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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Koloniale Lisenbahnpolitik

Westafrika läßt sich eine solche Ausnahme um so mehr rechtfertigen, weil das
Gebiet immer mehr mit Europäern besiedelt werden soll, denen die notwendige
politische Sicherheit unbedingt gewährleistet werden muß. Auch die wirtschaft¬
liche Rechtfertigung wird wohl nicht ausbleiben, wenn erst die Ausbeutung
der dort vorhandnen reichen Mineralschätze und eine lebhaftere Besiedlungs¬
tätigkeit im Gange sind.

Die sich im Bau oder in Vorbereitung befindenden Bahnlinien in Togo
und in Kamerun werden zweifellos ihren Zweck erfüllen, denn beide erschließen
entwicklungsfähige, von einer intelligenten, betriebsamen Bevölkerung bewohnte
Gebiete. Beide finden auf ihrem Wege Produkte, die einen höhern Marktwert
haben als die gewöhnlichen Ölfrüchte, und ihr Weiterbau ins tiefere Innere,
bei der Kamcrunbahn bis Adamaua, ist empfehlenswert. Bei Kamerun müßte
damit allerdings die handelspolitische Abschließung nach der englischen Benue-
Niger-Wasserstraße Voraussetzung sein.

Ein noch ungelöstes Problem ist die Bahnfrage in Ostafrika. Zwar haben
wir seit Jahren die Usambarabahn und die im vorletzten Jahre bewilligte
Stichbahn von Daressalam nach Morogoro in den Ulugurubergen. Aber damit
sind die Hauptaussichten Deutschostafrikas noch nicht ausgenützt. Sie liegen
im reichen zentralafrikanischen Seengebiet. Dieses durch eine Eisenbahn mit
der Küste zu verbinden, ist die dringlichste und wichtigste Aufgabe unsrer
Kolonialpolitik. Da treten aber die gewaltige Entfernung und die schon er¬
wähnte Nentabilitütsgrenze störend dazwischen. Zwar könnte die sich jetzt
im Bau befindende Bahn bis Kilossa weitergeführt werden, aber hier hat sie
nach menschlicher Berechnung ihre Nentabilitütsgrenze erreicht. Was dahinter
liegt, ist zu einem großen Teil entwicklungsunfähiges Land, in dem eine Bahn
umsonst arbeitet. Aussichtsvoll wäre vielleicht eine "Nordbahn" nach dem
Viktoriasee gewesen, wenn uns nicht die Engländer mit ihrer Ugandabahn, die
ebenfalls am Viktoriasee endet, zuvorgekommen wären. Denn die Gebiete, die
diese Bahn (die verlängerte Usambarabahn) zu durchqueren hätte, sind zum
Teil sehr aussichtsvoll, und die hohe Entwicklungsstufe, auf der die Land¬
schaften am Viktoriasee stehn, würde der Bahn ausreichende Beschäftigung
gewährleisten -- wenn die Ugandabahn nicht wäre. Die bekannten frühern
Fehlschlüge der Usambarabahn, die schließlich die Übernahme der Bahn durch
das Reich notwendig machten, besagen hierbei heute nichts, denn sie waren
eigentlich nur durch unsre damalige Unerfahrenheit in technischen wie in wirt¬
schaftlichen Dingen verursacht. Es erscheint aber nicht empfehlenswert, dem
Reichstage, bei dem die Kolonialfreundlichkeit, wie wir jüngst bedauerlicherweise
erfahren mußten, noch auf sehr schwachen Beinen steht, das immerhin unsichere
Experiment einer Konkurrenz mit der Ugandabahn zuzumuten, es wäre dies
entschieden eine verkehrte Politik. . ^ c>-

Das Projekt der Usambarabahn war ursprünglich schon in der Form einer
Eisenbahn nach dem Viktoriasee gedacht, dieses Projekt unterlag aber - leider,
möchten wir heute sagen -- gegenüber dem einer großen ..Zentralbahn" von


Koloniale Lisenbahnpolitik

Westafrika läßt sich eine solche Ausnahme um so mehr rechtfertigen, weil das
Gebiet immer mehr mit Europäern besiedelt werden soll, denen die notwendige
politische Sicherheit unbedingt gewährleistet werden muß. Auch die wirtschaft¬
liche Rechtfertigung wird wohl nicht ausbleiben, wenn erst die Ausbeutung
der dort vorhandnen reichen Mineralschätze und eine lebhaftere Besiedlungs¬
tätigkeit im Gange sind.

