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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Lhamberlains britische Reichspolitik

Vereinigten Staaten wegen der Fischerei im Beringmeer aus. Daran schloß
sich ein solcher zwischen Kanada und Neufundland. Dieses hatte über die
Fischereigerechtsame ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten getroffen, das
nun von England genehmigt werden sollte, und zugleich kam es wegen der¬
selben Angelegenheit in Streit mit Frankreich, der erst in diesen Tagen durch
das englisch-französische Abkommen über Marokko vorläufig beendet ist. Frank¬
reich besitzt an der Südküste Neufundlands die Inseln Se. Pierre und Miquelon,
von wo aus Fischfang und in noch größerm Umfange Schmuggel getrieben
wird. Es hat auch immer das Privileg in Anspruch genommen, an der Küste
von Neufundland selbst Fischfang zu treiben, doch gaben die Neufundländer
keinen Köder ab. Daraus entsprangen endlose Streitigkeiten. Frankreich verzichtet
jetzt auf das Recht, die gefangnen Fische am Ufer zu trocknen, behält aber
das Fischereirecht an der ganzen Küste samt dem bisher ebenfalls bestrittnen
Rechte des Hummerfangs. Dafür müssen ihm die Neufundländer künftig Köder
verkaufen. Für den Verzicht auf die Uferbenutzung zum Trocknen der Fische
soll Frankreich eine noch festzusetzende Entschädigung erhalten. Ob Neufundland
das oben erwähnte Abkommen zwischen England und Frankreich sehr angenehm
empfindet, wird die nächste Zeit lehren. Bei dem Abkommen 1891 zwischen
Neufundland und den Vereinigten Staaten handelte es sich um ähnliche Rechte.*)
Gegen dieses Abkommen von 1891 mit den Vereinigten Staaten erhob Kanada
Einspruch, und England versagte die Genehmigung. Aber weder dieser Ent¬
scheidung noch der Lösung des Streites mit Frankreich, den England auf eigne
Hand herbeigeführt hatte, fügte sich Neufundland, und England hatte hier
Gelegenheit, die Grenzen seiner Macht über die Kolonien zu erkennen. Neu¬
fundland kehrte seinen Unwillen gegen Kanada und eröffnete einen Zollkrieg
gegen diese Kolonie.

Zu derselben Zeit (1891) war eine innere Krisis in Kanada ausgebrochen.
Dieses war durch die Schutzzollpolitik der Vereinigten Staaten, durch die Mac
Kinleybill, schwer geschädigt, und um diese Schäden abzuwehren, trat die liberale
Partei in Kanada für einen Handelsvertrag mit vollem gegenseitigen Freihandel
mit den Vereinigten Staaten ein, d. h. für einen Zollverein zwischen beiden
Ländern. Daß dieser Zollverein seine Spitze gegen England kehren mußte, daß
dem Zollverein auch der politische Anschluß folgen würde, war ebenso klar, wie
daß Kanada seine junge Industrie gegenüber dem freien Wettbewerb der Ver¬
einigten Staaten nicht würde halten können. Die konservative Partei Kanadas
stemmte sich also mit aller Macht gegen den Plan, und es entspann sich ein
erbitterter Kampf der Parteien, bei dem nichts weniger als die Zukunft des
englischen Weltreichs auf dem Spiele stand. Endlich siegten die Konservativen
unter dem Minister Macdonald, dem dieser Kampf tatsächlich das Leben kostete,
und Kanada blieb selbständig.

Es hat also schon in früherer Zeit an Kämpfen um die Erhaltung Kanadas
nicht gefehlt. In neuester Zeit hat nun in Kanada die Aufhebung der infolge
des südafrikanischen Kriegs in England eingeführten Getreidezölle peinlich be-



*) Vergl. den Grenzbotenartikel: Neufundland und das englisch-französische Abkommen
in Nummer 26,
Lhamberlains britische Reichspolitik

Vereinigten Staaten wegen der Fischerei im Beringmeer aus. Daran schloß
sich ein solcher zwischen Kanada und Neufundland. Dieses hatte über die
Fischereigerechtsame ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten getroffen, das
nun von England genehmigt werden sollte, und zugleich kam es wegen der¬
selben Angelegenheit in Streit mit Frankreich, der erst in diesen Tagen durch
das englisch-französische Abkommen über Marokko vorläufig beendet ist. Frank¬
reich besitzt an der Südküste Neufundlands die Inseln Se. Pierre und Miquelon,
von wo aus Fischfang und in noch größerm Umfange Schmuggel getrieben
wird. Es hat auch immer das Privileg in Anspruch genommen, an der Küste
von Neufundland selbst Fischfang zu treiben, doch gaben die Neufundländer
keinen Köder ab. Daraus entsprangen endlose Streitigkeiten. Frankreich verzichtet
jetzt auf das Recht, die gefangnen Fische am Ufer zu trocknen, behält aber
das Fischereirecht an der ganzen Küste samt dem bisher ebenfalls bestrittnen
Rechte des Hummerfangs. Dafür müssen ihm die Neufundländer künftig Köder
verkaufen. Für den Verzicht auf die Uferbenutzung zum Trocknen der Fische
soll Frankreich eine noch festzusetzende Entschädigung erhalten. Ob Neufundland
das oben erwähnte Abkommen zwischen England und Frankreich sehr angenehm
empfindet, wird die nächste Zeit lehren. Bei dem Abkommen 1891 zwischen
Neufundland und den Vereinigten Staaten handelte es sich um ähnliche Rechte.*)
Gegen dieses Abkommen von 1891 mit den Vereinigten Staaten erhob Kanada
Einspruch, und England versagte die Genehmigung. Aber weder dieser Ent¬
scheidung noch der Lösung des Streites mit Frankreich, den England auf eigne
Hand herbeigeführt hatte, fügte sich Neufundland, und England hatte hier
Gelegenheit, die Grenzen seiner Macht über die Kolonien zu erkennen. Neu¬
fundland kehrte seinen Unwillen gegen Kanada und eröffnete einen Zollkrieg
gegen diese Kolonie.

