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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Im Lande des Kondors

richtig, daß ich mir von Valdivia als Stadt etwas mehr vorgestellt hatte, und
daß ich durch das, was ich sah, sehr enttäuscht wurde. Trotzdem diese Nieder¬
lassung eine alte Geschichte hat, macht sie den Eindruck eiuer neuen Gründung.
Kultur neben viel Unkultur, unglaublich verwahrloste Straßen neben solchen,
die mit Holzplanken bedeckt sind. Dem Himmel Dank, daß es nicht regnet!
Lieber den Staub, der augenblicklich überall liegt, als den Schmutz, worin mau
ohne passendes Schuhwerk zu versinke" Gefahr läuft. Große Pfützen, die sich
noch da und dort auf den Straßen breit machen, liefern die richtige Illustration
hierzu. Die Vegetation in den vielen Gärten aber ist üppig, wirklich schön, an
Süditalien erinnernd, und versöhnt etwas mit den meist wenig anziehenden
Häuser- und Straßenbildern. Von dem Wald von Obstbäumen aber, in dessen
Mitte vor relativ kurzer Zeit noch Valdivia gelegen sein soll, ist heute nichts
oder nicht viel mehr zu bemerken. Die mit Bäumen bepflanzte und mit dem
obligaten Springbrunnen versehene Plaza ist nicht übel. In ihrer Nähe liegt
der deutsche Klub.

Obgleich keine arme Stadt -- so gehört zum Beispiel die hiesige große -
deutsche Kolonie zu eiuer der reichsten von ganz Chile --, lassen die allge¬
meinen hygienischen Einrichtungen noch sehr, sehr viel zu wünschen übrig.
Valdivia mag gegenwärtig etwa zehntausend Einwohner zählen, von denen über
ein Drittel Deutsche siud. Eine genaue Schützung der Bewohnerzahl chilenischer
Städte ist auf Grund der einander widersprechenden Angaben schwierig.

Valdivia hat dank deutschem Fleiß und deutscher Energie eine sehr ent¬
wickelte, hochachtbare Industrie. Abgesehen von der großen Anwandterschen Bier¬
brauerei jenseits des Stromes, auf der Insel Teja, auf die ich nachher noch zu
sprechen komme, spielen die SchulMarenfabrikation, die Gerberei, die Fabrikation
von Fleischwaren, die Eisenindustrie, der Schiffbau, Spritbrcnnereien usw. eine
bedeutende Rolle. Das reiche Hinterland mit seinen großen Weiden und seinen
gewaltigen Viehbeständen bietet für einzelne der genannten Industriezweige die
natürliche Basis ihrer machtvollen Entwicklung.

Aber auch dem geistigen Leben dieses Ortes muß ein Kranz geflochten
werden: eine ausgezeichnete deutsche Schule, die der in hohem Alter gestorbne
Papa Umwandler vor einem halben Jahrhundert gegründet hat, und an der
tüchtige Lehrkräfte wirken, sorgt für die Heranbildung der deutsch-chilenischen
Jugend. Mich hat es immer freudig berührt, überall, wohin ich auch später
in Chile kam, besonders viele Valdivianer deutscher Herkunft in, den angesehensten
Lebensstellungen zu treffen. Der Segen deutschen Wissens, deutschen Fleißes
und deutscher Ausdauer scheint von Valdivia auszugehn. Nur schade, daß dem
chilenische Indolenz mächtig entgegenwirkt. Fortschritt und Rückschritt, oder
wenn ich mich so ausdrücken darf, Zentripetal- und Zentrifugalkraft in stetem,
ununterbrochnem Kampfe miteinander!

(Fortsetzung folgt)




Im Lande des Kondors

richtig, daß ich mir von Valdivia als Stadt etwas mehr vorgestellt hatte, und
daß ich durch das, was ich sah, sehr enttäuscht wurde. Trotzdem diese Nieder¬
lassung eine alte Geschichte hat, macht sie den Eindruck eiuer neuen Gründung.
Kultur neben viel Unkultur, unglaublich verwahrloste Straßen neben solchen,
die mit Holzplanken bedeckt sind. Dem Himmel Dank, daß es nicht regnet!
Lieber den Staub, der augenblicklich überall liegt, als den Schmutz, worin mau
ohne passendes Schuhwerk zu versinke» Gefahr läuft. Große Pfützen, die sich
noch da und dort auf den Straßen breit machen, liefern die richtige Illustration
hierzu. Die Vegetation in den vielen Gärten aber ist üppig, wirklich schön, an
Süditalien erinnernd, und versöhnt etwas mit den meist wenig anziehenden
Häuser- und Straßenbildern. Von dem Wald von Obstbäumen aber, in dessen
Mitte vor relativ kurzer Zeit noch Valdivia gelegen sein soll, ist heute nichts
oder nicht viel mehr zu bemerken. Die mit Bäumen bepflanzte und mit dem
obligaten Springbrunnen versehene Plaza ist nicht übel. In ihrer Nähe liegt
der deutsche Klub.

Obgleich keine arme Stadt — so gehört zum Beispiel die hiesige große -
deutsche Kolonie zu eiuer der reichsten von ganz Chile —, lassen die allge¬
meinen hygienischen Einrichtungen noch sehr, sehr viel zu wünschen übrig.
Valdivia mag gegenwärtig etwa zehntausend Einwohner zählen, von denen über
ein Drittel Deutsche siud. Eine genaue Schützung der Bewohnerzahl chilenischer
Städte ist auf Grund der einander widersprechenden Angaben schwierig.

