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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgvbliches

Angenommen jedoch, er wäre wirklich irrsinnig, so würde es sich immer noch
fragen, ob man das Recht hätte, ihn einzusperren. Vorläufig ist das lenkbare
Luftschiff noch nicht erfunden, und er hat den Triumphzug, der ja als grober
Unfug und Rebellion, verursacht durch religiösen Wahnsinn, qualifiziert werden
könnte, noch nicht angetreten. Dann aber muß man nicht glauben, daß alles in
seinen Schriften so verrückt klinge wie das angeführte; wäre das der Fall, dann
hätte ich nicht sagen dürfen, so etwas sei noch nicht dagewesen. Das wirklich Neue
liegt einmal in seiner schon erwähnten Ansicht, daß man zwischen dem Messias
und Jesus unterscheiden und diesen als den höhern ansehen müsse, dann aber in
folgendem. Er, der enthusiastische Talmudjude und grimme Feind des Christen¬
tums, wird nicht allein dem Neuen Testament und der Person Jesu gerecht,
sondern er verehrt beide. Er, der ganz moderne und mit der Bibelkritik wohl
vertraute Gelehrte, würdigt diese nicht einmal einer Polemik, sondern behandelt
die christliche Bibel vom ersten bis zum letzten Kapitel als echte Offenbarung
Gottes, nur daß die Kirche das Neue Testament an vielen Stellen gefälscht und
Luther durch falsche Übersetzungen das Fälschungswerk vollendet haben soll. Und
seine Beweise sind so scharfsinnig, mit so viel Geschick und Witz vorgetragen, daß
man sich stellenweise versucht fühlt, zu fragen, ob der Manu nicht am Ende Recht
habe. Natürlich nicht mit dein Luftballon, aber mit vielen andern seiner Schrift¬
erklärungen. In seiner Charakteristik Jesu kommt vieles vor, was die christlichen
Theologen und noch mehr die Prediger gut tun würden, zu beachten. Jesus ist
zum Beispiel wirklich nicht das geduldige Lämmlein mancher Kirchenlieder und
Erbauungsbücher gewesen, sondern der Choleriker, den de Jorge schildert, auch
nicht der Manu der Leiden, als den ihn die Fastenprediger darstellen (das Leide"
seines ganzen Lebens hat zwar nicht bloß sechs Stunden, wie de Jorge berechnet,
aber doch höchstens achtzehn Stunden gedauert), sondern eine Herrschergestalt.
"Man wagte nicht, ihn öffentlich anzugreifen, so sehr man auch versuchte, ihn heim¬
lich zu vernichten. Die Pfaffen waren immer Falstaffe, die katholischen vor allem
in der Trinkfestigkeit, die protestantischen und I^dies jüdischen (auch solche gab es
leider stets!) in der Übung jener großen Vorsicht, die der bessere Teil der Tapfer¬
keit ist. Welche gefürchtete Stellung er einnahm, das lehrt mit leuchtender Klarheit
die Tempelreinigung, von der uns Johannes berichtet, da er hier noch nicht auf
der Höhe seiner Macht stand, wie bei der zweiten am Palmsonntag, von der die
Synoptiker berichten. Welch eine Situation! Welch eine diktatorische Schließung
der Vieh- und Effektenbörse, die sich in der salomonischen Vorhalle eingenistet
hatte! Kein Börsengesetz, kein Verwaltungsstreitversahren war vorausgegangen,
kein Polizeibefehl. Auch kein Polizeiaufgebot zur Durchführung. Jesus Imperator
beschließt und verkündigt: Diese unwürdige Börse hat aufgehört zu existieren!
Und dieser Beschluß war Gesetz, war rechtskräftiges Urteil und Vollstreckungsbefehl
Zugleich! Und wie er als Gesetzgeber und Gerichtsperson fungierte, so war er
mich sein eigner Exekutionsbeamter. Mit Prügeln trieb er diese Börsenjudeu
hinaus usw." Auch über die unvergleichliche Weisheit und die Fülle technischer
Kenntnisse, die sich in Jesu Lehrvortrügen, besonders in den Gleichnissen, offenbaren,
über die ebenfalls unvergleichlich schöne und packende Form seiner Vorträge, die, wie
mit Recht hervorgehoben wird, nichts weniger als Predigten waren, über den
Witz, mit dem sie gewürzt sind, wird vortreffliches gesagt. Zu weit in der Jnter-
pretationstunst führt den Verfasser sein Streben, Jesus als den klassischen Juden
darstellen und ihm alle spezifisch jüdischen Tugenden zuzuschreiben, zum Beispiel
Finanzgenie und Kapitalistengesinnung. Doch muß man ihm lassen, daß er das
alles sehr hübsch zu machen versteht, zum Beispiel: "Beim Bankier Zachäus sagt
er sich selbst zum Souper an, ganz wie hohe Herren, und dieser Zachäus, der
schwer reich und so etwas wie römischer Geheimer Finanzrat war, fühlt sich außer¬
ordentlich geschmeichelt."

