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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Umänderungen in der Aiederlausitz

Man begreift Walthers Abscheu vor dem Gedanken, sein Leben in Dobrilugk
verbringen zu müssen, wenn man, wie es mir vergönnt war, seine südtirvlische
Heimat im Glänze der Frühlingssonne hat liegen sehen. Auf der Rückreise von
Bozen war ich von Waidbruck aus auf der linken Seite des Eisacktales über
blumenbesäte grüne Matten hinaufgestiegen zum innern Vogelweidhof, der seit
Zingerles Forschungen vielen Germanisten als Walthers Heimat gilt. Der Hof ist
jetzt und war Wohl auch schon zu Walthers Zeit ein sehr bescheidnes Anwesen: ein
schlichtes hvlzgetäfeltes Bauernhaus auf einer sonnigen, nach Süden zu abfallenden
Grashalde. Aber welche Welt lag hier vor dem Blicke des reich begabten Knaben
ausgebreitet: unten im Tal rauschen die graugrünen Wasser des Grödener Bachs
und der Eisack dem Talfer, der Etsch, der Adria entgegen, hier an der Pforte Italiens
ist es drei Viertel des Jahres Frühling und Sommer, gewaltige Berglinien, deren
Spitzen im Abendgolde glühn, wecken Phantasie und Tatkraft. Welcher Kontrast
gegen das einförmige Kieferudunkel der Lausitz! Aus dem Fenster des Vogelweid¬
hofes aber schweift der Blick hinüber zu der kaum eine Stunde entfernten Trostburg,
demi Sitze des alten Grafengeschlechts von Wolkenstein. Daß sich Walter zum ritter¬
lichen Stande drängte, begreift jeder, der gesehen hat, in welchem Maße die hoch¬
ragende Trostburg hier den ganzen Horizont beherrscht. Ein Ritter von der Trost¬
burg nahm wohl den aufgeweckten Knaben, den Sohn des Zinsbauern, dem die
Pflege der "Vogelweide" oblag, in seinen Dienst, mit ihm zog Walther aus den
Tiroler Bergen an den heitern Hof nach Wien und erwarb, ohne daß seine bäuer¬
liche Herkunft ganz vergessen wurde, die ritterlichen Ehren. Wenn man etwa den
weißen Nulcinder des altberühmten Gasthofs "zum Lamm" in Klausen mit den"
greulichen "Schlabrendorfer" und "Belgerner" vergleichen könnte, den dieDobrilugker
Mönche verzapften, so versteht man Walthers Stimmung diesem Kloster gegenüber,
das er noch dazu im Zustande der Unfertigkeit, noch weit entfernt von dem spätern
Reichtum in einer Gegend antraf, die damals am äußersten Saume deutscher Kultur
lag, wo vor der schweren Arbeit des Rvdens und Entwässerns weder für die
pfäffische Behaglichkeit der süddeutschen Stifter noch für ritterliche Sitte und Minne
irgendwie Raum vorhanden war. Hier wäre sich Walter vorgekommen wie Ovid
in Tomi. Für seine Zeit besteht das herbe Urteil, das er über Dobrilugk gefällt
hat, zu Recht, aber komisch wirkt es, wenn der gelehrte Herausgeber seiner Lieder,
Karl Bartsch, in seinem Kommentar zu dem Namen "Toberln" hinzufügt: "Die
Gegend ist noch jetzt verrufen als traurig und elend." Bartsch gehörte wohl zu
den Tausenden, die den Ruf des Schaffners: "Dobrilugk-Kirchhain" mit stillem
Schauder vernähmen und nach Berlin weiterführen, ohne die Landschaft kennen zu
lernen. Wer sich die Mühe nimmt, auszustetgen, und in das Städtchen Dobrilugk
hineinwaudert, der wird eine angenehme Enttäuschung erfahren; denn eine saubere,
fast marktbrcite Straße leitet ihn an ein stattliches, von Gärten und Gräben um-
gebnes Schloß, und dahinter liegt in idyllischer Einsamkeit eine Kirche, die schon
durch ihre Größe und ihre Bauformen Interesse erweckt. Die umgebende Landschaft
aber ist keineswegs öde, sondern zeigt fruchtbare, von ansehnlichen Teichen und
schönen Baumgruppen unterbrochne Wiesen. Der saufte Reiz der Landschaft wird
noch erhöht durch die Fülle geschichtlicher Erinnerungen, die den Wandrer hier auf
Schritt und Tritt begleiten. Denn Dobrilugk ist wohl die älteste und wichtigste
Wiege der Niederlausitzer Kultur und kann in seinen Schicksalen als ein Mikro¬
kosmos der gesamten Entwicklung dieser Landschaft gelten.

