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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Der Geigenbau

schaften, trotz der intensiven Arbeit, die gerade diesem Gegenstande zugewandt
worden ist, noch heute die besten Meister ihren höchsten Ehrgeiz darin suchen,
das wieder zu erreichen, was man zu jener Zeit schon hatte.

Wie konnte es nun aber kommen, daß das "Geheimnis" der alten Meister
verloren gegangen ist, vorausgesetzt, daß sie ein solches überhaupt hatten?

Schon seit dem frühen Mittelalter, Jahrhunderte vor dem Erscheinen der
Cremoneser Meister, haben alle europäischen Völker Streichinstrumente benutzt.
Es ist deshalb auch nicht richtig, von einem Erfinder der Violine zusprechen;
diese ist vielmehr ganz allmählich entstanden. Ihre Entstehungsgeschichte kann
auch aus alten Zeichnungen und Skulpturen sowie an der Hand einzelner
noch vorhandner Instrumente ziemlich lückenlos verfolgt werden und ist auch
schon mehrfach dargestellt worden. Die großen Cremoneser, die Maggini,
Amati, Stradivari und Guarneri, haben nur die vorgefundnen Formen weiter
entwickelt und sie mit der Sicherheit des Genies auf eine Höhe gebracht, die
bis jetzt nicht übertroffen werden kann. Diesen Meistern selbst und ihren
Schülern aber sind ihre eignen Werke schwerlich als vollendete, keiner Ver¬
besserung fähige Instrumente erschienen. In ihren Augen war es keine un¬
mögliche Aufgabe, noch besseres zu leisten. Es kommt dazu, daß die größten
Meisterwerke ihre vollkommne Schönheit erst erreichen, wenn sie jahrzehntelang
fleißig und gut gespielt werden. Man hat in neuerer Zeit alte Geigen von
unzweifelhafter Echtheit aufgefunden, die wenig oder wohl gar nicht gespielt
worden waren; sie hatten in ihrem Ton alle Merkmale neuer Geigen. Es
ist also mit Sicherheit anzunehmen, daß die großen Meister die höchste
Bollendung ihrer Werke nicht oder nur teilweise erlebt haben. So lag weder
für sie noch für ihre Schüler Veranlassung vor, sich mit dem Erreichten zu
begnügen. Man änderte vielmehr und versuchte weiter. Der genialste der
Nachfolger, der Tiroler Jakob Stainer, der 1683 starb, hat selbst den Anstoß
dazu gegeben. Er ging von der flachen Bauart der Italiener ab und wölbte
Decke und Boden seiner Instrumente stärker, auch machte er das Holz dünner
und erreichte dadurch, daß seine Geigen leichter und milder ansprachen als
die der Italiener. Dafür verlor aber der Ton an Fülle und Kraft. Seine
Nachahmer gingen zum Teil noch weiter, und so kam es, daß man plötzlich
merkte, daß man auf Abwege geraten war. Während die Geigen der Cremoneser
Meister mit dem Alter an Schönheit immer zunahmen, fielen die der jüngern,
abgesehen von den besten Stainerschen und denen einiger andrer Meister, mit
der Zeit ab oder erreichten wenigstens nicht die Höhe jener.

Nun begann die Zeit des Probierens. Da keine, geschweige denn eine
sichere theoretische Grundlage für den Geigenbau vorhanden war, so war der
Phantasie der freieste Spielraum gelassen. Bald sollte allein der Lack der
Meistergeigen, dessen Zubereitungsweise verloren gegangen war, die Ursache
der unerreichbaren Vorzüge sein, bald waren es die kleinen Pfosten, die im
Innern die spitzen Ecken verstärken, bald dies, bald jenes wurde für das
Wesentliche erklärt und daraufhin versucht und wieder versucht. Abgesehen von
ganz wilden Experimenten, die schon erwähnt worden sind, bewegte sich die
Tätigkeit der Geigenbauer im großen und ganzen in zwei Richtungen: die


Der Geigenbau

schaften, trotz der intensiven Arbeit, die gerade diesem Gegenstande zugewandt
worden ist, noch heute die besten Meister ihren höchsten Ehrgeiz darin suchen,
das wieder zu erreichen, was man zu jener Zeit schon hatte.