Der Fall de Jorge ist in zweifacher Beziehung interessant. Die eine ist die


Maßgebliches und Unmaßgvbliches

Angenommen jedoch, er wäre wirklich irrsinnig, so würde es sich immer noch
fragen, ob man das Recht hätte, ihn einzusperren. Vorläufig ist das lenkbare
Luftschiff noch nicht erfunden, und er hat den Triumphzug, der ja als grober
Unfug und Rebellion, verursacht durch religiösen Wahnsinn, qualifiziert werden
könnte, noch nicht angetreten. Dann aber muß man nicht glauben, daß alles in
seinen Schriften so verrückt klinge wie das angeführte; wäre das der Fall, dann
hätte ich nicht sagen dürfen, so etwas sei noch nicht dagewesen. Das wirklich Neue
liegt einmal in seiner schon erwähnten Ansicht, daß man zwischen dem Messias
und Jesus unterscheiden und diesen als den höhern ansehen müsse, dann aber in
folgendem. Er, der enthusiastische Talmudjude und grimme Feind des Christen¬
tums, wird nicht allein dem Neuen Testament und der Person Jesu gerecht,
sondern er verehrt beide. Er, der ganz moderne und mit der Bibelkritik wohl
vertraute Gelehrte, würdigt diese nicht einmal einer Polemik, sondern behandelt
die christliche Bibel vom ersten bis zum letzten Kapitel als echte Offenbarung
Gottes, nur daß die Kirche das Neue Testament an vielen Stellen gefälscht und
Luther durch falsche Übersetzungen das Fälschungswerk vollendet haben soll. Und
seine Beweise sind so scharfsinnig, mit so viel Geschick und Witz vorgetragen, daß
man sich stellenweise versucht fühlt, zu fragen, ob der Manu nicht am Ende Recht
habe. Natürlich nicht mit dein Luftballon, aber mit vielen andern seiner Schrift¬
erklärungen. In seiner Charakteristik Jesu kommt vieles vor, was die christlichen
Theologen und noch mehr die Prediger gut tun würden, zu beachten. Jesus ist
zum Beispiel wirklich nicht das geduldige Lämmlein mancher Kirchenlieder und
Erbauungsbücher gewesen, sondern der Choleriker, den de Jorge schildert, auch
nicht der Manu der Leiden, als den ihn die Fastenprediger darstellen (das Leide»
seines ganzen Lebens hat zwar nicht bloß sechs Stunden, wie de Jorge berechnet,
aber doch höchstens achtzehn Stunden gedauert), sondern eine Herrschergestalt.
„Man wagte nicht, ihn öffentlich anzugreifen, so sehr man auch versuchte, ihn heim¬
lich zu vernichten. Die Pfaffen waren immer Falstaffe, die katholischen vor allem
in der Trinkfestigkeit, die protestantischen und I^dies jüdischen (auch solche gab es
leider stets!) in der Übung jener großen Vorsicht, die der bessere Teil der Tapfer¬
keit ist. Welche gefürchtete Stellung er einnahm, das lehrt mit leuchtender Klarheit
die Tempelreinigung, von der uns Johannes berichtet, da er hier noch nicht auf
der Höhe seiner Macht stand, wie bei der zweiten am Palmsonntag, von der die
Synoptiker berichten. Welch eine Situation! Welch eine diktatorische Schließung
der Vieh- und Effektenbörse, die sich in der salomonischen Vorhalle eingenistet
hatte! Kein Börsengesetz, kein Verwaltungsstreitversahren war vorausgegangen,
kein Polizeibefehl. Auch kein Polizeiaufgebot zur Durchführung. Jesus Imperator
beschließt und verkündigt: Diese unwürdige Börse hat aufgehört zu existieren!
Und dieser Beschluß war Gesetz, war rechtskräftiges Urteil und Vollstreckungsbefehl
Zugleich! Und wie er als Gesetzgeber und Gerichtsperson fungierte, so war er
mich sein eigner Exekutionsbeamter. Mit Prügeln trieb er diese Börsenjudeu
hinaus usw." Auch über die unvergleichliche Weisheit und die Fülle technischer
Kenntnisse, die sich in Jesu Lehrvortrügen, besonders in den Gleichnissen, offenbaren,
über die ebenfalls unvergleichlich schöne und packende Form seiner Vorträge, die, wie
mit Recht hervorgehoben wird, nichts weniger als Predigten waren, über den
Witz, mit dem sie gewürzt sind, wird vortreffliches gesagt. Zu weit in der Jnter-
pretationstunst führt den Verfasser sein Streben, Jesus als den klassischen Juden
darstellen und ihm alle spezifisch jüdischen Tugenden zuzuschreiben, zum Beispiel
Finanzgenie und Kapitalistengesinnung. Doch muß man ihm lassen, daß er das
alles sehr hübsch zu machen versteht, zum Beispiel: „Beim Bankier Zachäus sagt
er sich selbst zum Souper an, ganz wie hohe Herren, und dieser Zachäus, der
schwer reich und so etwas wie römischer Geheimer Finanzrat war, fühlt sich außer¬
ordentlich geschmeichelt."

