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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Aulturkampf und Schisma

eigne Rechnung übernehmen. Ein andrer Reseden des ehemaligen Kultus-
lmdgets soll Pfarrerpensionen zugute kommen. Ja, man will so weit gehn,
für diese Übergangszeit den Geistlichen noch aus Staatsmitteln Gehälter zu
bewilligen. Schließlich wird aber der Kultus dann später doch der Kommune
zur Last fallen. Bewilligt die politische Gemeinde die Mittel dazu, bleibt für
den Steuerzahler alles beim alten, denn es ist ihm gleichgültig, ob er die
Kirchenabgabe dem Staat oder der Gemeindeverwaltung zahlt. Lehnt eine
radikale oder sozialistische Munizipalvertretung das Kultusbudget ab, haben
wir den Religionskrieg im kleinen, den man doch gerade vermeiden will.
Diese Übertragung der Kultuskosten auf die Kommunalverbände wird also
kaum viele Freunde finden.

Das Wahrscheinlichste, was nach der Aufhebung des Konkordats eintreten
wird, ist also die völlige Trennung von Staat und Kirche. Zu diesem Ende
drängt die äußerste Linke, und auf dasselbe Ziel arbeiten die eigentlichen
Ultramontanen auf der Rechten hin, wie es zum Beispiel der bekannte Graf
Boni de Castellane mit Wort und Feder tut. Die Klerikalen hoffen, eine
solche Trennung des Staats von der Kirche werde dem Katholizismus nichts
schaden, auch dann nicht, wenn sich ein wahrer Kriegszustand zwischen Vatikan
und Republik daraus entwickeln sollte; sie hoffen, daß sich schließlich an dem
Felsen Petri die Wogen des atheistisch-demokratischen Ansturms brechen, und
die katholische Kirche mit nur noch gefestigten Ansehen triumphierend aus dem
Kampfe hervorgehn werde. Auf der Linken rechnet man andrerseits mit der
religiösen Gleichgiltigkeit des breiten Volks und dem kaum verhüllten Atheismus
der Gebildeten und glaubt, daß die Kirche, die keinen Boden mehr in der
Seele der Nation habe und nur noch ein gern gesehenes Ornament des öffent¬
lichen Lebens sei, in wenig Jahren ganz aus Frankreich verschwinden werde.
Wer hat Recht? Die Antwort kann erst die Zukunft geben. Die politische
Wahrscheinlichkeitsrechnung hat hier mit Werten zu operieren, die sich jeder
sichern Abschätzung entziehn. Wenn irgendwo handelt es sich hier um "Impon¬
derabilien" des öffentlichen Lebens. Das französische Volk ist in religiöser
Beziehung noch widerspruchsvoller als in allen andern Dingen, und seine
religiöse Psyche erscheint oft als ein Rätsel. Wie sich diese Rasse also bei
einer Trennung des Staats von der Kirche verhalten würde, kann heute
niemand mit Sicherheit sagen.

Ist der Franzose religiös? oder, was fast noch wichtiger ist, ist die Fran¬
zösin religiös? Jeder Beobachter französischen Volkstums wird hier mit einer
andern Antwort kommen; gerade von dieser Antwort hängt aber die Ent¬
scheidung ab, ob die Kirche stark genug sein wird, den Kampf mit einem aus¬
gesprochen feindlichen Staat und allen seinen unermeßlichen Streitlüsten zu
l'estehn. Ausgesprochen irreligiös und konsequent in ihrer antikirchlichen Ge¬
sinnung sind nur die von der Sozialdemokratie in feste und ständige Schulung
genommnen Arbeitermassen der Großstädte und der großen Jndustriebezirke.
Streng katholisch und in blinder Abhängigkeit von ihren Priestern stehn ander¬
seits allein die Bewohner mancher Landschaften im Norden und im Westen.
Die Bretagne und die Vendee sind heute uoch die eigentliche Heimat des


Aulturkampf und Schisma

eigne Rechnung übernehmen. Ein andrer Reseden des ehemaligen Kultus-
lmdgets soll Pfarrerpensionen zugute kommen. Ja, man will so weit gehn,
für diese Übergangszeit den Geistlichen noch aus Staatsmitteln Gehälter zu
bewilligen. Schließlich wird aber der Kultus dann später doch der Kommune
zur Last fallen. Bewilligt die politische Gemeinde die Mittel dazu, bleibt für
den Steuerzahler alles beim alten, denn es ist ihm gleichgültig, ob er die
Kirchenabgabe dem Staat oder der Gemeindeverwaltung zahlt. Lehnt eine
radikale oder sozialistische Munizipalvertretung das Kultusbudget ab, haben
wir den Religionskrieg im kleinen, den man doch gerade vermeiden will.
Diese Übertragung der Kultuskosten auf die Kommunalverbände wird also
kaum viele Freunde finden.

