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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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weltliche Musik im alten Leipzig

Die größere vielfältige Laute war seit dem fünfzehnten Jahrhundert das
Lieblingsinstrument des guten Bürgersohns und des musikalisch gebildeten
Studenten. Michael Lindener, ein Leipziger Kind und 1544 hier immatrikn-
liert, bekannte vierzehn Jahre später in der Widmuugsschrift seines Schwank¬
büchleins Katzipori: "bin mein leben lang nit frölicher gewesen, dann do ich
alle nacht mit der lauten gieng und den Ovidium unter dem Arm trug, aus
hölzernen Kannen trunk," und der Humanist und Leipziger Universitätslehrer
Hermann von dein Busche zeichnet 1521 in seiner l^ixsm in preziösen lateinischen
Hexametern die Geselligkeit der vornehmen Bürger in ihren großen, die Stadt
umgebenden Obstgärten:


Unter dem Laubdach feiern die Bürger hier fröhliche Schmäuse,
Wenn der Frühling zunimmt, bei grelleren Farben der Sommer
Angenehm Schatten verschafft unter breitausladendem Wipfel.
Dann sind Becher zur Hand und Mägdlein, die Sorge der Venus,
Und die süßen Kränze der Jünglinge, Lieder anstimmend.
Gehen im Neigen einher zur klangreich singenden Laute,
Vogelstimmen mischen dazwischen ihr zartes Gezivitschcr.

Vor der im vierzehnten Jahrhundert aus dem Orient eingeführten Laute, die
als Handinstrument, das dem Spieler zugleich zu singen erlaubte, der poly¬
phonen Musik des fünfzehnten und des sechzehnten Jahrhunderts gut entsprach,
waren die alten deutschen Geigen und Fiedeln in den Hintergrund getreten.
Ihre Entwicklung lag in den Jahrhunderten des ausgehenden Mittelalters
ebenso brach, wie der Einzelgesang technisch keine Fortschritte aufwies; ihre grobe
Form um das Jahr 1500 legte die Gedankenverbindungen Geigensaite-Schaf¬
darm und Roßschweif-Fiedelbogen noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit nahe,
und Luther hatte allen Grund, gerade Streichmusiker zu dem Satze zu ver¬
wenden: "Die bösen (d. h. schlechten) Fiedler und Geiger dienen dazu, daß wir
sehen und hören, wie eine feine und gute Kunst die Musica sei, denn weißes
kann man besser erkennen, wenn man schwarzes dagegen hält." So steht in
den damaligen Leipziger Ratsrechnungen eine Angabe wie die, daß 1502 der
Lantenist des polnischen Königs -- es war wohl Hofhaimers berühmter ost¬
mitteldeutscher Zeitgenosse Heinrich Fink -- "mit den 4 Fiedeln dem Rate zu
Ehren gefiedelt" habe, fast ganz vereinzelt da: ließ er die vierstimmige Lauten¬
musik, die er selbst vortrug, auf vier Fiedeln oder Violen von verschiedner Größe
und Tiefe mitspielen? Aber ein andres Saiteninstrument trat schon um 1500
im großen Familienzimmer desto entschiedner in Wettbewerb mit der Laute:
das Clavichord, ein Vorläufer des Klaviers, das auf den Tisch zu legende
Zupfinstrument, bei dem eine Klaviatur der Schwierigkeit enthob, die Saiten
zum Erzielen bestimmter Töne richtig abzuleiten. In Leipziger Nachlaß-
Verzeichnissen aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts spielen die
Clavichordien neben den Lauten eine große Rolle, miedernm ein Zeichen, wie¬
viel schon damals in Hans und Familie in Leipzig polyphon musiziere worden


weltliche Musik im alten Leipzig

Die größere vielfältige Laute war seit dem fünfzehnten Jahrhundert das
Lieblingsinstrument des guten Bürgersohns und des musikalisch gebildeten
Studenten. Michael Lindener, ein Leipziger Kind und 1544 hier immatrikn-
liert, bekannte vierzehn Jahre später in der Widmuugsschrift seines Schwank¬
büchleins Katzipori: „bin mein leben lang nit frölicher gewesen, dann do ich
alle nacht mit der lauten gieng und den Ovidium unter dem Arm trug, aus
hölzernen Kannen trunk," und der Humanist und Leipziger Universitätslehrer
Hermann von dein Busche zeichnet 1521 in seiner l^ixsm in preziösen lateinischen
Hexametern die Geselligkeit der vornehmen Bürger in ihren großen, die Stadt
umgebenden Obstgärten:


Unter dem Laubdach feiern die Bürger hier fröhliche Schmäuse,
Wenn der Frühling zunimmt, bei grelleren Farben der Sommer
Angenehm Schatten verschafft unter breitausladendem Wipfel.
Dann sind Becher zur Hand und Mägdlein, die Sorge der Venus,
Und die süßen Kränze der Jünglinge, Lieder anstimmend.
Gehen im Neigen einher zur klangreich singenden Laute,
Vogelstimmen mischen dazwischen ihr zartes Gezivitschcr.

