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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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sich solche slawische Fischerdörfer dus ganze Mittelalter hindurch erhalten: es sind
die eigentümlichen Reihen kleiner Hänser vor den Stadttoren, die in den Urkunden
"uf dem Kysse" oder "auf der Kietze" fM-in slawisch Fischerhütte) genannt
werden, Meißen zum Beispiel hat ihrer zwei: die stromabwärts vor dem Wasser¬
tore liegende Fischergasse, noch jetzt eine selbständige Gemeinde, die aber längst ein
Fabrikvorort geworden ist, und die noch heute von den Meißner Fischern bewohnte
Zeile der stromaufwärts vor der Stadt liegenden "Fischerhäuser." Übrigens hat
der vermehrte Anbau zwischen Meißen, Dresden und Pirna kaum ein Andenken
an die alten Zeiten übrig gelassen, wo noch der eintönige Gesang der "Bomätscher"
den steinigen Leinpfad belebte, und wo der Fischfang zu den wichtigste" Neben¬
berufen gehörte; nur die zwei oder drei schwarz geleerten Holzhäuser auf dem Werber
am Rehbock, die die Meißner Fischer zur Zeit des Lachsfnngs (Februar bis Juni)
bewohnen, wirken, namentlich wenn die "Ahne" vor der mit einem Kienspan er¬
leuchteten Hütte Netze flickt, wie eine Erinnerung ans der Urzeit. Dagegen sind
von Pirna stromaufwärts bis zu den Felsriegeln von Herrnskretschen und von
Meißen abwärts bis zur Landesgrenze die alten Verhältnisse noch recht wohl er¬
kennbar, oder sie leben wenigstens noch in der Erinnerung der Anwohner. Die
Zustände der obern Schifferorte Rathen, Westen und andrer, namentlich während der
mit altgermanischer Bärenhäuterei und Traumseligkeit genossenen Weihnnchtstage
und der "Zwvlfnächte," hat vor wenig Jahren Georg Stellanus in seiner reizenden
Novelle "Die Zwölf Nächte" (Grenzboten 1903, IV) mit behaglicher Breite und leiser
Ironie geschildert. Wir wollen diesesmal den weit weniger bekannten, abwärts
von Meißen liegenden Elbdörfern einen Besuch abstatten, der für Kulturgeschichte
und für Volkskunde hoffentlich einigen Ertrag abwirft.

Die Gestaltung der Ufer abwärts von Meißen ist zunächst so, daß sie die
Ansiedlung von Dörfern kaum erlaubt; nur einzelne Häuser und kleinere Hciuser-
gruppeu haben auf dem schmalen Saum zwischen dem Strom und den dicht an ihn
herantretenden Granitfelsen Platz gefunden. Diese Felsen erscheinen durch tief
hineingetriebne Steinbrüche wie aufgeschlitzt; aus ihnen werden zahllose Schiffs¬
ladungen Kassierter Pflastersteine, aber auch "Klarschlag" in die steinkrmern Gegenden
Norddeutschlands verfrachtet. Fast der ganze Steinuntergrund des Nordostseekanals
ist hier gebrochen worden.

