussua, eine Stadt von
zehntausend Einwohnern mit zwölf Toren und einer kleinern Befestigung, belagert
und zerstört. Danach habe der Ort lange wüst gelegen, aber König Heinrich der
Zweite habe ihn 1011 von neuem befestigt, um ihn als einen Vorposten gegen die
in die Lausitz eingedrungnen Polen zu verwenden.

Wir waren gespannt, ob loir Spuren des alten Ortes oder der Befestigung
in dem Gelände von Lebusa finden könnten, und zwar um so mehr, weil hier weder
durch Stadtanlagen noch durch Bahnbauten durchgreifende Veränderungen vorge¬
nommen worden siud.

Als wir aus dem Waldgürtel, der Dahme von Lebusa trennt, hervortauchten
und das Dorf in einiger Entfernung vor uns sahen, nahm ein sich links von der
Straße von West nach Ost langsm erstreckender Hügel unsre Aufmerksamkeit in An¬
spruch, der das ganze vor uns ausgebreitete Gelände strategisch beherrscht. Wir
beschritten ihn bis zum Ende, wo er wie eine steile Böschung in mehreren Bastionen
zur Ebene abstürzt. Huudertundfünfzig Schritt von da ans rückwärts nach der
Straße zu steht ein wilder Birnbaum, von dem man eine herrliche Umsicht auf
das von dunkelgrünen Wäldern begrenzte Rund genießt. Im Vordergründe zu
unser" Füßen, etwa fünfhundert Meter von uns entfernt, ruht das Dorf Lebusa
in thüringischer Lieblichkeit zwischen lauschigen Wipfeln um den schlanken Kirchturm


Wanderungen in der Niederlausttz

essanteste Bauwerk ist die Nikolaikirche, ein in Ziegelgotik ausgeführter mächtiger
dreischiffiger Hallenbau, ein Denkmal selbstbewußten Bürgertums und zugleich einer
hochstrebenden Geistlichkeit. Diese offenbart sich in dem auffallend großen, durch
Mauern von den Seitenschiffen getrennten Chöre, jenes in den zahlreichen Patrizier-
logen der reichen Kauf- und Fabrikherren, die noch die bunte Malerei des sieb¬
zehnten Jahrhunderts zeigen, vor allem aber in der sich halbkreisförmig über die
ganze Kirchenbreite erstreckenden Ratsloge unterm Singechor. Wenn man sich vor¬
stellt, wie von etwa dreißig Sitzen dieser Loge die gepuderten Perücken des Hoch¬
wohlweisen Rats in das mit Kleinbürgern und Tuchmachergesellen gefüllte Schiff
hinunternickten, so hat mau ein Bild der vergangnen Lnckauer Herrlichkeit.

Wir verließen die Stadt in westlicher Richtung und passierten dabei eine be¬
festigte Brücke, die nach dem Vororte Santo hinüberführte; auch auf den nach
Zöllmersdorf zu liegenden Höhen sind Reste der Napoleonischen Schanzen erhalten.
In genau westlicher Fahrt erreichten wir den Eisenbahnknotenpunkt Atro, ehedem
ein Dorf der Herrschaft Sonnewalde, aus älterer Zeit dadurch bekannt, daß sich
hier die Bauern 1548 gegen Franz von Minkwitz empörten, der ihre Lasten eigen¬
mächtig erhöhen wollte. Die Niederlausitzer Minkwitze waren im sechzehnten Jahr¬
hundert überhaupt ein gewalttätiges Geschlecht: berühmt ist vor allem die Fehde,
die Nickel Minkwitz 1528 bis 1534 gegen den Bischof von Lebus und gegen den
Kurfürsten Joachim den Ersten von Brandenburg gehabt hat.

Von Atro kamen wir über einen schön mit Kiefern bewaldeten Landrücken
hinunter in die fruchtbaren Gefilde von Dahme. Auch dieses Städtchen hat seine
kursächsischen Erinnerungen. Das Schloß, das jetzt die landwirtschaftliche Schule
enthält, war ehedem der Witwensitz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels. Friedrich,
der Sohn des Herzogs August (1657 bis 1680), baute es neu und starb hier 1715.
Auch Johann Adolf der Zweite, der den Schloßgarten anlegte, hat oft hier re¬
sidiert. Kurfürst Friedrich August der Gerechte übernachtete hier, als er 1769 zur
Huldigung nach Lübben und nach Wittenberg fuhr, und dann abermals am 27. No¬
vember und am 3. Dezember 1806 auf der Reise nach Berlin und von Berlin
heimwärts, nachdem er dort dem korsischen Emporkömmling hatte huldigen müssen.
Auch in den Kämpfen des Jahres 1813 spielte Dahme eine Rolle: nach der Schlacht
von Dennewitz nahm der preußische General Wobser hier am 7. September sechs¬
tausend Franzosen gefangen.

