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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche und Magyaren
Julius Patzelt von

er Schatz an Sympathien, den das Magycirentum im Auslande
hat, ist durch die Ereignisse der letzten Jahre etwas vermindert
worden. Man spricht das Wort von der "ritterlichen Nation"
nicht mehr so ohne weiteres nach, und die Begeisterung für enge
Hosen und verschnürte Stiefel ist ebenso überwunden wie die
Legende von der Rettung Europas aus der Türkennot durch die Söhne Arpads.
Man urteilt ruhiger und kühler über die Dinge zwischen Donau und Theiß,
es wäre aber eine Täuschung, wollte man annehmen, daß eine bessere Ein¬
sicht in die einschlägigen Verhältnisse und politischen Erwägungen diesen
Stimmungswechsel herbeigeführt und eine andre Auffassung des österreichischen
Problems in der europäischen Öffentlichkeit herbeigeführt hätten. Aus den
Spalten der internationalen Presse kann man nichts dergleichen herauslesen,
man findet vielmehr, daß hier ausschließlich rein menschliche Empfindungen
wirksam sind, Empfindungen, die durch den rücksichtslosen Kampf der ungarischen
Opposition gegen das greise Haupt der Habsburgischen Dynastie allerorten ge¬
weckt worden sind. Man findet es nicht chevaleresk, daß die letzten Lebens¬
jahre eines hochbetagten Herrschers so verbittert werden; man beobachtet mit
Unmut, wie im ungarischen Reichstag und hauptsächlich in der Budapester
Presse trotz allen Lohalitätsversicherungen dieser garstige persönliche Ton gegen
den Monarchen immer stärker durchschlägt, und diese Wahrnehmung vor allem
hat die ehedem uneingeschränkte Bewunderung des Auslands für das Magyciren¬
tum einigermaßen herabgestimmt. Die politische Seite der ungarischen Krise
kommt darin kaum in Betracht, politisch wird im allgemeinen das Magycirentum
und seine Bedeutung nicht anders bewertet als bisher, und eine ganz irrtüm¬
liche Auffassung von dem ungarischen Verfasfungskonflikt tut ein übriges, daß
das Ausland den bisher erfolgreichen Kampf der ungarischen Opposition gegen
die Krone zwar mit aufrichtigem Bedauern für die Person des vielgeprüften
Kaisers, jedoch ohne sonderliche Abneigung gegen die Bestrebungen des
Magyarentums verfolgt.

Im Westen glaubt man aus liberaldcmokratischen Gründen, in diesen Be¬
strebungen einen berechtigten Kern zu sehen, wobei man übersieht, daß die


Grenzboten IV 190S 87


Deutsche und Magyaren
Julius Patzelt von

er Schatz an Sympathien, den das Magycirentum im Auslande
hat, ist durch die Ereignisse der letzten Jahre etwas vermindert
worden. Man spricht das Wort von der „ritterlichen Nation"
nicht mehr so ohne weiteres nach, und die Begeisterung für enge
Hosen und verschnürte Stiefel ist ebenso überwunden wie die
Legende von der Rettung Europas aus der Türkennot durch die Söhne Arpads.
Man urteilt ruhiger und kühler über die Dinge zwischen Donau und Theiß,
es wäre aber eine Täuschung, wollte man annehmen, daß eine bessere Ein¬
sicht in die einschlägigen Verhältnisse und politischen Erwägungen diesen
Stimmungswechsel herbeigeführt und eine andre Auffassung des österreichischen
Problems in der europäischen Öffentlichkeit herbeigeführt hätten. Aus den
Spalten der internationalen Presse kann man nichts dergleichen herauslesen,
man findet vielmehr, daß hier ausschließlich rein menschliche Empfindungen
wirksam sind, Empfindungen, die durch den rücksichtslosen Kampf der ungarischen
Opposition gegen das greise Haupt der Habsburgischen Dynastie allerorten ge¬
weckt worden sind. Man findet es nicht chevaleresk, daß die letzten Lebens¬
jahre eines hochbetagten Herrschers so verbittert werden; man beobachtet mit
Unmut, wie im ungarischen Reichstag und hauptsächlich in der Budapester
Presse trotz allen Lohalitätsversicherungen dieser garstige persönliche Ton gegen
den Monarchen immer stärker durchschlägt, und diese Wahrnehmung vor allem
hat die ehedem uneingeschränkte Bewunderung des Auslands für das Magyciren¬
tum einigermaßen herabgestimmt. Die politische Seite der ungarischen Krise
kommt darin kaum in Betracht, politisch wird im allgemeinen das Magycirentum
und seine Bedeutung nicht anders bewertet als bisher, und eine ganz irrtüm¬
liche Auffassung von dem ungarischen Verfasfungskonflikt tut ein übriges, daß
das Ausland den bisher erfolgreichen Kampf der ungarischen Opposition gegen
die Krone zwar mit aufrichtigem Bedauern für die Person des vielgeprüften
Kaisers, jedoch ohne sonderliche Abneigung gegen die Bestrebungen des
Magyarentums verfolgt.

