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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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nach Mailand gegangen sein, so wären in denselben Blattern wahrscheinlich allerlei
zarte Andentungen über die Reiselust und das Allgegenwartsbedürfnis Kaiser
Wilhelms zu lesen gewesen. Man hat sich bet uns leider viel zu sehr daran ge¬
wöhnt, das Tun und Lassen König Eduards fortwährend von dem Standpunkt
aus zu beobachten und zu beurteilen, daß der König andauernd nur von dem Ge¬
danken erfüllt sei, seinem kaiserlichen Neffen und dem Deutschen Reiche irgendeine"
Schabernack zu spielen. Sehr großmachtswürdig ist das von uns Deutschen gerade
nicht, auch uicht danach angetan, den Engländern und ihrem Könige großen Respekt
vor uns beizubringen. Es liegt dem eine gewisse Eifersucht mit einem Beigeschmack
von Furcht zugrunde, die wir lieber nicht zeigen sollten. Es macht das nach außen
hin keinen guten Eindruck, nötigt den andern Kabinetten sowie der fremden Presse
ein Lächeln, wenn nicht mehr, ab und zeigt, daß wir uns von dem stolzen Worte:
"Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!" innerlich mehr und
mehr entfernen. Die Beobachtung der Bewegungen fremder Herrscher mag für die
Diplomatie eine notwendige und nützliche Beschäftigung sein und gehört in das
Gebiet ihrer Berichterstattung. Die Presse sollte sich daran mit mehr Vorsicht be¬
teiligen. Ob König Eduard uach Mailand, Paris oder Petersburg geht, braucht uns
wirklich nicht aufzuregen. Der jetzige Herrscher Großbritanniens ist von jeher viel
und weit gereist, er ist daran gewöhnt, und wenn er es vermeidet, nach Deutschland
zu kommen und Berlin aufzusuchen, so müssen wir uns darüber trösten. Nach der
Behandlung, die der König in deutschen Blättern, zumal in der deutschen Witzpresse
gefunden hat und noch findet, kann man es ihm zum mindesten nicht verdenken,
daß er keine übermäßige Sehnsucht nach Deutschland empfindet. Er ist außerdem
bekanntlich kein Freund militärischen Gepränges, das seiner hier unvermeidlich warten
würde. Aber eine wirkliche Abneigung gegen die Heimat seines Vaters und gegen
das Land, dessen Krone seine Schwester getragen hat, hegt er nicht. Seine Erziehung
hatte einen starken Einschlag deutschen Elements und deutschen Wesens, er spricht
und schreibt auch gut Deutsch. Es ist deshalb eigentlich kein Grund zu der An¬
nahme vorhanden, daß sich der König auf feine alten Tage so umgewandelt haben
sollte, das 6frug.niÄM esss ciolönctaw zu seinem Morgen- und Abendgebet zu machen.
Er hat als Thronfolger Wohl auf dem Standpunkt gestanden, daß der deutsche Besitz
von Elsaß-Lothringen eine dauernde Kriegsgefahr bedeute, weil er die französische
Revanchepolitik begründe, die Europa fortdauernd in Unruhe versetze. Seitdem
ist aber ein Jahrzehnt nach dem andern verflossen und der nunmehrige König
wird sich hoffentlich wohl überzeugt haben, daß der französischen Revanchepolitik tat¬
sächlich mehr die völlig unberechtigte Befürchtung eines deutschen Angriffs zu¬
grunde liegt, und daß sich die französischen Republikaner dabei noch mehr vor ihren
Generalen als vor den Deutschen fürchten. Denn ob Sieg, ob Niederlage -- die
republikanische Staatsidee würde wahrscheinlich der Einsatz des hohen Spieles sein.
