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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Als ich nun endlich geheilt war, verließ ich die Stellung bei meinem Meister
und machte, um die vierzehn Tage, die mir bis zu meiner Musterung beim Militär,
die Mitte April stattfinden sollte, zu benutzen, einen Ausflug nach der Insel Alsen.

Auf Alsen besuchte ich zunächst die Stadt Sonderburg und verbrachte dort
einige Tage in der Herberge zur Heimat. Zufällig traf ich hier einen Schul¬
kameraden, der dort als Fleischer in Stellung war und mich öfters mit frischer
Wurst versorgte. Als ich am Strande spazieren ging, bemerkte ich auf dem Wasser
eigentümliche glasartige Tiere von weißer und roter Farbe, die vermutlich Quallen
gewesen sind. Eines Tags machte einer meiner Reisekollegen, der in Sonderburg
Bescheid wußte, deu Vorschlag, einmal in der Kaserne zu "picken" (zu Mittag zu
essen). Natürlich hätte uns der Posten, der vorn am Eingang stand, nicht passieren
lassen, wir gingen deshalb zum Strande hinunter, schlüpften dnrch ein Loch im
Gartenzaun des ziemlich verwilderten Gartens und gingen von dort aus gleich in
die Kasernenküche. Im Garten stand eine Eiche, an deren Stamm ein Schild be¬
festigt war, das die Aufschrift trug: "Hier wurde König Christian der Zweite ge¬
fangen gehalten." In der Kaserne wurden wir zunächst von einem Unteroffizier
angeschnauzt, bekamen aber dann doch noch unser Mittagessen, das aus dicken Erbsen
mit Speck bestand. Am andern Morgen, als ich gerade "auf der Fahrt" war und
in ein Haus gehn wollte, begegnete mir auf der Hausflur ein dunkel gekleideter
Mann, der mich erst scharf ansah und dann in ein großes Zimmer führte, dessen
einziger Schmuck in eingerahmten Bibelsprüchen bestand. Der Mann stellte mit
mir ein Verhör an, wobei er fragte, wo ich eingekehrt sei, ob ich an Jesum Christum
glaubte, ob ich zu beten Pflegte, setzte sich dann, als ich diese Fragen zu seiner Be¬
friedigung beantwortet hatte, an einen Tisch und schrieb einen Zettel, den er mir
samt einem Neuen Testament überreichte. Auf dem Zettel standen die Worte:
"Überbringer ist bis morgen früh auf meine Rechnung zu verpflegen." Mit diesem
Zettel begab ich mich auf die Herberge und hörte dort, daß mein Wohltäter ein
Baptist sei, zu dessen Bekanntschaft mir der Herbergsvater gratulierte. Ich bekam
nun Mittagessen, Kaffee, Vier und Abendbrot, spielte mit dem Herbergsvater Dame,
wohnte der Andacht bei und schlief auf einem Sack, der anstatt Stroh Buchweizcn-
spreu enthielt.

Von Sonderburg reiste ich nach Augustenburg, wo ich eine sehr gemütliche
Herbergsmutter antraf, mit der ich den ganzen Nachmittag Sechsundsechzig spielte.
Sie gewann mir nicht nur meine geringe Barschaft ab, sondern -- was ich zu
meiner Schande gestehn muß -- auch das Neue Testament meines Wohltäters aus
Sonderburg. Ich blieb dort drei Tage und zog weiter nach Norburg, von wo
aus ich ein Kommando (Abstecher oder Ausflug) ans die Halbinsel Kekenis unter¬
nahm, wo ich nur einen einzigen Bäcker antraf. Auf der Halbinsel liegen zwei
Dörfer, deren Kaffern sehr gut steckten (schenkten), weil sie wenig besucht wurden.
Als ich mit einem Reisekollegen die Halbinsel wieder verließ, wurde ich von einem
reitenden Teckel gesteppt, der sich dann auch erkundigte, was ich auf Kekeuis ge¬
macht hätte. Ich erklärte ihm, ich hätte dort einen Meister besucht, und so ließ er
mich denn, da ja auch meine Papiere in bester Ordnung waren, meines Weges ziehn.
Wir trieben uns nun noch einige Tage auf Alsen umher und ließen uns dann von
Norburg aus übersetzen.

In Apenrade ging ich zur zweiten Stellung und traf bei dieser Gelegenheit
Landsleute aus Sachsen. Ich wurde zur Feldartillerie überschrieben-- eine Waffe,
zu der ich wenig Neigung hatte. Als die Untersuchung vorüber war, und ich
meine Kleider wieder anziehn wollte, sah ich zufällig, wie einer in den Taschen
meiner Hose herumsuchte. Ich machte mit ihm kurzen Prozeß, schlug ihm ein paar
herunter und überlieferte ihn dem Teckel, der ihn mitnahm.

