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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was nun den Metzer Vorgang selbst anlangt, so würden die Zeitungen bei
einer etwas weniger oberflächlichen Kritik den Schwerpunkt doch Wohl in etwas
anderm erkannt haben: in der Tatsache nämlich, daß der Schauplatz nach Metz,
uumittelbcir an die französische Grenze gelegt war, und daß Kardinal Kopp, der
in diesem Falle als Beauftragter des Papstes fungierte, seine Ansprache an den
Kaiser und den Worten begann: "In dieser alten Reichsfeste. . ." Es ist nicht
nur die erneute Anerkennung des durch den Frankfurter Frieden geschaffnen Terri¬
torialbestandes, die in diesen Worte" zum Ausdruck gelangt ist, sondern der Kardinal
griff damit weit zurück in die alte Reichsgeschichte, bis auf deu Metzer Reichstag
vom Dezember 1356, wo Kaiser Karl der Vierte dem alten Reiche als Weihnachts-
gabe mit der "Carolina," der Goldner Bulle, seine Verfassung Perlieh. Ranke hebt
in seiner Charakteristik dieses Kaisers hervor, daß der Metzer Reichstag von 1356
einer der prächtigsten und bedeutendsten in der Geschichte des alten Reiches war.
Damals war König Johann von Frankreich bei Poitiers in die Gefangenschaft der
Engländer geraten, der Papst und der Dauphin hatten den Kaiser gebeten, bei den
Engländern die Freilassung Johanns auszuwirken und den Frieden zu vermitteln.
Der Dauphin überreichte im Namen seines gefangnen Vaters die von diesen: aus¬
gefertigte Urkunde, Karl bei allen Rechten und Besitztümern, die ihm als römischem
Kaiser gehörten, zu erhalten, eine Zusage, die von einer kostbaren Reliquie, einem
Dorn aus der Krone Christi, begleitet war. An jenen Metzer Reichstag, einen
der Glanzpunkte deutscher Kaisermacht, wollen wir uns erinnern, wenn wir in
Berliner freisinnigen Zeitungen spöttische Bemerkungen über das "Konzil von
Metz," über die Tatsache lesen, daß dort vor den Toren Frankreichs der deutsche
Kaiser deu Reichskanzler, zwei Kardinäle und zwei Bischöfe um sich versammelt
habe, um aus dem Munde eines päpstlichen Beauftragten neben einer Dankesbe¬
zeugung der Kurie deren erneute Anerkennung des Frankfurter Friedens entgegen¬
zunehmen.

Es ist selbstverständlich theoretisch durchaus richtig, daß das Deutsche Reich
dieser Anerkennung nicht erst bedarf. Aber im Leben der Völker gelten nicht
Theorien, sondern Machtfragen, und wenn der deutsche Kaiser dieser Anerkennung
auch wohl entraten kann, so bedeutet doch die Tatsache dieser Anerkennung für ihn
einen politischen Machtzuwachs nach außen wie nach innen. Nach außen, weil der
Papst damit, sichtbar für deu gesamten Katholizismus des Erdballs, seine Stellung
zu Deutschland, zum Kaiser nimmt; nach innen, weil diese Stellung des Papsttums
nicht ohne Einfluß bleiben kann und bleiben wird auf die Stellung der Zentrums¬
partei zur Reichspolitik. Aber -- so hören wir sagen -- verrät sich in diesem
Vorgang, daß der protestantische Herrscher vier römische "Kirchenfürsten" um sich
versammelt, nicht ein bedenkliches Symptom einer Zuneigung zum Katholizismus?
Wir sagen aus voller protestantischer Überzeugung "Nein." Das Deutsche Reich
hat neben 36 Millionen Protestanten doch 21 Millionen Katholiken, diese sind
mithin bei einer Einwohnerzahl von 60 Millionen mehr als ein Drittel des Be¬
standes der Reichsbevölkernng, also auch der Reichsmacht und der Rcichsgewnlt.
Dieser Tatsache gegenüber ist der Metzer Vorgang nicht eine Minderung des
protestantischen Herrschers, sondern eine Mehrung des deutschen Kaisers,
dem ungeachtet seines persönlich protestantischen Bekenntnisses auch die katholische
Kirche willig eine weitgehende Machtstellung zuerkennt und ihm in dieser huldigt.