Deshalb auch das ängstliche Bestreben, Frankreich durch "Allianzen und Freund¬
schaften" unangreifbar zu machen und durch diese blendende Tatsache zugleich den
republikanischen Gedanken -- auch einem siegreichen General gegenüber -- in der
Nation zu festigen. Diese durchaus defensive, im Notfalle aber für England ver¬
fügbare Republik mag die volle Sympathie des Königs haben, der doch aber
wiederum klug genug ist, sich zu sagen, daß ein gegen Deutschland siegreiches Frank¬
reich für England sehr bald ein recht lästiger Freund werden könnte. Ans alle
Fälle wird ein Frankreich, das bei England Schutz und Hilfe sucht, ihm erwünschter
sein als ein solches, das der englischen Hilfe entraten zu können glaubt. Da nun
jedes deutsch-französische Einvernehmen sehr leicht eine Spitze gegen England er¬
halten könnte, so ist es begreiflich, daß sich ein solches Einvernehmen bisher immer
als unmöglich erwiesen hat. Französische Ministerien, die dazu geneigt waren, sind
immer sehr schnell beseitigt worden, und die Nachfolger haben dann England jeder¬
zeit sehr genau von dem deutscherseits etwa betätigten Entgegenkommen unterrichtet.

Je mehr Wichtigkeit Afrika für England gewinnt, desto mehr muß ihm daran
liegen, mit Frankreich auf gutem Fuße zu bleiben. Dieses System hat auf die Dauer


Grenzvoten II 1906 36
Maßgebliches mit Unmaßgebliches

nach Mailand gegangen sein, so wären in denselben Blattern wahrscheinlich allerlei
zarte Andentungen über die Reiselust und das Allgegenwartsbedürfnis Kaiser
Wilhelms zu lesen gewesen. Man hat sich bet uns leider viel zu sehr daran ge¬
wöhnt, das Tun und Lassen König Eduards fortwährend von dem Standpunkt
aus zu beobachten und zu beurteilen, daß der König andauernd nur von dem Ge¬
danken erfüllt sei, seinem kaiserlichen Neffen und dem Deutschen Reiche irgendeine»
Schabernack zu spielen. Sehr großmachtswürdig ist das von uns Deutschen gerade
nicht, auch uicht danach angetan, den Engländern und ihrem Könige großen Respekt
vor uns beizubringen. Es liegt dem eine gewisse Eifersucht mit einem Beigeschmack
von Furcht zugrunde, die wir lieber nicht zeigen sollten. Es macht das nach außen
hin keinen guten Eindruck, nötigt den andern Kabinetten sowie der fremden Presse
ein Lächeln, wenn nicht mehr, ab und zeigt, daß wir uns von dem stolzen Worte:
„Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!" innerlich mehr und
mehr entfernen. Die Beobachtung der Bewegungen fremder Herrscher mag für die
Diplomatie eine notwendige und nützliche Beschäftigung sein und gehört in das
Gebiet ihrer Berichterstattung. Die Presse sollte sich daran mit mehr Vorsicht be¬
teiligen. Ob König Eduard uach Mailand, Paris oder Petersburg geht, braucht uns
wirklich nicht aufzuregen. Der jetzige Herrscher Großbritanniens ist von jeher viel
und weit gereist, er ist daran gewöhnt, und wenn er es vermeidet, nach Deutschland
zu kommen und Berlin aufzusuchen, so müssen wir uns darüber trösten. Nach der
Behandlung, die der König in deutschen Blättern, zumal in der deutschen Witzpresse
gefunden hat und noch findet, kann man es ihm zum mindesten nicht verdenken,
daß er keine übermäßige Sehnsucht nach Deutschland empfindet. Er ist außerdem
bekanntlich kein Freund militärischen Gepränges, das seiner hier unvermeidlich warten
würde. Aber eine wirkliche Abneigung gegen die Heimat seines Vaters und gegen
das Land, dessen Krone seine Schwester getragen hat, hegt er nicht. Seine Erziehung
hatte einen starken Einschlag deutschen Elements und deutschen Wesens, er spricht
und schreibt auch gut Deutsch. Es ist deshalb eigentlich kein Grund zu der An¬
nahme vorhanden, daß sich der König auf feine alten Tage so umgewandelt haben
sollte, das 6frug.niÄM esss ciolönctaw zu seinem Morgen- und Abendgebet zu machen.
