Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches das Ergebnis dieser Ermittlung lautet nun: immer entschiedner wenden sich die Gerade entgegengesetzt, ganz und gar nicht heroisch denkt Dr. Hjalmar Der unsern Lesern bekannte Dr. Adolf Völliger, Professor an der Universität *) Obwohl in der poetischen Literatur sehr bewandert, verwechselt er S, 80 Peter <i
mit Friedrich Hebbel. Maßgebliches und Unmaßgebliches das Ergebnis dieser Ermittlung lautet nun: immer entschiedner wenden sich die Gerade entgegengesetzt, ganz und gar nicht heroisch denkt Dr. Hjalmar Der unsern Lesern bekannte Dr. Adolf Völliger, Professor an der Universität *) Obwohl in der poetischen Literatur sehr bewandert, verwechselt er S, 80 Peter <i
mit Friedrich Hebbel. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294600"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_752" prev="#ID_751"> das Ergebnis dieser Ermittlung lautet nun: immer entschiedner wenden sich die<lb/> Geister vom materialistischen Monismus ab. Gleichviel ob sie Theisten, Pantheisten<lb/> oder Atheisten sind, an ein Jenseits glauben oder es leugnen, in dem Rufe sind<lb/> sie alle einig: Laßt uns in Ruhe mit euern Atomen und Amöben, mit eurer ganzen<lb/> theoretischen Naturerkenntnts! Wir sind Menschen, haben menschliche Bedürfnisse<lb/> und verlangen nach menschlicher Betätigung und menschlichem Glück; nicht als willen¬<lb/> lose Naturprodukte fühlen wir uns, sondern glauben uns berufen, die Natur zu<lb/> gebrauchen; nicht aus der Natur ist der Geist, sondern aus dem Geiste ist die<lb/> Natur zu erklären. Ludwig Kuhlenbeck (Im Hochland der Gedankenwelt.<lb/> Grundzüge einer heroisch-ästhetischen*) Weltanschauung; Leipzig, Eugen Diederichs,<lb/> 1903) verehrt Giordano Bruno, den er übersetzt, als Meister, daneben Lotze. Das<lb/> Bewußte ist ihm das substantielle, das allein wahrhaft Seiende, das völlig Un¬<lb/> bewußte ein reines Nichts. „Es ist ein harter, anstößiger Gedanke, daß ein per¬<lb/> sönlicher Gott lebendige Persönlichkeiten aus dem Nichts gezaubert habe. Aber<lb/> dieser Gedanke ist nicht anstößiger, vielmehr, da wenigstens ein Zauberer voraus¬<lb/> gesetzt wird, mir immerhin noch konvenienter als der kraß materialistische, daß das<lb/> leblose Nichts der bloßen Chemikalien sich von selber zu einer lebendigen Per¬<lb/> sönlichkeit umwandte; und, offen herausgesagt, etwas von diesem Zauberelement des<lb/> Nichts steckt in allen jenen Welt- und Lebensauffassungen, die die Ursache dynamisch,<lb/> physiologisch und psychologisch minderwertiger sein lassen als ihre Wirkung." Am<lb/> Schluß verkündigt er das „Evangelium der Rasse" nach Gobineau und mahnt: „Nur<lb/> durch das Vaterland und im Vaterlande kannst du der Menschheit und deiner<lb/> Menschlichkeit dienen____ Mit deinem Volke mußt du stehn und fallen.... Jegliche<lb/> Philosophie, die dich diesem entziehn will, ist Pessimismus, d.h. Schlechtigkeitslehre."</p><lb/> <p xml:id="ID_753"> Gerade entgegengesetzt, ganz und gar nicht heroisch denkt Dr. Hjalmar<lb/> Kjölenson. (Vom Glück und dem neuen Menschen. Grundzüge sür neue<lb/> seiner neuen!