Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

rederei ihm den Sinn umfangen hält, beweist u. ä. die ausfallend geringe Teil¬
nahme, die in den weitern Kreisen für die unübertrefflichen Leistungen unsrer
Truppen in Südwestafrika besteht. Obwohl die Stärke der Aussendungen schon
eine ziemliche Höhe erreicht hat, und fast alle deutschen Landschaften davon berührt
sind, ist die Teilnahme der Heimat sehr lau, sowohl was die Fürsorge für die
Verwundeten und Kranken als was die Liebesgaben für die Kämpfenden anlangt.
Früher war das anders. Fast scheint es, als warte man auf das amtliche Signal,
auf die offizielle Anerkennung der Leistungen der braven Truppen, von der aller¬
dings bisher auch wenig verlautet. Eine Mahnung von hoher Stelle, das Interesse
um dem, was an unserm eignen Leibe vorgeht, nicht hinter das am russisch¬
japanischen Krieg zu stellen, wäre vielleicht recht am Platze. Möglicherweise kommt
aber dieses Interesse, sobald die Rechnung an den Reichstag gelangt. Dann wird
der Philister doch wohl inne werden, was die Sache für Deutschland bedeutet, nach
dem Kampfe nicht weniger als während des Kampfes, denn nach Niederwerfung
der Eingebornen kommen erst die großen Aufgaben der wirklichen Erschließung,
die eine Wiederholung unmöglich machen muß. Zwanzig Millionen Mark recht¬
zeitig ausgegeben würde uus jetzt zweihundert Millionen erspart haben. Es ist
eine völlig falsche Art, mit einer wohlfeilen Verwaltung zu prunken, die nachher,
wenn es zu Kämpfen kommt, versagt und für diese nichts vorgesehen hat. Die
Abgeordneten, die sich ehedem vor ihren Wählern der Abstriche in den Kolonial¬
ansgaben gerühmt haben, werden jetzt bekennen müssen, daß sie sich einer großen
Kurzsichtigkeit schuldig gemacht haben. Ob aber die gewonnene Erkenntnis jetzt
schon so weit reicht? Warnende Stimmen weisen auf die Gefahr hin, die uns in
Kamerun mit einer zweiten Auflage der Not droht, die wir gegenwärtig in Süd¬
westafrika mit so großen Opfern beschwören müssen. Es wird die Aufgabe sein,
unser gesamtes Kolonialwesen in dieser Richtung einer ernsten Nachprüfung zu
unterziehen. Auffallend ist dabei, daß alle kolonisierenden Nationen immer wieder
dieselben Erfahrungen machen, und daß keine von den andern zu lernen scheint.
Es ist immer wieder derselbe Fehler der Anwendung einer völlig mißverstandnen
europäischen Humanität auf den gänzlich anders fühlenden und denkenden Einge¬
bornen. der in dem Weißen nur seinen Herrn oder seinen Feind sieht.

Die Enthüllung des Roondenkmals -- der hervorragende Soldat, Organisator
und Patriot hat etwas lange darauf warten müssen -- legt die Erinnerung an
die Bedeutung nahe, die ehedem der Armee in der Gesamtheit unsers staatlichen
Organismus zufiel. Ein württembergischer, äußerst nationalgesinnter Abgeordneter
sagte mir einmal um die Mitte der achtziger Jahre: "In Preußen kommt es in
alleu politischen Fragen auf das erste Garderegiment an." Das war nun ent¬
schieden unrichtig und bedenklich übertrieben, wohl aber kam es in Preußen ehedem
sehr viel mehr als jetzt auf die Armee und deren Stimmung an. Diese Stellung
hatte sich die Armee dadurch erworben, daß sie sich in der Bewegung von 1848/49
als das Rückgrat des Staats, als der Fels im brandenden Meer erwies. Sogar
Kaiser Friedrich hat bis zu seinem Ende nnter diesen, Eindruck gestanden, er hat
ihm an dem Tage, wo er seinen ältesten Sohn, unsern jetzigen Kaiser, in das erste
