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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Giordano Bruno

spricht er ihr ab; denn dieses entstehe durch Reflexion, durch eine Selbstvcr-
doppelung, indem der Mensch sich in Subjekt und Objekt spalte und das
Subjekt das Objekt als mit sich eins erkenne. (Das gilt doch nur vom philo¬
sophischen Selbstbewußtsein, dem sogenannten Jchgedanken, nicht vom Selbst¬
bewußtsein des gewöhnlichen Menschen.) Ein solcher Borgang widerspreche der
Einfachheit der Gottheit; von dieser dürfe man nur aussagen, daß sie sich selber
nicht verborgen sein könne. Das andre Problem ist das der Vorsehung und
der Weltregierung. Bruno verspottet die Weltregierung nach dem Notizbuch;
in dieses muß nach einer neuen Verfügung des Zeus Merkur eintragen, was
an jedem Tage zu besorgen ist. "Im Weinberge des Bruno sollen 30 Trauben
vollständig ausreifen, 17 überreif abfallen, 15 von Würmern benagt werden.
Auf dem Düngerhaufen des Abbenzio sollen 250 Mistkäfer entsteh", davon
14 totgetreten werden; der Laurenza sollen beim Kämmen 7 Haare aus¬
fallen usw." Der richtige Begriff der Weltregierung wird folgendermaßen
entwickelt: "Du mußt wissen, daß die Einheit in der unendlichen Zahl und
die unendliche Zahl in der Einheit, die Einheit nur eine unentwickelte Un¬
endlichkeit und die Unendlichkeit nur eine entwickelte Einheit ist. Die Einheit
ist das Wesen der Unendlichkeit. Wer die Einheit ihrem Wesen nach erkennt,
wie dies die universelle Intelligenz tut, der erkennt die Einheit und die Zahl,
das Endliche und das Unendliche, der erkennt das Ende und die Begrenzung
jeder Fassungskraft und das, was darüber hinausgeht; und die kann auch
alles wirken nicht allein im allgemeinen, sondern auch im besondern, da das
Besondre im allgemeinen einbegriffen ist. Somit steht also Zeus ohne jede
Mühe und Anstrengung allen Dingen an allen Orten und zu allen Zeiten
vor, wie sich notwendigerweise das Sein und die Einheit in allen Zahlen, in
allen Räumen, in allen Zeiten und in allen Atomen der Zeiten, Räume und
Zahlen findet, und er ist das einzige Prinzip des Seins in den unzähligen
Individuen, die gewesen sind, sind und sein werden." Damit wissen wir nun
zwar so viel wie vorher, aber es klingt wenigstens sehr schön.

Die Auferweckung des Nolaners ist durchaus zeitgemäß, denn nach drei-
huudertjährigen spiritualistischen, materialistischen, idealistischen und kritischen
Irrfahrten kommen die philosophierenden Geister mehr und mehr in einer
Richtung zusammen, die zur Weltanschauung Giordano Brunos führt. Natür¬
lich meinen wir nur deren Haupt- und Grundgedanken; manche Einzelheiten,
wie die Seelenwanderung, wird die Mehrheit der Denkenden immer ablehnen.
Wiederholt macht Kuhlenbeck darauf aufmerksam, daß Schillers Briefe über
die ästhetische Erziehung des Menschen vielfach an Brunos Grundgedanken
erinnern.




Giordano Bruno

spricht er ihr ab; denn dieses entstehe durch Reflexion, durch eine Selbstvcr-
doppelung, indem der Mensch sich in Subjekt und Objekt spalte und das
Subjekt das Objekt als mit sich eins erkenne. (Das gilt doch nur vom philo¬
sophischen Selbstbewußtsein, dem sogenannten Jchgedanken, nicht vom Selbst¬
bewußtsein des gewöhnlichen Menschen.) Ein solcher Borgang widerspreche der
Einfachheit der Gottheit; von dieser dürfe man nur aussagen, daß sie sich selber
nicht verborgen sein könne. Das andre Problem ist das der Vorsehung und
der Weltregierung. Bruno verspottet die Weltregierung nach dem Notizbuch;
in dieses muß nach einer neuen Verfügung des Zeus Merkur eintragen, was
an jedem Tage zu besorgen ist. „Im Weinberge des Bruno sollen 30 Trauben
vollständig ausreifen, 17 überreif abfallen, 15 von Würmern benagt werden.
Auf dem Düngerhaufen des Abbenzio sollen 250 Mistkäfer entsteh», davon
14 totgetreten werden; der Laurenza sollen beim Kämmen 7 Haare aus¬
fallen usw." Der richtige Begriff der Weltregierung wird folgendermaßen
entwickelt: „Du mußt wissen, daß die Einheit in der unendlichen Zahl und
die unendliche Zahl in der Einheit, die Einheit nur eine unentwickelte Un¬
endlichkeit und die Unendlichkeit nur eine entwickelte Einheit ist. Die Einheit
ist das Wesen der Unendlichkeit. Wer die Einheit ihrem Wesen nach erkennt,
wie dies die universelle Intelligenz tut, der erkennt die Einheit und die Zahl,
das Endliche und das Unendliche, der erkennt das Ende und die Begrenzung
jeder Fassungskraft und das, was darüber hinausgeht; und die kann auch
alles wirken nicht allein im allgemeinen, sondern auch im besondern, da das
Besondre im allgemeinen einbegriffen ist. Somit steht also Zeus ohne jede
Mühe und Anstrengung allen Dingen an allen Orten und zu allen Zeiten
vor, wie sich notwendigerweise das Sein und die Einheit in allen Zahlen, in
allen Räumen, in allen Zeiten und in allen Atomen der Zeiten, Räume und
Zahlen findet, und er ist das einzige Prinzip des Seins in den unzähligen
Individuen, die gewesen sind, sind und sein werden." Damit wissen wir nun
zwar so viel wie vorher, aber es klingt wenigstens sehr schön.