Wie konnte es nun aber kommen, daß das „Geheimnis" der alten Meister
verloren gegangen ist, vorausgesetzt, daß sie ein solches überhaupt hatten?

Schon seit dem frühen Mittelalter, Jahrhunderte vor dem Erscheinen der
Cremoneser Meister, haben alle europäischen Völker Streichinstrumente benutzt.
Es ist deshalb auch nicht richtig, von einem Erfinder der Violine zusprechen;
diese ist vielmehr ganz allmählich entstanden. Ihre Entstehungsgeschichte kann
auch aus alten Zeichnungen und Skulpturen sowie an der Hand einzelner
noch vorhandner Instrumente ziemlich lückenlos verfolgt werden und ist auch
schon mehrfach dargestellt worden. Die großen Cremoneser, die Maggini,
Amati, Stradivari und Guarneri, haben nur die vorgefundnen Formen weiter
entwickelt und sie mit der Sicherheit des Genies auf eine Höhe gebracht, die
bis jetzt nicht übertroffen werden kann. Diesen Meistern selbst und ihren
Schülern aber sind ihre eignen Werke schwerlich als vollendete, keiner Ver¬
besserung fähige Instrumente erschienen. In ihren Augen war es keine un¬
mögliche Aufgabe, noch besseres zu leisten. Es kommt dazu, daß die größten
Meisterwerke ihre vollkommne Schönheit erst erreichen, wenn sie jahrzehntelang
fleißig und gut gespielt werden. Man hat in neuerer Zeit alte Geigen von
unzweifelhafter Echtheit aufgefunden, die wenig oder wohl gar nicht gespielt
worden waren; sie hatten in ihrem Ton alle Merkmale neuer Geigen. Es
ist also mit Sicherheit anzunehmen, daß die großen Meister die höchste
Bollendung ihrer Werke nicht oder nur teilweise erlebt haben. So lag weder
für sie noch für ihre Schüler Veranlassung vor, sich mit dem Erreichten zu
begnügen. Man änderte vielmehr und versuchte weiter. Der genialste der
Nachfolger, der Tiroler Jakob Stainer, der 1683 starb, hat selbst den Anstoß
dazu gegeben. Er ging von der flachen Bauart der Italiener ab und wölbte
Decke und Boden seiner Instrumente stärker, auch machte er das Holz dünner
und erreichte dadurch, daß seine Geigen leichter und milder ansprachen als
die der Italiener. Dafür verlor aber der Ton an Fülle und Kraft. Seine
Nachahmer gingen zum Teil noch weiter, und so kam es, daß man plötzlich
merkte, daß man auf Abwege geraten war. Während die Geigen der Cremoneser
Meister mit dem Alter an Schönheit immer zunahmen, fielen die der jüngern,
abgesehen von den besten Stainerschen und denen einiger andrer Meister, mit
der Zeit ab oder erreichten wenigstens nicht die Höhe jener.

Nun begann die Zeit des Probierens. Da keine, geschweige denn eine
sichere theoretische Grundlage für den Geigenbau vorhanden war, so war der
Phantasie der freieste Spielraum gelassen. Bald sollte allein der Lack der
Meistergeigen, dessen Zubereitungsweise verloren gegangen war, die Ursache
der unerreichbaren Vorzüge sein, bald waren es die kleinen Pfosten, die im
Innern die spitzen Ecken verstärken, bald dies, bald jenes wurde für das
Wesentliche erklärt und daraufhin versucht und wieder versucht. Abgesehen von
ganz wilden Experimenten, die schon erwähnt worden sind, bewegte sich die
Tätigkeit der Geigenbauer im großen und ganzen in zwei Richtungen: die


