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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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"Eine englisch-deutsche Verständigung"

geringen Teil durch das Interesse Englands bestimmt, und so wird Japan
auch beim Friede" vielleicht mehr dieses Interesse als das seinige, soweit beide
nicht identisch sind, zu Rate ziehn müssen.

Was nun die Ratschläge anlangt, die Dicey der deutschen Politik für
einen Friedenskongreß gibt, falls ein solcher überhaupt zustande kommen sollte,
so glauben wir kaum, daß Deutschland in der Lage wäre, ihnen Folge zu
leisten. Vor allem hat Deutschland keinen Anlaß, einen Kongreß anzuregen.
Eine Vertretung der Ansprüche Japans von deutscher Seite würde sofort
dem Zweibunde die Festigkeit zurückgeben, die er unter dem Einflüsse des
russisch-japanischen Krieges verloren hat, und es wäre für Deutschland
doch vielleicht ein recht gewagter Versuch, sich von dem Maße von Wohl¬
wollen abhängig zu machen, das jeweilig in der öffentlichen Meinung Gro߬
britanniens für uns vorhanden sein würde. Zu einer Politik, die darauf
hinaufliefe, zu künftigen russischen Kriegen Englands die Landmacht zu stellen,
wird sich kein deutscher Staatsmann hergeben. Der Gedanke klingt sehr ein¬
fach, sehr naheliegend und sehr verführerisch, aber wir haben Rußland kein
Gebiet abzunehmen, um das wir es beneiden könnten. Wir haben eher zu
viel Polen als zu wenig, und die Seemacht Großbritanniens ist für uns kein
ausreichender Helfer in der Lage, in die wir uns durch einen unnötigen Kon¬
flikt mit Rußland begeben würden. Eine Verständigung mit England mit
der Perspektive eines Koalitionskrieges gegen Rußland im Hintergrunde würde
in Deutschland nur bei einigen Parteifanatikern und bei den Sozialdemokrnten
auf Beifall rechnen können. Unsre Verständigung mit England muß auf dem
Grundgedanken der offnen Tür, der Handelsfreiheit in allen dem Handel noch
erschließbaren Gebieten liegen. Diese Verständigung wird wesentlich davon
abhängen, ob England zum Beispiel vorzieht, mit uns hierin in China, in
Marokko Hand in Hand zu gehn, oder eine Superiorität zu beanspruchen,
die unbestritten aufrecht zu erhalten der englische Handel auf die Dauer doch
nicht mehr imstande sein wird. Auch auf diesem Gebiete wachsen die Bäume
nicht in den Himmel. Die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands ist nicht unbe¬
grenzt, schon deshalb nicht, weil der englische Handel durch den größern
Wohlstand und die entwickeltere Schiffahrt seiner Nation getragen wird. Eng¬
land wird also schwerlich sobald in die Lage kommen, hier oder dort zugunsten
Deutschlands abdanken zu müssen, auch wenn die deutsche Konkurrenz noch
so groß und in manchen Fällen siegreich sein sollte. Die deutsch-englische
Verständigung kann somit für absehbare Zeit nur auf den Ideen unbehinderter
Kulturentwicklung, nicht auf denen von Koalitionskriegen und bewaffneter
Entscheidungen beruhen, die völlig außerhalb unsrer Interessen liegen. Deutsch¬
land muß sich bereit halten, solchen Notwendigkeiten mit festem und ent¬
schlossenem Willen gewachsen zu sein, falls sie ihm aufgezwungen werden,
aber wir haben keinen Grund, Bündnisse aufzusuchen, um Entscheidungen her¬
beizuführen, bei denen der etwaige Gewinn doch niemals den Einsatz auf¬
H. I. wiegen könnte.




„Eine englisch-deutsche Verständigung"

geringen Teil durch das Interesse Englands bestimmt, und so wird Japan
auch beim Friede» vielleicht mehr dieses Interesse als das seinige, soweit beide
nicht identisch sind, zu Rate ziehn müssen.

Was nun die Ratschläge anlangt, die Dicey der deutschen Politik für
einen Friedenskongreß gibt, falls ein solcher überhaupt zustande kommen sollte,
so glauben wir kaum, daß Deutschland in der Lage wäre, ihnen Folge zu
leisten. Vor allem hat Deutschland keinen Anlaß, einen Kongreß anzuregen.
Eine Vertretung der Ansprüche Japans von deutscher Seite würde sofort
dem Zweibunde die Festigkeit zurückgeben, die er unter dem Einflüsse des
russisch-japanischen Krieges verloren hat, und es wäre für Deutschland
doch vielleicht ein recht gewagter Versuch, sich von dem Maße von Wohl¬
wollen abhängig zu machen, das jeweilig in der öffentlichen Meinung Gro߬
britanniens für uns vorhanden sein würde. Zu einer Politik, die darauf
hinaufliefe, zu künftigen russischen Kriegen Englands die Landmacht zu stellen,
wird sich kein deutscher Staatsmann hergeben. Der Gedanke klingt sehr ein¬
fach, sehr naheliegend und sehr verführerisch, aber wir haben Rußland kein
Gebiet abzunehmen, um das wir es beneiden könnten. Wir haben eher zu
viel Polen als zu wenig, und die Seemacht Großbritanniens ist für uns kein
ausreichender Helfer in der Lage, in die wir uns durch einen unnötigen Kon¬
flikt mit Rußland begeben würden. Eine Verständigung mit England mit
der Perspektive eines Koalitionskrieges gegen Rußland im Hintergrunde würde
in Deutschland nur bei einigen Parteifanatikern und bei den Sozialdemokrnten
auf Beifall rechnen können. Unsre Verständigung mit England muß auf dem
Grundgedanken der offnen Tür, der Handelsfreiheit in allen dem Handel noch
erschließbaren Gebieten liegen. Diese Verständigung wird wesentlich davon
abhängen, ob England zum Beispiel vorzieht, mit uns hierin in China, in
Marokko Hand in Hand zu gehn, oder eine Superiorität zu beanspruchen,
die unbestritten aufrecht zu erhalten der englische Handel auf die Dauer doch
nicht mehr imstande sein wird. Auch auf diesem Gebiete wachsen die Bäume
nicht in den Himmel. Die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands ist nicht unbe¬
grenzt, schon deshalb nicht, weil der englische Handel durch den größern
Wohlstand und die entwickeltere Schiffahrt seiner Nation getragen wird. Eng¬
land wird also schwerlich sobald in die Lage kommen, hier oder dort zugunsten
Deutschlands abdanken zu müssen, auch wenn die deutsche Konkurrenz noch
so groß und in manchen Fällen siegreich sein sollte. Die deutsch-englische
Verständigung kann somit für absehbare Zeit nur auf den Ideen unbehinderter
Kulturentwicklung, nicht auf denen von Koalitionskriegen und bewaffneter
Entscheidungen beruhen, die völlig außerhalb unsrer Interessen liegen. Deutsch¬
land muß sich bereit halten, solchen Notwendigkeiten mit festem und ent¬
schlossenem Willen gewachsen zu sein, falls sie ihm aufgezwungen werden,
aber wir haben keinen Grund, Bündnisse aufzusuchen, um Entscheidungen her¬
beizuführen, bei denen der etwaige Gewinn doch niemals den Einsatz auf¬
H. I. wiegen könnte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/78>, abgerufen am 19.05.2024.