Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Glücksinseln und Träume

Jugendnlters. Dagegen in den Wortstreit der Ausleger der Heilsbotschaften, wer
lebte sich da hinein? Die Hauptsache war doch offenbar, daß uns diese Botschaft
gesandt war, ihren Sinn mußte der am beste" versteh", der sie uns sendet, was
die Menschen hineinlegen, ist Nebensache.

Für den Glauben fehlte mir alles Verständnis. Gerade weil ich glaubte, be¬
griff ich nicht, was Glaube sei. Man sollte mit diesem Worte die Jugend nicht
quäle", sie glaubt ja ohnehin mehr, als nötig ist, und zuviel bestimmten Glauben
von ihr fordern, heißt sie zum Zweifel herausfordern. Die Jugend kann auch nicht
den abgeklärten Glauben dessen haben, der einmal geglaubt hatte und nun aus
dem Zweifel zum Wiederglnuben emporsteigt, in dem er sich glücklich fühlt, einem
Geber des Guten Dank zu wissen und überhaupt einen Herrn über sich zu wissen.
Mir blieb Glaube ein leeres Wort, dessen Sinn ich erst zu ahnen begann, als die
Sache selbst ins Wanken kam. Ich hatte an Geister geglaubt und diesen Glauben nie
abgelegt, sondern, vor dem Spott meiner Genossen mich schämend, ihn verborgen.
Warum nicht glauben? Ich ahnte, wie wenig wir wissen. In welchem meiner
gelehrten Pflanzenbücher fand ich eine Auskunft darüber, wer die Pflanzen geschaffen
habe? Die Wirklichkeit der Geisterdinge zu bezweifeln, schien mir ohnmächtige Ver¬
neinung. Glaube an Gott und seine Macht, und alles andre laß dahingestellt!

Durch den Umgang mit katholischen und mit jüdischen Schülern gewannen wir
andern gelegentlich Einblicke in ein ganz anders beschaffnes Religionswesen, die
uns zwar nicht zu Zweifeln an unserm eignen aufregten, aber doch mancherlei
Perspektiven aufladen, in die man nicht ohne Behagen hineinschaute. Ich erinnere
mich, daß es zwei Dinge waren, die mich anzogen und mir zu denken gaben.
Das eine war die Heiligenwelt der Katholiken mit ihrem märchenhaften Glanz von
Wundern, ihren schwere" Leiden und den zahlreichen Beispielen von Heldengrvße,
das andre der Ernst, mit dem die Juden ihre Feiertage feierten. Daß Knabe",
dere" weltlicher Charakter uns so wohlbekannt war, vom Freitag Abend an keine
Feder und kein Spiel anrührten, hatte doch etwas Imposantes. Man ahnte, daß
etwas Großes dahinterstehe. Weniger eindrucksvoll waren die ungesäuerten Brote,
die Matzes, die sie uns in der Osterzeit kosten ließen. Aber jedenfalls war auch
das etwas ganz Besondres. Um jene Heiligengeschichten aber beneidete ich meine
Mitschüler, die sie glauben durften. Das waren trotz ihrer Heiligkeit und Selig¬
keit Menschen, die ich verstand, mit ihnen konnte man leiden und selig werden.
Der heilige Bernardin von Siena, in dessen Gegenwart kein Mitschüler eine un¬
anständige Rede zu spreche" wagte, der heilige N"pere, der nie einen Menschen
betrübte, der heilige Robert von Dort, der schon als Knabe den Ernst des ge¬
reiften Maules zeigte, die heilige Balbina, die, ein Wunder von Schönheit, sich
eine entstellende Halsgeschwulst anbetete, um ihre Schönheit mit makelloser Rein¬
heit zu verbinden, der heilige Godrich, der als Landkrämer und Heiliger durch
Irland zog, das waren alles ganz verständliche Erscheinungen. So konnte ich mir
auch ganz gut denken, daß die heilige Johanna, die mit einem Korb "ut mit
einem Salbengefäß abgebildet wird, wie eine von den Botinnen ausgesehen habe,
die man auf den Dorfstraßen gehn sah, und daß die heilige Wilshilde, die Tochter
des Herzogs von Bayern, die die niedrigsten Magddienste verrichtete und ein
schlechtes Gewand trug, als Bärbel oder Urschel um uns herumwandelte.

