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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Junisonne

worden war. Man war sehr höflich, aber offenbar etwas erstaunt. Vorläufig
könne man nur sagen, daß die Plattenreihe wahrscheinlich in den fünfziger Jahren
gelegt und bei dem letzten Bollwerkbau nicht umgelegt worden sei.

Am Abend fanden sich die drei auf der Langen Linie zusammen.

Ja, ich bin im Bureau für Pflasterarbeiten gewesen, begann Pardo.

Da bist du gewesen? rief Blom.

Selbstverständlich! Und da sagte man mir, was ich übrigens schon wußte,
daß Kopenhagen seine Steinplatten in der Regel fertig beHauen aus Schweden be¬
ziehe, daß man aber doch zuweilen auch inländische Steine gekauft und sie hier
am Orte habe behauen lassen: deswegen kann also die Platte ein alter Grabstein
sein. Was hast du denn getan, Blom?

Ja, ich bin natürlich auch im Bureau für Pflasterarbeiten gewesen, aber
offenbar nach dir. Ich bin übrigens auch hingewesen, den Stein selbst zu unter¬
suchen -- sag mir doch: hast du gestern bemerkt, daß das Kreuz weiß war,
Pardo?

Nein -- gestern war es nicht weiß.

Ja aber heute ist es wirklich weiß.

Pardo lachte.

Das wird vermutlich daher kommen, daß ich heute Morgen in der Frühe um
Ort und Stelle einen Gipsabguß von dem Kreuz gemacht habe.

Einen Gipsabguß?

Ja, um zu konstatieren, ob auch das Ausgehauene abgenutzt sei; wäre das
nicht der Fall gewesen, so wäre ja das Kreuz wohl ganz neuen Datums. Ich
kann dich aber beruhigen: es war abgenutzt! Aber du. Ricks, was hast du denn
unternommen?

Ich habe die Ergebnisse eurer interessanten Untersuchungen abgewartet.

Du hast "sie," die auf dem Steine gestanden hatte, nicht gefunden?

Nein!

Hast vielleicht gar nicht einmal nach ihr gesucht?

Nicht nach ihr selbst.

Etwa nach ihrem Schatten?

Nein, nach ihrem Hut! Hast du den beachtet?

Nein, das habe ich, weiß Gott, nicht getan.

Aber das habe ich getan, es war ein ziemlich auffallender weißer Hut mit
Goldregen und Flieder garniert -- und als ich heute Mittag durch die Osterstraße
gehe, sehe ich in einem Fenster einen ganz ähnlichen Hut.

Und dann kauftest du ihn, um eine Erinnerung und einen Anhaltspunkt zu
haben?

Nein, das tat ich nicht, aber ich ging allerdings in den Laden und fragte,
ob sie nicht ganz kürzlich einen ähnlichen Hut wie diesen verkauft Hütten, und an
wen. Ja, er sei an eine Dame von auswärts, die in einem Hotel wohnte, ver¬
kauft worden, und dahin sei er geschickt worden, sagte das Fräulein, aber was
für ein Hotel es gewesen wäre, das wußte sie nicht, denn die Verkäuferin, die
den Hut verkauft hätte, sei auf Besuch zu ihren Angehörigen nach Jütland gereist,
wohin, wisse sie auch nicht.

Und dann?

Ja weiter ist da nichts -- wenigstens vorläufig nicht!




Du bist übrigens ein größerer Prophet, als du vermutlich selber ahnst, sagte
Pardo am folgenden Abend zu Hessel. Du sprachst vorgestern davon, daß, wenn
man irgend etwas begönne, man niemals wissen könne, wo man schließlich hin¬
komme -- nun reist Blom morgen!


Junisonne

worden war. Man war sehr höflich, aber offenbar etwas erstaunt. Vorläufig
könne man nur sagen, daß die Plattenreihe wahrscheinlich in den fünfziger Jahren
gelegt und bei dem letzten Bollwerkbau nicht umgelegt worden sei.

Am Abend fanden sich die drei auf der Langen Linie zusammen.

Ja, ich bin im Bureau für Pflasterarbeiten gewesen, begann Pardo.

Da bist du gewesen? rief Blom.

Selbstverständlich! Und da sagte man mir, was ich übrigens schon wußte,
daß Kopenhagen seine Steinplatten in der Regel fertig beHauen aus Schweden be¬
ziehe, daß man aber doch zuweilen auch inländische Steine gekauft und sie hier
am Orte habe behauen lassen: deswegen kann also die Platte ein alter Grabstein
sein. Was hast du denn getan, Blom?

Ja, ich bin natürlich auch im Bureau für Pflasterarbeiten gewesen, aber
offenbar nach dir. Ich bin übrigens auch hingewesen, den Stein selbst zu unter¬
suchen — sag mir doch: hast du gestern bemerkt, daß das Kreuz weiß war,
Pardo?

Nein — gestern war es nicht weiß.

Ja aber heute ist es wirklich weiß.

Pardo lachte.

Das wird vermutlich daher kommen, daß ich heute Morgen in der Frühe um
Ort und Stelle einen Gipsabguß von dem Kreuz gemacht habe.

Einen Gipsabguß?

Ja, um zu konstatieren, ob auch das Ausgehauene abgenutzt sei; wäre das
nicht der Fall gewesen, so wäre ja das Kreuz wohl ganz neuen Datums. Ich
kann dich aber beruhigen: es war abgenutzt! Aber du. Ricks, was hast du denn
unternommen?

Ich habe die Ergebnisse eurer interessanten Untersuchungen abgewartet.

Du hast „sie," die auf dem Steine gestanden hatte, nicht gefunden?

Nein!

Hast vielleicht gar nicht einmal nach ihr gesucht?

Nicht nach ihr selbst.

Etwa nach ihrem Schatten?

Nein, nach ihrem Hut! Hast du den beachtet?

Nein, das habe ich, weiß Gott, nicht getan.

Aber das habe ich getan, es war ein ziemlich auffallender weißer Hut mit
Goldregen und Flieder garniert — und als ich heute Mittag durch die Osterstraße
gehe, sehe ich in einem Fenster einen ganz ähnlichen Hut.

Und dann kauftest du ihn, um eine Erinnerung und einen Anhaltspunkt zu
haben?

Nein, das tat ich nicht, aber ich ging allerdings in den Laden und fragte,
ob sie nicht ganz kürzlich einen ähnlichen Hut wie diesen verkauft Hütten, und an
wen. Ja, er sei an eine Dame von auswärts, die in einem Hotel wohnte, ver¬
kauft worden, und dahin sei er geschickt worden, sagte das Fräulein, aber was
für ein Hotel es gewesen wäre, das wußte sie nicht, denn die Verkäuferin, die
den Hut verkauft hätte, sei auf Besuch zu ihren Angehörigen nach Jütland gereist,
wohin, wisse sie auch nicht.

Und dann?

Ja weiter ist da nichts — wenigstens vorläufig nicht!




Du bist übrigens ein größerer Prophet, als du vermutlich selber ahnst, sagte
Pardo am folgenden Abend zu Hessel. Du sprachst vorgestern davon, daß, wenn
man irgend etwas begönne, man niemals wissen könne, wo man schließlich hin¬
komme — nun reist Blom morgen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/650>, abgerufen am 21.05.2024.