Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Staatssekretärs des Innern totgeredet werden, und die Einzelregierungen können
mithin die Rücksicht auf den Reichstag nicht mehr nehmen. Es läßt sich jedoch
mit voller Sicherheit behaupten, daß wenn man von außerordentlichen Vorlagen,
wie dem Zolltarif, absieht, der Reichstag seine wirklichen und notwendigen Geschäfte
auch heute noch bequem in drei bis vier Monaten erledigen könnte. Der heutige
Zustand hat für den gesamten Staatsorganismus die mißliche Folge, daß während
dieser unendlichen Parlamentsdauer an vielen Zentralstellen nicht gearbeitet werden
kann, weil die Staatssekretäre oder die Minister und eine große Anzahl der
Räte einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in Plenar- und Kommissionssitzungen ver¬
bringen müssen. Ein hochgestellter Beamter klagte jüngst laut darüber, daß die
Beamten durch den Reichstag direkt zum Faulenzen erzogen würden. In den
Plenarsitzungen müßten sie stillsitzen und oft stundenlang das dümmste Zeug mit
anhören, und nach einer fünf- bis sechsstündigen Sitzung sei niemand mehr imstande,
an seinem Schreibtisch etwas ordentliches zu arbeiten. Das ist freilich eine der
unvermeidlichen Erscheinungen, die das parlamentarische Wesen begleiten.

Fürst Bülow hat gleich bei seinem Amtsantritt als Reichskanzler für alle Ämter
des Reichsdienstes angeordnet, erstens die Zahl der in den Reichstag zu entsendenden
Kommissare auf das möglichste einzuschränken, zweitens solle niemand in eine Sitzung
gehn, der darin nichts zu tun habe. Da sich das aber nicht immer im voraus fest¬
stellen läßt, besonders bei Etatsdebatten, so sind die obersten Reichsbehörden nach
wie vor durch den Reichstag zu einer großen Verschwendung vou Zeit und Arbeits¬
kraft verurteilt. Wie man von gewissen Kanzelreduern sagt, daß sie die Leute ans
der Kirche hiuauspredigen, so gibt es auch eine nicht geringe Zahl von Abgeordneten,
die ihre Kollegen aus dem Reichstage hinausreden. Nur der Bundesrat und seine
Kommissare müssen standhalten. Auch das ist ein Mißstand, der durch Anwesenheits¬
gelder schwerlich beseitigt werden wird, es sei denn, daß zugleich eine entsprechende
Abänderung der gesamten Geschäftsordnung stattfindet, wobei, was die Herabsetzung
der Beschlußfähigkeitszahl anlangt, recht große Vorsicht anzuraten wäre.

Um der Diäten oder Tagegelder allein willen die Verfassung zu andern
wäre aber auch deshalb bedenklich, weil man die Übelstände, denen man begegnen
will, doch nur zum kleinern Teil beseitigte. Von deu Tagegeldern dürften nicht,
wie der Antrag Hompesch will, die Landtagsdiätcn in Abzug gebracht werden,
sondern bei dem Tagen des Reichstags und der Landtage zu derselben Zeit müssen
die Doppelmandate einfach untersagt werden, wenn man diesen mißlichen
Zustand des gleichzeitigen Tagens nicht aus der Welt schaffen kann. Nicht nnr den
doppelten Diäten, sondern auch dem Absentismus soll vorgebeugt werden, und
den Landtagen wäre schlecht damit gedient, wenn die Mitglieder, die Reichsdiäten
empfangen, deshalb aus den Landtagssitzungen wegblieben, um im Reichstage
"präsent" zu sein, weil die Reichstagstagegelder bei weitem die höhern sind.
