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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gentleman im eignen Lande sein. Schmntzarbeit mögen die "verdammten Aus¬
länder" verrichten. Man fragt sich, wohin das führen soll. Rom konnte die Erde
ausplündern, weil es den vivis wri'a,rum mit seinen Legionen zur Lieferung vou
Sklaven zwang. England will die Tribute des Planeten, auf denen der Luxus
seiner Lebensführung beruht, durch seineu Kapitalismus erzwingen. Wie lange
werden sich diesen die übrigen Völker gefallen lassen?"

Peters nennt es nämlich, abweichend vom gewöhnlichen Sprachgebrauch,
Kapitalismus, daß das englische Nationaleinkommen jetzt nicht mehr aus dem Über¬
schuß des Exports über den Import, also aus der heimischen Arbeit, soudern aus
den im Auslande angelegten Kapitalien fließt; wozu dann noch der Reedereigewinn
kommt und die Ausbeutung Indiens. An dieser Klippe droht das stolze Schiff der
englischen Staats- und Volkswirtschaft zu zerschellen. Oder kann mau auch sagen,
hier hat die Autarkie ein großes Loch, das nur durch Wiedereinführung der Neger¬
sklaverei zugestopft werden könnte. Den Negern würden sich dann wohl noch
chinesische Kukis zugesellen. Wir könnten uns also damit trösten, es sei auf diese
Weise dafür gesorgt, daß der angelsächsische Baum nicht in den Himmel wachse,
wenn wir viel Armem uns uicht schon ganz in derselben Richtung entwickelten.
Sie wird am deutlichsten dadurch gekennzeichnet, daß die Landwirtschaft der öst¬
lichen Provinzen bloß noch dnrch die Zulassung polnischer Wanderarbeiter aus
Rußland im Gange erhalten werden kann.


Krauskopf.

Von diesem Roman, dessen ersten Teil wir im vorjährigen
44. Heft als ein köstliches Vues und als eine ausgezeichnete kinderpsychologische
Studie charakterisiert haben, ist um im Verlage von Fr. Will). Grunow in Leipzig
ein "zweites Buch" erschienen. Der Verfasser läßt Detmar in die Nckwratsschule
seines Wohnorts eintreten, deren Leiter Terslot zwar katholischer Priester, aber kein
Ultramvntaner ist. Da bei ihm die wissenschaftlichen und die ästhetischen Interessen
vorwiege", berühren ihn die religiösen Kampfe der Zeit nur wenig. Er erschließt
Detmnrs entzückten Blicken die Wunder der Natur und der Geisteswelt, und seine
kühle Art ist verbunden mit der strammen Arbeit, die er fordert, heilender Balsam
für Detmars Herz, das durch eine zwar reine und ideale, aber doch allzu frühe
Liebe an Sentimentalität zu erkranken droht, während ihn zugleich der Zelot
Sauvage durch die Beichtfolter und die Verweigerung der Absolution zur Ver¬
zweiflung bringt. Denn der Knabe weiß nichts von all den Nichtswürdigkeiten,
die des Kaplans Liguoriphautasie hinter der unschuldigen Zärtlichkeit für das engcl-
und elfenhnfte Zigeunerkind im Walde wittert, und Detmar hat, ehrlich wie immer,
erklärt, daß er von seiner Liebe nicht lassen könne noch wolle. Aber er halt das
dem Vater gegebne Wort, seine Tranke nicht mehr zu besuchen. Die Übersiedlung
in die Erziehungsanstalt Gaisfurt, deren Lehrer wiederum Geistliche, aber ebenfalls
verständige und tüchtige Pädagogen sind, erlöst ihn aus allen heimischen Nöten.
Er macht nnn nicht allein in den Wissenschaften gute Fortschritte, sondern wird
auch so kirchlich fromm, daß er mit fünfzehn Jahren schon die Klostergelübde ab¬
legen will, wird jedoch vou seinen Lehrern ausgelacht. Der edle Rektor hat den
Grundsatz: ganz katholisch oder gar nicht katholisch. Er achtet die Menschen, die
aus ehrlicher Überzeugung der Kirche den Rücken kehren, und verachtet die Kom-
promißkathvliteu. Da ihn nun die Bekenntnisse des wie immer vollkommen offen¬
herzigen und wahren Detmar überzeugen, daß dieser geniale Knabe nicht in den
Schafstall paßt, sondern einmal mit seinem selbstdenkenden Kopfe seinen eignen Weg
gehn wird, so bittet er den Vater, seinen Sohn von der Anstalt wegzunehmen, aus
der nur streuggläubige Katholiken hervorgehn sollen. Detmar besucht nun die
Sekunda eines Münsterschen Gymnasiums, deren unfähiger Lehrer den Jüngling,
dessen Überlegenheit er wittert, von der ersten Stunde an als Jesuwiterlümmel
zum Karnickel der Klasse stempelt. Unter diesen Umstanden in der Schule ziemlich
überflüssig hat Detmar Zeit zu bummeln und ergibt sich im Berein mit frühreifen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gentleman im eignen Lande sein. Schmntzarbeit mögen die »verdammten Aus¬
länder« verrichten. Man fragt sich, wohin das führen soll. Rom konnte die Erde
ausplündern, weil es den vivis wri'a,rum mit seinen Legionen zur Lieferung vou
Sklaven zwang. England will die Tribute des Planeten, auf denen der Luxus
seiner Lebensführung beruht, durch seineu Kapitalismus erzwingen. Wie lange
werden sich diesen die übrigen Völker gefallen lassen?"