Ich ließ Koffer, Berliner und Sterz in Apenrade bei dem Meister, wo ich
gearbeitet hatte, und wanderte in vier oder fünf Stunden nach Hadersleben. Als
ich dort angekommen war, merkte ich, daß ich wieder den Barrach hatte, ging des-


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

Als ich nun endlich geheilt war, verließ ich die Stellung bei meinem Meister
und machte, um die vierzehn Tage, die mir bis zu meiner Musterung beim Militär,
die Mitte April stattfinden sollte, zu benutzen, einen Ausflug nach der Insel Alsen.

Auf Alsen besuchte ich zunächst die Stadt Sonderburg und verbrachte dort
einige Tage in der Herberge zur Heimat. Zufällig traf ich hier einen Schul¬
kameraden, der dort als Fleischer in Stellung war und mich öfters mit frischer
Wurst versorgte. Als ich am Strande spazieren ging, bemerkte ich auf dem Wasser
eigentümliche glasartige Tiere von weißer und roter Farbe, die vermutlich Quallen
gewesen sind. Eines Tags machte einer meiner Reisekollegen, der in Sonderburg
Bescheid wußte, deu Vorschlag, einmal in der Kaserne zu „picken" (zu Mittag zu
essen). Natürlich hätte uns der Posten, der vorn am Eingang stand, nicht passieren
lassen, wir gingen deshalb zum Strande hinunter, schlüpften dnrch ein Loch im
Gartenzaun des ziemlich verwilderten Gartens und gingen von dort aus gleich in
die Kasernenküche. Im Garten stand eine Eiche, an deren Stamm ein Schild be¬
festigt war, das die Aufschrift trug: „Hier wurde König Christian der Zweite ge¬
fangen gehalten." In der Kaserne wurden wir zunächst von einem Unteroffizier
angeschnauzt, bekamen aber dann doch noch unser Mittagessen, das aus dicken Erbsen
mit Speck bestand. Am andern Morgen, als ich gerade „auf der Fahrt" war und
in ein Haus gehn wollte, begegnete mir auf der Hausflur ein dunkel gekleideter
Mann, der mich erst scharf ansah und dann in ein großes Zimmer führte, dessen
einziger Schmuck in eingerahmten Bibelsprüchen bestand. Der Mann stellte mit
mir ein Verhör an, wobei er fragte, wo ich eingekehrt sei, ob ich an Jesum Christum
glaubte, ob ich zu beten Pflegte, setzte sich dann, als ich diese Fragen zu seiner Be¬
friedigung beantwortet hatte, an einen Tisch und schrieb einen Zettel, den er mir
samt einem Neuen Testament überreichte. Auf dem Zettel standen die Worte:
„Überbringer ist bis morgen früh auf meine Rechnung zu verpflegen." Mit diesem
Zettel begab ich mich auf die Herberge und hörte dort, daß mein Wohltäter ein
Baptist sei, zu dessen Bekanntschaft mir der Herbergsvater gratulierte. Ich bekam
nun Mittagessen, Kaffee, Vier und Abendbrot, spielte mit dem Herbergsvater Dame,
wohnte der Andacht bei und schlief auf einem Sack, der anstatt Stroh Buchweizcn-
spreu enthielt.

Von Sonderburg reiste ich nach Augustenburg, wo ich eine sehr gemütliche
Herbergsmutter antraf, mit der ich den ganzen Nachmittag Sechsundsechzig spielte.
Sie gewann mir nicht nur meine geringe Barschaft ab, sondern — was ich zu
meiner Schande gestehn muß — auch das Neue Testament meines Wohltäters aus
Sonderburg. Ich blieb dort drei Tage und zog weiter nach Norburg, von wo
aus ich ein Kommando (Abstecher oder Ausflug) ans die Halbinsel Kekenis unter¬
nahm, wo ich nur einen einzigen Bäcker antraf. Auf der Halbinsel liegen zwei
Dörfer, deren Kaffern sehr gut steckten (schenkten), weil sie wenig besucht wurden.
Als ich mit einem Reisekollegen die Halbinsel wieder verließ, wurde ich von einem
reitenden Teckel gesteppt, der sich dann auch erkundigte, was ich auf Kekeuis ge¬
macht hätte. Ich erklärte ihm, ich hätte dort einen Meister besucht, und so ließ er
mich denn, da ja auch meine Papiere in bester Ordnung waren, meines Weges ziehn.
Wir trieben uns nun noch einige Tage auf Alsen umher und ließen uns dann von
Norburg aus übersetzen.

In Apenrade ging ich zur zweiten Stellung und traf bei dieser Gelegenheit
Landsleute aus Sachsen. Ich wurde zur Feldartillerie überschrieben— eine Waffe,
zu der ich wenig Neigung hatte. Als die Untersuchung vorüber war, und ich
meine Kleider wieder anziehn wollte, sah ich zufällig, wie einer in den Taschen
meiner Hose herumsuchte. Ich machte mit ihm kurzen Prozeß, schlug ihm ein paar
herunter und überlieferte ihn dem Teckel, der ihn mitnahm.