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[0382] Der Geigenbau schaften, trotz der intensiven Arbeit, die gerade diesem Gegenstande zugewandt worden ist, noch heute die besten Meister ihren höchsten Ehrgeiz darin suchen, das wieder zu erreichen, was man zu jener Zeit schon hatte. Wie konnte es nun aber kommen, daß das „Geheimnis" der alten Meister verloren gegangen ist, vorausgesetzt, daß sie ein solches überhaupt hatten? Schon seit dem frühen Mittelalter, Jahrhunderte vor dem Erscheinen der Cremoneser Meister, haben alle europäischen Völker Streichinstrumente benutzt. Es ist deshalb auch nicht richtig, von einem Erfinder der Violine zusprechen; diese ist vielmehr ganz allmählich entstanden. Ihre Entstehungsgeschichte kann auch aus alten Zeichnungen und Skulpturen sowie an der Hand einzelner noch vorhandner Instrumente ziemlich lückenlos verfolgt werden und ist auch schon mehrfach dargestellt worden. Die großen Cremoneser, die Maggini, Amati, Stradivari und Guarneri, haben nur die vorgefundnen Formen weiter entwickelt und sie mit der Sicherheit des Genies auf eine Höhe gebracht, die bis jetzt nicht übertroffen werden kann. Diesen Meistern selbst und ihren Schülern aber sind ihre eignen Werke schwerlich als vollendete, keiner Ver¬ besserung fähige Instrumente erschienen. In ihren Augen war es keine un¬ mögliche Aufgabe, noch besseres zu leisten. Es kommt dazu, daß die größten Meisterwerke ihre vollkommne Schönheit erst erreichen, wenn sie jahrzehntelang fleißig und gut gespielt werden. Man hat in neuerer Zeit alte Geigen von unzweifelhafter Echtheit aufgefunden, die wenig oder wohl gar nicht gespielt worden waren; sie hatten in ihrem Ton alle Merkmale neuer Geigen. Es ist also mit Sicherheit anzunehmen, daß die großen Meister die höchste Bollendung ihrer Werke nicht oder nur teilweise erlebt haben. So lag weder für sie noch für ihre Schüler Veranlassung vor, sich mit dem Erreichten zu begnügen. Man änderte vielmehr und versuchte weiter. Der genialste der Nachfolger, der Tiroler Jakob Stainer, der 1683 starb, hat selbst den Anstoß dazu gegeben. Er ging von der flachen Bauart der Italiener ab und wölbte Decke und Boden seiner Instrumente stärker, auch machte er das Holz dünner und erreichte dadurch, daß seine Geigen leichter und milder ansprachen als die der Italiener. Dafür verlor aber der Ton an Fülle und Kraft. Seine Nachahmer gingen zum Teil noch weiter, und so kam es, daß man plötzlich merkte, daß man auf Abwege geraten war. Während die Geigen der Cremoneser Meister mit dem Alter an Schönheit immer zunahmen, fielen die der jüngern, abgesehen von den besten Stainerschen und denen einiger andrer Meister, mit der Zeit ab oder erreichten wenigstens nicht die Höhe jener. Nun begann die Zeit des Probierens. Da keine, geschweige denn eine sichere theoretische Grundlage für den Geigenbau vorhanden war, so war der Phantasie der freieste Spielraum gelassen. Bald sollte allein der Lack der Meistergeigen, dessen Zubereitungsweise verloren gegangen war, die Ursache der unerreichbaren Vorzüge sein, bald waren es die kleinen Pfosten, die im Innern die spitzen Ecken verstärken, bald dies, bald jenes wurde für das Wesentliche erklärt und daraufhin versucht und wieder versucht. Abgesehen von ganz wilden Experimenten, die schon erwähnt worden sind, bewegte sich die Tätigkeit der Geigenbauer im großen und ganzen in zwei Richtungen: die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/382>, abgerufen am 28.05.2024.