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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Spanische Rultur im achtzehnten Jahrhundert

den die neuen Gesetze den Gemeinden zur Pflicht machten, Inspektionen, Unter¬
suchungen, Prozesse, und die Bauern, die darin eine tyrannische und vexatorische
Einmischung in ihre Privatangelegenheiten sahen, sorgten nach Kräften für die
Beseitigung der Ursache dieser Belästigungen; sie fanden es am bequemsten, wenn
es gar keinen Wald sondern nur Gestrüpp gab. Ein Übelstand, an dem wiederum
Spanien nicht allein litt, war die Einschränkung der bäuerlichen Bewirtschaftung
des Bodens durch den übergroßen Grundbesitz der Kirche und des Adels; freies
Land war wenig zu haben und darum teuer. Doch waren die Grundbesitz¬
verhältnisse zonenweise verschieden. Im Norden, der teils gar nicht, teils nur
vorübergehend unter der maurischen Fremdherrschaft gestanden hatte, waren die
Leute frei geblieben, und bestand die Masse des Volkes aus kleinen Freibauern.
"In der mittlern Zone, die mit hartnäckiger Ausdauer Schritt für Schritt
erobert werden mußte und dabei jahrhundertelang verwüstet wurde, bildete sich
ein mächtiger Feudaladel, der das eroberte Land kolonisierte. Die Hochebene
ist darum das Land der Schlösser, eastilia, und die adlichen Latifundien breiteten
sich in dem Maße aus, wie der Reichtum ihrer Besitzer stieg, und der Adel sich
nach einer Rangordnung abstufte. In Biscaya, wo jedermann Hidalgo ist, gibts
keine Grundherren; in Toledo und in Estremadura besitzen diese drei Viertel
des ganzen Bodens. Die Bauern haben nur Pachtland und sind der Willkür
von Intendanten preisgegeben. Im Süden, der mit zwei großen schlugen
gewonnen worden war öder Eroberung Malagas 1487 und der Granadas 1491^,
schnitt sich der kastilianische Adel große Besitzungen heraus und ließ sie durch
die unterworfnen Mauren bewirtschaften, die er einer harten Knechtschaft unter¬
warf. Die Vertreibung der Mauren beraubte die neuen Herren ihrer Kolonen,
und da sie weder Schwarze noch Indianer einführen durften, so wirtschafteten
sie mit Lohnarbeitern, die der Intendant scharenweise bang, wenn er sie brauchte,
und nach der Ernte wieder heimschickte." Jedes der drei Systeme, meint der
Verfasser, hat bei rationeller Anwendung in andern Ländern gute Resultate
ergeben. "In Spanien aber hatten die meisten der großen Grundherren weder
landwirtschaftliche Kenntnisse noch Geschmack am Betriebe der Landwirtschaft;
sie würden sich überdies etwas zu vergeben geglaubt haben, wenn sie sich mit
so gemeinen Gegenstünden befaßt und in ihrem Grundbesitz etwas andres als
eine Rentenquelle gesehen hätten. Unter solchen Umständen konnte, wie sich
von vornherein erwarten ließ, der Großgrundbesitz mit Lohnarbeitern in Spanien
nichts ersprießliches leisten; die Landwirtschaft konnte nur in solchen Gegenden
einigermaßen gedeihen, wo entweder Freibauern oder Zinsbauern oder Erb-
püchter das Land bebauten." Wie sich diese verschiednen Arten bäuerlicher Wirte
in mancherlei Mischungen und Übergangsformen auf die einzelnen Provinzen
des nördlichen, mittlern und östlichen Spaniens verteilen, wird ausführlich
beschrieben. Am befriedigendsten hat sich die Lage in Valencia und im Basken¬
lande gestaltet. Dort Verhalten die Fruchtbarkeit des Bodens und gutes Klima
bei mäßiger Arbeit zu Wohlstand, hier schuf sich ein energischer Volksstamm


Spanische Rultur im achtzehnten Jahrhundert

den die neuen Gesetze den Gemeinden zur Pflicht machten, Inspektionen, Unter¬
suchungen, Prozesse, und die Bauern, die darin eine tyrannische und vexatorische
Einmischung in ihre Privatangelegenheiten sahen, sorgten nach Kräften für die
Beseitigung der Ursache dieser Belästigungen; sie fanden es am bequemsten, wenn
es gar keinen Wald sondern nur Gestrüpp gab. Ein Übelstand, an dem wiederum
Spanien nicht allein litt, war die Einschränkung der bäuerlichen Bewirtschaftung
des Bodens durch den übergroßen Grundbesitz der Kirche und des Adels; freies
Land war wenig zu haben und darum teuer. Doch waren die Grundbesitz¬
verhältnisse zonenweise verschieden. Im Norden, der teils gar nicht, teils nur
vorübergehend unter der maurischen Fremdherrschaft gestanden hatte, waren die
Leute frei geblieben, und bestand die Masse des Volkes aus kleinen Freibauern.