Garderegiment einführte, beredt Worte verliehen. Aber je mehr ans dem Heere
wie aus dem Staatsleben die Männer geschwunden sind, die die Jahre 1848/49
mit wachen Augen durchlebt haben, je mehr ferner die preußische Armee deu Cha¬
rakter eines deutscheu Heeres angenommen hat und im preußischen Offizierkorps
das Preußentum in den Hintergrund tritt, während die Offizierkorps von Sachsen,
Bayern, Württemberg ihren landsmannschaftlichen Charakter bewahren, desto mehr
verkleinert sich auch das politische Gewicht, das ehedem der Armee auf der Wag¬
schale der Entscheidungen zufiel. Noch Feldmarschall Manteuffel konnte miederholt
von einem "Armeegefühl" sprechen, das in unsre Zeit kaum noch hineinragt. Aus
dem Jahre 1894 ist von dem damaligen Kriegsminister General von Bronsart II
ein tapferes mutiges Wort dieser Art in die Geschichte unsrer Tage eingetragen
worden -- aber seit Jahren lebt die Armee nur noch von der Sehnsucht, in


Maßgebliches und Unmaßgebliches

rederei ihm den Sinn umfangen hält, beweist u. ä. die ausfallend geringe Teil¬
nahme, die in den weitern Kreisen für die unübertrefflichen Leistungen unsrer
Truppen in Südwestafrika besteht. Obwohl die Stärke der Aussendungen schon
eine ziemliche Höhe erreicht hat, und fast alle deutschen Landschaften davon berührt
sind, ist die Teilnahme der Heimat sehr lau, sowohl was die Fürsorge für die
Verwundeten und Kranken als was die Liebesgaben für die Kämpfenden anlangt.
Früher war das anders. Fast scheint es, als warte man auf das amtliche Signal,
auf die offizielle Anerkennung der Leistungen der braven Truppen, von der aller¬
dings bisher auch wenig verlautet. Eine Mahnung von hoher Stelle, das Interesse
um dem, was an unserm eignen Leibe vorgeht, nicht hinter das am russisch¬
japanischen Krieg zu stellen, wäre vielleicht recht am Platze. Möglicherweise kommt
aber dieses Interesse, sobald die Rechnung an den Reichstag gelangt. Dann wird
der Philister doch wohl inne werden, was die Sache für Deutschland bedeutet, nach
dem Kampfe nicht weniger als während des Kampfes, denn nach Niederwerfung
der Eingebornen kommen erst die großen Aufgaben der wirklichen Erschließung,
die eine Wiederholung unmöglich machen muß. Zwanzig Millionen Mark recht¬
zeitig ausgegeben würde uus jetzt zweihundert Millionen erspart haben. Es ist
eine völlig falsche Art, mit einer wohlfeilen Verwaltung zu prunken, die nachher,
wenn es zu Kämpfen kommt, versagt und für diese nichts vorgesehen hat. Die
Abgeordneten, die sich ehedem vor ihren Wählern der Abstriche in den Kolonial¬
ansgaben gerühmt haben, werden jetzt bekennen müssen, daß sie sich einer großen
Kurzsichtigkeit schuldig gemacht haben. Ob aber die gewonnene Erkenntnis jetzt
schon so weit reicht? Warnende Stimmen weisen auf die Gefahr hin, die uns in
Kamerun mit einer zweiten Auflage der Not droht, die wir gegenwärtig in Süd¬
westafrika mit so großen Opfern beschwören müssen. Es wird die Aufgabe sein,
unser gesamtes Kolonialwesen in dieser Richtung einer ernsten Nachprüfung zu
unterziehen. Auffallend ist dabei, daß alle kolonisierenden Nationen immer wieder
dieselben Erfahrungen machen, und daß keine von den andern zu lernen scheint.
Es ist immer wieder derselbe Fehler der Anwendung einer völlig mißverstandnen
europäischen Humanität auf den gänzlich anders fühlenden und denkenden Einge¬
bornen. der in dem Weißen nur seinen Herrn oder seinen Feind sieht.

