Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kulturkampf und Schisma

Kirchenpolitik unter dem Einfluß der Thiers und Jules Simon sehr friedlich.
Leo der Dreizehnte dankte ihr durch das denkbarste Entgegenkommen. Die
ersten Trübungen des guten Verhältnisses stellten sich eigentlich erst nach dein
Tode deS gegen Rom sehr verbindlichen Felix Faure ein.

Das Konkordat hat, wie wir sehen, nicht immer Differenzen zwischen
Kirche und Staat verhindert, aber niemand wird bezweifeln wollen, daß es
trotzdem für den Katholizismus wie für die Nation große Vorteile gehabt hat.
Mochten die Regierungen sich noch so sehr streiten, das religiöse Leben des
Volks blieb davon unberührt. Das Konkordat hat Frankreich für mehr als
hundert Jahre den konfessionellen Frieden gesichert. Einem solchen Gesetz ist
man dankbar und opfert es nicht leichthin.

Der Beginn des Kriegszustandes, der nach Aufhebung des Konkordats
einträte, würde als Folge von internationaler Bedeutung das Ende des
französischen Protektorats über die katholischen Niederlassungen im nahen und im
fernen Orient wohl nach sich ziehn. Dieses französische Vorrecht ist in seiner
Giltigkeit für unsre Tage freilich sehr bestritten; vor allem hat auch die Reichs¬
regierung keinen Zweifel darüber gelassen, daß der Schutz der deutschen katho¬
lischen Missionare im Osten Sache des deutschen Kaisers und nicht des Präsi¬
denten der Republik sei. In Frankreich hat man aber bisher die Legitimität
dieses alten Privilegium ousrosum mit größter Hitzigkeit verfochten und bean¬
sprucht auch heute uoch den Schutz über die deutscheu Missionsniederlassungen
als solche. Format beruht das Protektorat auf einem Vertrage vom Jahre 1535,
worin der französischen Regierung der Schutz aller kirchlichen Anstalten in der
damaligen Türkei übertragen wurde; diese Schutzherrschaft, die nicht so sehr
auf Abmachungen mit dem Vatikan als auf Verträgen mit der Pforte beruhte,
wurde später auf den ganzen Osten ausgedehnt. Wenn sich also zum Beispiel
ein deutscher Missionar bei seinem Konsul über irgendwelche Rechtsverletzung
durch die Landesbehörde beschwerte, mußte er deshalb auf Antrag Frankreichs
zur Rede gestellt werden und sich vorschriftsmäßig an die französische Regierung
als Schutzbehörde wenden. Diese Bestimmungen gelten uns praktisch heute
als obsolet, obwohl noch der Berliner Vertrag in seinem Artikel 62 nach
französischer Auffassung der Republik das Protektorat von neuem gewährleistet
hat. Auch Leo der Dreizehnte hat das Protektorat Frankreichs nicht antasten
wollen. Im Juni 1885 legte das italienische Ministerium Depretis-Mancini
der Kammer einen Gesetzentwurf vor, worin die italienische Regierung den
Schutz der Missionare italienischer Nationalität übernehmen sollte. Sofort
erhob der französische Botschafter beim Vatikan. Lefebvre de BeHaine, Be¬
schwerde, und die Propaganda richtete dann 1888 an alle Missionen den
gemessenen Befehl, sich im Notfall jedesmal an die französischen Behörden
zu wenden. Die Reise unsers Kaisers nach Palästina erregte die Franzosen
sehr und ließ sie für ihr eingebildetes Recht auf Schutz auch der deutschen
Missionen fürchten. Leo schrieb damals an den Kardinal-Erzbischof Lcmgemeux,
daß jenes Propagandarundschreiben vom Jahre 1888 in Kraft bleibe, und
daß der Heilige Stuhl an den glorreichen Vorrechten Frankreichs nichts ändern
wolle. Heute haben sich die fremden Missionen der Großmächte mehr und


Kulturkampf und Schisma

Kirchenpolitik unter dem Einfluß der Thiers und Jules Simon sehr friedlich.
Leo der Dreizehnte dankte ihr durch das denkbarste Entgegenkommen. Die
ersten Trübungen des guten Verhältnisses stellten sich eigentlich erst nach dein
Tode deS gegen Rom sehr verbindlichen Felix Faure ein.

