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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Koloniale Lisenbahnpolitik

Sudanbahn, die Ugandabahn, die Bahnen der Kapkolonie usw. -- unsern
Kolonialkreisen die Sinne verwirrt. Hartnäckig verschloß man sich der Erkenntnis,
daß die dort maßgebenden Verhältnisse mit den unsrigen gar nicht zu vergleichen
sind. , Dort ein Reich, dessen nationale Produktion mit seinem Kolonialbesitz
steht und fällt, für das die vollkommene politische Beherrschung des überseeischen
Besitzes eine Lebensfrage ist, das also in seine koloniale Bilanz politische Werte
einstellen muß. Dort ein Kolonialbesitz mit zweifellos hohem wirtschaftlichem
Werte -- man denke an die Gold- und die Diamantenproduktion Transvaals, die
hochentwickelte, zum Teil uralte landwirtschaftliche Produktion der Kapkolonie,
Natals und Ägyptens. Man vergesse nicht, daß die Ugandabahn erst in zweiter
Linie wirtschaftlichen Motiven ihr Dasein verdankt.

Es mag unserm nationalen Selbstgefühl schmerzlich sein, aber wir müssen
uns eingestehn, daß der englische Maßstab bei der Erschließung unsrer
Kolonien nicht angelegt werden darf. Abgesehen von den ideellen Motiven
bei Erwerbung unsers Kolonialbesitzes, dem deutschen Volke das navissMö
nsvgsss 68t, zu illustrieren und unserm Seehandel ein moralisches Rückgrat zu
geben, verfolgen wir in unserm Kolonialbesitz nur rein wirtschaftliche Inter¬
essen. Er soll unsrer überschüssigen Volkskraft, unserm Kapital innerhalb der
deutschen Grenzpfühle ein Arbeitsfeld und eine Existenzmöglichkeit bieten, er
soll einen Teil der heimischen Produktion in sich aufnehmen und uns mit
der Zeit mit seinen Produkten bis zu einem gewissen Grade vom Ausland
unabhängig machen. Aber unsre Kolonien sind kein unentbehrlicher, nicht
einmal ein bedeutender Teil der heimischen Volkswirtschaft, von ihrem Vor¬
handensein hängt die Existenz des Deutschen Reiches nicht ab, wie dies im
Gegensatz dazu bei England im Verhältnis zu seinen Kolonien der Fall ist.
Dies ist der Sinn unsrer Kolonialpolitik, und danach sind die Kolonien im
Rahmen unsrer heimischen Wirtschaft zu behandeln.

Hiernach muß auch die koloniale Eisenbahnpolitik beurteilt werden. Für
jedes Kolonialgebict, sei es nun aus wirtschaftlichen oder aus politischen
Motiven erworben, spielen die Verkehrswege die Hauptrolle. Ohne sie ist eine
Nutzbarmachung der schlummernden Produktionskräfte, sie mögen so reich sein,
Wie sie wollen, unmöglich. Die in einem Lande ruhenden Naturschätze sind
für dieses nur in dem Grade von Wert, als sie rasch und billig dem Markt
zugeführt werden köunen. Je hochwertiger die vorhandnen Produkte aller¬
dings sind, desto höhere Werte lassen sich in den Verkehrsmitteln anlegen.
Der Bau von Eisenbahnen in den Tropen kann nur da in Betracht kommen,
es sich aus politischen Gründen darum handelt, ein schnelles und zuver¬
lässiges Verkehrsmittel zu schaffen, oder wo das zu erschließende Gebiet wirt¬
schaftlich so hochwertig ist, daß sich das verhältnismäßig teure Mittel des
Eisenbahnbaus rechtfertigen läßt. In allen Teilen Afrikas sind in den letzten
fünfzehn Jahren so viele Kolonialbahnen gebaut worden, daß ein reiches
grundlegendes Material für die wirtschaftliche und technische Beurteilung der


Koloniale Lisenbahnpolitik

Sudanbahn, die Ugandabahn, die Bahnen der Kapkolonie usw. — unsern
Kolonialkreisen die Sinne verwirrt. Hartnäckig verschloß man sich der Erkenntnis,
daß die dort maßgebenden Verhältnisse mit den unsrigen gar nicht zu vergleichen
sind. , Dort ein Reich, dessen nationale Produktion mit seinem Kolonialbesitz
steht und fällt, für das die vollkommene politische Beherrschung des überseeischen
Besitzes eine Lebensfrage ist, das also in seine koloniale Bilanz politische Werte
einstellen muß. Dort ein Kolonialbesitz mit zweifellos hohem wirtschaftlichem
Werte — man denke an die Gold- und die Diamantenproduktion Transvaals, die
hochentwickelte, zum Teil uralte landwirtschaftliche Produktion der Kapkolonie,
Natals und Ägyptens. Man vergesse nicht, daß die Ugandabahn erst in zweiter
Linie wirtschaftlichen Motiven ihr Dasein verdankt.

Es mag unserm nationalen Selbstgefühl schmerzlich sein, aber wir müssen
uns eingestehn, daß der englische Maßstab bei der Erschließung unsrer
Kolonien nicht angelegt werden darf. Abgesehen von den ideellen Motiven
bei Erwerbung unsers Kolonialbesitzes, dem deutschen Volke das navissMö
nsvgsss 68t, zu illustrieren und unserm Seehandel ein moralisches Rückgrat zu
geben, verfolgen wir in unserm Kolonialbesitz nur rein wirtschaftliche Inter¬
essen. Er soll unsrer überschüssigen Volkskraft, unserm Kapital innerhalb der
deutschen Grenzpfühle ein Arbeitsfeld und eine Existenzmöglichkeit bieten, er
soll einen Teil der heimischen Produktion in sich aufnehmen und uns mit
der Zeit mit seinen Produkten bis zu einem gewissen Grade vom Ausland
unabhängig machen. Aber unsre Kolonien sind kein unentbehrlicher, nicht
einmal ein bedeutender Teil der heimischen Volkswirtschaft, von ihrem Vor¬
handensein hängt die Existenz des Deutschen Reiches nicht ab, wie dies im
Gegensatz dazu bei England im Verhältnis zu seinen Kolonien der Fall ist.
Dies ist der Sinn unsrer Kolonialpolitik, und danach sind die Kolonien im
Rahmen unsrer heimischen Wirtschaft zu behandeln.