Geheimnisvolles Dunkel schwebt um seine Anfänge. Aus ihm taucht plötzlich
der Name Dobraluh -- Dobrilugk auf bei Thietmar von Merseburg. Nach Dobraluh
zieht im Jahre 1005 von Leiskau bei Magdeburg, wo sich der Heerbann gesammelt
hat, König Heinrich der Zweite; von Dobraluh marschiert das Heer gegen Boleslaw
Chrobry von Polen ostwärts durch Einöden und Sümpfe, vermutlich über die
Gegend von Finsterwalde und Kalau an den Südrand des Spreewaldes; an der
Spree -- etwa bei Kvttbus -- wird ein Lager geschlagen, dann gehts in den


Umänderungen in der Aiederlausitz

Man begreift Walthers Abscheu vor dem Gedanken, sein Leben in Dobrilugk
verbringen zu müssen, wenn man, wie es mir vergönnt war, seine südtirvlische
Heimat im Glänze der Frühlingssonne hat liegen sehen. Auf der Rückreise von
Bozen war ich von Waidbruck aus auf der linken Seite des Eisacktales über
blumenbesäte grüne Matten hinaufgestiegen zum innern Vogelweidhof, der seit
Zingerles Forschungen vielen Germanisten als Walthers Heimat gilt. Der Hof ist
jetzt und war Wohl auch schon zu Walthers Zeit ein sehr bescheidnes Anwesen: ein
schlichtes hvlzgetäfeltes Bauernhaus auf einer sonnigen, nach Süden zu abfallenden
Grashalde. Aber welche Welt lag hier vor dem Blicke des reich begabten Knaben
ausgebreitet: unten im Tal rauschen die graugrünen Wasser des Grödener Bachs
und der Eisack dem Talfer, der Etsch, der Adria entgegen, hier an der Pforte Italiens
ist es drei Viertel des Jahres Frühling und Sommer, gewaltige Berglinien, deren
Spitzen im Abendgolde glühn, wecken Phantasie und Tatkraft. Welcher Kontrast
gegen das einförmige Kieferudunkel der Lausitz! Aus dem Fenster des Vogelweid¬
hofes aber schweift der Blick hinüber zu der kaum eine Stunde entfernten Trostburg,
demi Sitze des alten Grafengeschlechts von Wolkenstein. Daß sich Walter zum ritter¬
lichen Stande drängte, begreift jeder, der gesehen hat, in welchem Maße die hoch¬
ragende Trostburg hier den ganzen Horizont beherrscht. Ein Ritter von der Trost¬
burg nahm wohl den aufgeweckten Knaben, den Sohn des Zinsbauern, dem die
Pflege der „Vogelweide" oblag, in seinen Dienst, mit ihm zog Walther aus den
Tiroler Bergen an den heitern Hof nach Wien und erwarb, ohne daß seine bäuer¬
liche Herkunft ganz vergessen wurde, die ritterlichen Ehren. Wenn man etwa den
weißen Nulcinder des altberühmten Gasthofs „zum Lamm" in Klausen mit den»
greulichen „Schlabrendorfer" und „Belgerner" vergleichen könnte, den dieDobrilugker
Mönche verzapften, so versteht man Walthers Stimmung diesem Kloster gegenüber,
das er noch dazu im Zustande der Unfertigkeit, noch weit entfernt von dem spätern
Reichtum in einer Gegend antraf, die damals am äußersten Saume deutscher Kultur
lag, wo vor der schweren Arbeit des Rvdens und Entwässerns weder für die
pfäffische Behaglichkeit der süddeutschen Stifter noch für ritterliche Sitte und Minne
irgendwie Raum vorhanden war. Hier wäre sich Walter vorgekommen wie Ovid
in Tomi. Für seine Zeit besteht das herbe Urteil, das er über Dobrilugk gefällt
hat, zu Recht, aber komisch wirkt es, wenn der gelehrte Herausgeber seiner Lieder,