Der Fall de Jorge ist in zweifacher Beziehung interessant. Die eine ist die


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[0735] Maßgebliches und Unmaßgvbliches Angenommen jedoch, er wäre wirklich irrsinnig, so würde es sich immer noch fragen, ob man das Recht hätte, ihn einzusperren. Vorläufig ist das lenkbare Luftschiff noch nicht erfunden, und er hat den Triumphzug, der ja als grober Unfug und Rebellion, verursacht durch religiösen Wahnsinn, qualifiziert werden könnte, noch nicht angetreten. Dann aber muß man nicht glauben, daß alles in seinen Schriften so verrückt klinge wie das angeführte; wäre das der Fall, dann hätte ich nicht sagen dürfen, so etwas sei noch nicht dagewesen. Das wirklich Neue liegt einmal in seiner schon erwähnten Ansicht, daß man zwischen dem Messias und Jesus unterscheiden und diesen als den höhern ansehen müsse, dann aber in folgendem. Er, der enthusiastische Talmudjude und grimme Feind des Christen¬ tums, wird nicht allein dem Neuen Testament und der Person Jesu gerecht, sondern er verehrt beide. Er, der ganz moderne und mit der Bibelkritik wohl vertraute Gelehrte, würdigt diese nicht einmal einer Polemik, sondern behandelt die christliche Bibel vom ersten bis zum letzten Kapitel als echte Offenbarung Gottes, nur daß die Kirche das Neue Testament an vielen Stellen gefälscht und Luther durch falsche Übersetzungen das Fälschungswerk vollendet haben soll. Und seine Beweise sind so scharfsinnig, mit so viel Geschick und Witz vorgetragen, daß man sich stellenweise versucht fühlt, zu fragen, ob der Manu nicht am Ende Recht habe. Natürlich nicht mit dein Luftballon, aber mit vielen andern seiner Schrift¬ erklärungen. In seiner Charakteristik Jesu kommt vieles vor, was die christlichen Theologen und noch mehr die Prediger gut tun würden, zu beachten. Jesus ist zum Beispiel wirklich nicht das geduldige Lämmlein mancher Kirchenlieder und Erbauungsbücher gewesen, sondern der Choleriker, den de Jorge schildert, auch nicht der Manu der Leiden, als den ihn die Fastenprediger darstellen (das Leide» seines ganzen Lebens hat zwar nicht bloß sechs Stunden, wie de Jorge berechnet, aber doch höchstens achtzehn Stunden gedauert), sondern eine Herrschergestalt. „Man wagte nicht, ihn öffentlich anzugreifen, so sehr man auch versuchte, ihn heim¬ lich zu vernichten. Die Pfaffen waren immer Falstaffe, die katholischen vor allem in der Trinkfestigkeit, die protestantischen und I^dies jüdischen (auch solche gab es leider stets!) in der Übung jener großen Vorsicht, die der bessere Teil der Tapfer¬ keit ist. Welche gefürchtete Stellung er einnahm, das lehrt mit leuchtender Klarheit die Tempelreinigung, von der uns Johannes berichtet, da er hier noch nicht auf der Höhe seiner Macht stand, wie bei der zweiten am Palmsonntag, von der die Synoptiker berichten. Welch eine Situation! Welch eine diktatorische Schließung der Vieh- und Effektenbörse, die sich in der salomonischen Vorhalle eingenistet hatte! Kein Börsengesetz, kein Verwaltungsstreitversahren war vorausgegangen, kein Polizeibefehl. Auch kein Polizeiaufgebot zur Durchführung. Jesus Imperator beschließt und verkündigt: Diese unwürdige Börse hat aufgehört zu existieren! Und dieser Beschluß war Gesetz, war rechtskräftiges Urteil und Vollstreckungsbefehl Zugleich! Und wie er als Gesetzgeber und Gerichtsperson fungierte, so war er mich sein eigner Exekutionsbeamter. Mit Prügeln trieb er diese Börsenjudeu hinaus usw." Auch über die unvergleichliche Weisheit und die Fülle technischer Kenntnisse, die sich in Jesu Lehrvortrügen, besonders in den Gleichnissen, offenbaren, über die ebenfalls unvergleichlich schöne und packende Form seiner Vorträge, die, wie mit Recht hervorgehoben wird, nichts weniger als Predigten waren, über den Witz, mit dem sie gewürzt sind, wird vortreffliches gesagt. Zu weit in der Jnter- pretationstunst führt den Verfasser sein Streben, Jesus als den klassischen Juden darstellen und ihm alle spezifisch jüdischen Tugenden zuzuschreiben, zum Beispiel Finanzgenie und Kapitalistengesinnung. Doch muß man ihm lassen, daß er das alles sehr hübsch zu machen versteht, zum Beispiel: „Beim Bankier Zachäus sagt er sich selbst zum Souper an, ganz wie hohe Herren, und dieser Zachäus, der schwer reich und so etwas wie römischer Geheimer Finanzrat war, fühlt sich außer¬ ordentlich geschmeichelt." Der Fall de Jorge ist in zweifacher Beziehung interessant. Die eine ist die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/735>, abgerufen am 13.05.2024.