Hiernach muß auch die koloniale Eisenbahnpolitik beurteilt werden. Für
jedes Kolonialgebict, sei es nun aus wirtschaftlichen oder aus politischen
Motiven erworben, spielen die Verkehrswege die Hauptrolle. Ohne sie ist eine
Nutzbarmachung der schlummernden Produktionskräfte, sie mögen so reich sein,
Wie sie wollen, unmöglich. Die in einem Lande ruhenden Naturschätze sind
für dieses nur in dem Grade von Wert, als sie rasch und billig dem Markt
zugeführt werden köunen. Je hochwertiger die vorhandnen Produkte aller¬
dings sind, desto höhere Werte lassen sich in den Verkehrsmitteln anlegen.
Der Bau von Eisenbahnen in den Tropen kann nur da in Betracht kommen,
es sich aus politischen Gründen darum handelt, ein schnelles und zuver¬
lässiges Verkehrsmittel zu schaffen, oder wo das zu erschließende Gebiet wirt¬
schaftlich so hochwertig ist, daß sich das verhältnismäßig teure Mittel des
Eisenbahnbaus rechtfertigen läßt. In allen Teilen Afrikas sind in den letzten
fünfzehn Jahren so viele Kolonialbahnen gebaut worden, daß ein reiches
grundlegendes Material für die wirtschaftliche und technische Beurteilung der


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[0239] Koloniale Lisenbahnpolitik Sudanbahn, die Ugandabahn, die Bahnen der Kapkolonie usw. — unsern Kolonialkreisen die Sinne verwirrt. Hartnäckig verschloß man sich der Erkenntnis, daß die dort maßgebenden Verhältnisse mit den unsrigen gar nicht zu vergleichen sind. , Dort ein Reich, dessen nationale Produktion mit seinem Kolonialbesitz steht und fällt, für das die vollkommene politische Beherrschung des überseeischen Besitzes eine Lebensfrage ist, das also in seine koloniale Bilanz politische Werte einstellen muß. Dort ein Kolonialbesitz mit zweifellos hohem wirtschaftlichem Werte — man denke an die Gold- und die Diamantenproduktion Transvaals, die hochentwickelte, zum Teil uralte landwirtschaftliche Produktion der Kapkolonie, Natals und Ägyptens. Man vergesse nicht, daß die Ugandabahn erst in zweiter Linie wirtschaftlichen Motiven ihr Dasein verdankt. Es mag unserm nationalen Selbstgefühl schmerzlich sein, aber wir müssen uns eingestehn, daß der englische Maßstab bei der Erschließung unsrer Kolonien nicht angelegt werden darf. Abgesehen von den ideellen Motiven bei Erwerbung unsers Kolonialbesitzes, dem deutschen Volke das navissMö nsvgsss 68t, zu illustrieren und unserm Seehandel ein moralisches Rückgrat zu geben, verfolgen wir in unserm Kolonialbesitz nur rein wirtschaftliche Inter¬ essen. Er soll unsrer überschüssigen Volkskraft, unserm Kapital innerhalb der deutschen Grenzpfühle ein Arbeitsfeld und eine Existenzmöglichkeit bieten, er soll einen Teil der heimischen Produktion in sich aufnehmen und uns mit der Zeit mit seinen Produkten bis zu einem gewissen Grade vom Ausland unabhängig machen. Aber unsre Kolonien sind kein unentbehrlicher, nicht einmal ein bedeutender Teil der heimischen Volkswirtschaft, von ihrem Vor¬ handensein hängt die Existenz des Deutschen Reiches nicht ab, wie dies im Gegensatz dazu bei England im Verhältnis zu seinen Kolonien der Fall ist. Dies ist der Sinn unsrer Kolonialpolitik, und danach sind die Kolonien im Rahmen unsrer heimischen Wirtschaft zu behandeln. Hiernach muß auch die koloniale Eisenbahnpolitik beurteilt werden. Für jedes Kolonialgebict, sei es nun aus wirtschaftlichen oder aus politischen Motiven erworben, spielen die Verkehrswege die Hauptrolle. Ohne sie ist eine Nutzbarmachung der schlummernden Produktionskräfte, sie mögen so reich sein, Wie sie wollen, unmöglich. Die in einem Lande ruhenden Naturschätze sind für dieses nur in dem Grade von Wert, als sie rasch und billig dem Markt zugeführt werden köunen. Je hochwertiger die vorhandnen Produkte aller¬ dings sind, desto höhere Werte lassen sich in den Verkehrsmitteln anlegen. Der Bau von Eisenbahnen in den Tropen kann nur da in Betracht kommen, es sich aus politischen Gründen darum handelt, ein schnelles und zuver¬ lässiges Verkehrsmittel zu schaffen, oder wo das zu erschließende Gebiet wirt¬ schaftlich so hochwertig ist, daß sich das verhältnismäßig teure Mittel des Eisenbahnbaus rechtfertigen läßt. In allen Teilen Afrikas sind in den letzten fünfzehn Jahren so viele Kolonialbahnen gebaut worden, daß ein reiches grundlegendes Material für die wirtschaftliche und technische Beurteilung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/239>, abgerufen am 13.06.2024.