^ Lebensführung. Leipzig, Richard Wöpke, 1903.) Er predigt einen<lb/> raffinierter Epikureismus, obwohl er von Sekten überhaupt und auch von der<lb/> epikureischen nichts wissen will, und gibt Anleitungen zu einer klugen Lebens¬<lb/> führung und Seelendiätetik, die nicht unnütz wären, wenn man sie nicht schon<lb/> hundertmal von andern vernommen hätte. Der Mensch soll nichts wollen als<lb/> glücklich sein; einseitige Verstandeskultur, viel wissen, viel philosophieren führt vom<lb/> Glück ab; Politik ist ein Giftpilz, der die „wohlige Seelenstimmung" tötet; und<lb/> ein Feind des Lebens ist, wer die Pflichterfüllung auf jedem Platz, auf den man<lb/> gestellt ist, die Unterwerfung unter jedes Schicksal für höchste Sittlichkeit ansieht.<lb/> Des Verfassers höchstes Ideal ist Goethe; Goethemenschen sollen wir alle werden;<lb/> darum muß eine Goethepräparcmdie eingerichtet und müssen Massenwanderungen<lb/> nach Weimar zu dem Goethetage veranstaltet werden, der alljährlich zu Pfingsten<lb/> stattfindet. Übern Schreiben scheint Kjölenson das von ihm selbst eingangs ange¬<lb/> führte Geständnis Goethes vergessen zu haben, daß er in fünfundsiebzig Jahren<lb/> keine vier Wochen eigentliches Behagen genossen habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_754" next="#ID_755"> Der unsern Lesern bekannte Dr. Adolf Völliger, Professor an der Universität<lb/> Basel, spendet Drei ewige Lichter: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, als Gegenstände<lb/> der Erkenntnis dargestellt (Berlin, Georg Reimer, 1903). Er protestiert ganz ent¬<lb/> schieden gegen die kantische Verweisung der metaphysischen Ideen aus dem Gebiete<lb/> der Erfahrung und des Wissens in das der praktischen Vernunft und ist überzeugt,<lb/> daß ihre Wirklichkeit erwiesen werden könne und müsse. Den Kern seines Gottes¬<lb/> beweises entnimmt er Lotze und faßt ihn in die drei Sätze zusammen: „Es liegt<lb/> in der Welt das schlechthin universale Faktum der Wechselwirkung vor stellt Be¬<lb/> standteil der Welt ist denkbar ohne alle übrigen Bestandteiles; diese Wechselwirkung<lb/> ist nur als ein den Weltelementen immanentes Geschehn verständlich; das den Welt¬<lb/> elementen immanente Geschehn ist nur möglich durch ein alle Elemente in sich</p><lb/> <note xml:id="FID_18" place="foot"> *) Obwohl in der poetischen Literatur sehr bewandert, verwechselt er S, 80 Peter <i<lb/> mit Friedrich Hebbel.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0183]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
das Ergebnis dieser Ermittlung lautet nun: immer entschiedner wenden sich die
Geister vom materialistischen Monismus ab. Gleichviel ob sie Theisten, Pantheisten
oder Atheisten sind, an ein Jenseits glauben oder es leugnen, in dem Rufe sind
sie alle einig: Laßt uns in Ruhe mit euern Atomen und Amöben, mit eurer ganzen
theoretischen Naturerkenntnts! Wir sind Menschen, haben menschliche Bedürfnisse
und verlangen nach menschlicher Betätigung und menschlichem Glück; nicht als willen¬
lose Naturprodukte fühlen wir uns, sondern glauben uns berufen, die Natur zu
gebrauchen; nicht aus der Natur ist der Geist, sondern aus dem Geiste ist die
Natur zu erklären. Ludwig Kuhlenbeck (Im Hochland der Gedankenwelt.
