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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

Männchen empfahlen -- ich sah sie bald als Bergmännchen aus der Tiefe bis
zur Decke steigen, bald als Engelchen von oben herunterreiten --, die braunen
glänzenden Kinder, die um den Tonofen des Wohnzimmers ihren Reigen tanzten,
eine bucklige, farbige Porzellanfigur mit goldgeränderten Dreispitzhnt, die als
Trinkbecher dienen sollte, wozu niemand sie gebrauchen mochte, ein kleines Körbchen
aus Gewürznelken und grünen Glasperlen, ans dem man eben noch etwas ver¬
alteten Nelkengeruch zu ziehen vermochte, diese und ähnliche Kleinigkeiten nährten
meine kindliche Einbildungskraft. Warum blieb nicht die Natur selbst, die reiche,
die Quelle einer elementaren Poesie, wie sie es in meinen frühesten Kinderjahren
gewesen war? Wie vermochten diese Stümpereien sie zu verdrängen? Ich ver¬
mute, daß der keimende Besitzsinn hineinspielte, denu dieser Tand war mein und
und den Meinigen, die Werke der Natur aber gehören aller Welt. Und so begann
denn anch die Wiederbefrenndung mit der Natur durch Sammeln und Zusammen¬
raffen, sie zog mich ans den vier Wänden, lockte mich später von den Büchern ins
Freie hinaus.

Die Sammelleidenschaft, die in der Neugier und in der Anhänglichkeit an
einmal Besessenes wurzelt und aus meiner Tischschublade einen Gerümpelschrank
machte, wo alte Nägel und Hufeisen, neben Kieselsteinen und Papierstückchen lagen,
deren Wert nur mir allein bekannt war, hat mich durch meine ganze Jugend be¬
gleitet; an ihrem Faden bin ich später zu den ernstern Studien gelangt. Sie
nahm nacheinander die sonderbarsten Formen an. Ihre frühesten Regungen
knüpfen sich in meiner Erinnerung an das Wiederabschlagen der Bilden und
"Stände," wenn der Jahrmarkt zu Ende war, der im Juni und im November abge¬
halten wurde. Das Einpacken der Waren in schwere Kisten und mehr noch das
Zurückbleiben zahlloser Papierfetzen und gelegentlicher Reste von zerbrochnen Gegen¬
ständen fesselte uns alle; niemand scheute sich, in dem Kehricht herumzustochern; lag
doch darüber noch ein Abglanz des Reichtums, der in den Buden geleuchtet hatte.
Der Mensch hängt sein Herz an sonderbare Schätze. Ich hatte ein Holzkästchen,
nicht größer als eine Hand, in der ich von den Kinderjahren an immer das auf¬
bewahrte, was mir augenblicklich das höchste Gut war. Es waren nacheinander
lebende Maikäfer, der Schädel einer Maus, ein durchsichtiger Nheiukiesel, einige
Zeilen von der Hand der Schwester meines Freundes Hermann, die ich im Schlitten
zu fahren pflegte, ein Ring mit Haaren von meiner Mutter. Und wie viel noch!
Das schmucklose unpolierte Kästchen machte mir warm in der Herzgrube, wenn ich
nur daran dachte. Ich habe es ans allen meinen frühen Wanderungen mitgetragen,
und wo ich weilte, machte es mich heimisch. Es war wahrlich die Bundeslade
meiner jungen Jahre.

Mächtig nährte den Besitz- und Smnmelgeist die Vorliebe, mit der wir
"Kuöpfles" spielten, wobei Knöpfe in einen an eine Hauswart ans die Steinplatte
des Bürgersteigs gezeichneten Halbkreis mit dem gebognen rechten Zeigefinger ge¬
schoben wurden. Sie hing jedenfalls damit zusammen, daß die Biedermeierfräcke,
die blauen und braunen, mit ihren schönen Messingknöpfen außer Mode gekommen
waren. Es gab eiuen Überfluß von schönen Metallknöpfen in unsrer kleinen
Welt, und da sie sonst zu nichts nütze waren, verspielte man sie. Es gab Knaben,
die sich, wie die Wilden, ganze Leibketten, schwere Leibgürtel und Schultcrketten
daraus machten. Jedenfalls habe ich selbst damals viel mehr Wert auf ein
Kattuusäckchen voll Messingknopfe als auf alle Sterne des Firmaments gelegt.