Das Konkordat hat, wie wir sehen, nicht immer Differenzen zwischen
Kirche und Staat verhindert, aber niemand wird bezweifeln wollen, daß es
trotzdem für den Katholizismus wie für die Nation große Vorteile gehabt hat.
Mochten die Regierungen sich noch so sehr streiten, das religiöse Leben des
Volks blieb davon unberührt. Das Konkordat hat Frankreich für mehr als
hundert Jahre den konfessionellen Frieden gesichert. Einem solchen Gesetz ist
man dankbar und opfert es nicht leichthin.

Der Beginn des Kriegszustandes, der nach Aufhebung des Konkordats
einträte, würde als Folge von internationaler Bedeutung das Ende des
französischen Protektorats über die katholischen Niederlassungen im nahen und im
fernen Orient wohl nach sich ziehn. Dieses französische Vorrecht ist in seiner
Giltigkeit für unsre Tage freilich sehr bestritten; vor allem hat auch die Reichs¬
regierung keinen Zweifel darüber gelassen, daß der Schutz der deutschen katho¬
lischen Missionare im Osten Sache des deutschen Kaisers und nicht des Präsi¬
denten der Republik sei. In Frankreich hat man aber bisher die Legitimität
dieses alten Privilegium ousrosum mit größter Hitzigkeit verfochten und bean¬
sprucht auch heute uoch den Schutz über die deutscheu Missionsniederlassungen
als solche. Format beruht das Protektorat auf einem Vertrage vom Jahre 1535,
worin der französischen Regierung der Schutz aller kirchlichen Anstalten in der
damaligen Türkei übertragen wurde; diese Schutzherrschaft, die nicht so sehr
auf Abmachungen mit dem Vatikan als auf Verträgen mit der Pforte beruhte,
wurde später auf den ganzen Osten ausgedehnt. Wenn sich also zum Beispiel
ein deutscher Missionar bei seinem Konsul über irgendwelche Rechtsverletzung
durch die Landesbehörde beschwerte, mußte er deshalb auf Antrag Frankreichs
zur Rede gestellt werden und sich vorschriftsmäßig an die französische Regierung
als Schutzbehörde wenden. Diese Bestimmungen gelten uns praktisch heute
als obsolet, obwohl noch der Berliner Vertrag in seinem Artikel 62 nach
französischer Auffassung der Republik das Protektorat von neuem gewährleistet
hat. Auch Leo der Dreizehnte hat das Protektorat Frankreichs nicht antasten
wollen. Im Juni 1885 legte das italienische Ministerium Depretis-Mancini
der Kammer einen Gesetzentwurf vor, worin die italienische Regierung den
Schutz der Missionare italienischer Nationalität übernehmen sollte. Sofort
erhob der französische Botschafter beim Vatikan. Lefebvre de BeHaine, Be¬
schwerde, und die Propaganda richtete dann 1888 an alle Missionen den
gemessenen Befehl, sich im Notfall jedesmal an die französischen Behörden
zu wenden. Die Reise unsers Kaisers nach Palästina erregte die Franzosen
sehr und ließ sie für ihr eingebildetes Recht auf Schutz auch der deutschen
Missionen fürchten. Leo schrieb damals an den Kardinal-Erzbischof Lcmgemeux,
daß jenes Propagandarundschreiben vom Jahre 1888 in Kraft bleibe, und
daß der Heilige Stuhl an den glorreichen Vorrechten Frankreichs nichts ändern
wolle. Heute haben sich die fremden Missionen der Großmächte mehr und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0683" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295100"/>
          <fw type="header" place="top"> Kulturkampf und Schisma</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3322" prev="#ID_3321"> Kirchenpolitik unter dem Einfluß der Thiers und Jules Simon sehr friedlich.<lb/>
Leo der Dreizehnte dankte ihr durch das denkbarste Entgegenkommen. Die<lb/>
ersten Trübungen des guten Verhältnisses stellten sich eigentlich erst nach dein<lb/>