Die Enthüllung des Roondenkmals — der hervorragende Soldat, Organisator
und Patriot hat etwas lange darauf warten müssen — legt die Erinnerung an
die Bedeutung nahe, die ehedem der Armee in der Gesamtheit unsers staatlichen
Organismus zufiel. Ein württembergischer, äußerst nationalgesinnter Abgeordneter
sagte mir einmal um die Mitte der achtziger Jahre: „In Preußen kommt es in
alleu politischen Fragen auf das erste Garderegiment an." Das war nun ent¬
schieden unrichtig und bedenklich übertrieben, wohl aber kam es in Preußen ehedem
sehr viel mehr als jetzt auf die Armee und deren Stimmung an. Diese Stellung
hatte sich die Armee dadurch erworben, daß sie sich in der Bewegung von 1848/49
als das Rückgrat des Staats, als der Fels im brandenden Meer erwies. Sogar
Kaiser Friedrich hat bis zu seinem Ende nnter diesen, Eindruck gestanden, er hat
ihm an dem Tage, wo er seinen ältesten Sohn, unsern jetzigen Kaiser, in das erste
Garderegiment einführte, beredt Worte verliehen. Aber je mehr ans dem Heere
wie aus dem Staatsleben die Männer geschwunden sind, die die Jahre 1848/49
mit wachen Augen durchlebt haben, je mehr ferner die preußische Armee deu Cha¬
rakter eines deutscheu Heeres angenommen hat und im preußischen Offizierkorps
das Preußentum in den Hintergrund tritt, während die Offizierkorps von Sachsen,
Bayern, Württemberg ihren landsmannschaftlichen Charakter bewahren, desto mehr
verkleinert sich auch das politische Gewicht, das ehedem der Armee auf der Wag¬
schale der Entscheidungen zufiel. Noch Feldmarschall Manteuffel konnte miederholt
von einem „Armeegefühl" sprechen, das in unsre Zeit kaum noch hineinragt. Aus
dem Jahre 1894 ist von dem damaligen Kriegsminister General von Bronsart II
ein tapferes mutiges Wort dieser Art in die Geschichte unsrer Tage eingetragen
worden — aber seit Jahren lebt die Armee nur noch von der Sehnsucht, in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295461"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1186" prev="#ID_1185"> rederei ihm den Sinn umfangen hält, beweist u. ä. die ausfallend geringe Teil¬<lb/>
nahme, die in den weitern Kreisen für die unübertrefflichen Leistungen unsrer<lb/>
Truppen in Südwestafrika besteht. Obwohl die Stärke der Aussendungen schon<lb/>
eine ziemliche Höhe erreicht hat, und fast alle deutschen Landschaften davon berührt<lb/>
sind, ist die Teilnahme der Heimat sehr lau, sowohl was die Fürsorge für die<lb/>
Verwundeten und Kranken als was die Liebesgaben für die Kämpfenden anlangt.<lb/>
Früher war das anders. Fast scheint es, als warte man auf das amtliche Signal,<lb/>
auf die offizielle Anerkennung der Leistungen der braven Truppen, von der aller¬<lb/>
dings bisher auch wenig verlautet. Eine Mahnung von hoher Stelle, das Interesse<lb/>
um dem, was an unserm eignen Leibe vorgeht, nicht hinter das am russisch¬<lb/>
japanischen Krieg zu stellen, wäre vielleicht recht am Platze. Möglicherweise kommt<lb/>
aber dieses Interesse, sobald die Rechnung an den Reichstag gelangt. Dann wird<lb/>
der Philister doch wohl inne werden, was die Sache für Deutschland bedeutet, nach<lb/>
dem Kampfe nicht weniger als während des Kampfes, denn nach Niederwerfung<lb/>
der Eingebornen kommen erst die großen Aufgaben der wirklichen Erschließung,<lb/>
die eine Wiederholung unmöglich machen muß. Zwanzig Millionen Mark recht¬<lb/>
zeitig ausgegeben würde uus jetzt zweihundert Millionen erspart haben. Es ist<lb/>
eine völlig falsche Art, mit einer wohlfeilen Verwaltung zu prunken, die nachher,<lb/>
wenn es zu Kämpfen kommt, versagt und für diese nichts vorgesehen hat. Die<lb/>
Abgeordneten, die sich ehedem vor ihren Wählern der Abstriche in den Kolonial¬<lb/>
ansgaben gerühmt haben, werden jetzt bekennen müssen, daß sie sich einer großen<lb/>
