Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Massaua

Grab gegeben hat. Denn ans einem ägyptischen Griechenambe sind diese Funde
nach Marseille gekommen.

So arm das Vorelymuseum auch an wirklichen Kunstwerken und Massalischen
Resten sein mag, von griechischem Leben erzählt es also doch; aber immer wieder
drängt sich uns die Frage auf: Wie erklärt es sich, daß die griechische Kultur¬
stätte fast spurlos unter der modernen Großstadt verschwunden ist?

Vieles mag noch der Boden bergen -- nur dem Zufall verdanken wir
die wertvollsten Funde, wie die der Grabdenkmäler --, denn dieser Boden hat
viel erlebt.

Jahrhunderte schon bestand Massaua, Ligurern und Galliern zum Trotz.
Als die Gallier bedrohender wurden, suchte es Schutz in der Freundschaft
Roms. Aber diese Freundschaft, die es übrigens auch in Roms schweren
Stunden zur Zeit des punischen und des teutonischen Schreckens treu bewahrte,
ist schließlich auch den Massaliern verhängnisvoll geworden. Als gegen Ende
der Republik Rom in innern Kämpfen rang, da verloren die klugen
Händler die feine Witterung für die stärkere Sache: sie unterstützten den
Pompejus. Dafür wurde die Stadt von Cäsar belagert und erstürmt.
Manches Kunstwerk mag von dem Sieger nach Rom geschleppt worden sein,
wenn er auch die griechischen Tempel und Denkmäler nicht zerstörte. Diesen kam
aber bald ein gefährlicherer Feind aus dem hellenisierten Orient. Angezogen
und gefördert durch die hier herrschende Sprache der Septuaginta faßte das
Christentum ganz früh in Massaua Fuß. Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die
Legende, als Apostel der neuen Lehre sei der vom Tode erweckte Lazarus dort¬
hin gekommen. Schon früh müssen dem christlichen Glauben die heidnischen
Tempel Massauas gewichen sein. Die hohe Verehrung, die im Mittelalter die
Wallfahrtskapelle Rotrs v^ins as 1a Sarcls genoß, legt den Gedanken nahe,
daß sie ebenso an die Stelle eines Dianenheiligtums getreten ist wie die Marien¬
kirchen ^r^coli und Loxra Mirsrvs, in Rom um die Stelle von Juno- und von
Miuervatempeln. Auch die Hauptkirche, die Kathedrale von Marseille, ist eine
Marienkirche. Macht schon der frühe Sieg des Christentums ein schnelles Ver¬
schwinden der heidnischen Tempel wahrscheinlich, so sind an dem spurlosen
Untergange der griechischen Bauten die Schicksale des christlichen Massaua schuld.
Westgoten, Burgunder und Sarazenen haben nacheinander die dnrch Macht und
Reichtum anlockende Stadt erobert, geplündert und zerstört, sogar in der ersten
Zeit der französischen Herrschaft ist sie uoch einmal im Sturm genommen
worden. Daneben ist sie öfters durch Brand verheert worden. Wenn schon
die römischen Päpste das Kolosseum und das Pantheon als bequemen Steinbruch
für ihre Bauten betrachteten, können wir uns da wundern, wenn die heimge¬
suchten Bewohner zum Bau neuer Hütten und Mauern die Reste alter Denk¬
mäler verwandten? Was konnten dem griechischen Händler auch die stummen
Zeugen einer toten Vergangenheit bedeuten? Der tätige Mensch hat im allgemeinen
nicht Zeit und Stimmung zum Kulte dessen, was war. Diese mit mehr Talent als
Charakter ausgestatteten Griechen suchten und wußten erst recht alles in lebendige
Gegenwart zu verwandeln. Auch ihre Enkel haben trotz vielfacher Blutmischung
diesen Geist bewahrt: ihr Triumphbogen ist dafür ein bezeichnendes Denkmal.


Massaua

Grab gegeben hat. Denn ans einem ägyptischen Griechenambe sind diese Funde
nach Marseille gekommen.