Peters nennt es nämlich, abweichend vom gewöhnlichen Sprachgebrauch,
Kapitalismus, daß das englische Nationaleinkommen jetzt nicht mehr aus dem Über¬
schuß des Exports über den Import, also aus der heimischen Arbeit, soudern aus
den im Auslande angelegten Kapitalien fließt; wozu dann noch der Reedereigewinn
kommt und die Ausbeutung Indiens. An dieser Klippe droht das stolze Schiff der
englischen Staats- und Volkswirtschaft zu zerschellen. Oder kann mau auch sagen,
hier hat die Autarkie ein großes Loch, das nur durch Wiedereinführung der Neger¬
sklaverei zugestopft werden könnte. Den Negern würden sich dann wohl noch
chinesische Kukis zugesellen. Wir könnten uns also damit trösten, es sei auf diese
Weise dafür gesorgt, daß der angelsächsische Baum nicht in den Himmel wachse,
wenn wir viel Armem uns uicht schon ganz in derselben Richtung entwickelten.
Sie wird am deutlichsten dadurch gekennzeichnet, daß die Landwirtschaft der öst¬
lichen Provinzen bloß noch dnrch die Zulassung polnischer Wanderarbeiter aus
Rußland im Gange erhalten werden kann.


Krauskopf.

Von diesem Roman, dessen ersten Teil wir im vorjährigen
44. Heft als ein köstliches Vues und als eine ausgezeichnete kinderpsychologische
Studie charakterisiert haben, ist um im Verlage von Fr. Will). Grunow in Leipzig
ein „zweites Buch" erschienen. Der Verfasser läßt Detmar in die Nckwratsschule
seines Wohnorts eintreten, deren Leiter Terslot zwar katholischer Priester, aber kein
Ultramvntaner ist. Da bei ihm die wissenschaftlichen und die ästhetischen Interessen
vorwiege», berühren ihn die religiösen Kampfe der Zeit nur wenig. Er erschließt
Detmnrs entzückten Blicken die Wunder der Natur und der Geisteswelt, und seine
kühle Art ist verbunden mit der strammen Arbeit, die er fordert, heilender Balsam
für Detmars Herz, das durch eine zwar reine und ideale, aber doch allzu frühe
Liebe an Sentimentalität zu erkranken droht, während ihn zugleich der Zelot
Sauvage durch die Beichtfolter und die Verweigerung der Absolution zur Ver¬
zweiflung bringt. Denn der Knabe weiß nichts von all den Nichtswürdigkeiten,
die des Kaplans Liguoriphautasie hinter der unschuldigen Zärtlichkeit für das engcl-
und elfenhnfte Zigeunerkind im Walde wittert, und Detmar hat, ehrlich wie immer,
erklärt, daß er von seiner Liebe nicht lassen könne noch wolle. Aber er halt das
dem Vater gegebne Wort, seine Tranke nicht mehr zu besuchen. Die Übersiedlung
in die Erziehungsanstalt Gaisfurt, deren Lehrer wiederum Geistliche, aber ebenfalls
verständige und tüchtige Pädagogen sind, erlöst ihn aus allen heimischen Nöten.
Er macht nnn nicht allein in den Wissenschaften gute Fortschritte, sondern wird
auch so kirchlich fromm, daß er mit fünfzehn Jahren schon die Klostergelübde ab¬
legen will, wird jedoch vou seinen Lehrern ausgelacht. Der edle Rektor hat den
Grundsatz: ganz katholisch oder gar nicht katholisch. Er achtet die Menschen, die
aus ehrlicher Überzeugung der Kirche den Rücken kehren, und verachtet die Kom-
promißkathvliteu. Da ihn nun die Bekenntnisse des wie immer vollkommen offen¬
herzigen und wahren Detmar überzeugen, daß dieser geniale Knabe nicht in den
Schafstall paßt, sondern einmal mit seinem selbstdenkenden Kopfe seinen eignen Weg
gehn wird, so bittet er den Vater, seinen Sohn von der Anstalt wegzunehmen, aus
der nur streuggläubige Katholiken hervorgehn sollen. Detmar besucht nun die
Sekunda eines Münsterschen Gymnasiums, deren unfähiger Lehrer den Jüngling,
dessen Überlegenheit er wittert, von der ersten Stunde an als Jesuwiterlümmel
zum Karnickel der Klasse stempelt. Unter diesen Umstanden in der Schule ziemlich
überflüssig hat Detmar Zeit zu bummeln und ergibt sich im Berein mit frühreifen


