Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Konstantmopolitanische Reiseerlebnisse

langen. Auf deren Eingangsstufen saß schon eine ganze Anzahl alter, bärtiger,
weiß und grün beturbcmter Gestalten, vielleicht Mekkapilger oder sonst irgendwie
durch Religionseifer hervorragende Männer, andre lehnten wartend am Gitter oder
hockten auf der Erde. Diese Glaubensheroen musterten mich, als ich mich ihnen
unbefangen näherte, mit so bösartigen Blicken, daß ich es vorzog, mich langsam
wieder zu verziehn. Gleich darauf erklang die erste Militärmusik, der "Doppel-
adlcr" und etwas, was beinahe wie die "Holzauktion" klang. Truppen rückten
heran und sperrten den ganzen Raum ab, indem sie zugleich Spalier bildeten.
Bald schmetterte und dröhnte es von allen Seiten, und wir konnten nun die schönsten
Elitctruppen sehen, außer der blauuuiformierten Infanterie weißgekleidete Albanesen,
graugrüne Jäger, Zuaven mit Gamaschen, Ulanen mit roten Fähnchen und das
berühmte, nur auf Schimmeln reitende Regiment Ertogrul. Reichlich flatterten
rote und grüne Fahnen mit goldnem oder silbernem Halbmond. Alle diese Truppen
trugen ihre ersten Garnituren und sahen anders aus als die abgerissenen Soldaten,
die uns in der Dardanellenstadt vor Augen gekommen waren.

Wir stellten uns nun, wie alle Welt, aus unsern Wagen aufrecht und reckten
die Hälse möglichst lang. Es war ein ganz reizvoller Anblick. Die strahlend weiße
Moschee hob sich von den dunkeln Bäumen des unmittelbar hinter ihr beginnenden
großherrlichen Parkes ab, daneben führte eine breite Straße direkt auf das hohe
Portal in der Parkmauer zu. Bei diesem begann das militärische Spalier und
erstreckte sich zwischen uns und der Moschee hindurch nach rechts hin, soweit wir
sehen konnten. Aller Augen hingen gespannt an dem Portal. Aber es dauerte
lange, bis plötzlich eine Menge Menschen zu Fuß aus ihm hervorquollen, dann
kam eine offne Galakutsche von goldgeschirrten Pferden gezogen, dann noch mehrere
einfache Kutschen und wieder eine Menge Menschen. Kommandorufen, plötzliches
Schmettern verschiedner Fanfaren, Präsentieren der Truppen und ein lang auf¬
haltendes "?An1lheils.niir> tsouSIc ^song," (lange lebe der Padischah!) bewiesen, daß
der Großherr in der Tat in der offnen Kutsche saß. Als diese nach rechts hin
auf den Vorhof der Moschee einbog, konnten wir den Sultan Abdul-Harrt einen
Augenblick deutlich sehen, wenn auch nur aus dem Profil. Er trug eiuen eleganten
schwarzen Überrock und einen roten Fes und machte einen würdevollen, vornehmen
Eindruck. Dann verschwand der Wagen und der Zug hinter den Bäumen des
Vorhofs.

Der Mann ist theoretisch betrachtet mächtiger als der Papst und mächtiger
als der Kaiser. Denn er ist Papst und Kaiser zugleich, uicht nur Sultan, sondern
auch Kauf, nicht nur weltlicher, sondern auch geistlicher Oberherr aller Gläubigen.
Wenn er es nur aller Gläubiger wäre! Aber da liegt der Hase im Pfeffer. Die
Männer, die seinem Wagen vorangehn und folgen, sind teils Leibgardisten, teils
Großwürdenträger. Wenn er schlechter Laune ist, läßt er rasch fahren, dann
müssen alle, auch der dickste Pascha, sich in Trab setzen. Bisweilen nimmt er nach
dem Gebet eine Parade ab, und wir freuten uns schon darauf, deu Parademarsch
der Türken zu sehen. Aber diese Freude wurde zu Wasser. Der Padischah entließ
die Truppen noch während des gottesdienstlichen Gesanges, und man mochte es
den Leuten wohl gönnen, daß sie abrücken durften, denn sie waren zum Teil aus
stundenweit entfernten Kasernen heranmarschiert, und die Hitze war nicht gering.
Während die Truppen einschwenkten und abrückten, fuhr auch unser Wagenpark
auseinander. Wir kamen an den marschierenden Truppen entlang, und ich konnte
sie mir deshalb noch einmal aus der Nähe betrachten. Die Leute sahen unleugbar
gut aus, aber kein Lachen, kein Scherz, kein Gesang war zu hören, resignierter
Ernst lag auf den tiefbraunen Gesichtern. Es sah fast aus, als ob sie, vom
Selamlik zurückmarschierend, eine gottesdienstliche Handlung zu verrichten glaubten.
Auch die Musik hatte diesesmal etwas Fremdartiges, Mißtönendes, ich möchte sagen
fanatisches. An einer Stelle hielten zwei Kutschen mit Haremsdamen. In der
vordem saßen zwei, in der hintern drei, nach der Kleidung zu urteilen, vornehme