So arm das Vorelymuseum auch an wirklichen Kunstwerken und Massalischen
Resten sein mag, von griechischem Leben erzählt es also doch; aber immer wieder
drängt sich uns die Frage auf: Wie erklärt es sich, daß die griechische Kultur¬
stätte fast spurlos unter der modernen Großstadt verschwunden ist?

Vieles mag noch der Boden bergen — nur dem Zufall verdanken wir
die wertvollsten Funde, wie die der Grabdenkmäler —, denn dieser Boden hat
viel erlebt.

Jahrhunderte schon bestand Massaua, Ligurern und Galliern zum Trotz.
Als die Gallier bedrohender wurden, suchte es Schutz in der Freundschaft
Roms. Aber diese Freundschaft, die es übrigens auch in Roms schweren
Stunden zur Zeit des punischen und des teutonischen Schreckens treu bewahrte,
ist schließlich auch den Massaliern verhängnisvoll geworden. Als gegen Ende
der Republik Rom in innern Kämpfen rang, da verloren die klugen
Händler die feine Witterung für die stärkere Sache: sie unterstützten den
Pompejus. Dafür wurde die Stadt von Cäsar belagert und erstürmt.
Manches Kunstwerk mag von dem Sieger nach Rom geschleppt worden sein,
wenn er auch die griechischen Tempel und Denkmäler nicht zerstörte. Diesen kam
aber bald ein gefährlicherer Feind aus dem hellenisierten Orient. Angezogen
und gefördert durch die hier herrschende Sprache der Septuaginta faßte das
Christentum ganz früh in Massaua Fuß. Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die
Legende, als Apostel der neuen Lehre sei der vom Tode erweckte Lazarus dort¬
hin gekommen. Schon früh müssen dem christlichen Glauben die heidnischen
Tempel Massauas gewichen sein. Die hohe Verehrung, die im Mittelalter die
Wallfahrtskapelle Rotrs v^ins as 1a Sarcls genoß, legt den Gedanken nahe,
daß sie ebenso an die Stelle eines Dianenheiligtums getreten ist wie die Marien¬
kirchen ^r^coli und Loxra Mirsrvs, in Rom um die Stelle von Juno- und von
Miuervatempeln. Auch die Hauptkirche, die Kathedrale von Marseille, ist eine
Marienkirche. Macht schon der frühe Sieg des Christentums ein schnelles Ver¬
schwinden der heidnischen Tempel wahrscheinlich, so sind an dem spurlosen
Untergange der griechischen Bauten die Schicksale des christlichen Massaua schuld.
Westgoten, Burgunder und Sarazenen haben nacheinander die dnrch Macht und
Reichtum anlockende Stadt erobert, geplündert und zerstört, sogar in der ersten
Zeit der französischen Herrschaft ist sie uoch einmal im Sturm genommen
worden. Daneben ist sie öfters durch Brand verheert worden. Wenn schon
die römischen Päpste das Kolosseum und das Pantheon als bequemen Steinbruch
für ihre Bauten betrachteten, können wir uns da wundern, wenn die heimge¬
suchten Bewohner zum Bau neuer Hütten und Mauern die Reste alter Denk¬
mäler verwandten? Was konnten dem griechischen Händler auch die stummen
Zeugen einer toten Vergangenheit bedeuten? Der tätige Mensch hat im allgemeinen
nicht Zeit und Stimmung zum Kulte dessen, was war. Diese mit mehr Talent als
Charakter ausgestatteten Griechen suchten und wußten erst recht alles in lebendige
Gegenwart zu verwandeln. Auch ihre Enkel haben trotz vielfacher Blutmischung
diesen Geist bewahrt: ihr Triumphbogen ist dafür ein bezeichnendes Denkmal.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0659" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295076"/>
          <fw type="header" place="top"> Massaua</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3007" prev="#ID_3006"> Grab gegeben hat. Denn ans einem ägyptischen Griechenambe sind diese Funde<lb/>