Es fehlte aber auch nicht an echt romantischen Zügen in diesen Legenden.
Dem Kaiser zerbrach die Feder dreimal, als er das Verbannmigsurteil des heiligen
Basilius unterschreiben sollte, und im dunkeln Kerker des heilige" Quirinus erschien
immer gerade um Mitternacht ein tröstliches Licht. Wie anmutig war doch die
Geschichte vom heiligen Gotthard, der, als er in seiner niederbayrischen Heimat
als Ministrant fungierte, einmal in seinem Chorröcklein die glühenden Kohlen
herbeitrug, ohne es im geringsten zu beschädige". Welches erhebende Vertrauen in
dem mutigen Athanasius, der sprach: Auch dieses Wölklein wird bald vorübergehn!
Und seine Verfolgungen gingen vorüber. Geheimnisvoll lautete es in den Legenden


Glücksinseln und Träume

Jugendnlters. Dagegen in den Wortstreit der Ausleger der Heilsbotschaften, wer
lebte sich da hinein? Die Hauptsache war doch offenbar, daß uns diese Botschaft
gesandt war, ihren Sinn mußte der am beste» versteh«, der sie uns sendet, was
die Menschen hineinlegen, ist Nebensache.

Für den Glauben fehlte mir alles Verständnis. Gerade weil ich glaubte, be¬
griff ich nicht, was Glaube sei. Man sollte mit diesem Worte die Jugend nicht
quäle», sie glaubt ja ohnehin mehr, als nötig ist, und zuviel bestimmten Glauben
von ihr fordern, heißt sie zum Zweifel herausfordern. Die Jugend kann auch nicht
den abgeklärten Glauben dessen haben, der einmal geglaubt hatte und nun aus
dem Zweifel zum Wiederglnuben emporsteigt, in dem er sich glücklich fühlt, einem
Geber des Guten Dank zu wissen und überhaupt einen Herrn über sich zu wissen.
Mir blieb Glaube ein leeres Wort, dessen Sinn ich erst zu ahnen begann, als die
Sache selbst ins Wanken kam. Ich hatte an Geister geglaubt und diesen Glauben nie
abgelegt, sondern, vor dem Spott meiner Genossen mich schämend, ihn verborgen.
Warum nicht glauben? Ich ahnte, wie wenig wir wissen. In welchem meiner
gelehrten Pflanzenbücher fand ich eine Auskunft darüber, wer die Pflanzen geschaffen
habe? Die Wirklichkeit der Geisterdinge zu bezweifeln, schien mir ohnmächtige Ver¬
neinung. Glaube an Gott und seine Macht, und alles andre laß dahingestellt!

Durch den Umgang mit katholischen und mit jüdischen Schülern gewannen wir
andern gelegentlich Einblicke in ein ganz anders beschaffnes Religionswesen, die
uns zwar nicht zu Zweifeln an unserm eignen aufregten, aber doch mancherlei
Perspektiven aufladen, in die man nicht ohne Behagen hineinschaute. Ich erinnere
mich, daß es zwei Dinge waren, die mich anzogen und mir zu denken gaben.
Das eine war die Heiligenwelt der Katholiken mit ihrem märchenhaften Glanz von
Wundern, ihren schwere» Leiden und den zahlreichen Beispielen von Heldengrvße,
das andre der Ernst, mit dem die Juden ihre Feiertage feierten. Daß Knabe»,
dere» weltlicher Charakter uns so wohlbekannt war, vom Freitag Abend an keine
Feder und kein Spiel anrührten, hatte doch etwas Imposantes. Man ahnte, daß
etwas Großes dahinterstehe. Weniger eindrucksvoll waren die ungesäuerten Brote,
die Matzes, die sie uns in der Osterzeit kosten ließen. Aber jedenfalls war auch
das etwas ganz Besondres. Um jene Heiligengeschichten aber beneidete ich meine
Mitschüler, die sie glauben durften. Das waren trotz ihrer Heiligkeit und Selig¬
keit Menschen, die ich verstand, mit ihnen konnte man leiden und selig werden.
Der heilige Bernardin von Siena, in dessen Gegenwart kein Mitschüler eine un¬
anständige Rede zu spreche» wagte, der heilige N»pere, der nie einen Menschen
betrübte, der heilige Robert von Dort, der schon als Knabe den Ernst des ge¬
reiften Maules zeigte, die heilige Balbina, die, ein Wunder von Schönheit, sich
eine entstellende Halsgeschwulst anbetete, um ihre Schönheit mit makelloser Rein¬
heit zu verbinden, der heilige Godrich, der als Landkrämer und Heiliger durch
Irland zog, das waren alles ganz verständliche Erscheinungen. So konnte ich mir
auch ganz gut denken, daß die heilige Johanna, die mit einem Korb »ut mit
einem Salbengefäß abgebildet wird, wie eine von den Botinnen ausgesehen habe,
die man auf den Dorfstraßen gehn sah, und daß die heilige Wilshilde, die Tochter
des Herzogs von Bayern, die die niedrigsten Magddienste verrichtete und ein
schlechtes Gewand trug, als Bärbel oder Urschel um uns herumwandelte.