Das erste typische Elbdorf des linken Ufers ist Niedermuschütz, es folgen Nieder-
lommatzsch und Neuhirschflein. Ihre Häuser liegen unter dem Schutze des wie ein
Schiff gestalteten uralten Felsenschlosses Hirschstein fast versteckt hinter hochgewachsnem
silbergrünem Weidengebüsch; nur hier und da grüßt el" im Rvsengärtlein errichteter
Flaggenmast den Vvrüberfahrenden; der Schiffer liebt ihn auch in den Zeiten der
Rast als Erinnerung an seinen von ihm selbst hochgeschätzten Beruf, gerade wie
er auf sein Schiff die Lieblingsblumen des heimischen Gartens, Nelken und Levkojen,
in einen viereckigen, sauber umzäunten hölzernen Trog verpflanzt, mitnimmt. Auf
dein rechten Ufer ist das zu Füßen des hochliegenden Bauerndorfes Zadel lang¬
hingestreckte Kleinzadel, vou Steiubrucharbeiteru und von Schiffern bewohnt,
das erste echte Elbdorf. Es folgen das liebliche Diesbar und Seußlitz. Beide
gehörten einst zum Besitze des reichen Klarissinnenklosters Senßlitz, dus nach seiner
Auflösung (1541) in den Besitz der durch ihre Rechtsgelehrten und Staatsmänner
bekannten Familie von Pistoris, später der Bünaus überging. Von dem Kloster
ist außer den Grüften und Grabsteinen nnter der Kirche nichts mehr übrig, aber
noch immer feiert das Volk den in die Zeit der Rosenblüte fallenden "Marien¬
tag" mit Musik und fröhlichen Schmäusen auf dem grünen Plan hinter dem
Gasthofe, uoch immer öffnen sich an diesem Tage den Besuchern die Pforten des
schönen Schloßparkes, des ehemaligen Klostergartens. Auch eine dunkle Sage vou
einem großen Schatze, den die Nonnen vor ihrem Auszug aus Seußlitz vergraben
hätten, lebt noch in den Elbdörfern. Sie scheint bis in das sechzehnte Jahrhundert
zurückzugehn und findet sich in einer wohl von dem Dresdner Geschichtsforscher


sich solche slawische Fischerdörfer dus ganze Mittelalter hindurch erhalten: es sind
die eigentümlichen Reihen kleiner Hänser vor den Stadttoren, die in den Urkunden
„uf dem Kysse" oder „auf der Kietze" fM-in slawisch Fischerhütte) genannt
werden, Meißen zum Beispiel hat ihrer zwei: die stromabwärts vor dem Wasser¬
tore liegende Fischergasse, noch jetzt eine selbständige Gemeinde, die aber längst ein
Fabrikvorort geworden ist, und die noch heute von den Meißner Fischern bewohnte
Zeile der stromaufwärts vor der Stadt liegenden „Fischerhäuser." Übrigens hat
der vermehrte Anbau zwischen Meißen, Dresden und Pirna kaum ein Andenken
an die alten Zeiten übrig gelassen, wo noch der eintönige Gesang der „Bomätscher"
den steinigen Leinpfad belebte, und wo der Fischfang zu den wichtigste» Neben¬
berufen gehörte; nur die zwei oder drei schwarz geleerten Holzhäuser auf dem Werber
am Rehbock, die die Meißner Fischer zur Zeit des Lachsfnngs (Februar bis Juni)
bewohnen, wirken, namentlich wenn die „Ahne" vor der mit einem Kienspan er¬
leuchteten Hütte Netze flickt, wie eine Erinnerung ans der Urzeit. Dagegen sind
von Pirna stromaufwärts bis zu den Felsriegeln von Herrnskretschen und von
Meißen abwärts bis zur Landesgrenze die alten Verhältnisse noch recht wohl er¬
kennbar, oder sie leben wenigstens noch in der Erinnerung der Anwohner. Die
Zustände der obern Schifferorte Rathen, Westen und andrer, namentlich während der
mit altgermanischer Bärenhäuterei und Traumseligkeit genossenen Weihnnchtstage
und der „Zwvlfnächte," hat vor wenig Jahren Georg Stellanus in seiner reizenden
Novelle „Die Zwölf Nächte" (Grenzboten 1903, IV) mit behaglicher Breite und leiser
Ironie geschildert. Wir wollen diesesmal den weit weniger bekannten, abwärts
von Meißen liegenden Elbdörfern einen Besuch abstatten, der für Kulturgeschichte
und für Volkskunde hoffentlich einigen Ertrag abwirft.