nach Marseille gekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3008"> So arm das Vorelymuseum auch an wirklichen Kunstwerken und Massalischen<lb/>
Resten sein mag, von griechischem Leben erzählt es also doch; aber immer wieder<lb/>
drängt sich uns die Frage auf: Wie erklärt es sich, daß die griechische Kultur¬<lb/>
stätte fast spurlos unter der modernen Großstadt verschwunden ist?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3009"> Vieles mag noch der Boden bergen &#x2014; nur dem Zufall verdanken wir<lb/>
die wertvollsten Funde, wie die der Grabdenkmäler &#x2014;, denn dieser Boden hat<lb/>
viel erlebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3010" next="#ID_3011"> Jahrhunderte schon bestand Massaua, Ligurern und Galliern zum Trotz.<lb/>
Als die Gallier bedrohender wurden, suchte es Schutz in der Freundschaft<lb/>
Roms.  Aber diese Freundschaft, die es übrigens auch in Roms schweren<lb/>
Stunden zur Zeit des punischen und des teutonischen Schreckens treu bewahrte,<lb/>
ist schließlich auch den Massaliern verhängnisvoll geworden.  Als gegen Ende<lb/>
der Republik Rom in innern Kämpfen rang, da verloren die klugen<lb/>
Händler die feine Witterung für die stärkere Sache: sie unterstützten den<lb/>
Pompejus.  Dafür wurde die Stadt von Cäsar belagert und erstürmt.<lb/>
Manches Kunstwerk mag von dem Sieger nach Rom geschleppt worden sein,<lb/>
wenn er auch die griechischen Tempel und Denkmäler nicht zerstörte. Diesen kam<lb/>
aber bald ein gefährlicherer Feind aus dem hellenisierten Orient. Angezogen<lb/>
und gefördert durch die hier herrschende Sprache der Septuaginta faßte das<lb/>
Christentum ganz früh in Massaua Fuß. Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die<lb/>
Legende, als Apostel der neuen Lehre sei der vom Tode erweckte Lazarus dort¬<lb/>
hin gekommen. Schon früh müssen dem christlichen Glauben die heidnischen<lb/>
Tempel Massauas gewichen sein. Die hohe Verehrung, die im Mittelalter die<lb/>
Wallfahrtskapelle Rotrs v^ins as 1a Sarcls genoß, legt den Gedanken nahe,<lb/>
daß sie ebenso an die Stelle eines Dianenheiligtums getreten ist wie die Marien¬<lb/>
kirchen ^r^coli und Loxra Mirsrvs, in Rom um die Stelle von Juno- und von<lb/>
Miuervatempeln.  Auch die Hauptkirche, die Kathedrale von Marseille, ist eine<lb/>
Marienkirche. Macht schon der frühe Sieg des Christentums ein schnelles Ver¬<lb/>
schwinden der heidnischen Tempel wahrscheinlich, so sind an dem spurlosen<lb/>
Untergange der griechischen Bauten die Schicksale des christlichen Massaua schuld.<lb/>
Westgoten, Burgunder und Sarazenen haben nacheinander die dnrch Macht und<lb/>
Reichtum anlockende Stadt erobert, geplündert und zerstört, sogar in der ersten<lb/>
Zeit der französischen Herrschaft ist sie uoch einmal im Sturm genommen<lb/>
worden. Daneben ist sie öfters durch Brand verheert worden. Wenn schon<lb/>
die römischen Päpste das Kolosseum und das Pantheon als bequemen Steinbruch<lb/>
für ihre Bauten betrachteten, können wir uns da wundern, wenn die heimge¬<lb/>
suchten Bewohner zum Bau neuer Hütten und Mauern die Reste alter Denk¬<lb/>
mäler verwandten? Was konnten dem griechischen Händler auch die stummen<lb/>
Zeugen einer toten Vergangenheit bedeuten? Der tätige Mensch hat im allgemeinen<lb/>
nicht Zeit und Stimmung zum Kulte dessen, was war. Diese mit mehr Talent als<lb/>
Charakter ausgestatteten Griechen suchten und wußten erst recht alles in lebendige<lb/>
Gegenwart zu verwandeln. Auch ihre Enkel haben trotz vielfacher Blutmischung<lb/>