Valdivia hat dank deutschem Fleiß und deutscher Energie eine sehr ent¬
wickelte, hochachtbare Industrie. Abgesehen von der großen Anwandterschen Bier¬
brauerei jenseits des Stromes, auf der Insel Teja, auf die ich nachher noch zu
sprechen komme, spielen die SchulMarenfabrikation, die Gerberei, die Fabrikation
von Fleischwaren, die Eisenindustrie, der Schiffbau, Spritbrcnnereien usw. eine
bedeutende Rolle. Das reiche Hinterland mit seinen großen Weiden und seinen
gewaltigen Viehbeständen bietet für einzelne der genannten Industriezweige die
natürliche Basis ihrer machtvollen Entwicklung.

Aber auch dem geistigen Leben dieses Ortes muß ein Kranz geflochten
werden: eine ausgezeichnete deutsche Schule, die der in hohem Alter gestorbne
Papa Umwandler vor einem halben Jahrhundert gegründet hat, und an der
tüchtige Lehrkräfte wirken, sorgt für die Heranbildung der deutsch-chilenischen
Jugend. Mich hat es immer freudig berührt, überall, wohin ich auch später
in Chile kam, besonders viele Valdivianer deutscher Herkunft in, den angesehensten
Lebensstellungen zu treffen. Der Segen deutschen Wissens, deutschen Fleißes
und deutscher Ausdauer scheint von Valdivia auszugehn. Nur schade, daß dem
chilenische Indolenz mächtig entgegenwirkt. Fortschritt und Rückschritt, oder
wenn ich mich so ausdrücken darf, Zentripetal- und Zentrifugalkraft in stetem,
ununterbrochnem Kampfe miteinander!

(Fortsetzung folgt)




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[0390] Im Lande des Kondors richtig, daß ich mir von Valdivia als Stadt etwas mehr vorgestellt hatte, und daß ich durch das, was ich sah, sehr enttäuscht wurde. Trotzdem diese Nieder¬ lassung eine alte Geschichte hat, macht sie den Eindruck eiuer neuen Gründung. Kultur neben viel Unkultur, unglaublich verwahrloste Straßen neben solchen, die mit Holzplanken bedeckt sind. Dem Himmel Dank, daß es nicht regnet! Lieber den Staub, der augenblicklich überall liegt, als den Schmutz, worin mau ohne passendes Schuhwerk zu versinke» Gefahr läuft. Große Pfützen, die sich noch da und dort auf den Straßen breit machen, liefern die richtige Illustration hierzu. Die Vegetation in den vielen Gärten aber ist üppig, wirklich schön, an Süditalien erinnernd, und versöhnt etwas mit den meist wenig anziehenden Häuser- und Straßenbildern. Von dem Wald von Obstbäumen aber, in dessen Mitte vor relativ kurzer Zeit noch Valdivia gelegen sein soll, ist heute nichts oder nicht viel mehr zu bemerken. Die mit Bäumen bepflanzte und mit dem obligaten Springbrunnen versehene Plaza ist nicht übel. In ihrer Nähe liegt der deutsche Klub. Obgleich keine arme Stadt — so gehört zum Beispiel die hiesige große - deutsche Kolonie zu eiuer der reichsten von ganz Chile —, lassen die allge¬ meinen hygienischen Einrichtungen noch sehr, sehr viel zu wünschen übrig. Valdivia mag gegenwärtig etwa zehntausend Einwohner zählen, von denen über ein Drittel Deutsche siud. Eine genaue Schützung der Bewohnerzahl chilenischer Städte ist auf Grund der einander widersprechenden Angaben schwierig. Valdivia hat dank deutschem Fleiß und deutscher Energie eine sehr ent¬ wickelte, hochachtbare Industrie. Abgesehen von der großen Anwandterschen Bier¬ brauerei jenseits des Stromes, auf der Insel Teja, auf die ich nachher noch zu sprechen komme, spielen die SchulMarenfabrikation, die Gerberei, die Fabrikation von Fleischwaren, die Eisenindustrie, der Schiffbau, Spritbrcnnereien usw. eine bedeutende Rolle. Das reiche Hinterland mit seinen großen Weiden und seinen gewaltigen Viehbeständen bietet für einzelne der genannten Industriezweige die natürliche Basis ihrer machtvollen Entwicklung. Aber auch dem geistigen Leben dieses Ortes muß ein Kranz geflochten werden: eine ausgezeichnete deutsche Schule, die der in hohem Alter gestorbne Papa Umwandler vor einem halben Jahrhundert gegründet hat, und an der tüchtige Lehrkräfte wirken, sorgt für die Heranbildung der deutsch-chilenischen Jugend. Mich hat es immer freudig berührt, überall, wohin ich auch später in Chile kam, besonders viele Valdivianer deutscher Herkunft in, den angesehensten Lebensstellungen zu treffen. Der Segen deutschen Wissens, deutschen Fleißes und deutscher Ausdauer scheint von Valdivia auszugehn. Nur schade, daß dem chilenische Indolenz mächtig entgegenwirkt. Fortschritt und Rückschritt, oder wenn ich mich so ausdrücken darf, Zentripetal- und Zentrifugalkraft in stetem, ununterbrochnem Kampfe miteinander! (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/390>, abgerufen am 19.05.2024.