Das gleichzeitige Tagen aber aufzuheben wird nicht gehn, weil -- wie Graf
Posadowsky schon hervorgehoben hat -- der Tag und das Jahr seit dreißig Jahren
nicht länger geworden sind. Der Abgeordnete Schrader ist auf diesen Gedanken
sehr richtig eingegangen, indem er darauf hinwies, daß andre Länder als Einheits¬
staaten nicht in der Weise wie Deutschland mit öffentlichen Angelegenheiten über¬
schwemmt sind, weil wir eben die vielen Landtage und neben diesen noch eine
Fülle andrer Vertretungskörper haben. Er hätte noch hinzufügen können, daß der
Einheitsstaat viel weniger Beamten braucht und darum viel weniger Kosten
für die Verwaltung, Arbeitskraft und Arbeitszeit in Anspruch nimmt als der
Bundesstaat. Aber da der Bundesstaat doch einmal besteht, so werden wir unsre
öffentlichen Einrichtungen den Verhältnissen, wie sie sich seit dreißig Jahren ent¬
wickelt haben, mehr anpassen müssen, und dazu würde eben vor allem der Verzicht
auf alle Doppelmandate gehören. Können Reichstag und Landtage dann ungehindert
nebeneinander tagen, so könnte vielleicht auch in Erwägung gezogen werden, das
Etatsjahr wieder mit dem Kalenderjahr in Übereinstimmung zu bringen und so


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Staatssekretärs des Innern totgeredet werden, und die Einzelregierungen können
mithin die Rücksicht auf den Reichstag nicht mehr nehmen. Es läßt sich jedoch
mit voller Sicherheit behaupten, daß wenn man von außerordentlichen Vorlagen,
wie dem Zolltarif, absieht, der Reichstag seine wirklichen und notwendigen Geschäfte
auch heute noch bequem in drei bis vier Monaten erledigen könnte. Der heutige
Zustand hat für den gesamten Staatsorganismus die mißliche Folge, daß während
dieser unendlichen Parlamentsdauer an vielen Zentralstellen nicht gearbeitet werden
kann, weil die Staatssekretäre oder die Minister und eine große Anzahl der
Räte einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in Plenar- und Kommissionssitzungen ver¬
bringen müssen. Ein hochgestellter Beamter klagte jüngst laut darüber, daß die
Beamten durch den Reichstag direkt zum Faulenzen erzogen würden. In den
Plenarsitzungen müßten sie stillsitzen und oft stundenlang das dümmste Zeug mit
anhören, und nach einer fünf- bis sechsstündigen Sitzung sei niemand mehr imstande,
an seinem Schreibtisch etwas ordentliches zu arbeiten. Das ist freilich eine der
unvermeidlichen Erscheinungen, die das parlamentarische Wesen begleiten.

Fürst Bülow hat gleich bei seinem Amtsantritt als Reichskanzler für alle Ämter
des Reichsdienstes angeordnet, erstens die Zahl der in den Reichstag zu entsendenden
Kommissare auf das möglichste einzuschränken, zweitens solle niemand in eine Sitzung
gehn, der darin nichts zu tun habe. Da sich das aber nicht immer im voraus fest¬
stellen läßt, besonders bei Etatsdebatten, so sind die obersten Reichsbehörden nach
wie vor durch den Reichstag zu einer großen Verschwendung vou Zeit und Arbeits¬
kraft verurteilt. Wie man von gewissen Kanzelreduern sagt, daß sie die Leute ans
der Kirche hiuauspredigen, so gibt es auch eine nicht geringe Zahl von Abgeordneten,
die ihre Kollegen aus dem Reichstage hinausreden. Nur der Bundesrat und seine
Kommissare müssen standhalten. Auch das ist ein Mißstand, der durch Anwesenheits¬
gelder schwerlich beseitigt werden wird, es sei denn, daß zugleich eine entsprechende
Abänderung der gesamten Geschäftsordnung stattfindet, wobei, was die Herabsetzung
der Beschlußfähigkeitszahl anlangt, recht große Vorsicht anzuraten wäre.

Um der Diäten oder Tagegelder allein willen die Verfassung zu andern
wäre aber auch deshalb bedenklich, weil man die Übelstände, denen man begegnen
will, doch nur zum kleinern Teil beseitigte. Von deu Tagegeldern dürften nicht,
wie der Antrag Hompesch will, die Landtagsdiätcn in Abzug gebracht werden,
sondern bei dem Tagen des Reichstags und der Landtage zu derselben Zeit müssen
die Doppelmandate einfach untersagt werden, wenn man diesen mißlichen
Zustand des gleichzeitigen Tagens nicht aus der Welt schaffen kann. Nicht nnr den
doppelten Diäten, sondern auch dem Absentismus soll vorgebeugt werden, und
den Landtagen wäre schlecht damit gedient, wenn die Mitglieder, die Reichsdiäten
empfangen, deshalb aus den Landtagssitzungen wegblieben, um im Reichstage
„präsent" zu sein, weil die Reichstagstagegelder bei weitem die höhern sind.