Vor der im vierzehnten Jahrhundert aus dem Orient eingeführten Laute, die
als Handinstrument, das dem Spieler zugleich zu singen erlaubte, der poly¬
phonen Musik des fünfzehnten und des sechzehnten Jahrhunderts gut entsprach,
waren die alten deutschen Geigen und Fiedeln in den Hintergrund getreten.
Ihre Entwicklung lag in den Jahrhunderten des ausgehenden Mittelalters
ebenso brach, wie der Einzelgesang technisch keine Fortschritte aufwies; ihre grobe
Form um das Jahr 1500 legte die Gedankenverbindungen Geigensaite-Schaf¬
darm und Roßschweif-Fiedelbogen noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit nahe,
und Luther hatte allen Grund, gerade Streichmusiker zu dem Satze zu ver¬
wenden: „Die bösen (d. h. schlechten) Fiedler und Geiger dienen dazu, daß wir
sehen und hören, wie eine feine und gute Kunst die Musica sei, denn weißes
kann man besser erkennen, wenn man schwarzes dagegen hält." So steht in
den damaligen Leipziger Ratsrechnungen eine Angabe wie die, daß 1502 der
Lantenist des polnischen Königs — es war wohl Hofhaimers berühmter ost¬
mitteldeutscher Zeitgenosse Heinrich Fink — „mit den 4 Fiedeln dem Rate zu
Ehren gefiedelt" habe, fast ganz vereinzelt da: ließ er die vierstimmige Lauten¬
musik, die er selbst vortrug, auf vier Fiedeln oder Violen von verschiedner Größe
und Tiefe mitspielen? Aber ein andres Saiteninstrument trat schon um 1500
im großen Familienzimmer desto entschiedner in Wettbewerb mit der Laute:
das Clavichord, ein Vorläufer des Klaviers, das auf den Tisch zu legende
Zupfinstrument, bei dem eine Klaviatur der Schwierigkeit enthob, die Saiten
zum Erzielen bestimmter Töne richtig abzuleiten. In Leipziger Nachlaß-
Verzeichnissen aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts spielen die
Clavichordien neben den Lauten eine große Rolle, miedernm ein Zeichen, wie¬
viel schon damals in Hans und Familie in Leipzig polyphon musiziere worden


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[0592] weltliche Musik im alten Leipzig Die größere vielfältige Laute war seit dem fünfzehnten Jahrhundert das Lieblingsinstrument des guten Bürgersohns und des musikalisch gebildeten Studenten. Michael Lindener, ein Leipziger Kind und 1544 hier immatrikn- liert, bekannte vierzehn Jahre später in der Widmuugsschrift seines Schwank¬ büchleins Katzipori: „bin mein leben lang nit frölicher gewesen, dann do ich alle nacht mit der lauten gieng und den Ovidium unter dem Arm trug, aus hölzernen Kannen trunk," und der Humanist und Leipziger Universitätslehrer Hermann von dein Busche zeichnet 1521 in seiner l^ixsm in preziösen lateinischen Hexametern die Geselligkeit der vornehmen Bürger in ihren großen, die Stadt umgebenden Obstgärten: Unter dem Laubdach feiern die Bürger hier fröhliche Schmäuse, Wenn der Frühling zunimmt, bei grelleren Farben der Sommer Angenehm Schatten verschafft unter breitausladendem Wipfel. Dann sind Becher zur Hand und Mägdlein, die Sorge der Venus, Und die süßen Kränze der Jünglinge, Lieder anstimmend. Gehen im Neigen einher zur klangreich singenden Laute, Vogelstimmen mischen dazwischen ihr zartes Gezivitschcr. Vor der im vierzehnten Jahrhundert aus dem Orient eingeführten Laute, die als Handinstrument, das dem Spieler zugleich zu singen erlaubte, der poly¬ phonen Musik des fünfzehnten und des sechzehnten Jahrhunderts gut entsprach, waren die alten deutschen Geigen und Fiedeln in den Hintergrund getreten. Ihre Entwicklung lag in den Jahrhunderten des ausgehenden Mittelalters ebenso brach, wie der Einzelgesang technisch keine Fortschritte aufwies; ihre grobe Form um das Jahr 1500 legte die Gedankenverbindungen Geigensaite-Schaf¬ darm und Roßschweif-Fiedelbogen noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit nahe, und Luther hatte allen Grund, gerade Streichmusiker zu dem Satze zu ver¬ wenden: „Die bösen (d. h. schlechten) Fiedler und Geiger dienen dazu, daß wir sehen und hören, wie eine feine und gute Kunst die Musica sei, denn weißes kann man besser erkennen, wenn man schwarzes dagegen hält." So steht in den damaligen Leipziger Ratsrechnungen eine Angabe wie die, daß 1502 der Lantenist des polnischen Königs — es war wohl Hofhaimers berühmter ost¬ mitteldeutscher Zeitgenosse Heinrich Fink — „mit den 4 Fiedeln dem Rate zu Ehren gefiedelt" habe, fast ganz vereinzelt da: ließ er die vierstimmige Lauten¬ musik, die er selbst vortrug, auf vier Fiedeln oder Violen von verschiedner Größe und Tiefe mitspielen? Aber ein andres Saiteninstrument trat schon um 1500 im großen Familienzimmer desto entschiedner in Wettbewerb mit der Laute: das Clavichord, ein Vorläufer des Klaviers, das auf den Tisch zu legende Zupfinstrument, bei dem eine Klaviatur der Schwierigkeit enthob, die Saiten zum Erzielen bestimmter Töne richtig abzuleiten. In Leipziger Nachlaß- Verzeichnissen aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts spielen die Clavichordien neben den Lauten eine große Rolle, miedernm ein Zeichen, wie¬ viel schon damals in Hans und Familie in Leipzig polyphon musiziere worden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/592>, abgerufen am 14.05.2024.