Im Westen glaubt man aus liberaldcmokratischen Gründen, in diesen Be¬
strebungen einen berechtigten Kern zu sehen, wobei man übersieht, daß die


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[0291] [Abbildung] Deutsche und Magyaren Julius Patzelt von er Schatz an Sympathien, den das Magycirentum im Auslande hat, ist durch die Ereignisse der letzten Jahre etwas vermindert worden. Man spricht das Wort von der „ritterlichen Nation" nicht mehr so ohne weiteres nach, und die Begeisterung für enge Hosen und verschnürte Stiefel ist ebenso überwunden wie die Legende von der Rettung Europas aus der Türkennot durch die Söhne Arpads. Man urteilt ruhiger und kühler über die Dinge zwischen Donau und Theiß, es wäre aber eine Täuschung, wollte man annehmen, daß eine bessere Ein¬ sicht in die einschlägigen Verhältnisse und politischen Erwägungen diesen Stimmungswechsel herbeigeführt und eine andre Auffassung des österreichischen Problems in der europäischen Öffentlichkeit herbeigeführt hätten. Aus den Spalten der internationalen Presse kann man nichts dergleichen herauslesen, man findet vielmehr, daß hier ausschließlich rein menschliche Empfindungen wirksam sind, Empfindungen, die durch den rücksichtslosen Kampf der ungarischen Opposition gegen das greise Haupt der Habsburgischen Dynastie allerorten ge¬ weckt worden sind. Man findet es nicht chevaleresk, daß die letzten Lebens¬ jahre eines hochbetagten Herrschers so verbittert werden; man beobachtet mit Unmut, wie im ungarischen Reichstag und hauptsächlich in der Budapester Presse trotz allen Lohalitätsversicherungen dieser garstige persönliche Ton gegen den Monarchen immer stärker durchschlägt, und diese Wahrnehmung vor allem hat die ehedem uneingeschränkte Bewunderung des Auslands für das Magyciren¬ tum einigermaßen herabgestimmt. Die politische Seite der ungarischen Krise kommt darin kaum in Betracht, politisch wird im allgemeinen das Magycirentum und seine Bedeutung nicht anders bewertet als bisher, und eine ganz irrtüm¬ liche Auffassung von dem ungarischen Verfasfungskonflikt tut ein übriges, daß das Ausland den bisher erfolgreichen Kampf der ungarischen Opposition gegen die Krone zwar mit aufrichtigem Bedauern für die Person des vielgeprüften Kaisers, jedoch ohne sonderliche Abneigung gegen die Bestrebungen des Magyarentums verfolgt. Im Westen glaubt man aus liberaldcmokratischen Gründen, in diesen Be¬ strebungen einen berechtigten Kern zu sehen, wobei man übersieht, daß die Grenzboten IV 190S 87

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/291>, abgerufen am 19.05.2024.