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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Meter; daraus folgte, daß es keinesfalls als ein wirtschaftliches Hausgerttt gedient
hatte, zumal da die Öffnung nur eiuen Durchmesser von einundeinviertel Zentimeter
hatte. Zweifellos handelte es sich um ein Kinderspielzeug aus uralter germanischer
Zeit, wie es in der vorgeschichtlichen Literatur öfter erwähnt wird. So sagt
Dr. Besta in feiner Monographie der Uruenfriedhöfe mit Tongefäßen des Lausitzer
Typus S. 70: "Betrachtet man die Formen der Toubeigaben, so sehen wir darunter
auch solche, die offenbar als Kinderspielzeug anerkannt werden müssen. Herstammend
aus Kmdergräbern, sind sie äußerst niedlich gebildet; dahin gehören kleine Mschchen,
Näpfchen, Löffel, Schälchen, Kamraden usw. Einige haben einen so kleinen Boden,
daß sie zum Stehn gar nicht geeignet sind. Ziemlich häufig sind auch Kinder¬
klappern, in deren Jnnern sich frei kleine Tonkügelchen oder Steinchen befinden.
Sie treten in den verschiedensten Formen auf, in Flaschen-, Kugel- und Eiform,
manche sehen vogelartig aus und machen den Eindruck einer Gans; einzelne sind
ohne charakteristische und erkennbare zoologische Eigenschaften. Die Oberfläche ist
mannigfaltig verziert; bei Gilden entdeckte man eine Kinderklapper in Vogelgestalt
mit feinpunktierter Verzierung; einzelne haben auch Löcher zum Durchzieh" einer
Schnur, ebenso bemerkt man hier und da kleine Löcher in der Wand." In ähnlicher
Weise spricht sich Professor Dr. Jentsch in Guben über die dort gefundnen kleinen
Gefäße aus, und es unterliegt keinem Bedenken, solche Fundsachen als die ersten
germanischen Kinderspielzeuge anzusehen, mit deuen vor zweitausend Jahren jdie
Mütter ihre Kleinen beruhigt und beschäftigt haben. Und schon aus jeuer fernen
Zeit können wir die noch jetzt geltende Beobachtung machen, daß man die Spiel¬
zeuge meist den häuslichen und den wirtschaftlichen Gebrauchsgegenständen im ver¬
kleinerten Maßstabe nachzubilden Pflegt, um dadurch die Phantasie des Kindes, das
seinen Spielen gern die Beschäftigung der Eltern zugrunde legt, wenn auch mehr
oder weniger unbewußt, zu wecken und zugleich dem sich entwickelnden Geist eine
Art Anschauungsunterricht zu geben. Die Auswahl war allerdings nicht groß, da
die täglich im Gebrauch stehenden Werkzeuge in den ältesten Zeiten selbst nicht
zahlreich waren und sich in der Hauptsache ans Ton-, Stein- und Holzwaren be¬
schränkten. Dementsprechend werden sich jahrhundertelang die Kinder mit den ein¬
fachsten Nachbildungen haben begnügen müssen, die wohl oft von den eignen Eltern
nach vorhandnen Mustern angefertigt - worden sein werden. Als dann vor einem
halben Jahrtausend zuerst die thüringischen Köhler und Holzfäller als Nebengewerbe
das Schnitzen von allerlei Holzwaren zu betreiben anfingen, da entstand allmählich
ein besondrer Erwerbszweig für die Anfertigung von Kinderspielzeug. Schon um
das Jahr 1400 brachten die armseligen Waldleute ihre geschnitzten Spielsachen
nach Sonneberg, und die Sonneberger vertrieben sie weiter nach Nürnberg, wo
man gute Verwendung dafür hatte. Das Spielzeug wurde eine Handelsware, und
im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich das deutsche Spielwarengeschäft zu einer
so hohen Blüte, daß die ganze bewohnte Erde als Absatzgebiet seiner Erzeugnisse
gelten kann. Damit wuchsen aber auch fortwährend die Ansprüche der Käufer, und
heutzutage kaun man die Grenze zwischen einem Spielzeug und einem Lehrmittel
bei vielen Arten kaum noch genau ziehn; man denke zum Beispiel an die Modelle
für Dampfmaschinen, Eisenbahnen, an die unzähligen optischen und elektrischen
Sachen, die bis ins einzelne nachgebildet werden und gebrauchsfähig sind, den
Kindern also schou einen richtigen Einblick in die weitverzweigten Getriebe der
Technik gewähren; sie sollen im vollsten Sinne des Wortes "spielend" lernen.
