Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung

Rasse, aber beim Schwinden des Gcrmcmenblutes aus dem Volkskörper nicht
verloren gegangen sind, nicht der freundlichen Natur des Landes: der schönen
Beleuchtung, der milden Luft, der leichtern Kleidung, der geringern Mühsal
des Lebens zu danken sein, und sollten diese äußern Umstände, auf die Wolt-
mann wenig Gewicht legt, nicht zusammen mit ihrer nächsten Wirkung, der
Schönheit und Anmut der Menschen, den Formen- und Farbensinn geweckt
und so den Boden abgegeben haben, auf dem eine Fülle künstlerischer Genies
sprießen konnte und mußte? Nicht daß darum den Deutschen die künstlerische
Schöpferkraft abgesprochen werden müßte, Werke wie die Skulpturen am
Bamberger Dom -- in Frankreich sollen solche steinernen Dokumente noch
viel häufiger sein -- bezeugen, daß die Deutschen nur des technischen Unter¬
richts von Italienern bedurften, im übrigen aber originell waren und Ge¬
danken, Ideale nicht zu entlehnen brauchten. Aber der allgemeinen und
raschen Verbreitung des Formcnsinns, der Kunstliebe, demnach auch der Ent¬
faltung künstlerischer Genies hat die Ungunst des Klimas im Norden ohne
Zweifel im Wege gestanden; außerdem deu Blick der Künstler mehr auf das
Charakteristische als auf das Schöne gelenkt, das dem Italiener seine Um¬
gebung darbot, und an dessen Pflege ihn die von den Griechen begründete
Tradition gewohnt hatte. (Womit wiederum nicht gesagt werden soll, daß den
Italienern der Blick für das Charakteristische abginge. In den Uffizien kann
man sich vom Gegenteil überzeugen; sogar die zwei Papstbildnisse Raffaels
im Palazzo Pitti sind ganz naturalistisch, ohne eine Spur von schineichlerischer
Idealisierung.)

Schopenhauer bringt die schönen Gesichter der Italiener in Gegensatz zu
ihren, wie er behauptet, bösen Herzen. Abweichend von ihm haben viele zuver¬
lässige Beobachter von Goethe anzufangen den Charakter des italienischen Volkes,
soweit es von fremden und von großstädtischen Einflüssen unberührt geblieben
ist, gelobt. Gregorovius schildert u. a. die edle Herzensbildung der Sizilianer,
in deren Adern doch höchstens eine homöopathische Dosis deutschen Blutes
rinnt. Unter vielen andern hat sich auch Moltke darüber gewundert, daß man
in den italienischen Großstädten keinen Pöbel findet -- oder vielmehr vor dem
Eindringen des nordischen Jndustricilismus und vor der Überflutung mit
Touristen gefunden hat.

Ferner: die jüdische Prophetie ist sicherlich nichts germanisches, aber sie
ist eine originelle Schöpfung von hinreißender Schönheit und behauptet sich
bis auf deu heutigen Tag -- nicht im Judentum, sondern im Christentum --
als Weltmacht.

Endlich: da bei deu Individuen Körperschönheit und Seelenadel vielfach
auseinanderfallen, ist zu vermuten, daß sie auch im Volksganzen nicht überall
und immer unlöslich aneinander gebunden sind. Auffallend schöne Menschen
sind manchmal entsetzlich dumm, manchmal auch mit häßlichen Charakterfehleru
behaftet, und geniale Riesen wie Bismarck, harmonische Naturen wie Goethe
sind nicht häufiger als häßliche Zwerge von Geist und edelm Charakter wie
Beethoven, Windthorst und Menzel. Schon vor dem großen Kriege hat man
an den Japanern Eigenschaften gerühmt, die wenig mongolisch aussehen:


Grenzboten IV 1L0S 5!4-
Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung

Rasse, aber beim Schwinden des Gcrmcmenblutes aus dem Volkskörper nicht
verloren gegangen sind, nicht der freundlichen Natur des Landes: der schönen
Beleuchtung, der milden Luft, der leichtern Kleidung, der geringern Mühsal
des Lebens zu danken sein, und sollten diese äußern Umstände, auf die Wolt-
mann wenig Gewicht legt, nicht zusammen mit ihrer nächsten Wirkung, der
Schönheit und Anmut der Menschen, den Formen- und Farbensinn geweckt
und so den Boden abgegeben haben, auf dem eine Fülle künstlerischer Genies
sprießen konnte und mußte? Nicht daß darum den Deutschen die künstlerische
Schöpferkraft abgesprochen werden müßte, Werke wie die Skulpturen am
Bamberger Dom — in Frankreich sollen solche steinernen Dokumente noch
viel häufiger sein — bezeugen, daß die Deutschen nur des technischen Unter¬
richts von Italienern bedurften, im übrigen aber originell waren und Ge¬
danken, Ideale nicht zu entlehnen brauchten. Aber der allgemeinen und
raschen Verbreitung des Formcnsinns, der Kunstliebe, demnach auch der Ent¬
faltung künstlerischer Genies hat die Ungunst des Klimas im Norden ohne
Zweifel im Wege gestanden; außerdem deu Blick der Künstler mehr auf das
Charakteristische als auf das Schöne gelenkt, das dem Italiener seine Um¬
gebung darbot, und an dessen Pflege ihn die von den Griechen begründete
Tradition gewohnt hatte. (Womit wiederum nicht gesagt werden soll, daß den
Italienern der Blick für das Charakteristische abginge. In den Uffizien kann
man sich vom Gegenteil überzeugen; sogar die zwei Papstbildnisse Raffaels
im Palazzo Pitti sind ganz naturalistisch, ohne eine Spur von schineichlerischer
Idealisierung.)

Schopenhauer bringt die schönen Gesichter der Italiener in Gegensatz zu
ihren, wie er behauptet, bösen Herzen. Abweichend von ihm haben viele zuver¬
lässige Beobachter von Goethe anzufangen den Charakter des italienischen Volkes,
soweit es von fremden und von großstädtischen Einflüssen unberührt geblieben
ist, gelobt. Gregorovius schildert u. a. die edle Herzensbildung der Sizilianer,
in deren Adern doch höchstens eine homöopathische Dosis deutschen Blutes
rinnt. Unter vielen andern hat sich auch Moltke darüber gewundert, daß man
in den italienischen Großstädten keinen Pöbel findet — oder vielmehr vor dem
Eindringen des nordischen Jndustricilismus und vor der Überflutung mit
Touristen gefunden hat.

Ferner: die jüdische Prophetie ist sicherlich nichts germanisches, aber sie
ist eine originelle Schöpfung von hinreißender Schönheit und behauptet sich
bis auf deu heutigen Tag — nicht im Judentum, sondern im Christentum —
als Weltmacht.

Endlich: da bei deu Individuen Körperschönheit und Seelenadel vielfach
auseinanderfallen, ist zu vermuten, daß sie auch im Volksganzen nicht überall
und immer unlöslich aneinander gebunden sind. Auffallend schöne Menschen
sind manchmal entsetzlich dumm, manchmal auch mit häßlichen Charakterfehleru
behaftet, und geniale Riesen wie Bismarck, harmonische Naturen wie Goethe
sind nicht häufiger als häßliche Zwerge von Geist und edelm Charakter wie
Beethoven, Windthorst und Menzel. Schon vor dem großen Kriege hat man
an den Japanern Eigenschaften gerühmt, die wenig mongolisch aussehen:


Grenzboten IV 1L0S 5!4-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296278"/>
          <fw type="header" place="top"> Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1575" prev="#ID_1574"> Rasse, aber beim Schwinden des Gcrmcmenblutes aus dem Volkskörper nicht<lb/>
verloren gegangen sind, nicht der freundlichen Natur des Landes: der schönen<lb/>
Beleuchtung, der milden Luft, der leichtern Kleidung, der geringern Mühsal<lb/>
des Lebens zu danken sein, und sollten diese äußern Umstände, auf die Wolt-<lb/>
mann wenig Gewicht legt, nicht zusammen mit ihrer nächsten Wirkung, der<lb/>
Schönheit und Anmut der Menschen, den Formen- und Farbensinn geweckt<lb/>
und so den Boden abgegeben haben, auf dem eine Fülle künstlerischer Genies<lb/>
sprießen konnte und mußte? Nicht daß darum den Deutschen die künstlerische<lb/>
Schöpferkraft abgesprochen werden müßte, Werke wie die Skulpturen am<lb/>
Bamberger Dom &#x2014; in Frankreich sollen solche steinernen Dokumente noch<lb/>
viel häufiger sein &#x2014; bezeugen, daß die Deutschen nur des technischen Unter¬<lb/>
richts von Italienern bedurften, im übrigen aber originell waren und Ge¬<lb/>
danken, Ideale nicht zu entlehnen brauchten. Aber der allgemeinen und<lb/>
raschen Verbreitung des Formcnsinns, der Kunstliebe, demnach auch der Ent¬<lb/>
faltung künstlerischer Genies hat die Ungunst des Klimas im Norden ohne<lb/>
Zweifel im Wege gestanden; außerdem deu Blick der Künstler mehr auf das<lb/>
Charakteristische als auf das Schöne gelenkt, das dem Italiener seine Um¬<lb/>
gebung darbot, und an dessen Pflege ihn die von den Griechen begründete<lb/>
Tradition gewohnt hatte. (Womit wiederum nicht gesagt werden soll, daß den<lb/>
Italienern der Blick für das Charakteristische abginge. In den Uffizien kann<lb/>
man sich vom Gegenteil überzeugen; sogar die zwei Papstbildnisse Raffaels<lb/>
im Palazzo Pitti sind ganz naturalistisch, ohne eine Spur von schineichlerischer<lb/>
Idealisierung.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1576"> Schopenhauer bringt die schönen Gesichter der Italiener in Gegensatz zu<lb/>
ihren, wie er behauptet, bösen Herzen. Abweichend von ihm haben viele zuver¬<lb/>
lässige Beobachter von Goethe anzufangen den Charakter des italienischen Volkes,<lb/>
soweit es von fremden und von großstädtischen Einflüssen unberührt geblieben<lb/>
ist, gelobt. Gregorovius schildert u. a. die edle Herzensbildung der Sizilianer,<lb/>
in deren Adern doch höchstens eine homöopathische Dosis deutschen Blutes<lb/>
rinnt. Unter vielen andern hat sich auch Moltke darüber gewundert, daß man<lb/>
in den italienischen Großstädten keinen Pöbel findet &#x2014; oder vielmehr vor dem<lb/>
Eindringen des nordischen Jndustricilismus und vor der Überflutung mit<lb/>
Touristen gefunden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1577"> Ferner: die jüdische Prophetie ist sicherlich nichts germanisches, aber sie<lb/>
ist eine originelle Schöpfung von hinreißender Schönheit und behauptet sich<lb/>
bis auf deu heutigen Tag &#x2014; nicht im Judentum, sondern im Christentum &#x2014;<lb/>
als Weltmacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1578" next="#ID_1579"> Endlich: da bei deu Individuen Körperschönheit und Seelenadel vielfach<lb/>
auseinanderfallen, ist zu vermuten, daß sie auch im Volksganzen nicht überall<lb/>
und immer unlöslich aneinander gebunden sind. Auffallend schöne Menschen<lb/>
sind manchmal entsetzlich dumm, manchmal auch mit häßlichen Charakterfehleru<lb/>
behaftet, und geniale Riesen wie Bismarck, harmonische Naturen wie Goethe<lb/>