Und auf die Kaisermacht kommt es vor allem an. Mag immerhin der alte eng¬
bemessene Rahmen brandenburgisch-preußischer Tradition damit überschritten worden
sein: Wenn wir mit Recht verlangen, daß die katholischen Deutschen mit Treue,
Liebe und Hingebung in dieses neue Reich hiueiuwachsen sollen, obwohl an seiner
Spitze ein protestantisches Herrscherhaus steht, so haben die katholischen Deutschen
dagegen zweifellos das Recht, zu verlange", daß in dem Kaiser der Protestant vor
dem Reichsoberhaupt zurücktrete, das zwischen den beiden großen Bekenntnissen nach
den Grundsätzen der Billigkeit und der Gerechtigkeit zu verfahren hat.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was nun den Metzer Vorgang selbst anlangt, so würden die Zeitungen bei
einer etwas weniger oberflächlichen Kritik den Schwerpunkt doch Wohl in etwas
anderm erkannt haben: in der Tatsache nämlich, daß der Schauplatz nach Metz,
uumittelbcir an die französische Grenze gelegt war, und daß Kardinal Kopp, der
in diesem Falle als Beauftragter des Papstes fungierte, seine Ansprache an den
Kaiser und den Worten begann: „In dieser alten Reichsfeste. . ." Es ist nicht
nur die erneute Anerkennung des durch den Frankfurter Frieden geschaffnen Terri¬
torialbestandes, die in diesen Worte» zum Ausdruck gelangt ist, sondern der Kardinal
griff damit weit zurück in die alte Reichsgeschichte, bis auf deu Metzer Reichstag
vom Dezember 1356, wo Kaiser Karl der Vierte dem alten Reiche als Weihnachts-
gabe mit der „Carolina," der Goldner Bulle, seine Verfassung Perlieh. Ranke hebt
in seiner Charakteristik dieses Kaisers hervor, daß der Metzer Reichstag von 1356
einer der prächtigsten und bedeutendsten in der Geschichte des alten Reiches war.
Damals war König Johann von Frankreich bei Poitiers in die Gefangenschaft der
Engländer geraten, der Papst und der Dauphin hatten den Kaiser gebeten, bei den
Engländern die Freilassung Johanns auszuwirken und den Frieden zu vermitteln.
Der Dauphin überreichte im Namen seines gefangnen Vaters die von diesen: aus¬
gefertigte Urkunde, Karl bei allen Rechten und Besitztümern, die ihm als römischem
Kaiser gehörten, zu erhalten, eine Zusage, die von einer kostbaren Reliquie, einem
Dorn aus der Krone Christi, begleitet war. An jenen Metzer Reichstag, einen
der Glanzpunkte deutscher Kaisermacht, wollen wir uns erinnern, wenn wir in
Berliner freisinnigen Zeitungen spöttische Bemerkungen über das „Konzil von
Metz," über die Tatsache lesen, daß dort vor den Toren Frankreichs der deutsche
Kaiser deu Reichskanzler, zwei Kardinäle und zwei Bischöfe um sich versammelt
habe, um aus dem Munde eines päpstlichen Beauftragten neben einer Dankesbe¬
zeugung der Kurie deren erneute Anerkennung des Frankfurter Friedens entgegen¬
zunehmen.

Es ist selbstverständlich theoretisch durchaus richtig, daß das Deutsche Reich
dieser Anerkennung nicht erst bedarf. Aber im Leben der Völker gelten nicht
Theorien, sondern Machtfragen, und wenn der deutsche Kaiser dieser Anerkennung
auch wohl entraten kann, so bedeutet doch die Tatsache dieser Anerkennung für ihn
einen politischen Machtzuwachs nach außen wie nach innen. Nach außen, weil der
Papst damit, sichtbar für deu gesamten Katholizismus des Erdballs, seine Stellung
zu Deutschland, zum Kaiser nimmt; nach innen, weil diese Stellung des Papsttums
nicht ohne Einfluß bleiben kann und bleiben wird auf die Stellung der Zentrums¬
partei zur Reichspolitik. Aber — so hören wir sagen — verrät sich in diesem
Vorgang, daß der protestantische Herrscher vier römische „Kirchenfürsten" um sich
versammelt, nicht ein bedenkliches Symptom einer Zuneigung zum Katholizismus?
Wir sagen aus voller protestantischer Überzeugung „Nein." Das Deutsche Reich
hat neben 36 Millionen Protestanten doch 21 Millionen Katholiken, diese sind
mithin bei einer Einwohnerzahl von 60 Millionen mehr als ein Drittel des Be¬
standes der Reichsbevölkernng, also auch der Reichsmacht und der Rcichsgewnlt.
Dieser Tatsache gegenüber ist der Metzer Vorgang nicht eine Minderung des
protestantischen Herrschers, sondern eine Mehrung des deutschen Kaisers,
dem ungeachtet seines persönlich protestantischen Bekenntnisses auch die katholische
Kirche willig eine weitgehende Machtstellung zuerkennt und ihm in dieser huldigt.
Und auf die Kaisermacht kommt es vor allem an. Mag immerhin der alte eng¬
bemessene Rahmen brandenburgisch-preußischer Tradition damit überschritten worden
sein: Wenn wir mit Recht verlangen, daß die katholischen Deutschen mit Treue,
Liebe und Hingebung in dieses neue Reich hiueiuwachsen sollen, obwohl an seiner
Spitze ein protestantisches Herrscherhaus steht, so haben die katholischen Deutschen
dagegen zweifellos das Recht, zu verlange», daß in dem Kaiser der Protestant vor
dem Reichsoberhaupt zurücktrete, das zwischen den beiden großen Bekenntnissen nach
den Grundsätzen der Billigkeit und der Gerechtigkeit zu verfahren hat.