Das Wahrscheinlichste, was nach der Aufhebung des Konkordats eintreten
wird, ist also die völlige Trennung von Staat und Kirche. Zu diesem Ende
drängt die äußerste Linke, und auf dasselbe Ziel arbeiten die eigentlichen
Ultramontanen auf der Rechten hin, wie es zum Beispiel der bekannte Graf
Boni de Castellane mit Wort und Feder tut. Die Klerikalen hoffen, eine
solche Trennung des Staats von der Kirche werde dem Katholizismus nichts
schaden, auch dann nicht, wenn sich ein wahrer Kriegszustand zwischen Vatikan
und Republik daraus entwickeln sollte; sie hoffen, daß sich schließlich an dem
Felsen Petri die Wogen des atheistisch-demokratischen Ansturms brechen, und
die katholische Kirche mit nur noch gefestigten Ansehen triumphierend aus dem
Kampfe hervorgehn werde. Auf der Linken rechnet man andrerseits mit der
religiösen Gleichgiltigkeit des breiten Volks und dem kaum verhüllten Atheismus
der Gebildeten und glaubt, daß die Kirche, die keinen Boden mehr in der
Seele der Nation habe und nur noch ein gern gesehenes Ornament des öffent¬
lichen Lebens sei, in wenig Jahren ganz aus Frankreich verschwinden werde.
Wer hat Recht? Die Antwort kann erst die Zukunft geben. Die politische
Wahrscheinlichkeitsrechnung hat hier mit Werten zu operieren, die sich jeder
sichern Abschätzung entziehn. Wenn irgendwo handelt es sich hier um „Impon¬
derabilien" des öffentlichen Lebens. Das französische Volk ist in religiöser
Beziehung noch widerspruchsvoller als in allen andern Dingen, und seine
religiöse Psyche erscheint oft als ein Rätsel. Wie sich diese Rasse also bei
einer Trennung des Staats von der Kirche verhalten würde, kann heute
niemand mit Sicherheit sagen.

Ist der Franzose religiös? oder, was fast noch wichtiger ist, ist die Fran¬
zösin religiös? Jeder Beobachter französischen Volkstums wird hier mit einer
andern Antwort kommen; gerade von dieser Antwort hängt aber die Ent¬
scheidung ab, ob die Kirche stark genug sein wird, den Kampf mit einem aus¬
gesprochen feindlichen Staat und allen seinen unermeßlichen Streitlüsten zu
l'estehn. Ausgesprochen irreligiös und konsequent in ihrer antikirchlichen Ge¬
sinnung sind nur die von der Sozialdemokratie in feste und ständige Schulung
genommnen Arbeitermassen der Großstädte und der großen Jndustriebezirke.
Streng katholisch und in blinder Abhängigkeit von ihren Priestern stehn ander¬
seits allein die Bewohner mancher Landschaften im Norden und im Westen.
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[0749] Aulturkampf und Schisma eigne Rechnung übernehmen. Ein andrer Reseden des ehemaligen Kultus- lmdgets soll Pfarrerpensionen zugute kommen. Ja, man will so weit gehn, für diese Übergangszeit den Geistlichen noch aus Staatsmitteln Gehälter zu bewilligen. Schließlich wird aber der Kultus dann später doch der Kommune zur Last fallen. Bewilligt die politische Gemeinde die Mittel dazu, bleibt für den Steuerzahler alles beim alten, denn es ist ihm gleichgültig, ob er die Kirchenabgabe dem Staat oder der Gemeindeverwaltung zahlt. Lehnt eine radikale oder sozialistische Munizipalvertretung das Kultusbudget ab, haben wir den Religionskrieg im kleinen, den man doch gerade vermeiden will. Diese Übertragung der Kultuskosten auf die Kommunalverbände wird also kaum viele Freunde finden. Das Wahrscheinlichste, was nach der Aufhebung des Konkordats eintreten wird, ist also die völlige Trennung von Staat und Kirche. Zu diesem Ende drängt die äußerste Linke, und auf dasselbe Ziel arbeiten die eigentlichen Ultramontanen auf der Rechten hin, wie es zum Beispiel der bekannte Graf Boni de Castellane mit Wort und Feder tut. Die Klerikalen hoffen, eine solche Trennung des Staats von der Kirche werde dem Katholizismus nichts schaden, auch dann nicht, wenn sich ein wahrer Kriegszustand zwischen Vatikan und Republik daraus entwickeln sollte; sie hoffen, daß sich schließlich an dem Felsen Petri die Wogen des atheistisch-demokratischen Ansturms brechen, und die katholische Kirche mit nur noch gefestigten Ansehen triumphierend aus dem Kampfe hervorgehn werde. Auf der Linken rechnet man andrerseits mit der religiösen Gleichgiltigkeit des breiten Volks und dem kaum verhüllten Atheismus der Gebildeten und glaubt, daß die Kirche, die keinen Boden mehr in der Seele der Nation habe und nur noch ein gern gesehenes Ornament des öffent¬ lichen Lebens sei, in wenig Jahren ganz aus Frankreich verschwinden werde. Wer hat Recht? Die Antwort kann erst die Zukunft geben. Die politische Wahrscheinlichkeitsrechnung hat hier mit Werten zu operieren, die sich jeder sichern Abschätzung entziehn. Wenn irgendwo handelt es sich hier um „Impon¬ derabilien" des öffentlichen Lebens. Das französische Volk ist in religiöser Beziehung noch widerspruchsvoller als in allen andern Dingen, und seine religiöse Psyche erscheint oft als ein Rätsel. Wie sich diese Rasse also bei einer Trennung des Staats von der Kirche verhalten würde, kann heute niemand mit Sicherheit sagen. Ist der Franzose religiös? oder, was fast noch wichtiger ist, ist die Fran¬ zösin religiös? Jeder Beobachter französischen Volkstums wird hier mit einer andern Antwort kommen; gerade von dieser Antwort hängt aber die Ent¬ scheidung ab, ob die Kirche stark genug sein wird, den Kampf mit einem aus¬ gesprochen feindlichen Staat und allen seinen unermeßlichen Streitlüsten zu l'estehn. Ausgesprochen irreligiös und konsequent in ihrer antikirchlichen Ge¬ sinnung sind nur die von der Sozialdemokratie in feste und ständige Schulung genommnen Arbeitermassen der Großstädte und der großen Jndustriebezirke. Streng katholisch und in blinder Abhängigkeit von ihren Priestern stehn ander¬ seits allein die Bewohner mancher Landschaften im Norden und im Westen. Die Bretagne und die Vendee sind heute uoch die eigentliche Heimat des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/749>, abgerufen am 13.05.2024.