Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Pause so nützen, daß eine Wiederholung uns in jeder Beziehung bereit und ge¬
kräftigt findet. Wir müssen so stark sein, daß jedem die Lust vergeht, sich die
Zahne am deutschen Granit anszubeißen; aber wir dürfen auch den Krieg nicht
scheuen, sobald wir überzeugt sind, daß ein Geguer vorhanden ist, der ihn haben
will. Eine so leichte Sache, wie es sich Hofleute, Diplomaten und Publizisten
vorstellen mögen, würde ein Krieg für England auch an der Seite Frankreichs
gegen Deutschland keineswegs gewesen sein, wobei wir auf eine Untersuchung der
Frage, wie sich Amerika zu der Störung seiner wirtschaftlichen Beziehungen zu
Europa stellen würde, noch gar nicht einmal eingehn wollen. In Frankreich beginnt
schon die Legende von den Vorgängen dieses Sommers Besitz zu ergreisen. Wie
im Jahre 1875 der von Vismarck angeblich geplante "Überfall" durch Gortschakow
und die Königin Viktoria vereitelt worden sein soll -- bekanntlich eine der Fau-
faronadcn, durch die sich Gortschakow von Zeit zu Zeit bloßzustellen liebte, und
die sein eigner Souverän als lächerlich bezeichnete --, so soll jetzt England den
deutschen Friedensbruch Frankreich gegenüber verhindert haben, während es akten¬
mäßig die französische Politik gewesen ist, die darauf ausging, Deutschland vor die
Alternative einer Blamage oder eines Kriegs unter möglichst ungünstigen Verhält¬
nissen zu stelle". Hierzu gesellt sich die sehr merkwürdige Erscheinung, daß die
englische und die französische Presse übereinstimmend in der Idee einer Niederlage
schwelgen, die sich Deutschland in Rußland geholt habe, weil es die englisch-russische
Annäherung nicht habe hindern können! Der Botschafterposten in Petersburg sei
"us diesem Grunde nen besetzt worden, und was dergleichen Unsinn mehr ist.
Deutschland hat im Gegenteil alles Interesse daran, daß sich Nußland eine Reihe
von Jahren in Frieden konsolidieren und sein Staatswesen in Ordnung wieder auf¬
richten kann. Dazu gehört selbstverständlich aber auch die Beseitigung aller Konflikts-
möglichkeiten mit England.

Es war vorauszusehen, daß die Worte unsers Kaisers in Frankreich sowohl wie
in England Aufsehen erregen und deu bisherigen publizistischen Bekämpfern Deutsch¬
lands neue Nahrung und neue Vorwände bieten würden. Leider haben aber auch
deutsche Zeitungen einen hohen Grad von Unfähigkeit in der Beurteilung der
Vorgänge dieses Jahres an den Tag gelegt. Ob der Kaiser mit seineu Worten
Wünschen des Reichskanzlers gefolgt ist, wie bei dem Besuch in Tanger, oder
nach eigner Eingebung gehandelt hat, kann auf sich beruhen bleiben, jedenfalls
entsprechen seine Äußerungen den innersten Gedanken der Reichspolitik. Zudem
war in Dresden der besondre Anlaß gegeben durch die sehr wohlwollende Be¬
urteilung, die König Friedrich August der Tätigkeit des Reichskanzlers während der
letzten Monate hatte zuteil werden lassen. Bei der Moltkefeier war es fast nur
ein militärischer Kreis, an den der Kaiser seine in knappe soldatische Form gekleideten
Worte richtete.