Unser nächstes Ziel war das Dorf Lebusa, das wahrscheinlich mit dem von
Thietmar vou Merseburg erwähnten großen slawischen Orte Liubussua identisch ist.
Thietmar erzählt, König Heinrich habe im Jahre 932 Liubussua, eine Stadt von
zehntausend Einwohnern mit zwölf Toren und einer kleinern Befestigung, belagert
und zerstört. Danach habe der Ort lange wüst gelegen, aber König Heinrich der
Zweite habe ihn 1011 von neuem befestigt, um ihn als einen Vorposten gegen die
in die Lausitz eingedrungnen Polen zu verwenden.

Wir waren gespannt, ob loir Spuren des alten Ortes oder der Befestigung
in dem Gelände von Lebusa finden könnten, und zwar um so mehr, weil hier weder
durch Stadtanlagen noch durch Bahnbauten durchgreifende Veränderungen vorge¬
nommen worden siud.

Als wir aus dem Waldgürtel, der Dahme von Lebusa trennt, hervortauchten
und das Dorf in einiger Entfernung vor uns sahen, nahm ein sich links von der
Straße von West nach Ost langsm erstreckender Hügel unsre Aufmerksamkeit in An¬
spruch, der das ganze vor uns ausgebreitete Gelände strategisch beherrscht. Wir
beschritten ihn bis zum Ende, wo er wie eine steile Böschung in mehreren Bastionen
zur Ebene abstürzt. Huudertundfünfzig Schritt von da ans rückwärts nach der
Straße zu steht ein wilder Birnbaum, von dem man eine herrliche Umsicht auf
das von dunkelgrünen Wäldern begrenzte Rund genießt. Im Vordergründe zu
unser» Füßen, etwa fünfhundert Meter von uns entfernt, ruht das Dorf Lebusa
in thüringischer Lieblichkeit zwischen lauschigen Wipfeln um den schlanken Kirchturm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0769" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294388"/>
          <fw type="header" place="top"> Wanderungen in der Niederlausttz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3421" prev="#ID_3420"> essanteste Bauwerk ist die Nikolaikirche, ein in Ziegelgotik ausgeführter mächtiger<lb/>
dreischiffiger Hallenbau, ein Denkmal selbstbewußten Bürgertums und zugleich einer<lb/>
hochstrebenden Geistlichkeit. Diese offenbart sich in dem auffallend großen, durch<lb/>
Mauern von den Seitenschiffen getrennten Chöre, jenes in den zahlreichen Patrizier-<lb/>
logen der reichen Kauf- und Fabrikherren, die noch die bunte Malerei des sieb¬<lb/>
zehnten Jahrhunderts zeigen, vor allem aber in der sich halbkreisförmig über die<lb/>
ganze Kirchenbreite erstreckenden Ratsloge unterm Singechor. Wenn man sich vor¬<lb/>
stellt, wie von etwa dreißig Sitzen dieser Loge die gepuderten Perücken des Hoch¬<lb/>
wohlweisen Rats in das mit Kleinbürgern und Tuchmachergesellen gefüllte Schiff<lb/>
hinunternickten, so hat mau ein Bild der vergangnen Lnckauer Herrlichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3422"> Wir verließen die Stadt in westlicher Richtung und passierten dabei eine be¬<lb/>
festigte Brücke, die nach dem Vororte Santo hinüberführte; auch auf den nach<lb/>
Zöllmersdorf zu liegenden Höhen sind Reste der Napoleonischen Schanzen erhalten.<lb/>
In genau westlicher Fahrt erreichten wir den Eisenbahnknotenpunkt Atro, ehedem<lb/>
ein Dorf der Herrschaft Sonnewalde, aus älterer Zeit dadurch bekannt, daß sich<lb/>
hier die Bauern 1548 gegen Franz von Minkwitz empörten, der ihre Lasten eigen¬<lb/>
mächtig erhöhen wollte. Die Niederlausitzer Minkwitze waren im sechzehnten Jahr¬<lb/>
hundert überhaupt ein gewalttätiges Geschlecht: berühmt ist vor allem die Fehde,<lb/>
die Nickel Minkwitz 1528 bis 1534 gegen den Bischof von Lebus und gegen den<lb/>
Kurfürsten Joachim den Ersten von Brandenburg gehabt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3423"> Von Atro kamen wir über einen schön mit Kiefern bewaldeten Landrücken<lb/>
