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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Arbeiterpartei

Massen den Kommunarden zu entziehn, wurde verpaßt, und das Unternehmertum
verfolgte die Gewerkvereine mit Haß zu einer Zeit, wo sie wirklich noch gut¬
artige Berufsgenossenschaften waren. Das Verbot eignen Besitzes lähmte
natürlich auch die Syndikate. Im ersten Jahre bildeten sich 68 Vereine nach dem
neuen Gesetz, 1890 stieg die Zahl auf mehr als 1000. Sie blieben aber immer
noch unpolitisch; trotzdem erschienen sie den Industriellen und den Vergwerks-
gesellschaften usw. so gefährlich, daß ihre Anhänger überall gehetzt wurden.
Diese Not machte die Gewerkvereine aber gerade rebellisch, und sie lernten die
Waffe des Streiks zu gebrauchen, um ihrer Koalition Anerkennung zu er¬
zwingen. Damit wurde der Aufruhr in eine Bewegung getragen, die bei
größerer Einsicht der herrschenden Klassen in Frankreich eine ganz andre Ent¬
wicklung hätte haben können. Die Sozialdemokraten, die bis dahin in den
Arbeiterkreisen nicht hatten festen Fuß fassen können mit ihrem schwer ver¬
ständlichen marxistischen Evangelium, sie waren leider die ersten, die erkannten,
was für ein gewaltiges Werkzeug zum Guten wie zum Bösen im Syndikalismus
liege. Das Jahr 1892 brachte den Umschwung: die Gewerkvereine wurden
sozialistisch-revolutionär, die kommunistischen Gelehrten und Intellektuellen
wurden Vorkämpfer der Syndikate. Nun war kein Halten mehr. Im Jahre 1903
gab es mehr als 4000 Syndikate mit 700000 Mitgliedern. Um die Kassen
zu füllen, wurden die Arbeitsbörsen gebildet, die eigentlich nur der Stellen¬
vermittlung und als Versammlungsraum der Gewerkschaften dienen sollten.
Der Staat, die Departements, die Gemeinden halfen bei der Einrichtung dieser
ZZoursss an I'rg.vAil. Im Jahre 1905 konnten die Kosten für die Gründung
der Arbeitsbörsen auf 3 Millionen 166000 Franken, die Munizipalunterstützung
auf 197000 Franken, die der Departements auf annähernd 50000 Franken
berechnet werden. Die jährlichen Beiträge belaufen sich auf mehr als eine
Million. Diese großen Summen gibt das steuerzahlende Frankreich für eine
Organisation aus, die aus ihren revolutionären Bestrebungen gar kein Hehl
macht. Die Arbeitsbörsen haben sich untereinander zusammengeschlossen zur
P6äkrg.ti<zu ass Loursss an Irg.og.it, die eine Regierungsunterstützung von
10000 Franken bezieht. Die Leiter dieser Iteration bilden aber zugleich den
Ausschuß für den Generalstreik. In der Pariser Arbeitsbörse, für die der
Munizipalrat im vergangnen Jahre noch 180000 Franken bewilligen wollte,
und für die die Regierung 450000 Franken ausgibt, wird der famose "Sabotage"
gepredigt, die Unbrauchbarmachung der Maschinen bei Streiks, der Boykott,
hier gehn die Anarchisten ein und aus, hier hetzte man zu Gewalttätigkeiten
gegen den König von Spanien, hier erscheint der berüchtigte Nanuel an Lo1äa.t>,
hier werden die hochverräterischen Proklamationen gedruckt, die den Rekruten
Fahnenflucht und Beseitigung ihrer Vorgesetzten anraten, von hier aus wird
die Voix an?6up1ö verbreitet. Was sich diese Arbeitsbörsen und die voutsäö-
ration Z6it"i-g,l6, die jetzt ans der Arbeitsbörse ausgeschlossen ist, leisten können,
haben wir bei den Unruhen am 1. Mai gesehen.