Konstantmopolitanische Reiseerlebnisse

langen. Auf deren Eingangsstufen saß schon eine ganze Anzahl alter, bärtiger,
weiß und grün beturbcmter Gestalten, vielleicht Mekkapilger oder sonst irgendwie
durch Religionseifer hervorragende Männer, andre lehnten wartend am Gitter oder
hockten auf der Erde. Diese Glaubensheroen musterten mich, als ich mich ihnen
unbefangen näherte, mit so bösartigen Blicken, daß ich es vorzog, mich langsam
wieder zu verziehn. Gleich darauf erklang die erste Militärmusik, der „Doppel-
adlcr" und etwas, was beinahe wie die „Holzauktion" klang. Truppen rückten
heran und sperrten den ganzen Raum ab, indem sie zugleich Spalier bildeten.
Bald schmetterte und dröhnte es von allen Seiten, und wir konnten nun die schönsten
Elitctruppen sehen, außer der blauuuiformierten Infanterie weißgekleidete Albanesen,
graugrüne Jäger, Zuaven mit Gamaschen, Ulanen mit roten Fähnchen und das
berühmte, nur auf Schimmeln reitende Regiment Ertogrul. Reichlich flatterten
rote und grüne Fahnen mit goldnem oder silbernem Halbmond. Alle diese Truppen
trugen ihre ersten Garnituren und sahen anders aus als die abgerissenen Soldaten,
die uns in der Dardanellenstadt vor Augen gekommen waren.

Wir stellten uns nun, wie alle Welt, aus unsern Wagen aufrecht und reckten
die Hälse möglichst lang. Es war ein ganz reizvoller Anblick. Die strahlend weiße
Moschee hob sich von den dunkeln Bäumen des unmittelbar hinter ihr beginnenden
großherrlichen Parkes ab, daneben führte eine breite Straße direkt auf das hohe
Portal in der Parkmauer zu. Bei diesem begann das militärische Spalier und
erstreckte sich zwischen uns und der Moschee hindurch nach rechts hin, soweit wir
sehen konnten. Aller Augen hingen gespannt an dem Portal. Aber es dauerte
lange, bis plötzlich eine Menge Menschen zu Fuß aus ihm hervorquollen, dann
kam eine offne Galakutsche von goldgeschirrten Pferden gezogen, dann noch mehrere
einfache Kutschen und wieder eine Menge Menschen. Kommandorufen, plötzliches
Schmettern verschiedner Fanfaren, Präsentieren der Truppen und ein lang auf¬
haltendes „?An1lheils.niir> tsouSIc ^song," (lange lebe der Padischah!) bewiesen, daß
der Großherr in der Tat in der offnen Kutsche saß. Als diese nach rechts hin
auf den Vorhof der Moschee einbog, konnten wir den Sultan Abdul-Harrt einen
Augenblick deutlich sehen, wenn auch nur aus dem Profil. Er trug eiuen eleganten
schwarzen Überrock und einen roten Fes und machte einen würdevollen, vornehmen
Eindruck. Dann verschwand der Wagen und der Zug hinter den Bäumen des
Vorhofs.