Es fehlte aber auch nicht an echt romantischen Zügen in diesen Legenden.
Dem Kaiser zerbrach die Feder dreimal, als er das Verbannmigsurteil des heiligen
Basilius unterschreiben sollte, und im dunkeln Kerker des heilige» Quirinus erschien
immer gerade um Mitternacht ein tröstliches Licht. Wie anmutig war doch die
Geschichte vom heiligen Gotthard, der, als er in seiner niederbayrischen Heimat
als Ministrant fungierte, einmal in seinem Chorröcklein die glühenden Kohlen
herbeitrug, ohne es im geringsten zu beschädige». Welches erhebende Vertrauen in
dem mutigen Athanasius, der sprach: Auch dieses Wölklein wird bald vorübergehn!
Und seine Verfolgungen gingen vorüber. Geheimnisvoll lautete es in den Legenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295329"/>
            <fw type="header" place="top"> Glücksinseln und Träume</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_454" prev="#ID_453"> Jugendnlters. Dagegen in den Wortstreit der Ausleger der Heilsbotschaften, wer<lb/>
lebte sich da hinein? Die Hauptsache war doch offenbar, daß uns diese Botschaft<lb/>
gesandt war, ihren Sinn mußte der am beste» versteh«, der sie uns sendet, was<lb/>
die Menschen hineinlegen, ist Nebensache.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_455"> Für den Glauben fehlte mir alles Verständnis. Gerade weil ich glaubte, be¬<lb/>
griff ich nicht, was Glaube sei. Man sollte mit diesem Worte die Jugend nicht<lb/>
quäle», sie glaubt ja ohnehin mehr, als nötig ist, und zuviel bestimmten Glauben<lb/>
von ihr fordern, heißt sie zum Zweifel herausfordern. Die Jugend kann auch nicht<lb/>
den abgeklärten Glauben dessen haben, der einmal geglaubt hatte und nun aus<lb/>
dem Zweifel zum Wiederglnuben emporsteigt, in dem er sich glücklich fühlt, einem<lb/>
Geber des Guten Dank zu wissen und überhaupt einen Herrn über sich zu wissen.<lb/>
Mir blieb Glaube ein leeres Wort, dessen Sinn ich erst zu ahnen begann, als die<lb/>
Sache selbst ins Wanken kam. Ich hatte an Geister geglaubt und diesen Glauben nie<lb/>
abgelegt, sondern, vor dem Spott meiner Genossen mich schämend, ihn verborgen.<lb/>
Warum nicht glauben? Ich ahnte, wie wenig wir wissen. In welchem meiner<lb/>
gelehrten Pflanzenbücher fand ich eine Auskunft darüber, wer die Pflanzen geschaffen<lb/>
habe? Die Wirklichkeit der Geisterdinge zu bezweifeln, schien mir ohnmächtige Ver¬<lb/>
neinung. Glaube an Gott und seine Macht, und alles andre laß dahingestellt!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_456"> Durch den Umgang mit katholischen und mit jüdischen Schülern gewannen wir<lb/>
andern gelegentlich Einblicke in ein ganz anders beschaffnes Religionswesen, die<lb/>
uns zwar nicht zu Zweifeln an unserm eignen aufregten, aber doch mancherlei<lb/>
Perspektiven aufladen, in die man nicht ohne Behagen hineinschaute. Ich erinnere<lb/>
mich, daß es zwei Dinge waren, die mich anzogen und mir zu denken gaben.<lb/>
Das eine war die Heiligenwelt der Katholiken mit ihrem märchenhaften Glanz von<lb/>
Wundern, ihren schwere» Leiden und den zahlreichen Beispielen von Heldengrvße,<lb/>
das andre der Ernst, mit dem die Juden ihre Feiertage feierten. Daß Knabe»,<lb/>
dere» weltlicher Charakter uns so wohlbekannt war, vom Freitag Abend an keine<lb/>
Feder und kein Spiel anrührten, hatte doch etwas Imposantes. Man ahnte, daß<lb/>