„In der mittlern Zone, die mit hartnäckiger Ausdauer Schritt für Schritt
erobert werden mußte und dabei jahrhundertelang verwüstet wurde, bildete sich
ein mächtiger Feudaladel, der das eroberte Land kolonisierte. Die Hochebene
ist darum das Land der Schlösser, eastilia, und die adlichen Latifundien breiteten
sich in dem Maße aus, wie der Reichtum ihrer Besitzer stieg, und der Adel sich
nach einer Rangordnung abstufte. In Biscaya, wo jedermann Hidalgo ist, gibts
keine Grundherren; in Toledo und in Estremadura besitzen diese drei Viertel
des ganzen Bodens. Die Bauern haben nur Pachtland und sind der Willkür
von Intendanten preisgegeben. Im Süden, der mit zwei großen schlugen
gewonnen worden war öder Eroberung Malagas 1487 und der Granadas 1491^,
schnitt sich der kastilianische Adel große Besitzungen heraus und ließ sie durch
die unterworfnen Mauren bewirtschaften, die er einer harten Knechtschaft unter¬
warf. Die Vertreibung der Mauren beraubte die neuen Herren ihrer Kolonen,
und da sie weder Schwarze noch Indianer einführen durften, so wirtschafteten
sie mit Lohnarbeitern, die der Intendant scharenweise bang, wenn er sie brauchte,
und nach der Ernte wieder heimschickte." Jedes der drei Systeme, meint der
Verfasser, hat bei rationeller Anwendung in andern Ländern gute Resultate
ergeben. „In Spanien aber hatten die meisten der großen Grundherren weder
landwirtschaftliche Kenntnisse noch Geschmack am Betriebe der Landwirtschaft;
sie würden sich überdies etwas zu vergeben geglaubt haben, wenn sie sich mit
so gemeinen Gegenstünden befaßt und in ihrem Grundbesitz etwas andres als
eine Rentenquelle gesehen hätten. Unter solchen Umständen konnte, wie sich
von vornherein erwarten ließ, der Großgrundbesitz mit Lohnarbeitern in Spanien
nichts ersprießliches leisten; die Landwirtschaft konnte nur in solchen Gegenden
einigermaßen gedeihen, wo entweder Freibauern oder Zinsbauern oder Erb-
püchter das Land bebauten." Wie sich diese verschiednen Arten bäuerlicher Wirte
in mancherlei Mischungen und Übergangsformen auf die einzelnen Provinzen
des nördlichen, mittlern und östlichen Spaniens verteilen, wird ausführlich
beschrieben. Am befriedigendsten hat sich die Lage in Valencia und im Basken¬
lande gestaltet. Dort Verhalten die Fruchtbarkeit des Bodens und gutes Klima
bei mäßiger Arbeit zu Wohlstand, hier schuf sich ein energischer Volksstamm


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[0200] Spanische Rultur im achtzehnten Jahrhundert den die neuen Gesetze den Gemeinden zur Pflicht machten, Inspektionen, Unter¬ suchungen, Prozesse, und die Bauern, die darin eine tyrannische und vexatorische Einmischung in ihre Privatangelegenheiten sahen, sorgten nach Kräften für die Beseitigung der Ursache dieser Belästigungen; sie fanden es am bequemsten, wenn es gar keinen Wald sondern nur Gestrüpp gab. Ein Übelstand, an dem wiederum Spanien nicht allein