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[0508] Maßgebliches und Unmaßgebliches Was nun den Metzer Vorgang selbst anlangt, so würden die Zeitungen bei einer etwas weniger oberflächlichen Kritik den Schwerpunkt doch Wohl in etwas anderm erkannt haben: in der Tatsache nämlich, daß der Schauplatz nach Metz, uumittelbcir an die französische Grenze gelegt war, und daß Kardinal Kopp, der in diesem Falle als Beauftragter des Papstes fungierte, seine Ansprache an den Kaiser und den Worten begann: „In dieser alten Reichsfeste. . ." Es ist nicht nur die erneute Anerkennung des durch den Frankfurter Frieden geschaffnen Terri¬ torialbestandes, die in diesen Worte» zum Ausdruck gelangt ist, sondern der Kardinal griff damit weit zurück in die alte Reichsgeschichte, bis auf deu Metzer Reichstag vom Dezember 1356, wo Kaiser Karl der Vierte dem alten Reiche als Weihnachts- gabe mit der „Carolina," der Goldner Bulle, seine Verfassung Perlieh. Ranke hebt in seiner Charakteristik dieses Kaisers hervor, daß der Metzer Reichstag von 1356 einer der prächtigsten und bedeutendsten in der Geschichte des alten Reiches war. Damals war König Johann von Frankreich bei Poitiers in die Gefangenschaft der Engländer geraten, der Papst und der Dauphin hatten den Kaiser gebeten, bei den Engländern die Freilassung Johanns auszuwirken und den Frieden zu vermitteln. Der Dauphin überreichte im Namen seines gefangnen Vaters die von diesen: aus¬ gefertigte Urkunde, Karl bei allen Rechten und Besitztümern, die ihm als römischem Kaiser gehörten, zu erhalten, eine Zusage, die von einer kostbaren Reliquie, einem Dorn aus der Krone Christi, begleitet war. An jenen Metzer Reichstag, einen der Glanzpunkte deutscher Kaisermacht, wollen wir uns erinnern, wenn wir in Berliner freisinnigen Zeitungen spöttische Bemerkungen über das „Konzil von Metz," über die Tatsache lesen, daß dort vor den Toren Frankreichs der deutsche Kaiser deu Reichskanzler, zwei Kardinäle und zwei Bischöfe um sich versammelt habe, um aus dem Munde eines päpstlichen Beauftragten neben einer Dankesbe¬ zeugung der Kurie deren erneute Anerkennung des Frankfurter Friedens entgegen¬ zunehmen. Es ist selbstverständlich theoretisch durchaus richtig, daß das Deutsche Reich dieser Anerkennung nicht erst bedarf. Aber im Leben der Völker gelten nicht Theorien, sondern Machtfragen, und wenn der deutsche Kaiser dieser Anerkennung auch wohl entraten kann, so bedeutet doch die Tatsache dieser Anerkennung für ihn einen politischen Machtzuwachs nach außen wie nach innen. Nach außen, weil der Papst damit, sichtbar für deu gesamten Katholizismus des Erdballs, seine Stellung zu Deutschland, zum Kaiser nimmt; nach innen, weil diese Stellung des Papsttums nicht ohne Einfluß bleiben kann und bleiben wird auf die Stellung der Zentrums¬ partei zur Reichspolitik. Aber — so hören wir sagen — verrät sich in diesem Vorgang, daß der protestantische Herrscher vier römische „Kirchenfürsten" um sich versammelt, nicht ein bedenkliches Symptom einer Zuneigung zum Katholizismus? Wir sagen aus voller protestantischer Überzeugung „Nein." Das Deutsche Reich hat neben 36 Millionen Protestanten doch 21 Millionen Katholiken, diese sind mithin bei einer Einwohnerzahl von 60 Millionen mehr als ein Drittel des Be¬ standes der Reichsbevölkernng, also auch der Reichsmacht und der Rcichsgewnlt. Dieser Tatsache gegenüber ist der Metzer Vorgang nicht eine Minderung des protestantischen Herrschers, sondern eine Mehrung des deutschen Kaisers, dem ungeachtet seines persönlich protestantischen Bekenntnisses auch die katholische Kirche willig eine weitgehende Machtstellung zuerkennt und ihm in dieser huldigt. Und auf die Kaisermacht kommt es vor allem an. Mag immerhin der alte eng¬ bemessene Rahmen brandenburgisch-preußischer Tradition damit überschritten worden sein: Wenn wir mit Recht verlangen, daß die katholischen Deutschen mit Treue, Liebe und Hingebung in dieses neue Reich hiueiuwachsen sollen, obwohl an seiner Spitze ein protestantisches Herrscherhaus steht, so haben die katholischen Deutschen dagegen zweifellos das Recht, zu verlange», daß in dem Kaiser der Protestant vor dem Reichsoberhaupt zurücktrete, das zwischen den beiden großen Bekenntnissen nach den Grundsätzen der Billigkeit und der Gerechtigkeit zu verfahren hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/508>, abgerufen am 19.05.2024.