etwas Großes dahinterstehe. Weniger eindrucksvoll waren die ungesäuerten Brote,<lb/>
die Matzes, die sie uns in der Osterzeit kosten ließen. Aber jedenfalls war auch<lb/>
das etwas ganz Besondres. Um jene Heiligengeschichten aber beneidete ich meine<lb/>
Mitschüler, die sie glauben durften. Das waren trotz ihrer Heiligkeit und Selig¬<lb/>
keit Menschen, die ich verstand, mit ihnen konnte man leiden und selig werden.<lb/>
Der heilige Bernardin von Siena, in dessen Gegenwart kein Mitschüler eine un¬<lb/>
anständige Rede zu spreche» wagte, der heilige N»pere, der nie einen Menschen<lb/>
betrübte, der heilige Robert von Dort, der schon als Knabe den Ernst des ge¬<lb/>
reiften Maules zeigte, die heilige Balbina, die, ein Wunder von Schönheit, sich<lb/>
eine entstellende Halsgeschwulst anbetete, um ihre Schönheit mit makelloser Rein¬<lb/>
heit zu verbinden, der heilige Godrich, der als Landkrämer und Heiliger durch<lb/>
Irland zog, das waren alles ganz verständliche Erscheinungen. So konnte ich mir<lb/>
auch ganz gut denken, daß die heilige Johanna, die mit einem Korb »ut mit<lb/>
einem Salbengefäß abgebildet wird, wie eine von den Botinnen ausgesehen habe,<lb/>
die man auf den Dorfstraßen gehn sah, und daß die heilige Wilshilde, die Tochter<lb/>
des Herzogs von Bayern, die die niedrigsten Magddienste verrichtete und ein<lb/>
schlechtes Gewand trug, als Bärbel oder Urschel um uns herumwandelte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Es fehlte aber auch nicht an echt romantischen Zügen in diesen Legenden.<lb/>
Dem Kaiser zerbrach die Feder dreimal, als er das Verbannmigsurteil des heiligen<lb/>
Basilius unterschreiben sollte, und im dunkeln Kerker des heilige» Quirinus erschien<lb/>
immer gerade um Mitternacht ein tröstliches Licht. Wie anmutig war doch die<lb/>
Geschichte vom heiligen Gotthard, der, als er in seiner niederbayrischen Heimat<lb/>
als Ministrant fungierte, einmal in seinem Chorröcklein die glühenden Kohlen<lb/>
herbeitrug, ohne es im geringsten zu beschädige». Welches erhebende Vertrauen in<lb/>
dem mutigen Athanasius, der sprach: Auch dieses Wölklein wird bald vorübergehn!<lb/>
Und seine Verfolgungen gingen vorüber. Geheimnisvoll lautete es in den Legenden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Glücksinseln und Träume Jugendnlters. Dagegen in den Wortstreit der Ausleger der Heilsbotschaften, wer lebte sich da hinein? Die Hauptsache war doch offenbar, daß uns diese Botschaft gesandt war, ihren Sinn mußte der am beste» versteh«, der sie uns sendet, was die Menschen hineinlegen, ist Nebensache. Für den Glauben fehlte mir alles Verständnis. Gerade weil ich glaubte, be¬ griff ich nicht, was Glaube sei. Man sollte mit diesem Worte die Jugend nicht quäle», sie glaubt ja ohnehin mehr, als nötig ist, und zuviel bestimmten Glauben von ihr fordern, heißt sie zum Zweifel herausfordern. Die Jugend kann auch nicht den abgeklärten Glauben dessen haben, der einmal geglaubt hatte und nun aus dem Zweifel zum Wiederglnuben emporsteigt, in dem er sich glücklich fühlt, einem Geber des Guten Dank zu wissen und überhaupt einen Herrn über sich zu wissen. Mir blieb Glaube ein leeres Wort, dessen Sinn ich erst zu ahnen begann, als die Sache selbst ins Wanken kam. Ich hatte an Geister geglaubt und diesen Glauben