Das Anlegen von Höhlen oder sonstigen Verstecken im Walde, die geheimnis¬
volle Einrichtung von Niederlagen von Büchern, Spielsachen und Nahrungsmitteln
in den entlegensten Winkeln des Hanfes, sogar das Hineinbohren und -schnitzeln
Von "Schatzkästchen" in die Schultische, worin Namen und Alter des Gräbers
niedergelegt und mit einem Holzpfropf abgeschlossen wurden, entsprangen alle dem¬
selben Trieb des Geheimtuns, der in uns allen lebte. Und deshalb mußte auch
jede Ausgrabung Schätze bringen. Man kam nur meist nicht tief genug. Deshalb


Glücksinseln und Träume

Männchen empfahlen — ich sah sie bald als Bergmännchen aus der Tiefe bis
zur Decke steigen, bald als Engelchen von oben herunterreiten —, die braunen
glänzenden Kinder, die um den Tonofen des Wohnzimmers ihren Reigen tanzten,
eine bucklige, farbige Porzellanfigur mit goldgeränderten Dreispitzhnt, die als
Trinkbecher dienen sollte, wozu niemand sie gebrauchen mochte, ein kleines Körbchen
aus Gewürznelken und grünen Glasperlen, ans dem man eben noch etwas ver¬
alteten Nelkengeruch zu ziehen vermochte, diese und ähnliche Kleinigkeiten nährten
meine kindliche Einbildungskraft. Warum blieb nicht die Natur selbst, die reiche,
die Quelle einer elementaren Poesie, wie sie es in meinen frühesten Kinderjahren
gewesen war? Wie vermochten diese Stümpereien sie zu verdrängen? Ich ver¬
mute, daß der keimende Besitzsinn hineinspielte, denu dieser Tand war mein und
und den Meinigen, die Werke der Natur aber gehören aller Welt. Und so begann
denn anch die Wiederbefrenndung mit der Natur durch Sammeln und Zusammen¬
raffen, sie zog mich ans den vier Wänden, lockte mich später von den Büchern ins
Freie hinaus.

Die Sammelleidenschaft, die in der Neugier und in der Anhänglichkeit an
einmal Besessenes wurzelt und aus meiner Tischschublade einen Gerümpelschrank
machte, wo alte Nägel und Hufeisen, neben Kieselsteinen und Papierstückchen lagen,
deren Wert nur mir allein bekannt war, hat mich durch meine ganze Jugend be¬
gleitet; an ihrem Faden bin ich später zu den ernstern Studien gelangt. Sie
nahm nacheinander die sonderbarsten Formen an. Ihre frühesten Regungen
knüpfen sich in meiner Erinnerung an das Wiederabschlagen der Bilden und
„Stände," wenn der Jahrmarkt zu Ende war, der im Juni und im November abge¬
halten wurde. Das Einpacken der Waren in schwere Kisten und mehr noch das
Zurückbleiben zahlloser Papierfetzen und gelegentlicher Reste von zerbrochnen Gegen¬
ständen fesselte uns alle; niemand scheute sich, in dem Kehricht herumzustochern; lag
doch darüber noch ein Abglanz des Reichtums, der in den Buden geleuchtet hatte.
Der Mensch hängt sein Herz an sonderbare Schätze. Ich hatte ein Holzkästchen,
nicht größer als eine Hand, in der ich von den Kinderjahren an immer das auf¬
bewahrte, was mir augenblicklich das höchste Gut war. Es waren nacheinander
lebende Maikäfer, der Schädel einer Maus, ein durchsichtiger Nheiukiesel, einige
Zeilen von der Hand der Schwester meines Freundes Hermann, die ich im Schlitten
zu fahren pflegte, ein Ring mit Haaren von meiner Mutter. Und wie viel noch!
Das schmucklose unpolierte Kästchen machte mir warm in der Herzgrube, wenn ich
nur daran dachte. Ich habe es ans allen meinen frühen Wanderungen mitgetragen,
und wo ich weilte, machte es mich heimisch. Es war wahrlich die Bundeslade
meiner jungen Jahre.

Mächtig nährte den Besitz- und Smnmelgeist die Vorliebe, mit der wir
„Kuöpfles" spielten, wobei Knöpfe in einen an eine Hauswart ans die Steinplatte
des Bürgersteigs gezeichneten Halbkreis mit dem gebognen rechten Zeigefinger ge¬
schoben wurden. Sie hing jedenfalls damit zusammen, daß die Biedermeierfräcke,
die blauen und braunen, mit ihren schönen Messingknöpfen außer Mode gekommen
waren. Es gab eiuen Überfluß von schönen Metallknöpfen in unsrer kleinen
Welt, und da sie sonst zu nichts nütze waren, verspielte man sie. Es gab Knaben,
die sich, wie die Wilden, ganze Leibketten, schwere Leibgürtel und Schultcrketten
daraus machten. Jedenfalls habe ich selbst damals viel mehr Wert auf ein
Kattuusäckchen voll Messingknopfe als auf alle Sterne des Firmaments gelegt.

