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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

und damit seinen künstlerischen Geschmack und seine wirtschaftlichen Unternehmungen
kennen zu lernen. Die auf dem Hauptstaatsarchiv in Dresden wenigstens zum Teil
erhaltnen Briefe Brühls und seiner Gattin an seinen Vertrauten, den Geheimen
Kammerrat Karl Heinrich von Heineken. dem er das schöne Gut Altdöbern in der
Niederlausitz verschafft hatte, erlauben uns, davon etwas mehr zu wissen, als was
man in den gedruckten Werken bis zum Überdrusse wiederholt findet: daß er hundert
Tabaksdosen hinterlassen und seine Schuhe und Kleider fuderweise aus Paris be¬
zogen hat.

Mit diesen Gedanken fuhr ich aus dem schönen Park des gräflich Muskauschen
Schlosses Branitz bei Kottbus ostwärts nach Forst, denn diese Stadt war einst der
administrative Mittelpunkt des größten Güterkomplexes, den Brühl besaß, der Herr¬
schaft Forst-Pforten. Graf Brühl hat die eine Hälfte dieses schönen Besitzes, nämlich
Pforten, das nach dem Aussterben der Herren von Biederstem (1667) den Grafen
Promnitz und schließlich der Familie von Watzdorf gehört hatte, schon 1740, Forst
dagegen, das 1668 von der Landesherrschaft als erledigtes Lehen eingezogen worden
war, 1746 durch Kauf in seinen Besitz gebracht. Er wurde dadurch einer der
mächtigsten Standesherren der Niederlausitz, denn die Herrschaft Forst-Pforten
umfaßte etwa zwölf Quadratmeilen und bestand aus zwei Städten, neunzehn herr¬
schaftlichen Vorwerken und vierunddreißig Kammerdörfern.

Heutzutage ist freilich in Forst von der Brühlschen Herrlichkeit nicht mehr viel
übrig: seit die Steinschen Reformen den Städten die Selbstverwaltung gegeben
haben, ist auch in Forst ein selbstbewußtes Bürgertum erwachsen, das von der
frühern Abhängigkeit nicht mehr viel weiß. Die Stadt, die zu den Zeiten des
Ministers Brühl kaum 1500 Einwohner hatte, hat deren jetzt 25000 und fabriziert
jährlich für mehr als zwanzig Millionen Mark Tuche. Es kann sich also in seiner
Bedeutung für die Industrie mit Kottbus vergleichen, so sehr es auch an Eleganz
hinter dieser Metropole der Niederlausitz zurücksteht. Das Rathaus, einst der Sitz
der Brühlschen Verwaltung, trägt allerdings außer dem Stadtwappen, einem Hirsch¬
geweih, auch noch das Brühlsche. Aber von dem gräflichen Schlosse in Forst ist
nur das Hauptgebäude übrig, und dieses ist in eine Tuchfabrik umgewandelt -- nur
eine riesige Platane, die fast den ganzen spärlichen Rest des Gartens überschattet
und wohl noch die Tage des Ministers gesehen hat, zeugt von verschwundner Pracht.

