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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die kleine Marina und ihr Gemahl

Er wollte es nicht sagen, denn dazu war er zu stolz, auch nahm es sich so
sonderbar aus hier in Paris, wo sich alle amüsierten, aber er fühlte sich wie ein
Landflüchtiger, und es war ihm, als müsse er sterben, wenn er nicht nach El Viso
zurückkäme.

Der französische Arzt kam jeden Tag; er saß da und sah zu der Decke hinauf,
wenn er seinen Puls fühlte -- Frasquito fand, daß er den Doktoren in Molieres
Komödien glich --, und nahm zwischen jedem zweiten Worte eine Prise. Deshalb
war auch nie ein rechter Zusammenhang in dem, was er sagte. Es war nie etwas
andres als Monsieur le Marquis -- Monsieur le Marquis . . . Kein Mensch
konnte einen vernünftigen Satz aus ihm herausbringen: nur "hin" und "ha" und
Monsieur le Marquis, und dann nieste er.

Aber eines Tags ließ er sich bei der Herzogin von Jnfcmtado melden, und
mit ein paar demütigen und bekümmerten kleinen, rotgeränderten Augen, mit vielen
Dienern und Kratzfüßen, ängstlich, einen einzigen von allen den hohen Titeln der
spanischen Dame und des vornehmen Patienten zu vergessen, kam er endlich damit
heraus, daß er sür nichts mehr einstehn könne. Es fänden sich schwarze Flüssig¬
keiten in dem Blute des jungen Marquis: er sei attsint als ins^nobolis, und das
sei eine böse und traurige Krankheit -- la inülaneuolio --, die das Jesuskind und
die heilige Jungfrau vielleicht heilen konnten, der aber keine menschliche Macht
Einhalt zu gebieten vermöchte. Und wenn es ihm gestattet wäre, einen demütigen
Rat zu erteilen -- hier kroch und dienerte er noch mehr als bisher, und die
schwimmenden Augen sahen noch bekümmerter aus --, so wolle er in aller Be¬
scheidenheit den Vorschlag machen, daß der Vater des hohen Patienten, der Marquis
Von Santa Cruz, sobald wie möglich nach Paris gerufen werde.

Dona Maria Leopoldina saß im Salon bei ihrer Mutter, als Maitre Bar¬
thole endlich fand, daß fein Gewissen ihn zwinge, zu reden. Sie saßen beide und
Selekten an einer Altardecke für das Santa Hermcmdadkloster bei Guadalajara. Als
die Herzogin endlich begriffen hatte, was der gute und demütige Doktor meinte,
ließ sie das goldverbrämte Stück Sammet -- die Tochter nähte an dem einen
Ende der Decke und die Mutter an dem andern -- zu Boden fallen, und indem
sie Meister Barthole winkte, ihr zu folgen, begab sie sich sofort zu ihrem
Schwiegersohne.

Marien war allein in dem großen Saale. Sie erhob sich nicht sogleich,
sondern beugte sich nieder und legte die Altardecke und alle Nähutensilien ordent¬
lich zusammen. Dann stand sie auf, und die Hände auf dem Rücken fing sie an,
auf dem gebohrten Fußboden auf und nieder zu gehn. Erst langsam -- den linken
Fuß auf einer dunkeln Tafel, den rechten auf einer hellen --, sie wiegte den
Körper hin und her, während sie ging, sie reckte sich, bog sich nach den Seiten,
bestrebte sich, Balance zu halten, um auf der Tafelreihe zu bleiben, auf der zu
gehn sie sich vorgenommen hatte. Und das nahm sie so in Anspruch -- sie hatte
den ganzen Vormittag gesessen und war zweimal in der Messe gewesen --, daß
sie lange Zeit an nichts weiter dachte.

Dann wurde sie müde. Der Schnürleib, die langen Röcke mit den schweren
Falbeln und die engen Schuhe mit den hohen Absätzen genierten sie und hinderten
ihre gymnastischen Bewegungen. Sie reckte die Arme über dem Kopf in die Höhe,
sodaß es in der Kleidertaille krachte, gähnte ein paarmal, stemmte die Hände vor
dem Spiegel in die Seiten, um zu messen, wie schmal ihr Taillenumfang sei . . .
bis sie plötzlich mit schlaff herabhängenden Armen und gesenktem Kopf in eine tiefe
und würdige Reverenz vor ihrem eignen Spiegelbilde versank.

In demselben Augenblicke fing sie an, daran zu denken -- und eigentlich
hatte sie ja die ganze Zeit daran gedacht, obwohl sie nicht hatte denken wollen --,
was eigentlich geschehen war: daß der Doktor gekommen war und so viele Mätzchen
gemacht und so drollig ausgesehen hatte, daß sie sich anfangs des Lachens kaum
hatte enthalten können, und daß er dann endlich gesagt hatte, es müsse nach dem


Die kleine Marina und ihr Gemahl

Er wollte es nicht sagen, denn dazu war er zu stolz, auch nahm es sich so
sonderbar aus hier in Paris, wo sich alle amüsierten, aber er fühlte sich wie ein
Landflüchtiger, und es war ihm, als müsse er sterben, wenn er nicht nach El Viso
zurückkäme.

