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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Geschäften und fingen überall Streit ein. Als wir am Abend nach zehn Uhr in
die Wirtschaft "zur Kanone" kamen, fanden wir die eine Seite der Gaststube ganz
mit unsern Bekannten vom Nachmittag besetzt. Sie verhielten sich anfangs ruhig,
als wir aber auf der andern Seite der Stube Platz nahmen, fingen die Sticheleien
an, was uns nach einem vergeblichen Protest veranlaßte, das Lokal zu verlassen
und uns zu unsern Geschäften zu begeben, wo wir schon Gegenstände bereitliegen
hatten, die sich als Waffen gebrauchen ließen. Ich hatte mich mit einem Schrauben¬
schlüssel versehen, während die Andern Wagenscheite und Lattenstücke zur Hemd
nahmen. Nach einer Weile erschienen auch die Sackträger auf dem Platze, gingen
bei unserm Dampfkarussell vorüber und begannen bei dem Weißerschen Karussell
das Zumachetuch mit Messern zu zerschlitzen. Plötzlich ertönte ein Pfiff, und auf
dieses Signal fielen alle, Prinzipale und Angestellte, bis an die Zähne bewaffnet
über die Sackträger her und prügelten sie so gewaltig, daß einige auf dem Platze
liegen blieben. Als die Schlacht am heftigsten tobte, blitzten Helinspitzen auf, und
eine Anzahl Schutzleute erschien auf dem Platze. Wir hielten es für das Geratenste,
in das Loch an der Seite des Platzes hinunterzurennen, wo wir in der Dunkelheit
Deckung fanden, während die Hüter der öffentlichen Ordnung alles, was sie auf
dem Platze antrafen, arretierten und zur Wache brachte". Am andern Tage, als
ich gerade beim Putzen der Messingstangen war, erschien wieder der Photograph
rin dem Schutzmann, und dieser erkundigte sich in höchst gemütlicher Weise nach
dem Verlauf des gestrigen Abenteuers. Wir gingen dann zusammen in die Kanone
und feierten den Sieg mit einem Schoppen Wein, wobei uus der Schutzmann er¬
zählte, daß einige der Sackträger in das Krankenhaus geschafft worden seien. Von
da an verhielten sich die Mannheimer Sackträger ruhig, und auch in spätern Zeiten
ist es nie wieder zu einer Störung der Messe gekommen.

Von Mannheim fuhren wir mit der Bahn nach Heidelberg. Die dortige
Messe wurde auf dem Jubiläumsplatz am Neckar abgehalten. Zu unsern Fahr¬
gästen um Dampfkarussell gehörte auch eine lustige Studentengesellschaft, die uns
Angestellte auf den Abend zu einer Kneiperei einlud. Wir gingen auch hin und
kamen dort in eine so gehobne Stimmung, daß wir in der Nacht auf dem Nach¬
hausewege laut sangen. Als wir einen Schutzmann hinter uns bemerkten, liefen
wir, was wir konnten, und verschwanden in unsern Wagen, bis auf einen, den
der Schutzmann erwischt und mit nach der Wache genommen hatte, wo er bis zum
andern Morgen festgehalten wurde, und wo man ihm 5 Mark Strafe abnahm.

Über Neustadt an der Hardt und Landau ging es nach Kaiserslautern zum
Markt. Zscharrer, der früher eine kleine Menagerie gehabt hatte, zeigte hier in
einem Stabuff das "Meerweib, halb Fisch, halb Mensch," und den lebenden,
sprechenden Kopf. Das Meerweib war ein Mädchen, das auf einer tischartigen
Bühne so lag, daß man nur den Oberkörper sehen konnte, während der Rücken in
einen langen Fischschwanz auslief. Da der Tisch nicht kastenartig war, sondern
nur aus einer Platte bestand, unter der man hindurch sehen konnte, so legte sich
jeder Beschauer die Frage vor, wo der Unterkörper und die Beine der Dame seien,
zu deren Aufnahme der Fischschwanz zu schmal war. Ich vermute, daß die ganze
Illusion durch einen unter dem Tisch befestigten Spiegel hervorgerufen wurde.

Bei Zscharrer war ein jüdischer Rekommandeur namens Moses, der jeden Tag
8 bis 12 Mark verdiente. Aber Moses war ein leidenschaftlicher Hasardspieler
und verlor, wenn er Abends mit seinem Prinzipal, dem Schaukelbesitzer Sening,
und einigen Andern in der Wirtschaft saß und "sockte" (spielte), regelmäßig seine
ganze Tageseinnahme. An einem Abend hatte er besondres Unglück und verlor
seine ganze Barschaft. Er zog sich auf eine Viertelstunde zurück und kehrte mit
6 Mark wieder, die er sich mit "Neppen" verdient hatte. Zu diesem Zwecke führte
er immer ein ganzes Paket wertloser Ketten und Ringe mit sich, die er einzeln
unter dem Vorwande, sie seien von echtem Gold, und er sei augenblicklich in Geld¬
verlegenheit, an den Mann zu bringen verstand. Nachdem auch diese 6 Mark


Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren

Geschäften und fingen überall Streit ein. Als wir am Abend nach zehn Uhr in
die Wirtschaft „zur Kanone" kamen, fanden wir die eine Seite der Gaststube ganz
mit unsern Bekannten vom Nachmittag besetzt. Sie verhielten sich anfangs ruhig,
als wir aber auf der andern Seite der Stube Platz nahmen, fingen die Sticheleien
an, was uns nach einem vergeblichen Protest veranlaßte, das Lokal zu verlassen
und uns zu unsern Geschäften zu begeben, wo wir schon Gegenstände bereitliegen
hatten, die sich als Waffen gebrauchen ließen. Ich hatte mich mit einem Schrauben¬
schlüssel versehen, während die Andern Wagenscheite und Lattenstücke zur Hemd
nahmen. Nach einer Weile erschienen auch die Sackträger auf dem Platze, gingen
bei unserm Dampfkarussell vorüber und begannen bei dem Weißerschen Karussell
das Zumachetuch mit Messern zu zerschlitzen. Plötzlich ertönte ein Pfiff, und auf
dieses Signal fielen alle, Prinzipale und Angestellte, bis an die Zähne bewaffnet
über die Sackträger her und prügelten sie so gewaltig, daß einige auf dem Platze
liegen blieben. Als die Schlacht am heftigsten tobte, blitzten Helinspitzen auf, und
eine Anzahl Schutzleute erschien auf dem Platze. Wir hielten es für das Geratenste,
in das Loch an der Seite des Platzes hinunterzurennen, wo wir in der Dunkelheit
Deckung fanden, während die Hüter der öffentlichen Ordnung alles, was sie auf
dem Platze antrafen, arretierten und zur Wache brachte». Am andern Tage, als
ich gerade beim Putzen der Messingstangen war, erschien wieder der Photograph
rin dem Schutzmann, und dieser erkundigte sich in höchst gemütlicher Weise nach
dem Verlauf des gestrigen Abenteuers. Wir gingen dann zusammen in die Kanone
und feierten den Sieg mit einem Schoppen Wein, wobei uus der Schutzmann er¬
zählte, daß einige der Sackträger in das Krankenhaus geschafft worden seien. Von
da an verhielten sich die Mannheimer Sackträger ruhig, und auch in spätern Zeiten
ist es nie wieder zu einer Störung der Messe gekommen.

Von Mannheim fuhren wir mit der Bahn nach Heidelberg. Die dortige
Messe wurde auf dem Jubiläumsplatz am Neckar abgehalten. Zu unsern Fahr¬
gästen um Dampfkarussell gehörte auch eine lustige Studentengesellschaft, die uns
Angestellte auf den Abend zu einer Kneiperei einlud. Wir gingen auch hin und
kamen dort in eine so gehobne Stimmung, daß wir in der Nacht auf dem Nach¬
hausewege laut sangen. Als wir einen Schutzmann hinter uns bemerkten, liefen
wir, was wir konnten, und verschwanden in unsern Wagen, bis auf einen, den
der Schutzmann erwischt und mit nach der Wache genommen hatte, wo er bis zum
andern Morgen festgehalten wurde, und wo man ihm 5 Mark Strafe abnahm.

Über Neustadt an der Hardt und Landau ging es nach Kaiserslautern zum
Markt. Zscharrer, der früher eine kleine Menagerie gehabt hatte, zeigte hier in
einem Stabuff das „Meerweib, halb Fisch, halb Mensch," und den lebenden,
sprechenden Kopf. Das Meerweib war ein Mädchen, das auf einer tischartigen
Bühne so lag, daß man nur den Oberkörper sehen konnte, während der Rücken in
einen langen Fischschwanz auslief. Da der Tisch nicht kastenartig war, sondern
nur aus einer Platte bestand, unter der man hindurch sehen konnte, so legte sich
jeder Beschauer die Frage vor, wo der Unterkörper und die Beine der Dame seien,
zu deren Aufnahme der Fischschwanz zu schmal war. Ich vermute, daß die ganze
Illusion durch einen unter dem Tisch befestigten Spiegel hervorgerufen wurde.

Bei Zscharrer war ein jüdischer Rekommandeur namens Moses, der jeden Tag
8 bis 12 Mark verdiente. Aber Moses war ein leidenschaftlicher Hasardspieler
und verlor, wenn er Abends mit seinem Prinzipal, dem Schaukelbesitzer Sening,
und einigen Andern in der Wirtschaft saß und „sockte" (spielte), regelmäßig seine
ganze Tageseinnahme. An einem Abend hatte er besondres Unglück und verlor
seine ganze Barschaft. Er zog sich auf eine Viertelstunde zurück und kehrte mit
6 Mark wieder, die er sich mit „Neppen" verdient hatte. Zu diesem Zwecke führte
er immer ein ganzes Paket wertloser Ketten und Ringe mit sich, die er einzeln
unter dem Vorwande, sie seien von echtem Gold, und er sei augenblicklich in Geld¬
verlegenheit, an den Mann zu bringen verstand. Nachdem auch diese 6 Mark