Deutlichere Spuren der Brühlschen Wirtschaftsweise hofften wir in dem zwei
Stunden weiter ostwärts liegenden Pforten zu finden, weil sich dieser Ort, abseits
von der Eisenbahn liegend, nicht in moderner Weise "entwickelt" hat. Dort wollten
wir, um den Asnius loci gehörig auf uns wirken zu lassen, für ein bis zwei Tag-
Quartier nehmen. Der Frühlingsregen rauschte in Strömen zur grünenden Erde
nieder, als wir am Sonnabend vor Palmarum durchnäßt und müde von dem be¬
waldeten Höhenzuge herunterfuhren, der das kleine Ackerstädtchen Pforten von der
westlicher liegenden Landschaft trennt. Durch einen fremdartigen steinernen Tor¬
bau, der entweder die fehlende Stadtmauer einigermaßen ersetzen oder einen
Schimmer von italisch-klassischer Kultur über diese deutsche Ländlichkeit ausbreiten
sollte, gelangten wir auf eine auffallend breite, mit Rinnstein und Bürgersteig aus¬
gestattete Straße, die auf beiden Seiten mit Häusern von derselben Höhe und
Bauart eingefaßt war. Man sah es dieser Anlage an, daß sie nicht dem lang¬
samen und vielköpfigen Walten deutscher Spießbürger ihr Dasein verdankte, sondern
auf einmal nach dem festen Plan eines Gewaltigen entstanden war -- und als
auf der linken Seite eine ebenso breite Straße rechtwinklig abbiegend auf ein hohes
Flügeltor und ein von steinernen Pfeilern unterbrochnes Holzgitter hinleitete, da
erblickten wir hinter grünen Rasenflächen und weitläufigen Seitengebäuden auch
den Ausgangspunkt der schaffenden Kraft, das weißschimmernde Schloß des Standes¬
herrn Grafen Brühl. Zunächst wurde uns jede weitere Forschung durch den Regen
abgeschnitten, vor dem wir im herrschaftlichen Gasthofe "Zum weißen Adler" Schutz
suchten. Diese Benennung hängt Wohl damit zusammen, daß Pforten an der Straße


Wanderungen in der Niederlausitz

und damit seinen künstlerischen Geschmack und seine wirtschaftlichen Unternehmungen
kennen zu lernen. Die auf dem Hauptstaatsarchiv in Dresden wenigstens zum Teil
erhaltnen Briefe Brühls und seiner Gattin an seinen Vertrauten, den Geheimen
Kammerrat Karl Heinrich von Heineken. dem er das schöne Gut Altdöbern in der
Niederlausitz verschafft hatte, erlauben uns, davon etwas mehr zu wissen, als was
man in den gedruckten Werken bis zum Überdrusse wiederholt findet: daß er hundert
Tabaksdosen hinterlassen und seine Schuhe und Kleider fuderweise aus Paris be¬
zogen hat.

Mit diesen Gedanken fuhr ich aus dem schönen Park des gräflich Muskauschen
Schlosses Branitz bei Kottbus ostwärts nach Forst, denn diese Stadt war einst der
administrative Mittelpunkt des größten Güterkomplexes, den Brühl besaß, der Herr¬
schaft Forst-Pforten. Graf Brühl hat die eine Hälfte dieses schönen Besitzes, nämlich
Pforten, das nach dem Aussterben der Herren von Biederstem (1667) den Grafen
Promnitz und schließlich der Familie von Watzdorf gehört hatte, schon 1740, Forst
dagegen, das 1668 von der Landesherrschaft als erledigtes Lehen eingezogen worden
war, 1746 durch Kauf in seinen Besitz gebracht. Er wurde dadurch einer der
mächtigsten Standesherren der Niederlausitz, denn die Herrschaft Forst-Pforten
umfaßte etwa zwölf Quadratmeilen und bestand aus zwei Städten, neunzehn herr¬
schaftlichen Vorwerken und vierunddreißig Kammerdörfern.

Heutzutage ist freilich in Forst von der Brühlschen Herrlichkeit nicht mehr viel
übrig: seit die Steinschen Reformen den Städten die Selbstverwaltung gegeben
haben, ist auch in Forst ein selbstbewußtes Bürgertum erwachsen, das von der
frühern Abhängigkeit nicht mehr viel weiß. Die Stadt, die zu den Zeiten des
Ministers Brühl kaum 1500 Einwohner hatte, hat deren jetzt 25000 und fabriziert
jährlich für mehr als zwanzig Millionen Mark Tuche. Es kann sich also in seiner
Bedeutung für die Industrie mit Kottbus vergleichen, so sehr es auch an Eleganz
hinter dieser Metropole der Niederlausitz zurücksteht. Das Rathaus, einst der Sitz
der Brühlschen Verwaltung, trägt allerdings außer dem Stadtwappen, einem Hirsch¬
geweih, auch noch das Brühlsche. Aber von dem gräflichen Schlosse in Forst ist
nur das Hauptgebäude übrig, und dieses ist in eine Tuchfabrik umgewandelt — nur
eine riesige Platane, die fast den ganzen spärlichen Rest des Gartens überschattet
und wohl noch die Tage des Ministers gesehen hat, zeugt von verschwundner Pracht.