Der französische Arzt kam jeden Tag; er saß da und sah zu der Decke hinauf,
wenn er seinen Puls fühlte — Frasquito fand, daß er den Doktoren in Molieres
Komödien glich —, und nahm zwischen jedem zweiten Worte eine Prise. Deshalb
war auch nie ein rechter Zusammenhang in dem, was er sagte. Es war nie etwas
andres als Monsieur le Marquis — Monsieur le Marquis . . . Kein Mensch
konnte einen vernünftigen Satz aus ihm herausbringen: nur „hin" und „ha" und
Monsieur le Marquis, und dann nieste er.

Aber eines Tags ließ er sich bei der Herzogin von Jnfcmtado melden, und
mit ein paar demütigen und bekümmerten kleinen, rotgeränderten Augen, mit vielen
Dienern und Kratzfüßen, ängstlich, einen einzigen von allen den hohen Titeln der
spanischen Dame und des vornehmen Patienten zu vergessen, kam er endlich damit
heraus, daß er sür nichts mehr einstehn könne. Es fänden sich schwarze Flüssig¬
keiten in dem Blute des jungen Marquis: er sei attsint als ins^nobolis, und das
sei eine böse und traurige Krankheit — la inülaneuolio —, die das Jesuskind und
die heilige Jungfrau vielleicht heilen konnten, der aber keine menschliche Macht
Einhalt zu gebieten vermöchte. Und wenn es ihm gestattet wäre, einen demütigen
Rat zu erteilen — hier kroch und dienerte er noch mehr als bisher, und die
schwimmenden Augen sahen noch bekümmerter aus —, so wolle er in aller Be¬
scheidenheit den Vorschlag machen, daß der Vater des hohen Patienten, der Marquis
Von Santa Cruz, sobald wie möglich nach Paris gerufen werde.

Dona Maria Leopoldina saß im Salon bei ihrer Mutter, als Maitre Bar¬
thole endlich fand, daß fein Gewissen ihn zwinge, zu reden. Sie saßen beide und
Selekten an einer Altardecke für das Santa Hermcmdadkloster bei Guadalajara. Als
die Herzogin endlich begriffen hatte, was der gute und demütige Doktor meinte,
ließ sie das goldverbrämte Stück Sammet — die Tochter nähte an dem einen
Ende der Decke und die Mutter an dem andern — zu Boden fallen, und indem
sie Meister Barthole winkte, ihr zu folgen, begab sie sich sofort zu ihrem
Schwiegersohne.

Marien war allein in dem großen Saale. Sie erhob sich nicht sogleich,
sondern beugte sich nieder und legte die Altardecke und alle Nähutensilien ordent¬
lich zusammen. Dann stand sie auf, und die Hände auf dem Rücken fing sie an,
auf dem gebohrten Fußboden auf und nieder zu gehn. Erst langsam — den linken
Fuß auf einer dunkeln Tafel, den rechten auf einer hellen —, sie wiegte den
Körper hin und her, während sie ging, sie reckte sich, bog sich nach den Seiten,
bestrebte sich, Balance zu halten, um auf der Tafelreihe zu bleiben, auf der zu
gehn sie sich vorgenommen hatte. Und das nahm sie so in Anspruch — sie hatte
den ganzen Vormittag gesessen und war zweimal in der Messe gewesen —, daß
sie lange Zeit an nichts weiter dachte.

Dann wurde sie müde. Der Schnürleib, die langen Röcke mit den schweren
Falbeln und die engen Schuhe mit den hohen Absätzen genierten sie und hinderten
ihre gymnastischen Bewegungen. Sie reckte die Arme über dem Kopf in die Höhe,
sodaß es in der Kleidertaille krachte, gähnte ein paarmal, stemmte die Hände vor
dem Spiegel in die Seiten, um zu messen, wie schmal ihr Taillenumfang sei . . .
bis sie plötzlich mit schlaff herabhängenden Armen und gesenktem Kopf in eine tiefe
und würdige Reverenz vor ihrem eignen Spiegelbilde versank.