Der Mann ist theoretisch betrachtet mächtiger als der Papst und mächtiger
als der Kaiser. Denn er ist Papst und Kaiser zugleich, uicht nur Sultan, sondern
auch Kauf, nicht nur weltlicher, sondern auch geistlicher Oberherr aller Gläubigen.
Wenn er es nur aller Gläubiger wäre! Aber da liegt der Hase im Pfeffer. Die
Männer, die seinem Wagen vorangehn und folgen, sind teils Leibgardisten, teils
Großwürdenträger. Wenn er schlechter Laune ist, läßt er rasch fahren, dann
müssen alle, auch der dickste Pascha, sich in Trab setzen. Bisweilen nimmt er nach
dem Gebet eine Parade ab, und wir freuten uns schon darauf, deu Parademarsch
der Türken zu sehen. Aber diese Freude wurde zu Wasser. Der Padischah entließ
die Truppen noch während des gottesdienstlichen Gesanges, und man mochte es
den Leuten wohl gönnen, daß sie abrücken durften, denn sie waren zum Teil aus
stundenweit entfernten Kasernen heranmarschiert, und die Hitze war nicht gering.
Während die Truppen einschwenkten und abrückten, fuhr auch unser Wagenpark
auseinander. Wir kamen an den marschierenden Truppen entlang, und ich konnte
sie mir deshalb noch einmal aus der Nähe betrachten. Die Leute sahen unleugbar
gut aus, aber kein Lachen, kein Scherz, kein Gesang war zu hören, resignierter
Ernst lag auf den tiefbraunen Gesichtern. Es sah fast aus, als ob sie, vom
Selamlik zurückmarschierend, eine gottesdienstliche Handlung zu verrichten glaubten.
Auch die Musik hatte diesesmal etwas Fremdartiges, Mißtönendes, ich möchte sagen
fanatisches. An einer Stelle hielten zwei Kutschen mit Haremsdamen. In der
vordem saßen zwei, in der hintern drei, nach der Kleidung zu urteilen, vornehme