Deutlichere Spuren der Brühlschen Wirtschaftsweise hofften wir in dem zwei
Stunden weiter ostwärts liegenden Pforten zu finden, weil sich dieser Ort, abseits
von der Eisenbahn liegend, nicht in moderner Weise „entwickelt" hat. Dort wollten
wir, um den Asnius loci gehörig auf uns wirken zu lassen, für ein bis zwei Tag-
Quartier nehmen. Der Frühlingsregen rauschte in Strömen zur grünenden Erde
nieder, als wir am Sonnabend vor Palmarum durchnäßt und müde von dem be¬
waldeten Höhenzuge herunterfuhren, der das kleine Ackerstädtchen Pforten von der
westlicher liegenden Landschaft trennt. Durch einen fremdartigen steinernen Tor¬
bau, der entweder die fehlende Stadtmauer einigermaßen ersetzen oder einen
Schimmer von italisch-klassischer Kultur über diese deutsche Ländlichkeit ausbreiten
sollte, gelangten wir auf eine auffallend breite, mit Rinnstein und Bürgersteig aus¬
gestattete Straße, die auf beiden Seiten mit Häusern von derselben Höhe und
Bauart eingefaßt war. Man sah es dieser Anlage an, daß sie nicht dem lang¬
samen und vielköpfigen Walten deutscher Spießbürger ihr Dasein verdankte, sondern
auf einmal nach dem festen Plan eines Gewaltigen entstanden war — und als
auf der linken Seite eine ebenso breite Straße rechtwinklig abbiegend auf ein hohes
Flügeltor und ein von steinernen Pfeilern unterbrochnes Holzgitter hinleitete, da
erblickten wir hinter grünen Rasenflächen und weitläufigen Seitengebäuden auch
den Ausgangspunkt der schaffenden Kraft, das weißschimmernde Schloß des Standes¬
herrn Grafen Brühl. Zunächst wurde uns jede weitere Forschung durch den Regen
abgeschnitten, vor dem wir im herrschaftlichen Gasthofe „Zum weißen Adler" Schutz
suchten. Diese Benennung hängt Wohl damit zusammen, daß Pforten an der Straße