Der ernste Ton, der durch die Reden des Kaisers klang, wird voraussichtlich
auch in der Thronrede bei Eröffnung des Reichstags widerhallen. Bei unsrer
Lage ist es nicht nur Pflicht der Regierung, die Nation darauf vorzubereiten, daß
ernste Wendungen, die uns recht nahe waren, sehr leicht wieder auftauchen können,
sondern es erwächst auch der Volksvertretung die Pflicht, die Reichspolitik in allen
Maßnahmen zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, ernste Zeiten, wenn sie über
Deutschland kommen sollten, mit Ehren besteh" zu können. Dazu gehört vor allem
die Reichsfinanzreform; gute Finanzen sind die Bedingung jeder guten Politik. Wir
brauchen außer der Kriegsbereitschaft zu Lande und zur See auch eine finanzielle
Kriegsbereitschaft, und es ist höchst notwendig, daß die Parteien endlich darauf
verzichten, die Schließung dieser klaffenden Lücke in unsrer Rüstung noch weiter
durch Umschmeichluug der Massen zu verhindern oder zu erschweren. Welches
Steuerprojekt auch auftauchen mag, immer ist es der sogenannte "arme Mann," um
dessentwillen es nicht zur Ausführung kommen darf, derselbe arme Mann, der das
Zehn- und Zwanzigfache von dem, was das Reich von ihm zum Schutze seiner
friedlichen Arbeit verlangen würde, alljährlich an Streikgroschen aufbringt und an


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Pause so nützen, daß eine Wiederholung uns in jeder Beziehung bereit und ge¬
kräftigt findet. Wir müssen so stark sein, daß jedem die Lust vergeht, sich die
Zahne am deutschen Granit anszubeißen; aber wir dürfen auch den Krieg nicht
scheuen, sobald wir überzeugt sind, daß ein Geguer vorhanden ist, der ihn haben
will. Eine so leichte Sache, wie es sich Hofleute, Diplomaten und Publizisten
vorstellen mögen, würde ein Krieg für England auch an der Seite Frankreichs
gegen Deutschland keineswegs gewesen sein, wobei wir auf eine Untersuchung der
Frage, wie sich Amerika zu der Störung seiner wirtschaftlichen Beziehungen zu
Europa stellen würde, noch gar nicht einmal eingehn wollen. In Frankreich beginnt
schon die Legende von den Vorgängen dieses Sommers Besitz zu ergreisen. Wie
im Jahre 1875 der von Vismarck angeblich geplante „Überfall" durch Gortschakow
und die Königin Viktoria vereitelt worden sein soll — bekanntlich eine der Fau-
faronadcn, durch die sich Gortschakow von Zeit zu Zeit bloßzustellen liebte, und
die sein eigner Souverän als lächerlich bezeichnete —, so soll jetzt England den
deutschen Friedensbruch Frankreich gegenüber verhindert haben, während es akten¬
mäßig die französische Politik gewesen ist, die darauf ausging, Deutschland vor die
Alternative einer Blamage oder eines Kriegs unter möglichst ungünstigen Verhält¬
nissen zu stelle». Hierzu gesellt sich die sehr merkwürdige Erscheinung, daß die
englische und die französische Presse übereinstimmend in der Idee einer Niederlage
schwelgen, die sich Deutschland in Rußland geholt habe, weil es die englisch-russische
Annäherung nicht habe hindern können! Der Botschafterposten in Petersburg sei
«us diesem Grunde nen besetzt worden, und was dergleichen Unsinn mehr ist.
Deutschland hat im Gegenteil alles Interesse daran, daß sich Nußland eine Reihe
von Jahren in Frieden konsolidieren und sein Staatswesen in Ordnung wieder auf¬
richten kann. Dazu gehört selbstverständlich aber auch die Beseitigung aller Konflikts-
möglichkeiten mit England.

Es war vorauszusehen, daß die Worte unsers Kaisers in Frankreich sowohl wie
in England Aufsehen erregen und deu bisherigen publizistischen Bekämpfern Deutsch¬
lands neue Nahrung und neue Vorwände bieten würden. Leider haben aber auch
deutsche Zeitungen einen hohen Grad von Unfähigkeit in der Beurteilung der
Vorgänge dieses Jahres an den Tag gelegt. Ob der Kaiser mit seineu Worten
Wünschen des Reichskanzlers gefolgt ist, wie bei dem Besuch in Tanger, oder
nach eigner Eingebung gehandelt hat, kann auf sich beruhen bleiben, jedenfalls
entsprechen seine Äußerungen den innersten Gedanken der Reichspolitik. Zudem
war in Dresden der besondre Anlaß gegeben durch die sehr wohlwollende Be¬
urteilung, die König Friedrich August der Tätigkeit des Reichskanzlers während der
letzten Monate hatte zuteil werden lassen. Bei der Moltkefeier war es fast nur
ein militärischer Kreis, an den der Kaiser seine in knappe soldatische Form gekleideten
Worte richtete.