Kurzsichtigkeit schuldig gemacht haben. Ob aber die gewonnene Erkenntnis jetzt<lb/>
schon so weit reicht? Warnende Stimmen weisen auf die Gefahr hin, die uns in<lb/>
Kamerun mit einer zweiten Auflage der Not droht, die wir gegenwärtig in Süd¬<lb/>
westafrika mit so großen Opfern beschwören müssen. Es wird die Aufgabe sein,<lb/>
unser gesamtes Kolonialwesen in dieser Richtung einer ernsten Nachprüfung zu<lb/>
unterziehen. Auffallend ist dabei, daß alle kolonisierenden Nationen immer wieder<lb/>
dieselben Erfahrungen machen, und daß keine von den andern zu lernen scheint.<lb/>
Es ist immer wieder derselbe Fehler der Anwendung einer völlig mißverstandnen<lb/>
europäischen Humanität auf den gänzlich anders fühlenden und denkenden Einge¬<lb/>
bornen. der in dem Weißen nur seinen Herrn oder seinen Feind sieht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1187" next="#ID_1188"> Die Enthüllung des Roondenkmals &#x2014; der hervorragende Soldat, Organisator<lb/>
und Patriot hat etwas lange darauf warten müssen &#x2014; legt die Erinnerung an<lb/>
die Bedeutung nahe, die ehedem der Armee in der Gesamtheit unsers staatlichen<lb/>
Organismus zufiel. Ein württembergischer, äußerst nationalgesinnter Abgeordneter<lb/>
sagte mir einmal um die Mitte der achtziger Jahre: &#x201E;In Preußen kommt es in<lb/>
alleu politischen Fragen auf das erste Garderegiment an." Das war nun ent¬<lb/>
schieden unrichtig und bedenklich übertrieben, wohl aber kam es in Preußen ehedem<lb/>
sehr viel mehr als jetzt auf die Armee und deren Stimmung an. Diese Stellung<lb/>
hatte sich die Armee dadurch erworben, daß sie sich in der Bewegung von 1848/49<lb/>
als das Rückgrat des Staats, als der Fels im brandenden Meer erwies. Sogar<lb/>
Kaiser Friedrich hat bis zu seinem Ende nnter diesen, Eindruck gestanden, er hat<lb/>
ihm an dem Tage, wo er seinen ältesten Sohn, unsern jetzigen Kaiser, in das erste<lb/>
Garderegiment einführte, beredt Worte verliehen. Aber je mehr ans dem Heere<lb/>
wie aus dem Staatsleben die Männer geschwunden sind, die die Jahre 1848/49<lb/>
mit wachen Augen durchlebt haben, je mehr ferner die preußische Armee deu Cha¬<lb/>
rakter eines deutscheu Heeres angenommen hat und im preußischen Offizierkorps<lb/>
das Preußentum in den Hintergrund tritt, während die Offizierkorps von Sachsen,<lb/>
Bayern, Württemberg ihren landsmannschaftlichen Charakter bewahren, desto mehr<lb/>
verkleinert sich auch das politische Gewicht, das ehedem der Armee auf der Wag¬<lb/>
schale der Entscheidungen zufiel. Noch Feldmarschall Manteuffel konnte miederholt<lb/>
von einem &#x201E;Armeegefühl" sprechen, das in unsre Zeit kaum noch hineinragt. Aus<lb/>
dem Jahre 1894 ist von dem damaligen Kriegsminister General von Bronsart II<lb/>
ein tapferes mutiges Wort dieser Art in die Geschichte unsrer Tage eingetragen<lb/>
worden &#x2014; aber seit Jahren lebt die Armee nur noch von der Sehnsucht, in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0242] Maßgebliches und Unmaßgebliches rederei ihm den Sinn umfangen hält, beweist u. ä. die ausfallend geringe Teil¬ nahme, die in den weitern Kreisen für die unübertrefflichen Leistungen unsrer Truppen in Südwestafrika besteht. Obwohl die Stärke der Aussendungen schon eine ziemliche Höhe erreicht hat, und fast alle deutschen Landschaften davon berührt sind, ist die Teilnahme der Heimat sehr lau, sowohl was die Fürsorge für die Verwundeten und Kranken als was die Liebesgaben für die Kämpfenden anlangt. Früher war das anders. Fast scheint es, als warte man auf das amtliche Signal, auf die offizielle Anerkennung der Leistungen der braven Truppen, von der aller¬ dings bisher auch wenig verlautet. Eine Mahnung von hoher Stelle, das