Grundzüge einer heroisch-ästhetischen*) Weltanschauung; Leipzig, Eugen Diederichs,
1903) verehrt Giordano Bruno, den er übersetzt, als Meister, daneben Lotze. Das
Bewußte ist ihm das substantielle, das allein wahrhaft Seiende, das völlig Un¬
bewußte ein reines Nichts. „Es ist ein harter, anstößiger Gedanke, daß ein per¬
sönlicher Gott lebendige Persönlichkeiten aus dem Nichts gezaubert habe. Aber
dieser Gedanke ist nicht anstößiger, vielmehr, da wenigstens ein Zauberer voraus¬
gesetzt wird, mir immerhin noch konvenienter als der kraß materialistische, daß das
leblose Nichts der bloßen Chemikalien sich von selber zu einer lebendigen Per¬
sönlichkeit umwandte; und, offen herausgesagt, etwas von diesem Zauberelement des
Nichts steckt in allen jenen Welt- und Lebensauffassungen, die die Ursache dynamisch,
physiologisch und psychologisch minderwertiger sein lassen als ihre Wirkung." Am
Schluß verkündigt er das „Evangelium der Rasse" nach Gobineau und mahnt: „Nur
durch das Vaterland und im Vaterlande kannst du der Menschheit und deiner
Menschlichkeit dienen____ Mit deinem Volke mußt du stehn und fallen.... Jegliche
Philosophie, die dich diesem entziehn will, ist Pessimismus, d.h. Schlechtigkeitslehre."
Gerade entgegengesetzt, ganz und gar nicht heroisch denkt Dr. Hjalmar
Kjölenson. (Vom Glück und dem neuen Menschen. Grundzüge sür neue
seiner neuen!^ Lebensführung. Leipzig, Richard Wöpke, 1903.) Er predigt einen
raffinierter Epikureismus, obwohl er von Sekten überhaupt und auch von der
epikureischen nichts wissen will, und gibt Anleitungen zu einer klugen Lebens¬
führung und Seelendiätetik, die nicht unnütz wären, wenn man sie nicht schon
hundertmal von andern vernommen hätte. Der Mensch soll nichts wollen als
glücklich sein; einseitige Verstandeskultur, viel wissen, viel philosophieren führt vom
Glück ab; Politik ist ein Giftpilz, der die „wohlige Seelenstimmung" tötet; und
ein Feind des Lebens ist, wer die Pflichterfüllung auf jedem Platz, auf den man
gestellt ist, die Unterwerfung unter jedes Schicksal für höchste Sittlichkeit ansieht.
Des Verfassers höchstes Ideal ist Goethe; Goethemenschen sollen wir alle werden;
darum muß eine Goethepräparcmdie eingerichtet und müssen Massenwanderungen
nach Weimar zu dem Goethetage veranstaltet werden, der alljährlich zu Pfingsten
stattfindet. Übern Schreiben scheint Kjölenson das von ihm selbst eingangs ange¬
führte Geständnis Goethes vergessen zu haben, daß er in fünfundsiebzig Jahren
keine vier Wochen eigentliches Behagen genossen habe.
Der unsern Lesern bekannte Dr. Adolf Völliger, Professor an der Universität
Basel, spendet Drei ewige Lichter: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, als Gegenstände
der Erkenntnis dargestellt (Berlin, Georg Reimer, 1903). Er protestiert ganz ent¬
schieden gegen die kantische Verweisung der metaphysischen Ideen aus dem Gebiete
der Erfahrung und des Wissens in das der praktischen Vernunft und ist überzeugt,
daß ihre Wirklichkeit erwiesen werden könne und müsse. Den Kern seines Gottes¬
beweises entnimmt er Lotze und faßt ihn in die drei Sätze zusammen: „Es liegt
in der Welt das schlechthin universale Faktum der Wechselwirkung vor stellt Be¬
standteil der Welt ist denkbar ohne alle übrigen Bestandteiles; diese Wechselwirkung
ist nur als ein den Weltelementen immanentes Geschehn verständlich; das den Welt¬
elementen immanente Geschehn ist nur möglich durch ein alle Elemente in sich
*) Obwohl in der poetischen Literatur sehr bewandert, verwechselt er S, 80 Peter <i
mit Friedrich Hebbel.
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