litt, war die Einschränkung der bäuerlichen Bewirtschaftung des Bodens durch den übergroßen Grundbesitz der Kirche und des Adels; freies Land war wenig zu haben und darum teuer. Doch waren die Grundbesitz¬ verhältnisse zonenweise verschieden. Im Norden, der teils gar nicht, teils nur vorübergehend unter der maurischen Fremdherrschaft gestanden hatte, waren die Leute frei geblieben, und bestand die Masse des Volkes aus kleinen Freibauern. „In der mittlern Zone, die mit hartnäckiger Ausdauer Schritt für Schritt erobert werden mußte und dabei jahrhundertelang verwüstet wurde, bildete sich ein mächtiger Feudaladel, der das eroberte Land kolonisierte. Die Hochebene ist darum das Land der Schlösser, eastilia, und die adlichen Latifundien breiteten sich in dem Maße aus, wie der Reichtum ihrer Besitzer stieg, und der Adel sich nach einer Rangordnung abstufte. In Biscaya, wo jedermann Hidalgo ist, gibts keine Grundherren; in Toledo und in Estremadura besitzen diese drei Viertel des ganzen Bodens. Die Bauern haben nur Pachtland und sind der Willkür von Intendanten preisgegeben. Im Süden, der mit zwei großen schlugen gewonnen worden war öder Eroberung Malagas 1487 und der Granadas 1491^, schnitt sich der kastilianische Adel große Besitzungen heraus und ließ sie durch die unterworfnen Mauren bewirtschaften, die er einer harten Knechtschaft unter¬ warf. Die Vertreibung der Mauren beraubte die neuen Herren ihrer Kolonen, und da sie weder Schwarze noch Indianer einführen durften, so wirtschafteten sie mit Lohnarbeitern, die der Intendant scharenweise bang, wenn er sie brauchte, und nach der Ernte wieder heimschickte." Jedes der drei Systeme, meint der Verfasser, hat bei rationeller Anwendung in andern Ländern gute Resultate ergeben. „In Spanien aber hatten die meisten der großen Grundherren weder landwirtschaftliche Kenntnisse noch Geschmack am Betriebe der Landwirtschaft; sie würden sich überdies etwas zu vergeben geglaubt haben, wenn sie sich mit so gemeinen Gegenstünden befaßt und in ihrem Grundbesitz etwas andres als eine Rentenquelle gesehen hätten. Unter solchen Umständen konnte, wie sich von vornherein erwarten ließ, der Großgrundbesitz mit Lohnarbeitern in Spanien nichts ersprießliches leisten; die Landwirtschaft konnte nur in solchen Gegenden einigermaßen gedeihen, wo entweder Freibauern oder Zinsbauern oder Erb- püchter das Land bebauten." Wie sich diese verschiednen Arten bäuerlicher Wirte in mancherlei Mischungen und Übergangsformen auf die einzelnen Provinzen des nördlichen, mittlern und östlichen Spaniens verteilen, wird ausführlich beschrieben. Am befriedigendsten hat sich die Lage in Valencia und im Basken¬ lande gestaltet. Dort Verhalten die Fruchtbarkeit des Bodens und gutes Klima bei mäßiger Arbeit zu Wohlstand, hier schuf sich ein energischer Volksstamm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/200>, abgerufen am 13.06.2024.