hinunter in die fruchtbaren Gefilde von Dahme. Auch dieses Städtchen hat seine<lb/>
kursächsischen Erinnerungen. Das Schloß, das jetzt die landwirtschaftliche Schule<lb/>
enthält, war ehedem der Witwensitz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels. Friedrich,<lb/>
der Sohn des Herzogs August (1657 bis 1680), baute es neu und starb hier 1715.<lb/>
Auch Johann Adolf der Zweite, der den Schloßgarten anlegte, hat oft hier re¬<lb/>
sidiert. Kurfürst Friedrich August der Gerechte übernachtete hier, als er 1769 zur<lb/>
Huldigung nach Lübben und nach Wittenberg fuhr, und dann abermals am 27. No¬<lb/>
vember und am 3. Dezember 1806 auf der Reise nach Berlin und von Berlin<lb/>
heimwärts, nachdem er dort dem korsischen Emporkömmling hatte huldigen müssen.<lb/>
Auch in den Kämpfen des Jahres 1813 spielte Dahme eine Rolle: nach der Schlacht<lb/>
von Dennewitz nahm der preußische General Wobser hier am 7. September sechs¬<lb/>
tausend Franzosen gefangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3424"> Unser nächstes Ziel war das Dorf Lebusa, das wahrscheinlich mit dem von<lb/>
Thietmar vou Merseburg erwähnten großen slawischen Orte Liubussua identisch ist.<lb/>
Thietmar erzählt, König Heinrich habe im Jahre 932 Liubussua, eine Stadt von<lb/>
zehntausend Einwohnern mit zwölf Toren und einer kleinern Befestigung, belagert<lb/>
und zerstört. Danach habe der Ort lange wüst gelegen, aber König Heinrich der<lb/>
Zweite habe ihn 1011 von neuem befestigt, um ihn als einen Vorposten gegen die<lb/>
in die Lausitz eingedrungnen Polen zu verwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3425"> Wir waren gespannt, ob loir Spuren des alten Ortes oder der Befestigung<lb/>
in dem Gelände von Lebusa finden könnten, und zwar um so mehr, weil hier weder<lb/>
durch Stadtanlagen noch durch Bahnbauten durchgreifende Veränderungen vorge¬<lb/>
nommen worden siud.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3426" next="#ID_3427"> Als wir aus dem Waldgürtel, der Dahme von Lebusa trennt, hervortauchten<lb/>
und das Dorf in einiger Entfernung vor uns sahen, nahm ein sich links von der<lb/>
Straße von West nach Ost langsm erstreckender Hügel unsre Aufmerksamkeit in An¬<lb/>
spruch, der das ganze vor uns ausgebreitete Gelände strategisch beherrscht. Wir<lb/>
beschritten ihn bis zum Ende, wo er wie eine steile Böschung in mehreren Bastionen<lb/>
zur Ebene abstürzt. Huudertundfünfzig Schritt von da ans rückwärts nach der<lb/>
Straße zu steht ein wilder Birnbaum, von dem man eine herrliche Umsicht auf<lb/>
das von dunkelgrünen Wäldern begrenzte Rund genießt. Im Vordergründe zu<lb/>
unser» Füßen, etwa fünfhundert Meter von uns entfernt, ruht das Dorf Lebusa<lb/>
in thüringischer Lieblichkeit zwischen lauschigen Wipfeln um den schlanken Kirchturm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0769] Wanderungen in der Niederlausttz essanteste Bauwerk ist die Nikolaikirche, ein in Ziegelgotik ausgeführter mächtiger dreischiffiger Hallenbau, ein Denkmal selbstbewußten Bürgertums und zugleich einer hochstrebenden Geistlichkeit. Diese offenbart sich in dem auffallend großen, durch Mauern von den Seitenschiffen getrennten Chöre, jenes in den zahlreichen Patrizier- logen der reichen Kauf- und Fabrikherren, die noch die bunte Malerei des sieb¬ zehnten Jahrhunderts zeigen, vor allem aber in der sich halbkreisförmig über die ganze Kirchenbreite erstreckenden Ratsloge unterm Singechor. Wenn man sich vor¬ stellt, wie von etwa dreißig Sitzen dieser Loge die gepuderten Perücken des