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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sich bis zu poetischer Anschauung erhebt und im Kern seines Wesens zugleich einen
echt religiösen Zug darstellt; in ihm liegen die Einsichten des Verstandes mit den
Bedürfnissen des Herzens in bitterm Streit, vereinigen sich kritischer Verstand, ja
Zweifelsucht mit hoffnungsfroher Gemütsfülle in wunderbarer Mischung. Ihn mit
seinem komplizierten -- übrigens mit der feinsten Psychologie geschilderten -- Wesen
quält das Problem ganz anders. Jener ist kein Grübler, ist kein Poet, er ist eine
einfache Natur. Aber er kann fürs erste noch mit seiner schlichten Frömmigkeit
den schwankenden Freund stützen und beraten: "Wir nehmen eben in jungen Jahren
ein Bild der Glaubenslehre in uns auf, das in manchen Stücken unrichtig oder
wenigstens kindlich unreif ist. Wenn wir uns dann innerlich weiter entwickeln,
dann will uns das und jenes nicht mehr genügen. Wir meinen dabei leicht, wir
zweifeln am Glauben oder fielen von ihm ab, während wir uns nur von unsrer
eignen unvollkommnen Auffassung des Glaubens losmachen." Wer dächte bei dieser
feinen Unterscheidung von "Glauben" und "Bild" oder "Auffassung des Glaubens"
nicht an jene in religiöser und geschichtlicher Beziehung so wirkungsreiche Unter¬
scheidung Luthers von "reinem Herzensglauben" und "Schein des Glaubens, gleich¬
wie ein Angesicht im Spiegel, kein wirklich Angesicht"!

In dieser weittragenden Idee, einer wesentlichen Frucht der Reformation, die
Kants kritischer Idealismus auch zu philosophischer Reife bringen sollte, an der
auch der Katholizismus, wie es scheint, immer mehr teilzunehmen sich entschließt
-- unser Autor hat sie sicherlich von Kant übernommen --, in dieser Idee sollte
zunächst auch der noch unbestimmt wankende seinen Halt finden. Aber wachsen
ihm nicht anch gerade aus ihr wieder neue Probleme hervor? Quellen sie ihm
nun nicht auch organisch hervor aus seiner ersten Grundfrage: Was ist und soll
sein der katholische Student? Und muß er nicht dessen Bestimmung und Aufgabe
wiederum messen an jener Idee?

Froh, in seinem Zweifel -- in dem er nicht weiß, wie er sich zu ihr stellen
soll -- der katholischen Verbindung entgangen zu sein, muß er mit unausweichlicher
Notwendigkeit von neuem zu ihr Stellung nehmen, muß er sich fragen: Wie steht
er zu ihr, wie steht sie selbst zum Ganzen der Universität, wie zur Kirche mit
deren Glaubenssätzen, wie auch zu Nation und Vaterland, wie zur "Moderne,"
zur Kulturgemeinschaft überhaupt? Auf die Fülle eindringlicher und feiner Be¬
obachtungen, die wir hier in der anschaulichen Darstellung des katholischen Ver¬
bindungswesens mit all seinem studentischen Tun und Treiben vom ernsten Studium
bis zur "Fachsimpelei" auf der Kneipe, von der ernsten kirchlichen Feier bis zum
Kommers und "Bummel" mit erleben, auf manch anmutiges Stimmungsbild, das
hier ein ernstes und reines aber erst aufkeimendes Liebesleben, dort eine nicht ganz
unbedenkliche Liebeständelei -- episodische Anklänge an den Romancharakter im land¬
läufigen Sinne -- gegen den allgemein studentischen Untergrund projiziert, können
wir hier nicht eingehn, so wenig sie etwa unorganisch in das Ganze eingreifen,
und so köstlich sie anch geschildert sind. Es kommt uns für sie hier nur darauf
an, daß kein ernstes Problem Übergängen, und daß jedes ernst und gründlich be¬
handelt ist: nicbt grau in grau gemalt, nicht in der Farblosigkeit der Theorie, nicht
abstrakt schematisch, sondern von dem Standpunkte des lebendigen Lebens aus, der
Wirklichkeit der Handlung, der Wechselbeziehung von Rede und Gegenrede konkreter
Persönlichkeiten mit tiefer Wirkung auf das Gefühl. Da fehlt weder die Rücksicht
auf die Überzeugung des andern, noch das Verhältnis von Glauben und Wissen,
noch die "voraussetzungslose Forschung," noch die "akademische Freiheit" -- und
wie sie alle heißen die Fragen, die den Ernstern ernst beschäftigen. Sie alle
sind, fern von jeder Oberflächlichkeit, allseitig erwogen, tief und gründlich behandelt
und ästhetisch anschaulich dargestellt.