Ich ließ Koffer, Berliner und Sterz in Apenrade bei dem Meister, wo ich
gearbeitet hatte, und wanderte in vier oder fünf Stunden nach Hadersleben. Als
ich dort angekommen war, merkte ich, daß ich wieder den Barrach hatte, ging des-


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[0678] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Als ich nun endlich geheilt war, verließ ich die Stellung bei meinem Meister und machte, um die vierzehn Tage, die mir bis zu meiner Musterung beim Militär, die Mitte April stattfinden sollte, zu benutzen, einen Ausflug nach der Insel Alsen. Auf Alsen besuchte ich zunächst die Stadt Sonderburg und verbrachte dort einige Tage in der Herberge zur Heimat. Zufällig traf ich hier einen Schul¬ kameraden, der dort als Fleischer in Stellung war und mich öfters mit frischer Wurst versorgte. Als ich am Strande spazieren ging, bemerkte ich auf dem Wasser eigentümliche glasartige Tiere von weißer und roter Farbe, die vermutlich Quallen gewesen sind. Eines Tags machte einer meiner Reisekollegen, der in Sonderburg Bescheid wußte, deu Vorschlag, einmal in der Kaserne zu „picken" (zu Mittag zu essen). Natürlich hätte uns der Posten, der vorn am Eingang stand, nicht passieren lassen, wir gingen deshalb zum Strande hinunter, schlüpften dnrch ein Loch im Gartenzaun des ziemlich verwilderten Gartens und gingen von dort aus gleich in die Kasernenküche. Im Garten stand eine Eiche, an deren Stamm ein Schild be¬ festigt war, das die Aufschrift trug: „Hier wurde König Christian der Zweite ge¬ fangen gehalten." In der Kaserne wurden wir zunächst von einem Unteroffizier angeschnauzt, bekamen aber dann doch noch unser Mittagessen, das aus dicken Erbsen mit Speck bestand. Am andern Morgen, als ich gerade „auf der Fahrt" war und in ein Haus gehn wollte, begegnete mir auf der Hausflur ein dunkel gekleideter Mann, der mich erst scharf ansah und dann in ein großes Zimmer führte, dessen einziger Schmuck in eingerahmten Bibelsprüchen bestand. Der Mann stellte mit mir ein Verhör an, wobei er fragte, wo ich eingekehrt sei, ob ich an Jesum Christum glaubte, ob ich zu beten Pflegte, setzte sich dann, als ich diese Fragen zu seiner Be¬ friedigung beantwortet hatte, an einen Tisch und schrieb einen Zettel, den er mir samt einem Neuen Testament überreichte. Auf dem Zettel standen die Worte: „Überbringer ist bis morgen früh auf meine Rechnung zu verpflegen." Mit diesem Zettel begab ich mich auf die Herberge und hörte dort, daß mein Wohltäter ein Baptist sei, zu dessen Bekanntschaft mir der Herbergsvater gratulierte. Ich bekam nun Mittagessen, Kaffee, Vier und Abendbrot, spielte mit dem Herbergsvater Dame, wohnte der Andacht bei und schlief auf einem Sack, der anstatt Stroh Buchweizcn- spreu enthielt. Von Sonderburg reiste ich nach Augustenburg, wo ich eine sehr gemütliche Herbergsmutter antraf, mit der ich den ganzen Nachmittag Sechsundsechzig spielte. Sie gewann mir nicht nur meine geringe Barschaft ab, sondern — was ich zu meiner Schande gestehn muß — auch das Neue Testament meines Wohltäters aus Sonderburg. Ich blieb dort drei Tage und zog weiter nach Norburg, von wo aus ich ein Kommando (Abstecher oder Ausflug) ans die Halbinsel Kekenis unter¬ nahm, wo ich nur einen einzigen Bäcker antraf. Auf der Halbinsel liegen zwei Dörfer, deren Kaffern sehr gut steckten (schenkten), weil sie wenig besucht wurden. Als ich mit einem Reisekollegen die Halbinsel wieder verließ, wurde ich von einem reitenden Teckel gesteppt, der sich dann auch erkundigte, was ich auf Kekeuis ge¬ macht hätte. Ich erklärte ihm, ich hätte dort einen Meister besucht, und so ließ er mich denn, da ja auch meine Papiere in bester Ordnung waren, meines Weges ziehn. Wir trieben uns nun noch einige Tage auf Alsen umher und ließen uns dann von Norburg aus übersetzen. In Apenrade ging ich zur zweiten Stellung und traf bei dieser Gelegenheit Landsleute aus Sachsen. Ich wurde zur Feldartillerie überschrieben— eine Waffe, zu der ich wenig Neigung hatte. Als die Untersuchung vorüber war, und ich meine Kleider wieder anziehn wollte, sah ich zufällig, wie einer in den Taschen meiner Hose herumsuchte. Ich machte mit ihm kurzen Prozeß, schlug ihm ein paar herunter und überlieferte ihn dem Teckel, der ihn mitnahm. Ich ließ Koffer, Berliner und Sterz in Apenrade bei dem Meister, wo ich gearbeitet hatte, und wanderte in vier oder fünf Stunden nach Hadersleben. Als ich dort angekommen war, merkte ich, daß ich wieder den Barrach hatte, ging des-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/678>, abgerufen am 29.05.2024.