Karl Bartsch, in seinem Kommentar zu dem Namen „Toberln" hinzufügt: „Die
Gegend ist noch jetzt verrufen als traurig und elend." Bartsch gehörte wohl zu
den Tausenden, die den Ruf des Schaffners: „Dobrilugk-Kirchhain" mit stillem
Schauder vernähmen und nach Berlin weiterführen, ohne die Landschaft kennen zu
lernen. Wer sich die Mühe nimmt, auszustetgen, und in das Städtchen Dobrilugk
hineinwaudert, der wird eine angenehme Enttäuschung erfahren; denn eine saubere,
fast marktbrcite Straße leitet ihn an ein stattliches, von Gärten und Gräben um-
gebnes Schloß, und dahinter liegt in idyllischer Einsamkeit eine Kirche, die schon
durch ihre Größe und ihre Bauformen Interesse erweckt. Die umgebende Landschaft
aber ist keineswegs öde, sondern zeigt fruchtbare, von ansehnlichen Teichen und
schönen Baumgruppen unterbrochne Wiesen. Der saufte Reiz der Landschaft wird
noch erhöht durch die Fülle geschichtlicher Erinnerungen, die den Wandrer hier auf
Schritt und Tritt begleiten. Denn Dobrilugk ist wohl die älteste und wichtigste
Wiege der Niederlausitzer Kultur und kann in seinen Schicksalen als ein Mikro¬
kosmos der gesamten Entwicklung dieser Landschaft gelten.

Geheimnisvolles Dunkel schwebt um seine Anfänge. Aus ihm taucht plötzlich
der Name Dobraluh — Dobrilugk auf bei Thietmar von Merseburg. Nach Dobraluh
zieht im Jahre 1005 von Leiskau bei Magdeburg, wo sich der Heerbann gesammelt
hat, König Heinrich der Zweite; von Dobraluh marschiert das Heer gegen Boleslaw
Chrobry von Polen ostwärts durch Einöden und Sümpfe, vermutlich über die
Gegend von Finsterwalde und Kalau an den Südrand des Spreewaldes; an der
Spree — etwa bei Kvttbus — wird ein Lager geschlagen, dann gehts in den


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[0594] Umänderungen in der Aiederlausitz Man begreift Walthers Abscheu vor dem Gedanken, sein Leben in Dobrilugk verbringen zu müssen, wenn man, wie es mir vergönnt war, seine südtirvlische Heimat im Glänze der Frühlingssonne hat liegen sehen. Auf der Rückreise von Bozen war ich von Waidbruck aus auf der linken Seite des Eisacktales über blumenbesäte grüne Matten hinaufgestiegen zum innern Vogelweidhof, der seit Zingerles Forschungen vielen Germanisten als Walthers Heimat gilt. Der Hof ist jetzt und war Wohl auch schon zu Walthers Zeit ein sehr bescheidnes Anwesen: ein schlichtes hvlzgetäfeltes Bauernhaus auf einer sonnigen, nach Süden zu abfallenden Grashalde. Aber welche Welt lag hier vor dem Blicke des reich begabten Knaben ausgebreitet: unten im Tal rauschen die graugrünen Wasser des Grödener Bachs und der Eisack dem Talfer, der Etsch, der Adria entgegen, hier an der Pforte Italiens ist es drei Viertel des Jahres Frühling und Sommer, gewaltige Berglinien, deren Spitzen im Abendgolde glühn, wecken Phantasie und Tatkraft. Welcher Kontrast gegen das einförmige Kieferudunkel der Lausitz! Aus dem Fenster des Vogelweid¬ hofes aber schweift der Blick hinüber zu der kaum eine Stunde entfernten Trostburg, demi Sitze des alten Grafengeschlechts von Wolkenstein. Daß