Das gleichzeitige Tagen aber aufzuheben wird nicht gehn, weil — wie Graf
Posadowsky schon hervorgehoben hat — der Tag und das Jahr seit dreißig Jahren
nicht länger geworden sind. Der Abgeordnete Schrader ist auf diesen Gedanken
sehr richtig eingegangen, indem er darauf hinwies, daß andre Länder als Einheits¬
staaten nicht in der Weise wie Deutschland mit öffentlichen Angelegenheiten über¬
schwemmt sind, weil wir eben die vielen Landtage und neben diesen noch eine
Fülle andrer Vertretungskörper haben. Er hätte noch hinzufügen können, daß der
Einheitsstaat viel weniger Beamten braucht und darum viel weniger Kosten
für die Verwaltung, Arbeitskraft und Arbeitszeit in Anspruch nimmt als der
Bundesstaat. Aber da der Bundesstaat doch einmal besteht, so werden wir unsre
öffentlichen Einrichtungen den Verhältnissen, wie sie sich seit dreißig Jahren ent¬
wickelt haben, mehr anpassen müssen, und dazu würde eben vor allem der Verzicht
auf alle Doppelmandate gehören. Können Reichstag und Landtage dann ungehindert
nebeneinander tagen, so könnte vielleicht auch in Erwägung gezogen werden, das
Etatsjahr wieder mit dem Kalenderjahr in Übereinstimmung zu bringen und so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0744" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296755"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_3843" prev="#ID_3842"> Staatssekretärs des Innern totgeredet werden, und die Einzelregierungen können<lb/>
mithin die Rücksicht auf den Reichstag nicht mehr nehmen. Es läßt sich jedoch<lb/>
mit voller Sicherheit behaupten, daß wenn man von außerordentlichen Vorlagen,<lb/>
wie dem Zolltarif, absieht, der Reichstag seine wirklichen und notwendigen Geschäfte<lb/>
auch heute noch bequem in drei bis vier Monaten erledigen könnte. Der heutige<lb/>
Zustand hat für den gesamten Staatsorganismus die mißliche Folge, daß während<lb/>
dieser unendlichen Parlamentsdauer an vielen Zentralstellen nicht gearbeitet werden<lb/>
kann, weil die Staatssekretäre oder die Minister und eine große Anzahl der<lb/>
Räte einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in Plenar- und Kommissionssitzungen ver¬<lb/>
bringen müssen. Ein hochgestellter Beamter klagte jüngst laut darüber, daß die<lb/>
Beamten durch den Reichstag direkt zum Faulenzen erzogen würden. In den<lb/>
Plenarsitzungen müßten sie stillsitzen und oft stundenlang das dümmste Zeug mit<lb/>
anhören, und nach einer fünf- bis sechsstündigen Sitzung sei niemand mehr imstande,<lb/>
an seinem Schreibtisch etwas ordentliches zu arbeiten. Das ist freilich eine der<lb/>
unvermeidlichen Erscheinungen, die das parlamentarische Wesen begleiten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3844"> Fürst Bülow hat gleich bei seinem Amtsantritt als Reichskanzler für alle Ämter<lb/>
des Reichsdienstes angeordnet, erstens die Zahl der in den Reichstag zu entsendenden<lb/>
Kommissare auf das möglichste einzuschränken, zweitens solle niemand in eine Sitzung<lb/>
gehn, der darin nichts zu tun habe. Da sich das aber nicht immer im voraus fest¬<lb/>
stellen läßt, besonders bei Etatsdebatten, so sind die obersten Reichsbehörden nach<lb/>
wie vor durch den Reichstag zu einer großen Verschwendung vou Zeit und Arbeits¬<lb/>
kraft verurteilt. Wie man von gewissen Kanzelreduern sagt, daß sie die Leute ans<lb/>
der Kirche hiuauspredigen, so gibt es auch eine nicht geringe Zahl von Abgeordneten,<lb/>
die ihre Kollegen aus dem Reichstage hinausreden. Nur der Bundesrat und seine<lb/>