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[0492] Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Geschäften und fingen überall Streit ein. Als wir am Abend nach zehn Uhr in die Wirtschaft „zur Kanone" kamen, fanden wir die eine Seite der Gaststube ganz mit unsern Bekannten vom Nachmittag besetzt. Sie verhielten sich anfangs ruhig, als wir aber auf der andern Seite der Stube Platz nahmen, fingen die Sticheleien an, was uns nach einem vergeblichen Protest veranlaßte, das Lokal zu verlassen und uns zu unsern Geschäften zu begeben, wo wir schon Gegenstände bereitliegen hatten, die sich als Waffen gebrauchen ließen. Ich hatte mich mit einem Schrauben¬ schlüssel versehen, während die Andern Wagenscheite und Lattenstücke zur Hemd nahmen. Nach einer Weile erschienen auch die Sackträger auf dem Platze, gingen bei unserm Dampfkarussell vorüber und begannen bei dem Weißerschen Karussell das Zumachetuch mit Messern zu zerschlitzen. Plötzlich ertönte ein Pfiff, und auf dieses Signal fielen alle, Prinzipale und Angestellte, bis an die Zähne bewaffnet über die Sackträger her und prügelten sie so gewaltig, daß einige auf dem Platze liegen blieben. Als die Schlacht am heftigsten tobte, blitzten Helinspitzen auf, und eine Anzahl Schutzleute erschien auf dem Platze. Wir hielten es für das Geratenste, in das Loch an der Seite des Platzes hinunterzurennen, wo wir in der Dunkelheit Deckung fanden, während die Hüter der öffentlichen Ordnung alles, was sie auf dem Platze antrafen, arretierten und zur Wache brachte». Am andern Tage, als ich gerade beim Putzen der Messingstangen war, erschien wieder der Photograph rin dem Schutzmann, und dieser erkundigte sich in höchst gemütlicher Weise nach dem Verlauf des gestrigen Abenteuers. Wir gingen dann zusammen in die Kanone und feierten den Sieg mit einem Schoppen Wein, wobei uus der Schutzmann er¬ zählte, daß einige der Sackträger in das Krankenhaus geschafft worden seien. Von da an verhielten sich die Mannheimer Sackträger ruhig, und auch in spätern Zeiten ist es nie wieder zu einer Störung der Messe gekommen. Von Mannheim fuhren wir mit der Bahn nach Heidelberg. Die dortige Messe wurde auf dem Jubiläumsplatz am Neckar abgehalten. Zu unsern Fahr¬ gästen um Dampfkarussell gehörte auch eine lustige Studentengesellschaft, die uns Angestellte auf den Abend zu einer Kneiperei einlud. Wir gingen auch hin und kamen dort in eine so gehobne Stimmung, daß wir in der Nacht auf dem Nach¬ hausewege laut sangen. Als wir einen Schutzmann hinter uns bemerkten, liefen wir, was wir konnten, und verschwanden in unsern Wagen, bis auf einen, den der Schutzmann erwischt und mit nach der Wache genommen hatte, wo er bis zum andern Morgen festgehalten wurde, und wo man ihm 5 Mark Strafe abnahm. Über Neustadt an der Hardt und Landau ging es nach Kaiserslautern zum Markt. Zscharrer, der früher eine kleine Menagerie gehabt hatte, zeigte hier in einem Stabuff das „Meerweib, halb Fisch, halb Mensch," und den lebenden, sprechenden Kopf. Das Meerweib war ein Mädchen, das auf einer tischartigen Bühne so lag, daß man nur den Oberkörper sehen konnte, während der Rücken in einen langen Fischschwanz auslief. Da der Tisch nicht kastenartig war, sondern nur aus einer Platte bestand, unter der man hindurch sehen konnte, so legte sich jeder Beschauer die Frage vor, wo der Unterkörper und die Beine der Dame seien, zu deren Aufnahme der Fischschwanz zu schmal war. Ich vermute, daß die ganze Illusion durch einen unter dem Tisch befestigten Spiegel hervorgerufen wurde. Bei Zscharrer war ein jüdischer Rekommandeur namens Moses, der jeden Tag 8 bis 12 Mark verdiente. Aber Moses war ein leidenschaftlicher Hasardspieler und verlor, wenn er Abends mit seinem Prinzipal, dem Schaukelbesitzer Sening, und einigen Andern in der Wirtschaft saß und „sockte" (spielte), regelmäßig seine ganze Tageseinnahme. An einem Abend hatte er besondres Unglück und verlor seine ganze Barschaft. Er zog sich auf eine Viertelstunde zurück und kehrte mit 6 Mark wieder, die er sich mit „Neppen" verdient hatte. Zu diesem Zwecke führte er immer ein ganzes Paket wertloser Ketten und Ringe mit sich, die er einzeln unter dem Vorwande, sie seien von echtem Gold, und er sei augenblicklich in Geld¬ verlegenheit, an den Mann zu bringen verstand. Nachdem auch diese 6 Mark

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/492>, abgerufen am 20.05.2024.