sich Walter zum ritter¬ lichen Stande drängte, begreift jeder, der gesehen hat, in welchem Maße die hoch¬ ragende Trostburg hier den ganzen Horizont beherrscht. Ein Ritter von der Trost¬ burg nahm wohl den aufgeweckten Knaben, den Sohn des Zinsbauern, dem die Pflege der „Vogelweide" oblag, in seinen Dienst, mit ihm zog Walther aus den Tiroler Bergen an den heitern Hof nach Wien und erwarb, ohne daß seine bäuer¬ liche Herkunft ganz vergessen wurde, die ritterlichen Ehren. Wenn man etwa den weißen Nulcinder des altberühmten Gasthofs „zum Lamm" in Klausen mit den» greulichen „Schlabrendorfer" und „Belgerner" vergleichen könnte, den dieDobrilugker Mönche verzapften, so versteht man Walthers Stimmung diesem Kloster gegenüber, das er noch dazu im Zustande der Unfertigkeit, noch weit entfernt von dem spätern Reichtum in einer Gegend antraf, die damals am äußersten Saume deutscher Kultur lag, wo vor der schweren Arbeit des Rvdens und Entwässerns weder für die pfäffische Behaglichkeit der süddeutschen Stifter noch für ritterliche Sitte und Minne irgendwie Raum vorhanden war. Hier wäre sich Walter vorgekommen wie Ovid in Tomi. Für seine Zeit besteht das herbe Urteil, das er über Dobrilugk gefällt hat, zu Recht, aber komisch wirkt es, wenn der gelehrte Herausgeber seiner Lieder, Karl Bartsch, in seinem Kommentar zu dem Namen „Toberln" hinzufügt: „Die Gegend ist noch jetzt verrufen als traurig und elend." Bartsch gehörte wohl zu den Tausenden, die den Ruf des Schaffners: „Dobrilugk-Kirchhain" mit stillem Schauder vernähmen und nach Berlin weiterführen, ohne die Landschaft kennen zu lernen. Wer sich die Mühe nimmt, auszustetgen, und in das Städtchen Dobrilugk hineinwaudert, der wird eine angenehme Enttäuschung erfahren; denn eine saubere, fast marktbrcite Straße leitet ihn an ein stattliches, von Gärten und Gräben um- gebnes Schloß, und dahinter liegt in idyllischer Einsamkeit eine Kirche, die schon durch ihre Größe und ihre Bauformen Interesse erweckt. Die umgebende Landschaft aber ist keineswegs öde, sondern zeigt fruchtbare, von ansehnlichen Teichen und schönen Baumgruppen unterbrochne Wiesen. Der saufte Reiz der Landschaft wird noch erhöht durch die Fülle geschichtlicher Erinnerungen, die den Wandrer hier auf Schritt und Tritt begleiten. Denn Dobrilugk ist wohl die älteste und wichtigste Wiege der Niederlausitzer Kultur und kann in seinen Schicksalen als ein Mikro¬ kosmos der gesamten Entwicklung dieser Landschaft gelten. Geheimnisvolles Dunkel schwebt um seine Anfänge. Aus ihm taucht plötzlich der Name Dobraluh — Dobrilugk auf bei Thietmar von Merseburg. Nach Dobraluh zieht im Jahre 1005 von Leiskau bei Magdeburg, wo sich der Heerbann gesammelt hat, König Heinrich der Zweite; von Dobraluh marschiert das Heer gegen Boleslaw Chrobry von Polen ostwärts durch Einöden und Sümpfe, vermutlich über die Gegend von Finsterwalde und Kalau an den Südrand des Spreewaldes; an der Spree — etwa bei Kvttbus — wird ein Lager geschlagen, dann gehts in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/594>, abgerufen am 14.05.2024.