Kommissare müssen standhalten. Auch das ist ein Mißstand, der durch Anwesenheits¬<lb/>
gelder schwerlich beseitigt werden wird, es sei denn, daß zugleich eine entsprechende<lb/>
Abänderung der gesamten Geschäftsordnung stattfindet, wobei, was die Herabsetzung<lb/>
der Beschlußfähigkeitszahl anlangt, recht große Vorsicht anzuraten wäre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3845" next="#ID_3846"> Um der Diäten oder Tagegelder allein willen die Verfassung zu andern<lb/>
wäre aber auch deshalb bedenklich, weil man die Übelstände, denen man begegnen<lb/>
will, doch nur zum kleinern Teil beseitigte. Von deu Tagegeldern dürften nicht,<lb/>
wie der Antrag Hompesch will, die Landtagsdiätcn in Abzug gebracht werden,<lb/>
sondern bei dem Tagen des Reichstags und der Landtage zu derselben Zeit müssen<lb/>
die Doppelmandate einfach untersagt werden, wenn man diesen mißlichen<lb/>
Zustand des gleichzeitigen Tagens nicht aus der Welt schaffen kann. Nicht nnr den<lb/>
doppelten Diäten, sondern auch dem Absentismus soll vorgebeugt werden, und<lb/>
den Landtagen wäre schlecht damit gedient, wenn die Mitglieder, die Reichsdiäten<lb/>
empfangen, deshalb aus den Landtagssitzungen wegblieben, um im Reichstage<lb/>
&#x201E;präsent" zu sein, weil die Reichstagstagegelder bei weitem die höhern sind.<lb/>
Das gleichzeitige Tagen aber aufzuheben wird nicht gehn, weil &#x2014; wie Graf<lb/>
Posadowsky schon hervorgehoben hat &#x2014; der Tag und das Jahr seit dreißig Jahren<lb/>
nicht länger geworden sind. Der Abgeordnete Schrader ist auf diesen Gedanken<lb/>
sehr richtig eingegangen, indem er darauf hinwies, daß andre Länder als Einheits¬<lb/>
staaten nicht in der Weise wie Deutschland mit öffentlichen Angelegenheiten über¬<lb/>
schwemmt sind, weil wir eben die vielen Landtage und neben diesen noch eine<lb/>
Fülle andrer Vertretungskörper haben. Er hätte noch hinzufügen können, daß der<lb/>
Einheitsstaat viel weniger Beamten braucht und darum viel weniger Kosten<lb/>
für die Verwaltung, Arbeitskraft und Arbeitszeit in Anspruch nimmt als der<lb/>
Bundesstaat. Aber da der Bundesstaat doch einmal besteht, so werden wir unsre<lb/>
öffentlichen Einrichtungen den Verhältnissen, wie sie sich seit dreißig Jahren ent¬<lb/>
wickelt haben, mehr anpassen müssen, und dazu würde eben vor allem der Verzicht<lb/>
auf alle Doppelmandate gehören. Können Reichstag und Landtage dann ungehindert<lb/>
nebeneinander tagen, so könnte vielleicht auch in Erwägung gezogen werden, das<lb/>
Etatsjahr wieder mit dem Kalenderjahr in Übereinstimmung zu bringen und so</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0744] Maßgebliches und Unmaßgebliches Staatssekretärs des Innern totgeredet werden, und die Einzelregierungen können mithin die Rücksicht auf den Reichstag nicht mehr nehmen. Es läßt sich jedoch mit voller Sicherheit behaupten, daß wenn man von außerordentlichen Vorlagen, wie dem Zolltarif, absieht, der Reichstag seine wirklichen und notwendigen Geschäfte auch heute noch bequem in drei bis vier Monaten erledigen könnte. Der heutige Zustand hat für den gesamten Staatsorganismus die mißliche Folge, daß während dieser unendlichen Parlamentsdauer an vielen Zentralstellen nicht gearbeitet werden kann, weil die Staatssekretäre oder die Minister und eine große Anzahl der Räte einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in Plenar- und Kommissionssitzungen ver¬ bringen müssen. Ein hochgestellter Beamter klagte jüngst laut darüber, daß die Beamten durch den Reichstag direkt zum Faulenzen erzogen würden. In den Plenarsitzungen