Daß sie mancher aus dem Studeutenmilieu leicht nimmt, erleben wir freilich
auch hier. Nicht wenige in der geschilderten katholischen Verbindung setzen sich
kurz entschlossen über sie hinweg. Aber andre üben darum auch die schärfste Kritik
an der Verbindung. Von Apologie ist nicht die Rede. Da wird nichts bemäntelt,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sich bis zu poetischer Anschauung erhebt und im Kern seines Wesens zugleich einen
echt religiösen Zug darstellt; in ihm liegen die Einsichten des Verstandes mit den
Bedürfnissen des Herzens in bitterm Streit, vereinigen sich kritischer Verstand, ja
Zweifelsucht mit hoffnungsfroher Gemütsfülle in wunderbarer Mischung. Ihn mit
seinem komplizierten — übrigens mit der feinsten Psychologie geschilderten — Wesen
quält das Problem ganz anders. Jener ist kein Grübler, ist kein Poet, er ist eine
einfache Natur. Aber er kann fürs erste noch mit seiner schlichten Frömmigkeit
den schwankenden Freund stützen und beraten: „Wir nehmen eben in jungen Jahren
ein Bild der Glaubenslehre in uns auf, das in manchen Stücken unrichtig oder
wenigstens kindlich unreif ist. Wenn wir uns dann innerlich weiter entwickeln,
dann will uns das und jenes nicht mehr genügen. Wir meinen dabei leicht, wir
zweifeln am Glauben oder fielen von ihm ab, während wir uns nur von unsrer
eignen unvollkommnen Auffassung des Glaubens losmachen." Wer dächte bei dieser
feinen Unterscheidung von „Glauben" und „Bild" oder „Auffassung des Glaubens"
nicht an jene in religiöser und geschichtlicher Beziehung so wirkungsreiche Unter¬
scheidung Luthers von „reinem Herzensglauben" und „Schein des Glaubens, gleich¬
wie ein Angesicht im Spiegel, kein wirklich Angesicht"!

In dieser weittragenden Idee, einer wesentlichen Frucht der Reformation, die
Kants kritischer Idealismus auch zu philosophischer Reife bringen sollte, an der
auch der Katholizismus, wie es scheint, immer mehr teilzunehmen sich entschließt
— unser Autor hat sie sicherlich von Kant übernommen —, in dieser Idee sollte
zunächst auch der noch unbestimmt wankende seinen Halt finden. Aber wachsen
ihm nicht anch gerade aus ihr wieder neue Probleme hervor? Quellen sie ihm
nun nicht auch organisch hervor aus seiner ersten Grundfrage: Was ist und soll
sein der katholische Student? Und muß er nicht dessen Bestimmung und Aufgabe
wiederum messen an jener Idee?

Froh, in seinem Zweifel — in dem er nicht weiß, wie er sich zu ihr stellen
soll — der katholischen Verbindung entgangen zu sein, muß er mit unausweichlicher
Notwendigkeit von neuem zu ihr Stellung nehmen, muß er sich fragen: Wie steht
er zu ihr, wie steht sie selbst zum Ganzen der Universität, wie zur Kirche mit
deren Glaubenssätzen, wie auch zu Nation und Vaterland, wie zur „Moderne,"
zur Kulturgemeinschaft überhaupt? Auf die Fülle eindringlicher und feiner Be¬
obachtungen, die wir hier in der anschaulichen Darstellung des katholischen Ver¬
bindungswesens mit all seinem studentischen Tun und Treiben vom ernsten Studium
bis zur „Fachsimpelei" auf der Kneipe, von der ernsten kirchlichen Feier bis zum
Kommers und „Bummel" mit erleben, auf manch anmutiges Stimmungsbild, das
hier ein ernstes und reines aber erst aufkeimendes Liebesleben, dort eine nicht ganz
unbedenkliche Liebeständelei — episodische Anklänge an den Romancharakter im land¬
läufigen Sinne — gegen den allgemein studentischen Untergrund projiziert, können
wir hier nicht eingehn, so wenig sie etwa unorganisch in das Ganze eingreifen,
und so köstlich sie anch geschildert sind. Es kommt uns für sie hier nur darauf
an, daß kein ernstes Problem Übergängen, und daß jedes ernst und gründlich be¬
handelt ist: nicbt grau in grau gemalt, nicht in der Farblosigkeit der Theorie, nicht
abstrakt schematisch, sondern von dem Standpunkte des lebendigen Lebens aus, der
Wirklichkeit der Handlung, der Wechselbeziehung von Rede und Gegenrede konkreter
Persönlichkeiten mit tiefer Wirkung auf das Gefühl. Da fehlt weder die Rücksicht
auf die Überzeugung des andern, noch das Verhältnis von Glauben und Wissen,
noch die „voraussetzungslose Forschung," noch die „akademische Freiheit" — und
wie sie alle heißen die Fragen, die den Ernstern ernst beschäftigen. Sie alle
sind, fern von jeder Oberflächlichkeit, allseitig erwogen, tief und gründlich behandelt
und ästhetisch anschaulich dargestellt.

Daß sie mancher aus dem Studeutenmilieu leicht nimmt, erleben wir freilich
auch hier. Nicht wenige in der geschilderten katholischen Verbindung setzen sich
kurz entschlossen über sie hinweg. Aber andre üben darum auch die schärfste Kritik
an der Verbindung. Von Apologie ist nicht die Rede. Da wird nichts bemäntelt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/571>, abgerufen am 19.05.2024.