Interesse um dem, was an unserm eignen Leibe vorgeht, nicht hinter das am russisch¬ japanischen Krieg zu stellen, wäre vielleicht recht am Platze. Möglicherweise kommt aber dieses Interesse, sobald die Rechnung an den Reichstag gelangt. Dann wird der Philister doch wohl inne werden, was die Sache für Deutschland bedeutet, nach dem Kampfe nicht weniger als während des Kampfes, denn nach Niederwerfung der Eingebornen kommen erst die großen Aufgaben der wirklichen Erschließung, die eine Wiederholung unmöglich machen muß. Zwanzig Millionen Mark recht¬ zeitig ausgegeben würde uus jetzt zweihundert Millionen erspart haben. Es ist eine völlig falsche Art, mit einer wohlfeilen Verwaltung zu prunken, die nachher, wenn es zu Kämpfen kommt, versagt und für diese nichts vorgesehen hat. Die Abgeordneten, die sich ehedem vor ihren Wählern der Abstriche in den Kolonial¬ ansgaben gerühmt haben, werden jetzt bekennen müssen, daß sie sich einer großen Kurzsichtigkeit schuldig gemacht haben. Ob aber die gewonnene Erkenntnis jetzt schon so weit reicht? Warnende Stimmen weisen auf die Gefahr hin, die uns in Kamerun mit einer zweiten Auflage der Not droht, die wir gegenwärtig in Süd¬ westafrika mit so großen Opfern beschwören müssen. Es wird die Aufgabe sein, unser gesamtes Kolonialwesen in dieser Richtung einer ernsten Nachprüfung zu unterziehen. Auffallend ist dabei, daß alle kolonisierenden Nationen immer wieder dieselben Erfahrungen machen, und daß keine von den andern zu lernen scheint. Es ist immer wieder derselbe Fehler der Anwendung einer völlig mißverstandnen europäischen Humanität auf den gänzlich anders fühlenden und denkenden Einge¬ bornen. der in dem Weißen nur seinen Herrn oder seinen Feind sieht. Die Enthüllung des Roondenkmals — der hervorragende Soldat, Organisator und Patriot hat etwas lange darauf warten müssen — legt die Erinnerung an die Bedeutung nahe, die ehedem der Armee in der Gesamtheit unsers staatlichen Organismus zufiel. Ein württembergischer, äußerst nationalgesinnter Abgeordneter sagte mir einmal um die Mitte der achtziger Jahre: „In Preußen kommt es in alleu politischen Fragen auf das erste Garderegiment an." Das war nun ent¬ schieden unrichtig und bedenklich übertrieben, wohl aber kam es in Preußen ehedem sehr viel mehr als jetzt auf die Armee und deren Stimmung an. Diese Stellung hatte sich die Armee dadurch erworben, daß sie sich in der Bewegung von 1848/49 als das Rückgrat des Staats, als der Fels im brandenden Meer erwies. Sogar Kaiser Friedrich hat bis zu seinem Ende nnter diesen, Eindruck gestanden, er hat ihm an dem Tage, wo er seinen ältesten Sohn, unsern jetzigen Kaiser, in das erste Garderegiment einführte, beredt Worte verliehen. Aber je mehr ans dem Heere wie aus dem Staatsleben die Männer geschwunden sind, die die Jahre 1848/49 mit wachen Augen durchlebt haben, je mehr ferner die preußische Armee deu Cha¬ rakter eines deutscheu Heeres angenommen hat und im preußischen Offizierkorps das Preußentum in den Hintergrund tritt, während die Offizierkorps von Sachsen, Bayern, Württemberg ihren landsmannschaftlichen Charakter bewahren, desto mehr verkleinert sich auch das politische Gewicht, das ehedem der Armee auf der Wag¬ schale der Entscheidungen zufiel. Noch Feldmarschall Manteuffel konnte miederholt von einem „Armeegefühl" sprechen, das in unsre Zeit kaum noch hineinragt. Aus dem Jahre 1894 ist von dem damaligen Kriegsminister General von Bronsart II ein tapferes mutiges Wort dieser Art in die Geschichte unsrer Tage eingetragen worden — aber seit Jahren lebt die Armee nur noch von der Sehnsucht, in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/242
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/242>, abgerufen am 20.05.2024.