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[0356] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gentleman im eignen Lande sein. Schmntzarbeit mögen die »verdammten Aus¬ länder« verrichten. Man fragt sich, wohin das führen soll. Rom konnte die Erde ausplündern, weil es den vivis wri'a,rum mit seinen Legionen zur Lieferung vou Sklaven zwang. England will die Tribute des Planeten, auf denen der Luxus seiner Lebensführung beruht, durch seineu Kapitalismus erzwingen. Wie lange werden sich diesen die übrigen Völker gefallen lassen?" Peters nennt es nämlich, abweichend vom gewöhnlichen Sprachgebrauch, Kapitalismus, daß das englische Nationaleinkommen jetzt nicht mehr aus dem Über¬ schuß des Exports über den Import, also aus der heimischen Arbeit, soudern aus den im Auslande angelegten Kapitalien fließt; wozu dann noch der Reedereigewinn kommt und die Ausbeutung Indiens. An dieser Klippe droht das stolze Schiff der englischen Staats- und Volkswirtschaft zu zerschellen. Oder kann mau auch sagen, hier hat die Autarkie ein großes Loch, das nur durch Wiedereinführung der Neger¬ sklaverei zugestopft werden könnte. Den Negern würden sich dann wohl noch chinesische Kukis zugesellen. Wir könnten uns also damit trösten, es sei auf diese Weise dafür gesorgt, daß der angelsächsische Baum nicht in den Himmel wachse, wenn wir viel Armem uns uicht schon ganz in derselben Richtung entwickelten. Sie wird am deutlichsten dadurch gekennzeichnet, daß die Landwirtschaft der öst¬ lichen Provinzen bloß noch dnrch die Zulassung polnischer Wanderarbeiter aus Rußland im Gange erhalten werden kann. Krauskopf. Von diesem Roman, dessen ersten Teil wir im vorjährigen 44. Heft als ein köstliches Vues und als eine ausgezeichnete kinderpsychologische Studie charakterisiert haben, ist um im Verlage von Fr. Will). Grunow in Leipzig ein „zweites Buch" erschienen. Der Verfasser läßt Detmar in die Nckwratsschule seines Wohnorts eintreten, deren Leiter Terslot zwar katholischer Priester, aber kein Ultramvntaner ist. Da bei ihm die wissenschaftlichen und die ästhetischen Interessen vorwiege», berühren ihn die religiösen Kampfe der Zeit nur wenig. Er erschließt Detmnrs entzückten Blicken die Wunder der Natur und der Geisteswelt, und seine kühle Art ist verbunden mit der strammen Arbeit, die er fordert, heilender Balsam für Detmars Herz, das durch eine zwar reine und ideale, aber doch allzu frühe Liebe an Sentimentalität zu erkranken droht, während ihn zugleich der Zelot Sauvage durch die Beichtfolter und die Verweigerung der Absolution zur Ver¬ zweiflung bringt. Denn der Knabe weiß nichts von all den Nichtswürdigkeiten, die des Kaplans Liguoriphautasie hinter der unschuldigen Zärtlichkeit für das engcl- und elfenhnfte Zigeunerkind im Walde wittert, und Detmar hat, ehrlich wie immer, erklärt, daß er von seiner Liebe nicht lassen könne noch wolle. Aber er halt das dem Vater gegebne Wort, seine Tranke nicht mehr zu besuchen. Die Übersiedlung in die Erziehungsanstalt Gaisfurt, deren Lehrer wiederum Geistliche, aber ebenfalls verständige und tüchtige Pädagogen sind, erlöst ihn aus allen heimischen Nöten. Er macht nnn nicht allein in den Wissenschaften gute Fortschritte, sondern wird auch so kirchlich fromm, daß er mit fünfzehn Jahren schon die Klostergelübde ab¬ legen will, wird jedoch vou seinen Lehrern ausgelacht. Der edle Rektor hat den Grundsatz: ganz katholisch oder gar nicht katholisch. Er achtet die Menschen, die aus ehrlicher Überzeugung der Kirche den Rücken kehren, und verachtet die Kom- promißkathvliteu. Da ihn nun die Bekenntnisse des wie immer vollkommen offen¬ herzigen und wahren Detmar überzeugen, daß dieser geniale Knabe nicht in den Schafstall paßt, sondern einmal mit seinem selbstdenkenden Kopfe seinen eignen Weg gehn wird, so bittet er den Vater, seinen Sohn von der Anstalt wegzunehmen, aus der nur streuggläubige Katholiken hervorgehn sollen. Detmar besucht nun die Sekunda eines Münsterschen Gymnasiums, deren unfähiger Lehrer den Jüngling, dessen Überlegenheit er wittert, von der ersten Stunde an als Jesuwiterlümmel zum Karnickel der Klasse stempelt. Unter diesen Umstanden in der Schule ziemlich überflüssig hat Detmar Zeit zu bummeln und ergibt sich im Berein mit frühreifen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/356>, abgerufen am 21.05.2024.