Die Gestaltung der Ufer abwärts von Meißen ist zunächst so, daß sie die
Ansiedlung von Dörfern kaum erlaubt; nur einzelne Häuser und kleinere Hciuser-
gruppeu haben auf dem schmalen Saum zwischen dem Strom und den dicht an ihn
herantretenden Granitfelsen Platz gefunden. Diese Felsen erscheinen durch tief
hineingetriebne Steinbrüche wie aufgeschlitzt; aus ihnen werden zahllose Schiffs¬
ladungen Kassierter Pflastersteine, aber auch „Klarschlag" in die steinkrmern Gegenden
Norddeutschlands verfrachtet. Fast der ganze Steinuntergrund des Nordostseekanals
ist hier gebrochen worden.

Das erste typische Elbdorf des linken Ufers ist Niedermuschütz, es folgen Nieder-
lommatzsch und Neuhirschflein. Ihre Häuser liegen unter dem Schutze des wie ein
Schiff gestalteten uralten Felsenschlosses Hirschstein fast versteckt hinter hochgewachsnem
silbergrünem Weidengebüsch; nur hier und da grüßt el» im Rvsengärtlein errichteter
Flaggenmast den Vvrüberfahrenden; der Schiffer liebt ihn auch in den Zeiten der
Rast als Erinnerung an seinen von ihm selbst hochgeschätzten Beruf, gerade wie
er auf sein Schiff die Lieblingsblumen des heimischen Gartens, Nelken und Levkojen,
in einen viereckigen, sauber umzäunten hölzernen Trog verpflanzt, mitnimmt. Auf
dein rechten Ufer ist das zu Füßen des hochliegenden Bauerndorfes Zadel lang¬
hingestreckte Kleinzadel, vou Steiubrucharbeiteru und von Schiffern bewohnt,
das erste echte Elbdorf. Es folgen das liebliche Diesbar und Seußlitz. Beide
gehörten einst zum Besitze des reichen Klarissinnenklosters Senßlitz, dus nach seiner
Auflösung (1541) in den Besitz der durch ihre Rechtsgelehrten und Staatsmänner
bekannten Familie von Pistoris, später der Bünaus überging. Von dem Kloster
ist außer den Grüften und Grabsteinen nnter der Kirche nichts mehr übrig, aber
noch immer feiert das Volk den in die Zeit der Rosenblüte fallenden „Marien¬
tag" mit Musik und fröhlichen Schmäusen auf dem grünen Plan hinter dem
Gasthofe, uoch immer öffnen sich an diesem Tage den Besuchern die Pforten des
schönen Schloßparkes, des ehemaligen Klostergartens. Auch eine dunkle Sage vou
einem großen Schatze, den die Nonnen vor ihrem Auszug aus Seußlitz vergraben
hätten, lebt noch in den Elbdörfern. Sie scheint bis in das sechzehnte Jahrhundert
zurückzugehn und findet sich in einer wohl von dem Dresdner Geschichtsforscher


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[0045] sich solche slawische Fischerdörfer dus ganze Mittelalter hindurch erhalten: es sind die eigentümlichen Reihen kleiner Hänser vor den Stadttoren, die in den Urkunden „uf dem Kysse" oder „auf der Kietze" fM-in slawisch Fischerhütte) genannt werden, Meißen zum Beispiel hat ihrer zwei: die stromabwärts vor dem Wasser¬ tore liegende Fischergasse, noch jetzt eine selbständige Gemeinde, die aber längst ein Fabrikvorort geworden ist, und die noch heute von den Meißner Fischern bewohnte Zeile der stromaufwärts vor der Stadt liegenden „Fischerhäuser." Übrigens hat der vermehrte Anbau zwischen Meißen, Dresden und Pirna kaum ein Andenken an die alten Zeiten übrig gelassen, wo noch der eintönige Gesang der „Bomätscher" den steinigen Leinpfad belebte, und wo der Fischfang zu den wichtigste» Neben¬ berufen gehörte; nur die zwei oder drei schwarz geleerten Holzhäuser auf dem Werber am Rehbock, die die Meißner Fischer zur Zeit des Lachsfnngs (Februar