Zu derselben Zeit (1891) war eine innere Krisis in Kanada ausgebrochen.
Dieses war durch die Schutzzollpolitik der Vereinigten Staaten, durch die Mac
Kinleybill, schwer geschädigt, und um diese Schäden abzuwehren, trat die liberale
Partei in Kanada für einen Handelsvertrag mit vollem gegenseitigen Freihandel
mit den Vereinigten Staaten ein, d. h. für einen Zollverein zwischen beiden
Ländern. Daß dieser Zollverein seine Spitze gegen England kehren mußte, daß
dem Zollverein auch der politische Anschluß folgen würde, war ebenso klar, wie
daß Kanada seine junge Industrie gegenüber dem freien Wettbewerb der Ver¬
einigten Staaten nicht würde halten können. Die konservative Partei Kanadas
stemmte sich also mit aller Macht gegen den Plan, und es entspann sich ein
erbitterter Kampf der Parteien, bei dem nichts weniger als die Zukunft des
englischen Weltreichs auf dem Spiele stand. Endlich siegten die Konservativen
unter dem Minister Macdonald, dem dieser Kampf tatsächlich das Leben kostete,
und Kanada blieb selbständig.

Es hat also schon in früherer Zeit an Kämpfen um die Erhaltung Kanadas
nicht gefehlt. In neuester Zeit hat nun in Kanada die Aufhebung der infolge
des südafrikanischen Kriegs in England eingeführten Getreidezölle peinlich be-



*) Vergl. den Grenzbotenartikel: Neufundland und das englisch-französische Abkommen
in Nummer 26,
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[0258] Lhamberlains britische Reichspolitik Vereinigten Staaten wegen der Fischerei im Beringmeer aus. Daran schloß sich ein solcher zwischen Kanada und Neufundland. Dieses hatte über die Fischereigerechtsame ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten getroffen, das nun von England genehmigt werden sollte, und zugleich kam es wegen der¬ selben Angelegenheit in Streit mit Frankreich, der erst in diesen Tagen durch das englisch-französische Abkommen über Marokko vorläufig beendet ist. Frank¬ reich besitzt an der Südküste Neufundlands die Inseln Se. Pierre und Miquelon, von wo aus Fischfang und in noch größerm Umfange Schmuggel getrieben wird. Es hat auch immer das Privileg in Anspruch genommen, an der Küste von Neufundland selbst Fischfang zu treiben, doch gaben die Neufundländer keinen Köder ab. Daraus entsprangen endlose Streitigkeiten. Frankreich verzichtet jetzt auf das Recht, die gefangnen Fische am Ufer zu trocknen, behält aber das Fischereirecht an der ganzen Küste samt dem bisher ebenfalls bestrittnen Rechte des Hummerfangs. Dafür müssen ihm die Neufundländer künftig Köder verkaufen. Für den Verzicht auf die Uferbenutzung zum Trocknen der Fische soll Frankreich eine noch festzusetzende Entschädigung erhalten. Ob Neufundland das oben erwähnte Abkommen zwischen England und Frankreich sehr angenehm empfindet, wird die nächste Zeit lehren. Bei dem Abkommen 1891 zwischen Neufundland und den Vereinigten Staaten handelte es sich um ähnliche Rechte.*) Gegen dieses Abkommen von 1891 mit den Vereinigten Staaten erhob Kanada Einspruch, und England versagte die Genehmigung. Aber weder dieser Ent¬ scheidung noch der Lösung des Streites mit Frankreich, den England auf eigne Hand herbeigeführt hatte, fügte sich Neufundland, und England hatte hier Gelegenheit, die Grenzen seiner Macht über die Kolonien zu erkennen. Neu¬ fundland kehrte seinen Unwillen gegen Kanada und eröffnete einen Zollkrieg gegen diese Kolonie. Zu derselben Zeit (1891) war eine innere Krisis in Kanada ausgebrochen. Dieses war durch die Schutzzollpolitik der Vereinigten Staaten, durch die Mac Kinleybill, schwer geschädigt, und um diese Schäden abzuwehren, trat die liberale Partei in Kanada für einen Handelsvertrag mit vollem gegenseitigen Freihandel mit den Vereinigten Staaten ein, d. h. für einen Zollverein zwischen beiden Ländern. Daß dieser Zollverein seine Spitze gegen England kehren mußte, daß dem Zollverein auch der politische Anschluß folgen würde, war ebenso klar, wie daß Kanada seine junge Industrie gegenüber dem freien Wettbewerb der Ver¬ einigten Staaten nicht würde halten können. Die konservative Partei Kanadas stemmte sich also mit aller Macht gegen den Plan, und es entspann sich ein erbitterter Kampf der Parteien, bei dem nichts weniger als die Zukunft des englischen Weltreichs auf dem Spiele stand. Endlich siegten die Konservativen unter dem Minister Macdonald, dem dieser Kampf tatsächlich das Leben kostete, und Kanada blieb selbständig. Es hat also schon in früherer Zeit an Kämpfen um die Erhaltung Kanadas nicht gefehlt. In neuester Zeit hat nun in Kanada die Aufhebung der infolge des südafrikanischen Kriegs in England eingeführten Getreidezölle peinlich be- *) Vergl. den Grenzbotenartikel: Neufundland und das englisch-französische Abkommen in Nummer 26,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/258>, abgerufen am 13.05.2024.