Auch in andrer Weise hat man versucht, deu Sinn des Kindes durch Spielzeug
zu vertiefen und zu veredeln; es gibt schon seit längerer Zeit Puppen in den
Trachten der verschiednen Landesteile: Elsässer, Schwarzwälder, Altenburger oder
Bückeburger Bauernmädchen sind bei Kindern sehr beliebt und befähigen sie, für
die wenigen noch vorhandnen Landestrachten Geschmack und Verständnis zu gewinnen
und im spätern Leben zu betätigen.

In eigentümlicher Weise hat neuerdings der Ausschuß zur Pflege heimatlicher
Kunst und Bauweise in Sachsen und in Thüringen auch das Kinderspielzeug seinen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Meter; daraus folgte, daß es keinesfalls als ein wirtschaftliches Hausgerttt gedient
hatte, zumal da die Öffnung nur eiuen Durchmesser von einundeinviertel Zentimeter
hatte. Zweifellos handelte es sich um ein Kinderspielzeug aus uralter germanischer
Zeit, wie es in der vorgeschichtlichen Literatur öfter erwähnt wird. So sagt
Dr. Besta in feiner Monographie der Uruenfriedhöfe mit Tongefäßen des Lausitzer
Typus S. 70: „Betrachtet man die Formen der Toubeigaben, so sehen wir darunter
auch solche, die offenbar als Kinderspielzeug anerkannt werden müssen. Herstammend
aus Kmdergräbern, sind sie äußerst niedlich gebildet; dahin gehören kleine Mschchen,
Näpfchen, Löffel, Schälchen, Kamraden usw. Einige haben einen so kleinen Boden,
daß sie zum Stehn gar nicht geeignet sind. Ziemlich häufig sind auch Kinder¬
klappern, in deren Jnnern sich frei kleine Tonkügelchen oder Steinchen befinden.
Sie treten in den verschiedensten Formen auf, in Flaschen-, Kugel- und Eiform,
manche sehen vogelartig aus und machen den Eindruck einer Gans; einzelne sind
ohne charakteristische und erkennbare zoologische Eigenschaften. Die Oberfläche ist
mannigfaltig verziert; bei Gilden entdeckte man eine Kinderklapper in Vogelgestalt
mit feinpunktierter Verzierung; einzelne haben auch Löcher zum Durchzieh» einer
Schnur, ebenso bemerkt man hier und da kleine Löcher in der Wand." In ähnlicher
Weise spricht sich Professor Dr. Jentsch in Guben über die dort gefundnen kleinen
Gefäße aus, und es unterliegt keinem Bedenken, solche Fundsachen als die ersten
germanischen Kinderspielzeuge anzusehen, mit deuen vor zweitausend Jahren jdie
Mütter ihre Kleinen beruhigt und beschäftigt haben. Und schon aus jeuer fernen
Zeit können wir die noch jetzt geltende Beobachtung machen, daß man die Spiel¬
zeuge meist den häuslichen und den wirtschaftlichen Gebrauchsgegenständen im ver¬
kleinerten Maßstabe nachzubilden Pflegt, um dadurch die Phantasie des Kindes, das
seinen Spielen gern die Beschäftigung der Eltern zugrunde legt, wenn auch mehr
oder weniger unbewußt, zu wecken und zugleich dem sich entwickelnden Geist eine
Art Anschauungsunterricht zu geben. Die Auswahl war allerdings nicht groß, da
die täglich im Gebrauch stehenden Werkzeuge in den ältesten Zeiten selbst nicht
zahlreich waren und sich in der Hauptsache ans Ton-, Stein- und Holzwaren be¬
schränkten. Dementsprechend werden sich jahrhundertelang die Kinder mit den ein¬
fachsten Nachbildungen haben begnügen müssen, die wohl oft von den eignen Eltern
nach vorhandnen Mustern angefertigt - worden sein werden. Als dann vor einem