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[0411] Wanderungen in der Niederlausitz und damit seinen künstlerischen Geschmack und seine wirtschaftlichen Unternehmungen kennen zu lernen. Die auf dem Hauptstaatsarchiv in Dresden wenigstens zum Teil erhaltnen Briefe Brühls und seiner Gattin an seinen Vertrauten, den Geheimen Kammerrat Karl Heinrich von Heineken. dem er das schöne Gut Altdöbern in der Niederlausitz verschafft hatte, erlauben uns, davon etwas mehr zu wissen, als was man in den gedruckten Werken bis zum Überdrusse wiederholt findet: daß er hundert Tabaksdosen hinterlassen und seine Schuhe und Kleider fuderweise aus Paris be¬ zogen hat. Mit diesen Gedanken fuhr ich aus dem schönen Park des gräflich Muskauschen Schlosses Branitz bei Kottbus ostwärts nach Forst, denn diese Stadt war einst der administrative Mittelpunkt des größten Güterkomplexes, den Brühl besaß, der Herr¬ schaft Forst-Pforten. Graf Brühl hat die eine Hälfte dieses schönen Besitzes, nämlich Pforten, das nach dem Aussterben der Herren von Biederstem (1667) den Grafen Promnitz und schließlich der Familie von Watzdorf gehört hatte, schon 1740, Forst dagegen, das 1668 von der Landesherrschaft als erledigtes Lehen eingezogen worden war, 1746 durch Kauf in seinen Besitz gebracht. Er wurde dadurch einer der mächtigsten Standesherren der Niederlausitz, denn die Herrschaft Forst-Pforten umfaßte etwa zwölf Quadratmeilen und bestand aus zwei Städten, neunzehn herr¬ schaftlichen Vorwerken und vierunddreißig Kammerdörfern. Heutzutage ist freilich in Forst von der Brühlschen Herrlichkeit nicht mehr viel übrig: seit die Steinschen Reformen den Städten die Selbstverwaltung gegeben haben, ist auch in Forst ein selbstbewußtes Bürgertum erwachsen, das von der frühern Abhängigkeit nicht mehr viel weiß. Die Stadt, die zu den Zeiten des Ministers Brühl kaum 1500 Einwohner hatte, hat deren jetzt 25000 und fabriziert jährlich für mehr als zwanzig Millionen Mark Tuche. Es kann sich also in seiner Bedeutung für die Industrie mit Kottbus vergleichen, so sehr es auch an Eleganz hinter dieser Metropole der Niederlausitz zurücksteht. Das Rathaus, einst der Sitz der Brühlschen Verwaltung, trägt allerdings außer dem Stadtwappen, einem Hirsch¬ geweih, auch noch das Brühlsche. Aber von dem gräflichen Schlosse in Forst ist nur das Hauptgebäude übrig, und dieses ist in eine Tuchfabrik umgewandelt — nur eine riesige Platane, die fast den ganzen spärlichen Rest des Gartens überschattet und wohl noch die Tage des Ministers gesehen hat, zeugt von verschwundner Pracht. Deutlichere Spuren der Brühlschen Wirtschaftsweise hofften wir in dem zwei Stunden weiter ostwärts liegenden Pforten zu finden, weil sich dieser Ort, abseits von der Eisenbahn liegend, nicht in moderner Weise „entwickelt" hat. Dort wollten wir, um den Asnius loci gehörig auf uns wirken zu lassen, für ein bis zwei Tag- Quartier nehmen. Der Frühlingsregen rauschte in Strömen zur grünenden Erde nieder, als wir am Sonnabend vor Palmarum durchnäßt und müde von dem be¬ waldeten Höhenzuge herunterfuhren, der das kleine Ackerstädtchen Pforten von der westlicher liegenden Landschaft trennt. Durch einen fremdartigen steinernen Tor¬ bau, der entweder die fehlende Stadtmauer einigermaßen ersetzen oder einen Schimmer von italisch-klassischer Kultur über diese deutsche Ländlichkeit ausbreiten sollte, gelangten wir auf eine auffallend breite, mit Rinnstein und Bürgersteig aus¬ gestattete Straße, die auf beiden Seiten mit Häusern von derselben Höhe und Bauart eingefaßt war. Man sah es dieser Anlage an, daß sie nicht dem lang¬ samen und vielköpfigen Walten deutscher Spießbürger ihr Dasein verdankte, sondern auf einmal nach dem festen Plan eines Gewaltigen entstanden war — und als auf der linken Seite eine ebenso breite Straße rechtwinklig abbiegend auf ein hohes Flügeltor und ein von steinernen Pfeilern unterbrochnes Holzgitter hinleitete, da erblickten wir hinter grünen Rasenflächen und weitläufigen Seitengebäuden auch den Ausgangspunkt der schaffenden Kraft, das weißschimmernde Schloß des Standes¬ herrn Grafen Brühl. Zunächst wurde uns jede weitere Forschung durch den Regen abgeschnitten, vor dem wir im herrschaftlichen Gasthofe „Zum weißen Adler" Schutz suchten. Diese Benennung hängt Wohl damit zusammen, daß Pforten an der Straße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/411>, abgerufen am 13.05.2024.