Er hat als Thronfolger Wohl auf dem Standpunkt gestanden, daß der deutsche Besitz
von Elsaß-Lothringen eine dauernde Kriegsgefahr bedeute, weil er die französische
Revanchepolitik begründe, die Europa fortdauernd in Unruhe versetze. Seitdem
ist aber ein Jahrzehnt nach dem andern verflossen und der nunmehrige König
wird sich hoffentlich wohl überzeugt haben, daß der französischen Revanchepolitik tat¬
sächlich mehr die völlig unberechtigte Befürchtung eines deutschen Angriffs zu¬
grunde liegt, und daß sich die französischen Republikaner dabei noch mehr vor ihren
Generalen als vor den Deutschen fürchten. Denn ob Sieg, ob Niederlage — die
republikanische Staatsidee würde wahrscheinlich der Einsatz des hohen Spieles sein.
Deshalb auch das ängstliche Bestreben, Frankreich durch „Allianzen und Freund¬
schaften" unangreifbar zu machen und durch diese blendende Tatsache zugleich den
republikanischen Gedanken — auch einem siegreichen General gegenüber — in der
Nation zu festigen. Diese durchaus defensive, im Notfalle aber für England ver¬
fügbare Republik mag die volle Sympathie des Königs haben, der doch aber
wiederum klug genug ist, sich zu sagen, daß ein gegen Deutschland siegreiches Frank¬
reich für England sehr bald ein recht lästiger Freund werden könnte. Ans alle
Fälle wird ein Frankreich, das bei England Schutz und Hilfe sucht, ihm erwünschter
sein als ein solches, das der englischen Hilfe entraten zu können glaubt. Da nun
jedes deutsch-französische Einvernehmen sehr leicht eine Spitze gegen England er¬
halten könnte, so ist es begreiflich, daß sich ein solches Einvernehmen bisher immer
als unmöglich erwiesen hat. Französische Ministerien, die dazu geneigt waren, sind
immer sehr schnell beseitigt worden, und die Nachfolger haben dann England jeder¬
zeit sehr genau von dem deutscherseits etwa betätigten Entgegenkommen unterrichtet.

Je mehr Wichtigkeit Afrika für England gewinnt, desto mehr muß ihm daran
liegen, mit Frankreich auf gutem Fuße zu bleiben. Dieses System hat auf die Dauer


Grenzvoten II 1906 36
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[0293] Maßgebliches mit Unmaßgebliches nach Mailand gegangen sein, so wären in denselben Blattern wahrscheinlich allerlei zarte Andentungen über die Reiselust und das Allgegenwartsbedürfnis Kaiser Wilhelms zu lesen gewesen. Man hat sich bet uns leider viel zu sehr daran ge¬ wöhnt, das Tun und Lassen König Eduards fortwährend von dem Standpunkt aus zu beobachten und zu beurteilen, daß der König andauernd nur von dem Ge¬ danken erfüllt sei, seinem kaiserlichen Neffen und dem Deutschen Reiche irgendeine» Schabernack zu spielen. Sehr großmachtswürdig ist das von uns Deutschen gerade nicht, auch uicht danach angetan, den Engländern und ihrem Könige großen Respekt vor uns beizubringen. Es liegt dem eine gewisse Eifersucht mit einem Beigeschmack von Furcht zugrunde, die wir lieber nicht zeigen sollten. Es macht das nach außen hin keinen guten Eindruck, nötigt den andern Kabinetten sowie der fremden Presse ein Lächeln, wenn nicht mehr, ab und zeigt, daß wir uns von dem stolzen Worte: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!" innerlich mehr und mehr entfernen. Die Beobachtung der Bewegungen fremder Herrscher mag für die Diplomatie eine notwendige und nützliche Beschäftigung sein und gehört in das Gebiet ihrer