diesen Geist bewahrt: ihr Triumphbogen ist dafür ein bezeichnendes Denkmal.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0659] Massaua Grab gegeben hat. Denn ans einem ägyptischen Griechenambe sind diese Funde nach Marseille gekommen. So arm das Vorelymuseum auch an wirklichen Kunstwerken und Massalischen Resten sein mag, von griechischem Leben erzählt es also doch; aber immer wieder drängt sich uns die Frage auf: Wie erklärt es sich, daß die griechische Kultur¬ stätte fast spurlos unter der modernen Großstadt verschwunden ist? Vieles mag noch der Boden bergen — nur dem Zufall verdanken wir die wertvollsten Funde, wie die der Grabdenkmäler —, denn dieser Boden hat viel erlebt. Jahrhunderte schon bestand Massaua, Ligurern und Galliern zum Trotz. Als die Gallier bedrohender wurden, suchte es Schutz in der Freundschaft Roms. Aber diese Freundschaft, die es übrigens auch in Roms schweren Stunden zur Zeit des punischen und des teutonischen Schreckens treu bewahrte, ist schließlich auch den Massaliern verhängnisvoll geworden. Als gegen Ende der Republik Rom in innern Kämpfen rang, da verloren die klugen Händler die feine Witterung für die stärkere Sache: sie unterstützten den Pompejus. Dafür wurde die Stadt von Cäsar belagert und erstürmt. Manches Kunstwerk mag von dem Sieger nach Rom geschleppt worden sein, wenn er auch die griechischen Tempel und Denkmäler nicht zerstörte. Diesen kam aber bald ein gefährlicherer Feind aus dem hellenisierten Orient. Angezogen und gefördert durch die hier herrschende Sprache der Septuaginta faßte das Christentum ganz früh in Massaua Fuß. Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die Legende, als Apostel der neuen Lehre sei der vom Tode erweckte Lazarus dort¬ hin gekommen. Schon früh müssen dem christlichen Glauben die heidnischen Tempel Massauas gewichen sein. Die hohe Verehrung, die im Mittelalter die Wallfahrtskapelle Rotrs v^ins as 1a Sarcls genoß, legt den Gedanken nahe, daß sie ebenso an die Stelle eines Dianenheiligtums getreten ist wie die Marien¬ kirchen ^r^coli und Loxra Mirsrvs, in Rom um die Stelle von Juno- und von Miuervatempeln. Auch die Hauptkirche, die Kathedrale von Marseille, ist eine Marienkirche. Macht schon der frühe Sieg des Christentums ein schnelles Ver¬ schwinden der heidnischen Tempel wahrscheinlich, so sind an dem spurlosen Untergange der griechischen Bauten die Schicksale des christlichen Massaua schuld. Westgoten, Burgunder und Sarazenen haben nacheinander die dnrch Macht und Reichtum anlockende Stadt erobert, geplündert und zerstört, sogar in der ersten Zeit der französischen Herrschaft ist sie uoch einmal im Sturm genommen worden. Daneben ist sie öfters durch Brand verheert worden. Wenn schon die römischen Päpste das Kolosseum und das Pantheon als bequemen Steinbruch für ihre Bauten betrachteten, können wir uns da wundern, wenn die heimge¬ suchten Bewohner zum Bau neuer Hütten und Mauern die Reste alter Denk¬ mäler verwandten? Was konnten dem griechischen Händler auch die stummen Zeugen einer toten Vergangenheit bedeuten? Der tätige Mensch hat im allgemeinen nicht Zeit und Stimmung zum Kulte dessen, was war. Diese mit mehr Talent als Charakter ausgestatteten Griechen suchten und wußten erst recht alles in lebendige Gegenwart zu verwandeln. Auch ihre Enkel haben trotz vielfacher Blutmischung diesen Geist bewahrt: ihr Triumphbogen ist dafür ein bezeichnendes Denkmal.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/659
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/659>, abgerufen am 13.05.2024.