Der ernste Ton, der durch die Reden des Kaisers klang, wird voraussichtlich
auch in der Thronrede bei Eröffnung des Reichstags widerhallen. Bei unsrer
Lage ist es nicht nur Pflicht der Regierung, die Nation darauf vorzubereiten, daß
ernste Wendungen, die uns recht nahe waren, sehr leicht wieder auftauchen können,
sondern es erwächst auch der Volksvertretung die Pflicht, die Reichspolitik in allen
Maßnahmen zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, ernste Zeiten, wenn sie über
Deutschland kommen sollten, mit Ehren besteh» zu können. Dazu gehört vor allem
die Reichsfinanzreform; gute Finanzen sind die Bedingung jeder guten Politik. Wir
brauchen außer der Kriegsbereitschaft zu Lande und zur See auch eine finanzielle
Kriegsbereitschaft, und es ist höchst notwendig, daß die Parteien endlich darauf
verzichten, die Schließung dieser klaffenden Lücke in unsrer Rüstung noch weiter
durch Umschmeichluug der Massen zu verhindern oder zu erschweren. Welches
Steuerprojekt auch auftauchen mag, immer ist es der sogenannte „arme Mann," um
dessentwillen es nicht zur Ausführung kommen darf, derselbe arme Mann, der das
Zehn- und Zwanzigfache von dem, was das Reich von ihm zum Schutze seiner
friedlichen Arbeit verlangen würde, alljährlich an Streikgroschen aufbringt und an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296300"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1789" prev="#ID_1788"> Pause so nützen, daß eine Wiederholung uns in jeder Beziehung bereit und ge¬<lb/>
kräftigt findet. Wir müssen so stark sein, daß jedem die Lust vergeht, sich die<lb/>
Zahne am deutschen Granit anszubeißen; aber wir dürfen auch den Krieg nicht<lb/>
scheuen, sobald wir überzeugt sind, daß ein Geguer vorhanden ist, der ihn haben<lb/>
will. Eine so leichte Sache, wie es sich Hofleute, Diplomaten und Publizisten<lb/>
vorstellen mögen, würde ein Krieg für England auch an der Seite Frankreichs<lb/>
gegen Deutschland keineswegs gewesen sein, wobei wir auf eine Untersuchung der<lb/>
Frage, wie sich Amerika zu der Störung seiner wirtschaftlichen Beziehungen zu<lb/>
Europa stellen würde, noch gar nicht einmal eingehn wollen. In Frankreich beginnt<lb/>
schon die Legende von den Vorgängen dieses Sommers Besitz zu ergreisen. Wie<lb/>
im Jahre 1875 der von Vismarck angeblich geplante &#x201E;Überfall" durch Gortschakow<lb/>
und die Königin Viktoria vereitelt worden sein soll &#x2014; bekanntlich eine der Fau-<lb/>
faronadcn, durch die sich Gortschakow von Zeit zu Zeit bloßzustellen liebte, und<lb/>
die sein eigner Souverän als lächerlich bezeichnete &#x2014;, so soll jetzt England den<lb/>
deutschen Friedensbruch Frankreich gegenüber verhindert haben, während es akten¬<lb/>
mäßig die französische Politik gewesen ist, die darauf ausging, Deutschland vor die<lb/>
Alternative einer Blamage oder eines Kriegs unter möglichst ungünstigen Verhält¬<lb/>
nissen zu stelle». Hierzu gesellt sich die sehr merkwürdige Erscheinung, daß die<lb/>
englische und die französische Presse übereinstimmend in der Idee einer Niederlage<lb/>
schwelgen, die sich Deutschland in Rußland geholt habe, weil es die englisch-russische<lb/>
Annäherung nicht habe hindern können! Der Botschafterposten in Petersburg sei<lb/>
«us diesem Grunde nen besetzt worden, und was dergleichen Unsinn mehr ist.<lb/>
Deutschland hat im Gegenteil alles Interesse daran, daß sich Nußland eine Reihe<lb/>
von Jahren in Frieden konsolidieren und sein Staatswesen in Ordnung wieder auf¬<lb/>
richten kann. Dazu gehört selbstverständlich aber auch die Beseitigung aller Konflikts-<lb/>