Tode deS gegen Rom sehr verbindlichen Felix Faure ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3323"> Das Konkordat hat, wie wir sehen, nicht immer Differenzen zwischen<lb/>
Kirche und Staat verhindert, aber niemand wird bezweifeln wollen, daß es<lb/>
trotzdem für den Katholizismus wie für die Nation große Vorteile gehabt hat.<lb/>
Mochten die Regierungen sich noch so sehr streiten, das religiöse Leben des<lb/>
Volks blieb davon unberührt. Das Konkordat hat Frankreich für mehr als<lb/>
hundert Jahre den konfessionellen Frieden gesichert. Einem solchen Gesetz ist<lb/>
man dankbar und opfert es nicht leichthin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3324" next="#ID_3325"> Der Beginn des Kriegszustandes, der nach Aufhebung des Konkordats<lb/>
einträte, würde als Folge von internationaler Bedeutung das Ende des<lb/>
französischen Protektorats über die katholischen Niederlassungen im nahen und im<lb/>
fernen Orient wohl nach sich ziehn. Dieses französische Vorrecht ist in seiner<lb/>
Giltigkeit für unsre Tage freilich sehr bestritten; vor allem hat auch die Reichs¬<lb/>
regierung keinen Zweifel darüber gelassen, daß der Schutz der deutschen katho¬<lb/>
lischen Missionare im Osten Sache des deutschen Kaisers und nicht des Präsi¬<lb/>
denten der Republik sei.  In Frankreich hat man aber bisher die Legitimität<lb/>
dieses alten Privilegium ousrosum mit größter Hitzigkeit verfochten und bean¬<lb/>
sprucht auch heute uoch den Schutz über die deutscheu Missionsniederlassungen<lb/>
als solche. Format beruht das Protektorat auf einem Vertrage vom Jahre 1535,<lb/>
worin der französischen Regierung der Schutz aller kirchlichen Anstalten in der<lb/>
damaligen Türkei übertragen wurde; diese Schutzherrschaft, die nicht so sehr<lb/>
auf Abmachungen mit dem Vatikan als auf Verträgen mit der Pforte beruhte,<lb/>
wurde später auf den ganzen Osten ausgedehnt. Wenn sich also zum Beispiel<lb/>
ein deutscher Missionar bei seinem Konsul über irgendwelche Rechtsverletzung<lb/>
durch die Landesbehörde beschwerte, mußte er deshalb auf Antrag Frankreichs<lb/>
zur Rede gestellt werden und sich vorschriftsmäßig an die französische Regierung<lb/>
als Schutzbehörde wenden.  Diese Bestimmungen gelten uns praktisch heute<lb/>
als obsolet, obwohl noch der Berliner Vertrag in seinem Artikel 62 nach<lb/>
französischer Auffassung der Republik das Protektorat von neuem gewährleistet<lb/>
hat. Auch Leo der Dreizehnte hat das Protektorat Frankreichs nicht antasten<lb/>
wollen.  Im Juni 1885 legte das italienische Ministerium Depretis-Mancini<lb/>
der Kammer einen Gesetzentwurf vor, worin die italienische Regierung den<lb/>
Schutz der Missionare italienischer Nationalität übernehmen sollte. Sofort<lb/>
erhob der französische Botschafter beim Vatikan. Lefebvre de BeHaine, Be¬<lb/>
schwerde, und die Propaganda richtete dann 1888 an alle Missionen den<lb/>
gemessenen Befehl, sich im Notfall jedesmal an die französischen Behörden<lb/>
zu wenden.  Die Reise unsers Kaisers nach Palästina erregte die Franzosen<lb/>
sehr und ließ sie für ihr eingebildetes Recht auf Schutz auch der deutschen<lb/>
Missionen fürchten. Leo schrieb damals an den Kardinal-Erzbischof Lcmgemeux,<lb/>
daß jenes Propagandarundschreiben vom Jahre 1888 in Kraft bleibe, und<lb/>
daß der Heilige Stuhl an den glorreichen Vorrechten Frankreichs nichts ändern<lb/>