müßten sie stillsitzen und oft stundenlang das dümmste Zeug mit anhören, und nach einer fünf- bis sechsstündigen Sitzung sei niemand mehr imstande, an seinem Schreibtisch etwas ordentliches zu arbeiten. Das ist freilich eine der unvermeidlichen Erscheinungen, die das parlamentarische Wesen begleiten. Fürst Bülow hat gleich bei seinem Amtsantritt als Reichskanzler für alle Ämter des Reichsdienstes angeordnet, erstens die Zahl der in den Reichstag zu entsendenden Kommissare auf das möglichste einzuschränken, zweitens solle niemand in eine Sitzung gehn, der darin nichts zu tun habe. Da sich das aber nicht immer im voraus fest¬ stellen läßt, besonders bei Etatsdebatten, so sind die obersten Reichsbehörden nach wie vor durch den Reichstag zu einer großen Verschwendung vou Zeit und Arbeits¬ kraft verurteilt. Wie man von gewissen Kanzelreduern sagt, daß sie die Leute ans der Kirche hiuauspredigen, so gibt es auch eine nicht geringe Zahl von Abgeordneten, die ihre Kollegen aus dem Reichstage hinausreden. Nur der Bundesrat und seine Kommissare müssen standhalten. Auch das ist ein Mißstand, der durch Anwesenheits¬ gelder schwerlich beseitigt werden wird, es sei denn, daß zugleich eine entsprechende Abänderung der gesamten Geschäftsordnung stattfindet, wobei, was die Herabsetzung der Beschlußfähigkeitszahl anlangt, recht große Vorsicht anzuraten wäre. Um der Diäten oder Tagegelder allein willen die Verfassung zu andern wäre aber auch deshalb bedenklich, weil man die Übelstände, denen man begegnen will, doch nur zum kleinern Teil beseitigte. Von deu Tagegeldern dürften nicht, wie der Antrag Hompesch will, die Landtagsdiätcn in Abzug gebracht werden, sondern bei dem Tagen des Reichstags und der Landtage zu derselben Zeit müssen die Doppelmandate einfach untersagt werden, wenn man diesen mißlichen Zustand des gleichzeitigen Tagens nicht aus der Welt schaffen kann. Nicht nnr den doppelten Diäten, sondern auch dem Absentismus soll vorgebeugt werden, und den Landtagen wäre schlecht damit gedient, wenn die Mitglieder, die Reichsdiäten empfangen, deshalb aus den Landtagssitzungen wegblieben, um im Reichstage „präsent" zu sein, weil die Reichstagstagegelder bei weitem die höhern sind. Das gleichzeitige Tagen aber aufzuheben wird nicht gehn, weil — wie Graf Posadowsky schon hervorgehoben hat — der Tag und das Jahr seit dreißig Jahren nicht länger geworden sind. Der Abgeordnete Schrader ist auf diesen Gedanken sehr richtig eingegangen, indem er darauf hinwies, daß andre Länder als Einheits¬ staaten nicht in der Weise wie Deutschland mit öffentlichen Angelegenheiten über¬ schwemmt sind, weil wir eben die vielen Landtage und neben diesen noch eine Fülle andrer Vertretungskörper haben. Er hätte noch hinzufügen können, daß der Einheitsstaat viel weniger Beamten braucht und darum viel weniger Kosten für die Verwaltung, Arbeitskraft und Arbeitszeit in Anspruch nimmt als der Bundesstaat. Aber da der Bundesstaat doch einmal besteht, so werden wir unsre öffentlichen Einrichtungen den Verhältnissen, wie sie sich seit dreißig Jahren ent¬ wickelt haben, mehr anpassen müssen, und dazu würde eben vor allem der Verzicht auf alle Doppelmandate gehören. Können Reichstag und Landtage dann ungehindert nebeneinander tagen, so könnte vielleicht auch in Erwägung gezogen werden, das Etatsjahr wieder mit dem Kalenderjahr in Übereinstimmung zu bringen und so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/744
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/744>, abgerufen am 19.05.2024.