halben Jahrtausend zuerst die thüringischen Köhler und Holzfäller als Nebengewerbe
das Schnitzen von allerlei Holzwaren zu betreiben anfingen, da entstand allmählich
ein besondrer Erwerbszweig für die Anfertigung von Kinderspielzeug. Schon um
das Jahr 1400 brachten die armseligen Waldleute ihre geschnitzten Spielsachen
nach Sonneberg, und die Sonneberger vertrieben sie weiter nach Nürnberg, wo
man gute Verwendung dafür hatte. Das Spielzeug wurde eine Handelsware, und
im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich das deutsche Spielwarengeschäft zu einer
so hohen Blüte, daß die ganze bewohnte Erde als Absatzgebiet seiner Erzeugnisse
gelten kann. Damit wuchsen aber auch fortwährend die Ansprüche der Käufer, und
heutzutage kaun man die Grenze zwischen einem Spielzeug und einem Lehrmittel
bei vielen Arten kaum noch genau ziehn; man denke zum Beispiel an die Modelle
für Dampfmaschinen, Eisenbahnen, an die unzähligen optischen und elektrischen
Sachen, die bis ins einzelne nachgebildet werden und gebrauchsfähig sind, den
Kindern also schou einen richtigen Einblick in die weitverzweigten Getriebe der
Technik gewähren; sie sollen im vollsten Sinne des Wortes „spielend" lernen.
Auch in andrer Weise hat man versucht, deu Sinn des Kindes durch Spielzeug
zu vertiefen und zu veredeln; es gibt schon seit längerer Zeit Puppen in den
Trachten der verschiednen Landesteile: Elsässer, Schwarzwälder, Altenburger oder
Bückeburger Bauernmädchen sind bei Kindern sehr beliebt und befähigen sie, für
die wenigen noch vorhandnen Landestrachten Geschmack und Verständnis zu gewinnen
und im spätern Leben zu betätigen.

In eigentümlicher Weise hat neuerdings der Ausschuß zur Pflege heimatlicher
Kunst und Bauweise in Sachsen und in Thüringen auch das Kinderspielzeug seinen


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[0747] Maßgebliches und Unmaßgebliches Meter; daraus folgte, daß es keinesfalls als ein wirtschaftliches Hausgerttt gedient hatte, zumal da die Öffnung nur eiuen Durchmesser von einundeinviertel Zentimeter hatte. Zweifellos handelte es sich um ein Kinderspielzeug aus uralter germanischer Zeit, wie es in der vorgeschichtlichen Literatur öfter erwähnt wird. So sagt Dr. Besta in feiner Monographie der Uruenfriedhöfe mit Tongefäßen des Lausitzer Typus S. 70: „Betrachtet man die Formen der Toubeigaben, so sehen wir darunter auch solche, die offenbar als Kinderspielzeug anerkannt werden müssen. Herstammend aus Kmdergräbern, sind sie äußerst niedlich gebildet; dahin gehören kleine Mschchen, Näpfchen, Löffel, Schälchen, Kamraden usw. Einige haben einen so kleinen Boden, daß sie zum Stehn gar nicht geeignet sind. Ziemlich häufig sind auch Kinder¬ klappern, in deren Jnnern sich frei kleine Tonkügelchen oder Steinchen befinden. Sie treten in den verschiedensten Formen auf, in Flaschen-, Kugel- und Eiform, manche sehen vogelartig aus und machen den Eindruck einer Gans; einzelne sind ohne charakteristische und erkennbare zoologische Eigenschaften. Die Oberfläche ist mannigfaltig verziert; bei Gilden entdeckte man eine Kinderklapper in Vogelgestalt mit feinpunktierter Verzierung; einzelne haben