Hoch¬ wohlweisen Rats in das mit Kleinbürgern und Tuchmachergesellen gefüllte Schiff hinunternickten, so hat mau ein Bild der vergangnen Lnckauer Herrlichkeit. Wir verließen die Stadt in westlicher Richtung und passierten dabei eine be¬ festigte Brücke, die nach dem Vororte Santo hinüberführte; auch auf den nach Zöllmersdorf zu liegenden Höhen sind Reste der Napoleonischen Schanzen erhalten. In genau westlicher Fahrt erreichten wir den Eisenbahnknotenpunkt Atro, ehedem ein Dorf der Herrschaft Sonnewalde, aus älterer Zeit dadurch bekannt, daß sich hier die Bauern 1548 gegen Franz von Minkwitz empörten, der ihre Lasten eigen¬ mächtig erhöhen wollte. Die Niederlausitzer Minkwitze waren im sechzehnten Jahr¬ hundert überhaupt ein gewalttätiges Geschlecht: berühmt ist vor allem die Fehde, die Nickel Minkwitz 1528 bis 1534 gegen den Bischof von Lebus und gegen den Kurfürsten Joachim den Ersten von Brandenburg gehabt hat. Von Atro kamen wir über einen schön mit Kiefern bewaldeten Landrücken hinunter in die fruchtbaren Gefilde von Dahme. Auch dieses Städtchen hat seine kursächsischen Erinnerungen. Das Schloß, das jetzt die landwirtschaftliche Schule enthält, war ehedem der Witwensitz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels. Friedrich, der Sohn des Herzogs August (1657 bis 1680), baute es neu und starb hier 1715. Auch Johann Adolf der Zweite, der den Schloßgarten anlegte, hat oft hier re¬ sidiert. Kurfürst Friedrich August der Gerechte übernachtete hier, als er 1769 zur Huldigung nach Lübben und nach Wittenberg fuhr, und dann abermals am 27. No¬ vember und am 3. Dezember 1806 auf der Reise nach Berlin und von Berlin heimwärts, nachdem er dort dem korsischen Emporkömmling hatte huldigen müssen. Auch in den Kämpfen des Jahres 1813 spielte Dahme eine Rolle: nach der Schlacht von Dennewitz nahm der preußische General Wobser hier am 7. September sechs¬ tausend Franzosen gefangen. Unser nächstes Ziel war das Dorf Lebusa, das wahrscheinlich mit dem von Thietmar vou Merseburg erwähnten großen slawischen Orte Liubussua identisch ist. Thietmar erzählt, König Heinrich habe im Jahre 932 Liubussua, eine Stadt von zehntausend Einwohnern mit zwölf Toren und einer kleinern Befestigung, belagert und zerstört. Danach habe der Ort lange wüst gelegen, aber König Heinrich der Zweite habe ihn 1011 von neuem befestigt, um ihn als einen Vorposten gegen die in die Lausitz eingedrungnen Polen zu verwenden. Wir waren gespannt, ob loir Spuren des alten Ortes oder der Befestigung in dem Gelände von Lebusa finden könnten, und zwar um so mehr, weil hier weder durch Stadtanlagen noch durch Bahnbauten durchgreifende Veränderungen vorge¬ nommen worden siud. Als wir aus dem Waldgürtel, der Dahme von Lebusa trennt, hervortauchten und das Dorf in einiger Entfernung vor uns sahen, nahm ein sich links von der Straße von West nach Ost langsm erstreckender Hügel unsre Aufmerksamkeit in An¬ spruch, der das ganze vor uns ausgebreitete Gelände strategisch beherrscht. Wir beschritten ihn bis zum Ende, wo er wie eine steile Böschung in mehreren Bastionen zur Ebene abstürzt. Huudertundfünfzig Schritt von da ans rückwärts nach der Straße zu steht ein wilder Birnbaum, von dem man eine herrliche Umsicht auf das von dunkelgrünen Wäldern begrenzte Rund genießt. Im Vordergründe zu unser» Füßen, etwa fünfhundert Meter von uns entfernt, ruht das Dorf Lebusa in thüringischer Lieblichkeit zwischen lauschigen Wipfeln um den schlanken Kirchturm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/769
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/769>, abgerufen am 20.05.2024.