Berichterstattung. Die Presse sollte sich daran mit mehr Vorsicht be¬ teiligen. Ob König Eduard uach Mailand, Paris oder Petersburg geht, braucht uns wirklich nicht aufzuregen. Der jetzige Herrscher Großbritanniens ist von jeher viel und weit gereist, er ist daran gewöhnt, und wenn er es vermeidet, nach Deutschland zu kommen und Berlin aufzusuchen, so müssen wir uns darüber trösten. Nach der Behandlung, die der König in deutschen Blättern, zumal in der deutschen Witzpresse gefunden hat und noch findet, kann man es ihm zum mindesten nicht verdenken, daß er keine übermäßige Sehnsucht nach Deutschland empfindet. Er ist außerdem bekanntlich kein Freund militärischen Gepränges, das seiner hier unvermeidlich warten würde. Aber eine wirkliche Abneigung gegen die Heimat seines Vaters und gegen das Land, dessen Krone seine Schwester getragen hat, hegt er nicht. Seine Erziehung hatte einen starken Einschlag deutschen Elements und deutschen Wesens, er spricht und schreibt auch gut Deutsch. Es ist deshalb eigentlich kein Grund zu der An¬ nahme vorhanden, daß sich der König auf feine alten Tage so umgewandelt haben sollte, das 6frug.niÄM esss ciolönctaw zu seinem Morgen- und Abendgebet zu machen. Er hat als Thronfolger Wohl auf dem Standpunkt gestanden, daß der deutsche Besitz von Elsaß-Lothringen eine dauernde Kriegsgefahr bedeute, weil er die französische Revanchepolitik begründe, die Europa fortdauernd in Unruhe versetze. Seitdem ist aber ein Jahrzehnt nach dem andern verflossen und der nunmehrige König wird sich hoffentlich wohl überzeugt haben, daß der französischen Revanchepolitik tat¬ sächlich mehr die völlig unberechtigte Befürchtung eines deutschen Angriffs zu¬ grunde liegt, und daß sich die französischen Republikaner dabei noch mehr vor ihren Generalen als vor den Deutschen fürchten. Denn ob Sieg, ob Niederlage — die republikanische Staatsidee würde wahrscheinlich der Einsatz des hohen Spieles sein. Deshalb auch das ängstliche Bestreben, Frankreich durch „Allianzen und Freund¬ schaften" unangreifbar zu machen und durch diese blendende Tatsache zugleich den republikanischen Gedanken — auch einem siegreichen General gegenüber — in der Nation zu festigen. Diese durchaus defensive, im Notfalle aber für England ver¬ fügbare Republik mag die volle Sympathie des Königs haben, der doch aber wiederum klug genug ist, sich zu sagen, daß ein gegen Deutschland siegreiches Frank¬ reich für England sehr bald ein recht lästiger Freund werden könnte. Ans alle Fälle wird ein Frankreich, das bei England Schutz und Hilfe sucht, ihm erwünschter sein als ein solches, das der englischen Hilfe entraten zu können glaubt. Da nun jedes deutsch-französische Einvernehmen sehr leicht eine Spitze gegen England er¬ halten könnte, so ist es begreiflich, daß sich ein solches Einvernehmen bisher immer als unmöglich erwiesen hat. Französische Ministerien, die dazu geneigt waren, sind immer sehr schnell beseitigt worden, und die Nachfolger haben dann England jeder¬ zeit sehr genau von dem deutscherseits etwa betätigten Entgegenkommen unterrichtet. Je mehr Wichtigkeit Afrika für England gewinnt, desto mehr muß ihm daran liegen, mit Frankreich auf gutem Fuße zu bleiben. Dieses System hat auf die Dauer Grenzvoten II 1906 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/293>, abgerufen am 22.05.2024.