auch Löcher zum Durchzieh» einer Schnur, ebenso bemerkt man hier und da kleine Löcher in der Wand." In ähnlicher Weise spricht sich Professor Dr. Jentsch in Guben über die dort gefundnen kleinen Gefäße aus, und es unterliegt keinem Bedenken, solche Fundsachen als die ersten germanischen Kinderspielzeuge anzusehen, mit deuen vor zweitausend Jahren jdie Mütter ihre Kleinen beruhigt und beschäftigt haben. Und schon aus jeuer fernen Zeit können wir die noch jetzt geltende Beobachtung machen, daß man die Spiel¬ zeuge meist den häuslichen und den wirtschaftlichen Gebrauchsgegenständen im ver¬ kleinerten Maßstabe nachzubilden Pflegt, um dadurch die Phantasie des Kindes, das seinen Spielen gern die Beschäftigung der Eltern zugrunde legt, wenn auch mehr oder weniger unbewußt, zu wecken und zugleich dem sich entwickelnden Geist eine Art Anschauungsunterricht zu geben. Die Auswahl war allerdings nicht groß, da die täglich im Gebrauch stehenden Werkzeuge in den ältesten Zeiten selbst nicht zahlreich waren und sich in der Hauptsache ans Ton-, Stein- und Holzwaren be¬ schränkten. Dementsprechend werden sich jahrhundertelang die Kinder mit den ein¬ fachsten Nachbildungen haben begnügen müssen, die wohl oft von den eignen Eltern nach vorhandnen Mustern angefertigt - worden sein werden. Als dann vor einem halben Jahrtausend zuerst die thüringischen Köhler und Holzfäller als Nebengewerbe das Schnitzen von allerlei Holzwaren zu betreiben anfingen, da entstand allmählich ein besondrer Erwerbszweig für die Anfertigung von Kinderspielzeug. Schon um das Jahr 1400 brachten die armseligen Waldleute ihre geschnitzten Spielsachen nach Sonneberg, und die Sonneberger vertrieben sie weiter nach Nürnberg, wo man gute Verwendung dafür hatte. Das Spielzeug wurde eine Handelsware, und im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich das deutsche Spielwarengeschäft zu einer so hohen Blüte, daß die ganze bewohnte Erde als Absatzgebiet seiner Erzeugnisse gelten kann. Damit wuchsen aber auch fortwährend die Ansprüche der Käufer, und heutzutage kaun man die Grenze zwischen einem Spielzeug und einem Lehrmittel bei vielen Arten kaum noch genau ziehn; man denke zum Beispiel an die Modelle für Dampfmaschinen, Eisenbahnen, an die unzähligen optischen und elektrischen Sachen, die bis ins einzelne nachgebildet werden und gebrauchsfähig sind, den Kindern also schou einen richtigen Einblick in die weitverzweigten Getriebe der Technik gewähren; sie sollen im vollsten Sinne des Wortes „spielend" lernen. Auch in andrer Weise hat man versucht, deu Sinn des Kindes durch Spielzeug zu vertiefen und zu veredeln; es gibt schon seit längerer Zeit Puppen in den Trachten der verschiednen Landesteile: Elsässer, Schwarzwälder, Altenburger oder Bückeburger Bauernmädchen sind bei Kindern sehr beliebt und befähigen sie, für die wenigen noch vorhandnen Landestrachten Geschmack und Verständnis zu gewinnen und im spätern Leben zu betätigen. In eigentümlicher Weise hat neuerdings der Ausschuß zur Pflege heimatlicher Kunst und Bauweise in Sachsen und in Thüringen auch das Kinderspielzeug seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/747>, abgerufen am 28.05.2024.