Das Anlegen von Höhlen oder sonstigen Verstecken im Walde, die geheimnis¬
volle Einrichtung von Niederlagen von Büchern, Spielsachen und Nahrungsmitteln
in den entlegensten Winkeln des Hanfes, sogar das Hineinbohren und -schnitzeln
Von „Schatzkästchen" in die Schultische, worin Namen und Alter des Gräbers
niedergelegt und mit einem Holzpfropf abgeschlossen wurden, entsprangen alle dem¬
selben Trieb des Geheimtuns, der in uns allen lebte. Und deshalb mußte auch
jede Ausgrabung Schätze bringen. Man kam nur meist nicht tief genug. Deshalb


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[0103] Glücksinseln und Träume Männchen empfahlen — ich sah sie bald als Bergmännchen aus der Tiefe bis zur Decke steigen, bald als Engelchen von oben herunterreiten —, die braunen glänzenden Kinder, die um den Tonofen des Wohnzimmers ihren Reigen tanzten, eine bucklige, farbige Porzellanfigur mit goldgeränderten Dreispitzhnt, die als Trinkbecher dienen sollte, wozu niemand sie gebrauchen mochte, ein kleines Körbchen aus Gewürznelken und grünen Glasperlen, ans dem man eben noch etwas ver¬ alteten Nelkengeruch zu ziehen vermochte, diese und ähnliche Kleinigkeiten nährten meine kindliche Einbildungskraft. Warum blieb nicht die Natur selbst, die reiche, die Quelle einer elementaren Poesie, wie sie es in meinen frühesten Kinderjahren gewesen war? Wie vermochten diese Stümpereien sie zu verdrängen? Ich ver¬ mute, daß der keimende Besitzsinn hineinspielte, denu dieser Tand war mein und und den Meinigen, die Werke der Natur aber gehören aller Welt. Und so begann denn anch die Wiederbefrenndung mit der Natur durch Sammeln und Zusammen¬ raffen, sie zog mich ans den vier Wänden, lockte mich später von den Büchern ins Freie hinaus. Die Sammelleidenschaft, die in der Neugier und in der Anhänglichkeit an einmal Besessenes wurzelt und aus meiner Tischschublade einen Gerümpelschrank machte, wo alte Nägel und Hufeisen, neben Kieselsteinen und Papierstückchen lagen, deren Wert nur mir allein bekannt war, hat mich durch meine ganze Jugend be¬ gleitet; an ihrem Faden bin ich später zu den ernstern Studien gelangt. Sie nahm nacheinander die sonderbarsten Formen an. Ihre frühesten Regungen knüpfen sich in meiner Erinnerung an das Wiederabschlagen der Bilden und „Stände," wenn der Jahrmarkt zu Ende war, der im Juni und im November abge¬ halten wurde. Das Einpacken der Waren in schwere Kisten und mehr noch das Zurückbleiben zahlloser Papierfetzen und gelegentlicher Reste von zerbrochnen Gegen¬ ständen fesselte uns alle; niemand scheute sich, in dem Kehricht herumzustochern; lag doch darüber noch ein Abglanz des Reichtums, der in den Buden geleuchtet hatte. Der Mensch hängt sein Herz an sonderbare Schätze. Ich hatte ein Holzkästchen, nicht größer als eine Hand, in der ich von den Kinderjahren an immer das auf¬ bewahrte, was mir augenblicklich das höchste Gut war. Es waren nacheinander lebende Maikäfer, der Schädel einer Maus, ein durchsichtiger Nheiukiesel, einige Zeilen von der Hand der Schwester meines Freundes Hermann, die ich im Schlitten zu fahren pflegte, ein Ring mit Haaren von meiner Mutter. Und wie viel noch! Das schmucklose unpolierte Kästchen machte mir warm in der Herzgrube, wenn ich nur daran dachte. Ich habe es ans allen meinen frühen Wanderungen mitgetragen, und wo ich weilte, machte es mich heimisch. Es war wahrlich die Bundeslade meiner jungen Jahre. Mächtig nährte den Besitz- und Smnmelgeist die Vorliebe, mit der wir „Kuöpfles" spielten, wobei Knöpfe in einen an eine Hauswart ans die Steinplatte des Bürgersteigs gezeichneten Halbkreis mit dem gebognen rechten Zeigefinger ge¬ schoben wurden. Sie hing jedenfalls damit zusammen, daß die Biedermeierfräcke, die blauen und braunen, mit ihren schönen Messingknöpfen außer Mode gekommen waren. Es gab eiuen Überfluß von schönen Metallknöpfen in unsrer kleinen Welt, und da sie sonst zu nichts nütze waren, verspielte man sie. Es gab Knaben, die sich, wie die Wilden, ganze Leibketten, schwere Leibgürtel und Schultcrketten daraus machten. Jedenfalls habe ich selbst damals viel mehr Wert auf ein Kattuusäckchen voll Messingknopfe als auf alle Sterne des Firmaments gelegt. Das Anlegen von Höhlen oder sonstigen Verstecken im Walde, die geheimnis¬ volle Einrichtung von Niederlagen von Büchern, Spielsachen und Nahrungsmitteln in den entlegensten Winkeln des Hanfes, sogar das Hineinbohren und -schnitzeln Von „Schatzkästchen" in die Schultische, worin Namen und Alter des Gräbers niedergelegt und mit einem Holzpfropf abgeschlossen wurden, entsprangen alle dem¬ selben Trieb des Geheimtuns, der in uns allen lebte. Und deshalb mußte auch jede Ausgrabung Schätze bringen. Man kam nur meist nicht tief genug. Deshalb

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/103>, abgerufen am 20.05.2024.