möglichkeiten mit England.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1790"> Es war vorauszusehen, daß die Worte unsers Kaisers in Frankreich sowohl wie<lb/>
in England Aufsehen erregen und deu bisherigen publizistischen Bekämpfern Deutsch¬<lb/>
lands neue Nahrung und neue Vorwände bieten würden. Leider haben aber auch<lb/>
deutsche Zeitungen einen hohen Grad von Unfähigkeit in der Beurteilung der<lb/>
Vorgänge dieses Jahres an den Tag gelegt. Ob der Kaiser mit seineu Worten<lb/>
Wünschen des Reichskanzlers gefolgt ist, wie bei dem Besuch in Tanger, oder<lb/>
nach eigner Eingebung gehandelt hat, kann auf sich beruhen bleiben, jedenfalls<lb/>
entsprechen seine Äußerungen den innersten Gedanken der Reichspolitik. Zudem<lb/>
war in Dresden der besondre Anlaß gegeben durch die sehr wohlwollende Be¬<lb/>
urteilung, die König Friedrich August der Tätigkeit des Reichskanzlers während der<lb/>
letzten Monate hatte zuteil werden lassen. Bei der Moltkefeier war es fast nur<lb/>
ein militärischer Kreis, an den der Kaiser seine in knappe soldatische Form gekleideten<lb/>
Worte richtete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1791" next="#ID_1792"> Der ernste Ton, der durch die Reden des Kaisers klang, wird voraussichtlich<lb/>
auch in der Thronrede bei Eröffnung des Reichstags widerhallen. Bei unsrer<lb/>
Lage ist es nicht nur Pflicht der Regierung, die Nation darauf vorzubereiten, daß<lb/>
ernste Wendungen, die uns recht nahe waren, sehr leicht wieder auftauchen können,<lb/>
sondern es erwächst auch der Volksvertretung die Pflicht, die Reichspolitik in allen<lb/>
Maßnahmen zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, ernste Zeiten, wenn sie über<lb/>
Deutschland kommen sollten, mit Ehren besteh» zu können. Dazu gehört vor allem<lb/>
die Reichsfinanzreform; gute Finanzen sind die Bedingung jeder guten Politik. Wir<lb/>
brauchen außer der Kriegsbereitschaft zu Lande und zur See auch eine finanzielle<lb/>
Kriegsbereitschaft, und es ist höchst notwendig, daß die Parteien endlich darauf<lb/>
verzichten, die Schließung dieser klaffenden Lücke in unsrer Rüstung noch weiter<lb/>
durch Umschmeichluug der Massen zu verhindern oder zu erschweren. Welches<lb/>
Steuerprojekt auch auftauchen mag, immer ist es der sogenannte &#x201E;arme Mann," um<lb/>
dessentwillen es nicht zur Ausführung kommen darf, derselbe arme Mann, der das<lb/>
Zehn- und Zwanzigfache von dem, was das Reich von ihm zum Schutze seiner<lb/>
friedlichen Arbeit verlangen würde, alljährlich an Streikgroschen aufbringt und an</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] Maßgebliches und Unmaßgebliches Pause so nützen, daß eine Wiederholung uns in jeder Beziehung bereit und ge¬ kräftigt findet. Wir müssen so stark sein, daß jedem die Lust vergeht, sich die Zahne am deutschen Granit anszubeißen; aber wir dürfen auch den Krieg nicht scheuen, sobald wir überzeugt sind, daß ein Geguer vorhanden ist, der ihn haben will. Eine so leichte Sache, wie es sich Hofleute, Diplomaten und Publizisten vorstellen mögen, würde ein Krieg für England auch an der Seite Frankreichs gegen Deutschland keineswegs gewesen sein, wobei wir auf eine Untersuchung der Frage, wie sich Amerika zu der Störung seiner wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa stellen würde, noch gar nicht einmal eingehn wollen. In Frankreich beginnt schon die Legende von den Vorgängen dieses Sommers Besitz zu ergreisen. Wie im Jahre 1875 der von Vismarck angeblich geplante „Überfall" durch Gortschakow und die Königin Viktoria vereitelt worden sein soll — bekanntlich eine der Fau- faronadcn, durch die sich Gortschakow von Zeit zu Zeit bloßzustellen liebte, und die sein eigner Souverän als lächerlich bezeichnete —, so soll jetzt England den deutschen Friedensbruch Frankreich gegenüber verhindert haben, während es akten¬ mäßig die französische Politik gewesen ist, die darauf ausging, Deutschland vor die Alternative einer Blamage oder eines Kriegs unter möglichst ungünstigen Verhält¬ nissen zu stelle». Hierzu gesellt sich die sehr merkwürdige Erscheinung, daß die englische und die französische Presse übereinstimmend in der Idee einer Niederlage schwelgen, die sich Deutschland in Rußland geholt habe, weil es die englisch-russische Annäherung nicht habe hindern können! Der Botschafterposten in Petersburg sei «us diesem Grunde nen besetzt worden, und was dergleichen Unsinn mehr ist. Deutschland hat im Gegenteil alles Interesse daran, daß sich Nußland eine Reihe von Jahren in Frieden konsolidieren und sein Staatswesen in Ordnung wieder auf¬ richten kann. Dazu gehört selbstverständlich aber auch die Beseitigung aller Konflikts- möglichkeiten mit England. Es war vorauszusehen, daß die Worte unsers Kaisers in Frankreich sowohl wie in England Aufsehen erregen und deu bisherigen publizistischen Bekämpfern Deutsch¬ lands neue Nahrung und neue Vorwände bieten würden. Leider haben aber auch deutsche Zeitungen einen hohen Grad von Unfähigkeit in der Beurteilung der Vorgänge dieses Jahres an den Tag gelegt. Ob der Kaiser mit seineu Worten Wünschen des Reichskanzlers gefolgt ist, wie bei dem Besuch in Tanger, oder nach eigner Eingebung gehandelt hat, kann auf sich beruhen bleiben, jedenfalls entsprechen seine Äußerungen den innersten Gedanken der Reichspolitik. Zudem war in Dresden der besondre Anlaß gegeben durch die sehr wohlwollende Be¬ urteilung, die König Friedrich August der Tätigkeit des Reichskanzlers während der letzten Monate hatte zuteil werden lassen. Bei der Moltkefeier war es fast nur ein militärischer Kreis, an den der Kaiser seine in knappe soldatische Form gekleideten Worte richtete. Der ernste Ton, der durch die Reden des Kaisers klang, wird voraussichtlich auch in der Thronrede bei Eröffnung des Reichstags widerhallen. Bei unsrer Lage ist es nicht nur Pflicht der Regierung, die Nation darauf vorzubereiten, daß ernste Wendungen, die uns recht nahe waren, sehr leicht wieder auftauchen können, sondern es erwächst auch der Volksvertretung die Pflicht, die Reichspolitik in allen Maßnahmen zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, ernste Zeiten, wenn sie über Deutschland kommen sollten, mit Ehren besteh» zu können. Dazu gehört vor allem die Reichsfinanzreform; gute Finanzen sind die Bedingung jeder guten Politik. Wir brauchen außer der Kriegsbereitschaft zu Lande und zur See auch eine finanzielle Kriegsbereitschaft, und es ist höchst notwendig, daß die Parteien endlich darauf verzichten, die Schließung dieser klaffenden Lücke in unsrer Rüstung noch weiter durch Umschmeichluug der Massen zu verhindern oder zu erschweren. Welches Steuerprojekt auch auftauchen mag, immer ist es der sogenannte „arme Mann," um dessentwillen es nicht zur Ausführung kommen darf, derselbe arme Mann, der das Zehn- und Zwanzigfache von dem, was das Reich von ihm zum Schutze seiner friedlichen Arbeit verlangen würde, alljährlich an Streikgroschen aufbringt und an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/289>, abgerufen am 19.05.2024.