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0646" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295865"/>
          <fw type="header" place="top"> Konstantmopolitanische Reiseerlebnisse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3215" prev="#ID_3214"> langen. Auf deren Eingangsstufen saß schon eine ganze Anzahl alter, bärtiger,<lb/>
weiß und grün beturbcmter Gestalten, vielleicht Mekkapilger oder sonst irgendwie<lb/>
durch Religionseifer hervorragende Männer, andre lehnten wartend am Gitter oder<lb/>
hockten auf der Erde. Diese Glaubensheroen musterten mich, als ich mich ihnen<lb/>
unbefangen näherte, mit so bösartigen Blicken, daß ich es vorzog, mich langsam<lb/>
wieder zu verziehn. Gleich darauf erklang die erste Militärmusik, der &#x201E;Doppel-<lb/>
adlcr" und etwas, was beinahe wie die &#x201E;Holzauktion" klang. Truppen rückten<lb/>
heran und sperrten den ganzen Raum ab, indem sie zugleich Spalier bildeten.<lb/>
Bald schmetterte und dröhnte es von allen Seiten, und wir konnten nun die schönsten<lb/>
Elitctruppen sehen, außer der blauuuiformierten Infanterie weißgekleidete Albanesen,<lb/>
graugrüne Jäger, Zuaven mit Gamaschen, Ulanen mit roten Fähnchen und das<lb/>
berühmte, nur auf Schimmeln reitende Regiment Ertogrul. Reichlich flatterten<lb/>
rote und grüne Fahnen mit goldnem oder silbernem Halbmond. Alle diese Truppen<lb/>
trugen ihre ersten Garnituren und sahen anders aus als die abgerissenen Soldaten,<lb/>
die uns in der Dardanellenstadt vor Augen gekommen waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3216"> Wir stellten uns nun, wie alle Welt, aus unsern Wagen aufrecht und reckten<lb/>
die Hälse möglichst lang. Es war ein ganz reizvoller Anblick. Die strahlend weiße<lb/>
Moschee hob sich von den dunkeln Bäumen des unmittelbar hinter ihr beginnenden<lb/>
großherrlichen Parkes ab, daneben führte eine breite Straße direkt auf das hohe<lb/>
Portal in der Parkmauer zu. Bei diesem begann das militärische Spalier und<lb/>
erstreckte sich zwischen uns und der Moschee hindurch nach rechts hin, soweit wir<lb/>
sehen konnten. Aller Augen hingen gespannt an dem Portal. Aber es dauerte<lb/>
lange, bis plötzlich eine Menge Menschen zu Fuß aus ihm hervorquollen, dann<lb/>
kam eine offne Galakutsche von goldgeschirrten Pferden gezogen, dann noch mehrere<lb/>
einfache Kutschen und wieder eine Menge Menschen. Kommandorufen, plötzliches<lb/>
Schmettern verschiedner Fanfaren, Präsentieren der Truppen und ein lang auf¬<lb/>
haltendes &#x201E;?An1lheils.niir&gt; tsouSIc ^song," (lange lebe der Padischah!) bewiesen, daß<lb/>
der Großherr in der Tat in der offnen Kutsche saß. Als diese nach rechts hin<lb/>
auf den Vorhof der Moschee einbog, konnten wir den Sultan Abdul-Harrt einen<lb/>
Augenblick deutlich sehen, wenn auch nur aus dem Profil. Er trug eiuen eleganten<lb/>
schwarzen Überrock und einen roten Fes und machte einen würdevollen, vornehmen<lb/>
Eindruck. Dann verschwand der Wagen und der Zug hinter den Bäumen des<lb/>
Vorhofs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3217" next="#ID_3218"> Der Mann ist theoretisch betrachtet mächtiger als der Papst und mächtiger<lb/>
als der Kaiser. Denn er ist Papst und Kaiser zugleich, uicht nur Sultan, sondern<lb/>
auch Kauf, nicht nur weltlicher, sondern auch geistlicher Oberherr aller Gläubigen.<lb/>
Wenn er es nur aller Gläubiger wäre! Aber da liegt der Hase im Pfeffer. Die<lb/>
Männer, die seinem Wagen vorangehn und folgen, sind teils Leibgardisten, teils<lb/>
Großwürdenträger. Wenn er schlechter Laune ist, läßt er rasch fahren, dann<lb/>
müssen alle, auch der dickste Pascha, sich in Trab setzen. Bisweilen nimmt er nach<lb/>
dem Gebet eine Parade ab, und wir freuten uns schon darauf, deu Parademarsch<lb/>
der Türken zu sehen. Aber diese Freude wurde zu Wasser. Der Padischah entließ<lb/>
die Truppen noch während des gottesdienstlichen Gesanges, und man mochte es<lb/>
den Leuten wohl gönnen, daß sie abrücken durften, denn sie waren zum Teil aus<lb/>
stundenweit entfernten Kasernen heranmarschiert, und die Hitze war nicht gering.<lb/>
Während die Truppen einschwenkten und abrückten, fuhr auch unser Wagenpark<lb/>
auseinander. Wir kamen an den marschierenden Truppen entlang, und ich konnte<lb/>
sie mir deshalb noch einmal aus der Nähe betrachten. Die Leute sahen unleugbar<lb/>
gut aus, aber kein Lachen, kein Scherz, kein Gesang war zu hören, resignierter<lb/>
Ernst lag auf den tiefbraunen Gesichtern. Es sah fast aus, als ob sie, vom<lb/>
Selamlik zurückmarschierend, eine gottesdienstliche Handlung zu verrichten glaubten.<lb/>