sind nicht häufiger als häßliche Zwerge von Geist und edelm Charakter wie<lb/>
Beethoven, Windthorst und Menzel. Schon vor dem großen Kriege hat man<lb/>
an den Japanern Eigenschaften gerühmt, die wenig mongolisch aussehen:</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1L0S 5!4-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung Rasse, aber beim Schwinden des Gcrmcmenblutes aus dem Volkskörper nicht verloren gegangen sind, nicht der freundlichen Natur des Landes: der schönen Beleuchtung, der milden Luft, der leichtern Kleidung, der geringern Mühsal des Lebens zu danken sein, und sollten diese äußern Umstände, auf die Wolt- mann wenig Gewicht legt, nicht zusammen mit ihrer nächsten Wirkung, der Schönheit und Anmut der Menschen, den Formen- und Farbensinn geweckt und so den Boden abgegeben haben, auf dem eine Fülle künstlerischer Genies sprießen konnte und mußte? Nicht daß darum den Deutschen die künstlerische Schöpferkraft abgesprochen werden müßte, Werke wie die Skulpturen am Bamberger Dom — in Frankreich sollen solche steinernen Dokumente noch viel häufiger sein — bezeugen, daß die Deutschen nur des technischen Unter¬ richts von Italienern bedurften, im übrigen aber originell waren und Ge¬ danken, Ideale nicht zu entlehnen brauchten. Aber der allgemeinen und raschen Verbreitung des Formcnsinns, der Kunstliebe, demnach auch der Ent¬ faltung künstlerischer Genies hat die Ungunst des Klimas im Norden ohne Zweifel im Wege gestanden; außerdem deu Blick der Künstler mehr auf das Charakteristische als auf das Schöne gelenkt, das dem Italiener seine Um¬ gebung darbot, und an dessen Pflege ihn die von den Griechen begründete Tradition gewohnt hatte. (Womit wiederum nicht gesagt werden soll, daß den Italienern der Blick für das Charakteristische abginge. In den Uffizien kann man sich vom Gegenteil überzeugen; sogar die zwei Papstbildnisse Raffaels im Palazzo Pitti sind ganz naturalistisch, ohne eine Spur von schineichlerischer Idealisierung.) Schopenhauer bringt die schönen Gesichter der Italiener in Gegensatz zu ihren, wie er behauptet, bösen Herzen. Abweichend von ihm haben viele zuver¬ lässige Beobachter von Goethe anzufangen den Charakter des italienischen Volkes, soweit es von fremden und von großstädtischen Einflüssen unberührt geblieben ist, gelobt. Gregorovius schildert u. a. die edle Herzensbildung der Sizilianer, in deren Adern doch höchstens eine homöopathische Dosis deutschen Blutes rinnt. Unter vielen andern hat sich auch Moltke darüber gewundert, daß man in den italienischen Großstädten keinen Pöbel findet — oder vielmehr vor dem Eindringen des nordischen Jndustricilismus und vor der Überflutung mit Touristen gefunden hat. Ferner: die jüdische Prophetie ist sicherlich nichts germanisches, aber sie ist eine originelle Schöpfung von hinreißender Schönheit und behauptet sich bis auf deu heutigen Tag — nicht im Judentum, sondern im Christentum — als Weltmacht. Endlich: da bei deu Individuen Körperschönheit und Seelenadel vielfach auseinanderfallen, ist zu vermuten, daß sie auch im Volksganzen nicht überall und immer unlöslich aneinander gebunden sind. Auffallend schöne Menschen sind manchmal entsetzlich dumm, manchmal auch mit häßlichen Charakterfehleru behaftet, und geniale Riesen wie Bismarck, harmonische Naturen wie Goethe sind nicht häufiger als häßliche Zwerge von Geist und edelm Charakter wie Beethoven, Windthorst und Menzel. Schon vor dem großen Kriege hat man an den Japanern Eigenschaften gerühmt, die wenig mongolisch aussehen: Grenzboten IV 1L0S 5!4-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/267>, abgerufen am 19.05.2024.