Die Auferweckung des Nolaners ist durchaus zeitgemäß, denn nach drei-
huudertjährigen spiritualistischen, materialistischen, idealistischen und kritischen
Irrfahrten kommen die philosophierenden Geister mehr und mehr in einer
Richtung zusammen, die zur Weltanschauung Giordano Brunos führt. Natür¬
lich meinen wir nur deren Haupt- und Grundgedanken; manche Einzelheiten,
wie die Seelenwanderung, wird die Mehrheit der Denkenden immer ablehnen.
Wiederholt macht Kuhlenbeck darauf aufmerksam, daß Schillers Briefe über
die ästhetische Erziehung des Menschen vielfach an Brunos Grundgedanken
erinnern.




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[0764] Giordano Bruno spricht er ihr ab; denn dieses entstehe durch Reflexion, durch eine Selbstvcr- doppelung, indem der Mensch sich in Subjekt und Objekt spalte und das Subjekt das Objekt als mit sich eins erkenne. (Das gilt doch nur vom philo¬ sophischen Selbstbewußtsein, dem sogenannten Jchgedanken, nicht vom Selbst¬ bewußtsein des gewöhnlichen Menschen.) Ein solcher Borgang widerspreche der Einfachheit der Gottheit; von dieser dürfe man nur aussagen, daß sie sich selber nicht verborgen sein könne. Das andre Problem ist das der Vorsehung und der Weltregierung. Bruno verspottet die Weltregierung nach dem Notizbuch; in dieses muß nach einer neuen Verfügung des Zeus Merkur eintragen, was an jedem Tage zu besorgen ist. „Im Weinberge des Bruno sollen 30 Trauben vollständig ausreifen, 17 überreif abfallen, 15 von Würmern benagt werden. Auf dem Düngerhaufen des Abbenzio sollen 250 Mistkäfer entsteh», davon 14 totgetreten werden; der Laurenza sollen beim Kämmen 7 Haare aus¬ fallen usw." Der richtige Begriff der Weltregierung wird folgendermaßen entwickelt: „Du mußt wissen, daß die Einheit in der unendlichen Zahl und die unendliche Zahl in der Einheit, die Einheit nur eine unentwickelte Un¬ endlichkeit und die Unendlichkeit nur eine entwickelte Einheit ist. Die Einheit ist das Wesen der Unendlichkeit. Wer die Einheit ihrem Wesen nach erkennt, wie dies die universelle Intelligenz tut, der erkennt die Einheit und die Zahl, das Endliche und das Unendliche, der erkennt das Ende und die Begrenzung jeder Fassungskraft und das, was darüber hinausgeht; und die kann auch alles wirken nicht allein im allgemeinen, sondern auch im besondern, da das Besondre im allgemeinen einbegriffen ist. Somit steht also Zeus ohne jede Mühe und Anstrengung allen Dingen an allen Orten und zu allen Zeiten vor, wie sich notwendigerweise das Sein und die Einheit in allen Zahlen, in allen Räumen, in allen Zeiten und in allen Atomen der Zeiten, Räume und Zahlen findet, und er ist das einzige Prinzip des Seins in den unzähligen Individuen, die gewesen sind, sind und sein werden." Damit wissen wir nun zwar so viel wie vorher, aber es klingt wenigstens sehr schön. Die Auferweckung des Nolaners ist durchaus zeitgemäß, denn nach drei- huudertjährigen spiritualistischen, materialistischen, idealistischen und kritischen Irrfahrten kommen die philosophierenden Geister mehr und mehr in einer Richtung zusammen, die zur Weltanschauung Giordano Brunos führt. Natür¬ lich meinen wir nur deren Haupt- und Grundgedanken; manche Einzelheiten, wie die Seelenwanderung, wird die Mehrheit der Denkenden immer ablehnen. Wiederholt macht Kuhlenbeck darauf aufmerksam, daß Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen vielfach an Brunos Grundgedanken erinnern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/764>, abgerufen am 09.05.2024.