Auch die Musik hatte diesesmal etwas Fremdartiges, Mißtönendes, ich möchte sagen<lb/>
fanatisches. An einer Stelle hielten zwei Kutschen mit Haremsdamen. In der<lb/>
vordem saßen zwei, in der hintern drei, nach der Kleidung zu urteilen, vornehme</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0646] Konstantmopolitanische Reiseerlebnisse langen. Auf deren Eingangsstufen saß schon eine ganze Anzahl alter, bärtiger, weiß und grün beturbcmter Gestalten, vielleicht Mekkapilger oder sonst irgendwie durch Religionseifer hervorragende Männer, andre lehnten wartend am Gitter oder hockten auf der Erde. Diese Glaubensheroen musterten mich, als ich mich ihnen unbefangen näherte, mit so bösartigen Blicken, daß ich es vorzog, mich langsam wieder zu verziehn. Gleich darauf erklang die erste Militärmusik, der „Doppel- adlcr" und etwas, was beinahe wie die „Holzauktion" klang. Truppen rückten heran und sperrten den ganzen Raum ab, indem sie zugleich Spalier bildeten. Bald schmetterte und dröhnte es von allen Seiten, und wir konnten nun die schönsten Elitctruppen sehen, außer der blauuuiformierten Infanterie weißgekleidete Albanesen, graugrüne Jäger, Zuaven mit Gamaschen, Ulanen mit roten Fähnchen und das berühmte, nur auf Schimmeln reitende Regiment Ertogrul. Reichlich flatterten rote und grüne Fahnen mit goldnem oder silbernem Halbmond. Alle diese Truppen trugen ihre ersten Garnituren und sahen anders aus als die abgerissenen Soldaten, die uns in der Dardanellenstadt vor Augen gekommen waren. Wir stellten uns nun, wie alle Welt, aus unsern Wagen aufrecht und reckten die Hälse möglichst lang. Es war ein ganz reizvoller Anblick. Die strahlend weiße Moschee hob sich von den dunkeln Bäumen des unmittelbar hinter ihr beginnenden großherrlichen Parkes ab, daneben führte eine breite Straße direkt auf das hohe Portal in der Parkmauer zu. Bei diesem begann das militärische Spalier und erstreckte sich zwischen uns und der Moschee hindurch nach rechts hin, soweit wir sehen konnten. Aller Augen hingen gespannt an dem Portal. Aber es dauerte lange, bis plötzlich eine Menge Menschen zu Fuß aus ihm hervorquollen, dann kam eine offne Galakutsche von goldgeschirrten Pferden gezogen, dann noch mehrere einfache Kutschen und wieder eine Menge Menschen. Kommandorufen, plötzliches Schmettern verschiedner Fanfaren, Präsentieren der Truppen und ein lang auf¬ haltendes „?An1lheils.niir> tsouSIc ^song," (lange lebe der Padischah!) bewiesen, daß der Großherr in der Tat in der offnen Kutsche saß. Als diese nach rechts hin auf den Vorhof der Moschee einbog, konnten wir den Sultan Abdul-Harrt einen Augenblick deutlich sehen, wenn auch nur aus dem Profil. Er trug eiuen eleganten schwarzen Überrock und einen roten Fes und machte einen würdevollen, vornehmen Eindruck. Dann verschwand der Wagen und der Zug hinter den Bäumen des Vorhofs. Der Mann ist theoretisch betrachtet mächtiger als der Papst und mächtiger als der Kaiser. Denn er ist Papst und Kaiser zugleich, uicht nur Sultan, sondern auch Kauf, nicht nur weltlicher, sondern auch geistlicher Oberherr aller Gläubigen. Wenn er es nur aller Gläubiger wäre! Aber da liegt der Hase im Pfeffer. Die Männer, die seinem Wagen vorangehn und folgen, sind teils Leibgardisten, teils Großwürdenträger. Wenn er schlechter Laune ist, läßt er rasch fahren, dann müssen alle, auch der dickste Pascha, sich in Trab setzen. Bisweilen nimmt er nach dem Gebet eine Parade ab, und wir freuten uns schon darauf, deu Parademarsch der Türken zu sehen. Aber diese Freude wurde zu Wasser. Der Padischah entließ die Truppen noch während des gottesdienstlichen Gesanges, und man mochte es den Leuten wohl gönnen, daß sie abrücken durften, denn sie waren zum Teil aus stundenweit entfernten Kasernen heranmarschiert, und die Hitze war nicht gering. Während die Truppen einschwenkten und abrückten, fuhr auch unser Wagenpark auseinander. Wir kamen an den marschierenden Truppen entlang, und ich konnte sie mir deshalb noch einmal aus der Nähe betrachten. Die Leute sahen unleugbar gut aus, aber kein Lachen, kein Scherz, kein Gesang war zu hören, resignierter Ernst lag auf den tiefbraunen Gesichtern. Es sah fast aus, als ob sie, vom Selamlik zurückmarschierend, eine gottesdienstliche Handlung zu verrichten glaubten. Auch die Musik hatte diesesmal etwas Fremdartiges, Mißtönendes, ich möchte sagen fanatisches. An einer Stelle hielten zwei Kutschen mit Haremsdamen. In der vordem saßen zwei, in der hintern drei, nach der Kleidung zu urteilen, vornehme

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/646
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/646>, abgerufen am 21.05.2024.