wolle.  Heute haben sich die fremden Missionen der Großmächte mehr und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0683] Kulturkampf und Schisma Kirchenpolitik unter dem Einfluß der Thiers und Jules Simon sehr friedlich. Leo der Dreizehnte dankte ihr durch das denkbarste Entgegenkommen. Die ersten Trübungen des guten Verhältnisses stellten sich eigentlich erst nach dein Tode deS gegen Rom sehr verbindlichen Felix Faure ein. Das Konkordat hat, wie wir sehen, nicht immer Differenzen zwischen Kirche und Staat verhindert, aber niemand wird bezweifeln wollen, daß es trotzdem für den Katholizismus wie für die Nation große Vorteile gehabt hat. Mochten die Regierungen sich noch so sehr streiten, das religiöse Leben des Volks blieb davon unberührt. Das Konkordat hat Frankreich für mehr als hundert Jahre den konfessionellen Frieden gesichert. Einem solchen Gesetz ist man dankbar und opfert es nicht leichthin. Der Beginn des Kriegszustandes, der nach Aufhebung des Konkordats einträte, würde als Folge von internationaler Bedeutung das Ende des französischen Protektorats über die katholischen Niederlassungen im nahen und im fernen Orient wohl nach sich ziehn. Dieses französische Vorrecht ist in seiner Giltigkeit für unsre Tage freilich sehr bestritten; vor allem hat auch die Reichs¬ regierung keinen Zweifel darüber gelassen, daß der Schutz der deutschen katho¬ lischen Missionare im Osten Sache des deutschen Kaisers und nicht des Präsi¬ denten der Republik sei. In Frankreich hat man aber bisher die Legitimität dieses alten Privilegium ousrosum mit größter Hitzigkeit verfochten und bean¬ sprucht auch heute uoch den Schutz über die deutscheu Missionsniederlassungen als solche. Format beruht das Protektorat auf einem Vertrage vom Jahre 1535, worin der französischen Regierung der Schutz aller kirchlichen Anstalten in der damaligen Türkei übertragen wurde; diese Schutzherrschaft, die nicht so sehr auf Abmachungen mit dem Vatikan als auf Verträgen mit der Pforte beruhte, wurde später auf den ganzen Osten ausgedehnt. Wenn sich also zum Beispiel ein deutscher Missionar bei seinem Konsul über irgendwelche Rechtsverletzung durch die Landesbehörde beschwerte, mußte er deshalb auf Antrag Frankreichs zur Rede gestellt werden und sich vorschriftsmäßig an die französische Regierung als Schutzbehörde wenden. Diese Bestimmungen gelten uns praktisch heute als obsolet, obwohl noch der Berliner Vertrag in seinem Artikel 62 nach französischer Auffassung der Republik das Protektorat von neuem gewährleistet hat. Auch Leo der Dreizehnte hat das Protektorat Frankreichs nicht antasten wollen. Im Juni 1885 legte das italienische Ministerium Depretis-Mancini der Kammer einen Gesetzentwurf vor, worin die italienische Regierung den Schutz der Missionare italienischer Nationalität übernehmen sollte. Sofort erhob der französische Botschafter beim Vatikan. Lefebvre de BeHaine, Be¬ schwerde, und die Propaganda richtete dann 1888 an alle Missionen den gemessenen Befehl, sich im Notfall jedesmal an die französischen Behörden zu wenden. Die Reise unsers Kaisers nach Palästina erregte die Franzosen sehr und ließ sie für ihr eingebildetes Recht auf Schutz auch der deutschen Missionen fürchten. Leo schrieb damals an den Kardinal-Erzbischof Lcmgemeux, daß jenes Propagandarundschreiben vom Jahre 1888 in Kraft bleibe, und daß der Heilige Stuhl an den glorreichen Vorrechten Frankreichs nichts ändern wolle. Heute haben sich die fremden Missionen der Großmächte mehr und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/683
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/683>, abgerufen am 14.05.2024.