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Massen den Kommunarden zu entziehn, wurde verpaßt, und das Unternehmertum
verfolgte die Gewerkvereine mit Haß zu einer Zeit, wo sie wirklich noch gut¬
artige Berufsgenossenschaften waren. Das Verbot eignen Besitzes lähmte
natürlich auch die Syndikate. Im ersten Jahre bildeten sich 68 Vereine nach dem
neuen Gesetz, 1890 stieg die Zahl auf mehr als 1000. Sie blieben aber immer
noch unpolitisch; trotzdem erschienen sie den Industriellen und den Vergwerks-
gesellschaften usw. so gefährlich, daß ihre Anhänger überall gehetzt wurden.
Diese Not machte die Gewerkvereine aber gerade rebellisch, und sie lernten die
Waffe des Streiks zu gebrauchen, um ihrer Koalition Anerkennung zu er¬
zwingen. Damit wurde der Aufruhr in eine Bewegung getragen, die bei
größerer Einsicht der herrschenden Klassen in Frankreich eine ganz andre Ent¬
wicklung hätte haben können. Die Sozialdemokraten, die bis dahin in den
Arbeiterkreisen nicht hatten festen Fuß fassen können mit ihrem schwer ver¬
ständlichen marxistischen Evangelium, sie waren leider die ersten, die erkannten,
was für ein gewaltiges Werkzeug zum Guten wie zum Bösen im Syndikalismus
liege. Das Jahr 1892 brachte den Umschwung: die Gewerkvereine wurden
sozialistisch-revolutionär, die kommunistischen Gelehrten und Intellektuellen
wurden Vorkämpfer der Syndikate. Nun war kein Halten mehr. Im Jahre 1903
gab es mehr als 4000 Syndikate mit 700000 Mitgliedern. Um die Kassen
zu füllen, wurden die Arbeitsbörsen gebildet, die eigentlich nur der Stellen¬
vermittlung und als Versammlungsraum der Gewerkschaften dienen sollten.
Der Staat, die Departements, die Gemeinden halfen bei der Einrichtung dieser
ZZoursss an I'rg.vAil. Im Jahre 1905 konnten die Kosten für die Gründung
der Arbeitsbörsen auf 3 Millionen 166000 Franken, die Munizipalunterstützung
auf 197000 Franken, die der Departements auf annähernd 50000 Franken
berechnet werden. Die jährlichen Beiträge belaufen sich auf mehr als eine
Million. Diese großen Summen gibt das steuerzahlende Frankreich für eine
Organisation aus, die aus ihren revolutionären Bestrebungen gar kein Hehl
macht. Die Arbeitsbörsen haben sich untereinander zusammengeschlossen zur
P6äkrg.ti<zu ass Loursss an Irg.og.it, die eine Regierungsunterstützung von
10000 Franken bezieht. Die Leiter dieser Iteration bilden aber zugleich den
Ausschuß für den Generalstreik. In der Pariser Arbeitsbörse, für die der
Munizipalrat im vergangnen Jahre noch 180000 Franken bewilligen wollte,
und für die die Regierung 450000 Franken ausgibt, wird der famose „Sabotage"
gepredigt, die Unbrauchbarmachung der Maschinen bei Streiks, der Boykott,
hier gehn die Anarchisten ein und aus, hier hetzte man zu Gewalttätigkeiten
gegen den König von Spanien, hier erscheint der berüchtigte Nanuel an Lo1äa.t>,
hier werden die hochverräterischen Proklamationen gedruckt, die den Rekruten
Fahnenflucht und Beseitigung ihrer Vorgesetzten anraten, von hier aus wird
die Voix an?6up1ö verbreitet. Was sich diese Arbeitsbörsen und die voutsäö-
ration Z6it«i-g,l6, die jetzt ans der Arbeitsbörse ausgeschlossen ist, leisten können,
haben wir bei den Unruhen am 1. Mai gesehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/188>, abgerufen am 14.06.2024.