bis Juni) bewohnen, wirken, namentlich wenn die „Ahne" vor der mit einem Kienspan er¬ leuchteten Hütte Netze flickt, wie eine Erinnerung ans der Urzeit. Dagegen sind von Pirna stromaufwärts bis zu den Felsriegeln von Herrnskretschen und von Meißen abwärts bis zur Landesgrenze die alten Verhältnisse noch recht wohl er¬ kennbar, oder sie leben wenigstens noch in der Erinnerung der Anwohner. Die Zustände der obern Schifferorte Rathen, Westen und andrer, namentlich während der mit altgermanischer Bärenhäuterei und Traumseligkeit genossenen Weihnnchtstage und der „Zwvlfnächte," hat vor wenig Jahren Georg Stellanus in seiner reizenden Novelle „Die Zwölf Nächte" (Grenzboten 1903, IV) mit behaglicher Breite und leiser Ironie geschildert. Wir wollen diesesmal den weit weniger bekannten, abwärts von Meißen liegenden Elbdörfern einen Besuch abstatten, der für Kulturgeschichte und für Volkskunde hoffentlich einigen Ertrag abwirft. Die Gestaltung der Ufer abwärts von Meißen ist zunächst so, daß sie die Ansiedlung von Dörfern kaum erlaubt; nur einzelne Häuser und kleinere Hciuser- gruppeu haben auf dem schmalen Saum zwischen dem Strom und den dicht an ihn herantretenden Granitfelsen Platz gefunden. Diese Felsen erscheinen durch tief hineingetriebne Steinbrüche wie aufgeschlitzt; aus ihnen werden zahllose Schiffs¬ ladungen Kassierter Pflastersteine, aber auch „Klarschlag" in die steinkrmern Gegenden Norddeutschlands verfrachtet. Fast der ganze Steinuntergrund des Nordostseekanals ist hier gebrochen worden. Das erste typische Elbdorf des linken Ufers ist Niedermuschütz, es folgen Nieder- lommatzsch und Neuhirschflein. Ihre Häuser liegen unter dem Schutze des wie ein Schiff gestalteten uralten Felsenschlosses Hirschstein fast versteckt hinter hochgewachsnem silbergrünem Weidengebüsch; nur hier und da grüßt el» im Rvsengärtlein errichteter Flaggenmast den Vvrüberfahrenden; der Schiffer liebt ihn auch in den Zeiten der Rast als Erinnerung an seinen von ihm selbst hochgeschätzten Beruf, gerade wie er auf sein Schiff die Lieblingsblumen des heimischen Gartens, Nelken und Levkojen, in einen viereckigen, sauber umzäunten hölzernen Trog verpflanzt, mitnimmt. Auf dein rechten Ufer ist das zu Füßen des hochliegenden Bauerndorfes Zadel lang¬ hingestreckte Kleinzadel, vou Steiubrucharbeiteru und von Schiffern bewohnt, das erste echte Elbdorf. Es folgen das liebliche Diesbar und Seußlitz. Beide gehörten einst zum Besitze des reichen Klarissinnenklosters Senßlitz, dus nach seiner Auflösung (1541) in den Besitz der durch ihre Rechtsgelehrten und Staatsmänner bekannten Familie von Pistoris, später der Bünaus überging. Von dem Kloster ist außer den Grüften und Grabsteinen nnter der Kirche nichts mehr übrig, aber noch immer feiert das Volk den in die Zeit der Rosenblüte fallenden „Marien¬ tag" mit Musik und fröhlichen Schmäusen auf dem grünen Plan hinter dem Gasthofe, uoch immer öffnen sich an diesem Tage den Besuchern die Pforten des schönen Schloßparkes, des ehemaligen Klostergartens. Auch eine dunkle Sage vou einem großen Schatze, den die Nonnen vor ihrem Auszug aus Seußlitz vergraben hätten, lebt noch in den Elbdörfern. Sie scheint bis in das sechzehnte Jahrhundert zurückzugehn und findet sich in einer wohl von dem Dresdner Geschichtsforscher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/45>, abgerufen am 19.05.2024.