nie abgelegt, sondern, vor dem Spott meiner Genossen mich schämend, ihn verborgen. Warum nicht glauben? Ich ahnte, wie wenig wir wissen. In welchem meiner gelehrten Pflanzenbücher fand ich eine Auskunft darüber, wer die Pflanzen geschaffen habe? Die Wirklichkeit der Geisterdinge zu bezweifeln, schien mir ohnmächtige Ver¬ neinung. Glaube an Gott und seine Macht, und alles andre laß dahingestellt! Durch den Umgang mit katholischen und mit jüdischen Schülern gewannen wir andern gelegentlich Einblicke in ein ganz anders beschaffnes Religionswesen, die uns zwar nicht zu Zweifeln an unserm eignen aufregten, aber doch mancherlei Perspektiven aufladen, in die man nicht ohne Behagen hineinschaute. Ich erinnere mich, daß es zwei Dinge waren, die mich anzogen und mir zu denken gaben. Das eine war die Heiligenwelt der Katholiken mit ihrem märchenhaften Glanz von Wundern, ihren schwere» Leiden und den zahlreichen Beispielen von Heldengrvße, das andre der Ernst, mit dem die Juden ihre Feiertage feierten. Daß Knabe», dere» weltlicher Charakter uns so wohlbekannt war, vom Freitag Abend an keine Feder und kein Spiel anrührten, hatte doch etwas Imposantes. Man ahnte, daß etwas Großes dahinterstehe. Weniger eindrucksvoll waren die ungesäuerten Brote, die Matzes, die sie uns in der Osterzeit kosten ließen. Aber jedenfalls war auch das etwas ganz Besondres. Um jene Heiligengeschichten aber beneidete ich meine Mitschüler, die sie glauben durften. Das waren trotz ihrer Heiligkeit und Selig¬ keit Menschen, die ich verstand, mit ihnen konnte man leiden und selig werden. Der heilige Bernardin von Siena, in dessen Gegenwart kein Mitschüler eine un¬ anständige Rede zu spreche» wagte, der heilige N»pere, der nie einen Menschen betrübte, der heilige Robert von Dort, der schon als Knabe den Ernst des ge¬ reiften Maules zeigte, die heilige Balbina, die, ein Wunder von Schönheit, sich eine entstellende Halsgeschwulst anbetete, um ihre Schönheit mit makelloser Rein¬ heit zu verbinden, der heilige Godrich, der als Landkrämer und Heiliger durch Irland zog, das waren alles ganz verständliche Erscheinungen. So konnte ich mir auch ganz gut denken, daß die heilige Johanna, die mit einem Korb »ut mit einem Salbengefäß abgebildet wird, wie eine von den Botinnen ausgesehen habe, die man auf den Dorfstraßen gehn sah, und daß die heilige Wilshilde, die Tochter des Herzogs von Bayern, die die niedrigsten Magddienste verrichtete und ein schlechtes Gewand trug, als Bärbel oder Urschel um uns herumwandelte. Es fehlte aber auch nicht an echt romantischen Zügen in diesen Legenden. Dem Kaiser zerbrach die Feder dreimal, als er das Verbannmigsurteil des heiligen Basilius unterschreiben sollte, und im dunkeln Kerker des heilige» Quirinus erschien immer gerade um Mitternacht ein tröstliches Licht. Wie anmutig war doch die Geschichte vom heiligen Gotthard, der, als er in seiner niederbayrischen Heimat als Ministrant fungierte, einmal in seinem Chorröcklein die glühenden Kohlen herbeitrug, ohne es im geringsten zu beschädige». Welches erhebende Vertrauen in dem mutigen Athanasius, der sprach: Auch dieses Wölklein wird bald vorübergehn! Und seine Verfolgungen gingen vorüber. Geheimnisvoll lautete es in den Legenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/110>, abgerufen am 21.05.2024.