In demselben Augenblicke fing sie an, daran zu denken — und eigentlich
hatte sie ja die ganze Zeit daran gedacht, obwohl sie nicht hatte denken wollen —,
was eigentlich geschehen war: daß der Doktor gekommen war und so viele Mätzchen
gemacht und so drollig ausgesehen hatte, daß sie sich anfangs des Lachens kaum
hatte enthalten können, und daß er dann endlich gesagt hatte, es müsse nach dem


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[0173] Die kleine Marina und ihr Gemahl Er wollte es nicht sagen, denn dazu war er zu stolz, auch nahm es sich so sonderbar aus hier in Paris, wo sich alle amüsierten, aber er fühlte sich wie ein Landflüchtiger, und es war ihm, als müsse er sterben, wenn er nicht nach El Viso zurückkäme. Der französische Arzt kam jeden Tag; er saß da und sah zu der Decke hinauf, wenn er seinen Puls fühlte — Frasquito fand, daß er den Doktoren in Molieres Komödien glich —, und nahm zwischen jedem zweiten Worte eine Prise. Deshalb war auch nie ein rechter Zusammenhang in dem, was er sagte. Es war nie etwas andres als Monsieur le Marquis — Monsieur le Marquis . . . Kein Mensch konnte einen vernünftigen Satz aus ihm herausbringen: nur „hin" und „ha" und Monsieur le Marquis, und dann nieste er. Aber eines Tags ließ er sich bei der Herzogin von Jnfcmtado melden, und mit ein paar demütigen und bekümmerten kleinen, rotgeränderten Augen, mit vielen Dienern und Kratzfüßen, ängstlich, einen einzigen von allen den hohen Titeln der spanischen Dame und des vornehmen Patienten zu vergessen, kam er endlich damit heraus, daß er sür nichts mehr einstehn könne. Es fänden sich schwarze Flüssig¬ keiten in dem Blute des jungen Marquis: er sei attsint als ins^nobolis, und das sei eine böse und traurige Krankheit — la inülaneuolio —, die das Jesuskind und die heilige Jungfrau vielleicht heilen konnten, der aber keine menschliche Macht Einhalt zu gebieten vermöchte. Und wenn es ihm gestattet wäre, einen demütigen Rat zu erteilen — hier kroch und dienerte er noch mehr als bisher, und die schwimmenden Augen sahen noch bekümmerter aus —, so wolle er in aller Be¬ scheidenheit den Vorschlag machen, daß der Vater des hohen Patienten, der Marquis Von Santa Cruz, sobald wie möglich nach Paris gerufen werde. Dona Maria Leopoldina saß im Salon bei ihrer Mutter, als Maitre Bar¬ thole endlich fand, daß fein Gewissen ihn zwinge, zu reden. Sie saßen beide und Selekten an einer Altardecke für das Santa Hermcmdadkloster bei Guadalajara. Als die Herzogin endlich begriffen hatte, was der gute und demütige Doktor meinte, ließ sie das goldverbrämte Stück Sammet — die Tochter nähte an dem einen Ende der Decke und die Mutter an dem andern — zu Boden fallen, und indem sie Meister Barthole winkte, ihr zu folgen, begab sie sich sofort zu ihrem Schwiegersohne. Marien war allein in dem großen Saale. Sie erhob sich nicht sogleich, sondern beugte sich nieder und legte die Altardecke und alle Nähutensilien ordent¬ lich zusammen. Dann stand sie auf, und die Hände auf dem Rücken fing sie an, auf dem gebohrten Fußboden auf und nieder zu gehn. Erst langsam — den linken Fuß auf einer dunkeln Tafel, den rechten auf einer hellen —, sie wiegte den Körper hin und her, während sie ging, sie reckte sich, bog sich nach den Seiten, bestrebte sich, Balance zu halten, um auf der Tafelreihe zu bleiben, auf der zu gehn sie sich vorgenommen hatte. Und das nahm sie so in Anspruch — sie hatte den ganzen Vormittag gesessen und war zweimal in der Messe gewesen —, daß sie lange Zeit an nichts weiter dachte. Dann wurde sie müde. Der Schnürleib, die langen Röcke mit den schweren Falbeln und die engen Schuhe mit den hohen Absätzen genierten sie und hinderten ihre gymnastischen Bewegungen. Sie reckte die Arme über dem Kopf in die Höhe, sodaß es in der Kleidertaille krachte, gähnte ein paarmal, stemmte die Hände vor dem Spiegel in die Seiten, um zu messen, wie schmal ihr Taillenumfang sei . . . bis sie plötzlich mit schlaff herabhängenden Armen und gesenktem Kopf in eine tiefe und würdige Reverenz vor ihrem eignen Spiegelbilde versank. In demselben Augenblicke fing sie an, daran zu denken — und eigentlich hatte sie ja die ganze Zeit daran gedacht, obwohl sie nicht hatte denken wollen —, was eigentlich geschehen war: daß der Doktor gekommen war und so viele Mätzchen gemacht und so drollig ausgesehen hatte, daß sie sich anfangs des Lachens kaum hatte enthalten können, und daß er dann endlich gesagt hatte, es müsse nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/173>, abgerufen am 12.05.2024.