Die sich im Bau oder in Vorbereitung befindenden Bahnlinien in Togo
und in Kamerun werden zweifellos ihren Zweck erfüllen, denn beide erschließen
entwicklungsfähige, von einer intelligenten, betriebsamen Bevölkerung bewohnte
Gebiete. Beide finden auf ihrem Wege Produkte, die einen höhern Marktwert
haben als die gewöhnlichen Ölfrüchte, und ihr Weiterbau ins tiefere Innere,
bei der Kamcrunbahn bis Adamaua, ist empfehlenswert. Bei Kamerun müßte
damit allerdings die handelspolitische Abschließung nach der englischen Benue-
Niger-Wasserstraße Voraussetzung sein.

Ein noch ungelöstes Problem ist die Bahnfrage in Ostafrika. Zwar haben
wir seit Jahren die Usambarabahn und die im vorletzten Jahre bewilligte
Stichbahn von Daressalam nach Morogoro in den Ulugurubergen. Aber damit
sind die Hauptaussichten Deutschostafrikas noch nicht ausgenützt. Sie liegen
im reichen zentralafrikanischen Seengebiet. Dieses durch eine Eisenbahn mit
der Küste zu verbinden, ist die dringlichste und wichtigste Aufgabe unsrer
Kolonialpolitik. Da treten aber die gewaltige Entfernung und die schon er¬
wähnte Nentabilitütsgrenze störend dazwischen. Zwar könnte die sich jetzt
im Bau befindende Bahn bis Kilossa weitergeführt werden, aber hier hat sie
nach menschlicher Berechnung ihre Nentabilitütsgrenze erreicht. Was dahinter
liegt, ist zu einem großen Teil entwicklungsunfähiges Land, in dem eine Bahn
umsonst arbeitet. Aussichtsvoll wäre vielleicht eine „Nordbahn" nach dem
Viktoriasee gewesen, wenn uns nicht die Engländer mit ihrer Ugandabahn, die
ebenfalls am Viktoriasee endet, zuvorgekommen wären. Denn die Gebiete, die
diese Bahn (die verlängerte Usambarabahn) zu durchqueren hätte, sind zum
Teil sehr aussichtsvoll, und die hohe Entwicklungsstufe, auf der die Land¬
schaften am Viktoriasee stehn, würde der Bahn ausreichende Beschäftigung
gewährleisten — wenn die Ugandabahn nicht wäre. Die bekannten frühern
Fehlschlüge der Usambarabahn, die schließlich die Übernahme der Bahn durch
das Reich notwendig machten, besagen hierbei heute nichts, denn sie waren
eigentlich nur durch unsre damalige Unerfahrenheit in technischen wie in wirt¬
schaftlichen Dingen verursacht. Es erscheint aber nicht empfehlenswert, dem
Reichstage, bei dem die Kolonialfreundlichkeit, wie wir jüngst bedauerlicherweise
erfahren mußten, noch auf sehr schwachen Beinen steht, das immerhin unsichere
Experiment einer Konkurrenz mit der Ugandabahn zuzumuten, es wäre dies
entschieden eine verkehrte Politik. . ^ c>-

Das Projekt der Usambarabahn war ursprünglich schon in der Form einer
Eisenbahn nach dem Viktoriasee gedacht, dieses Projekt unterlag aber - leider,
möchten wir heute sagen — gegenüber dem einer großen ..Zentralbahn" von


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[0241] Koloniale Lisenbahnpolitik Westafrika läßt sich eine solche Ausnahme um so mehr rechtfertigen, weil das Gebiet immer mehr mit Europäern besiedelt werden soll, denen die notwendige politische Sicherheit unbedingt gewährleistet werden muß. Auch die wirtschaft¬ liche Rechtfertigung wird wohl nicht ausbleiben, wenn erst die Ausbeutung der dort vorhandnen reichen Mineralschätze und eine lebhaftere Besiedlungs¬ tätigkeit im Gange sind. Die sich im Bau oder in Vorbereitung befindenden Bahnlinien in Togo und in Kamerun werden zweifellos ihren Zweck erfüllen, denn beide erschließen entwicklungsfähige, von einer intelligenten, betriebsamen Bevölkerung bewohnte Gebiete. Beide finden auf ihrem Wege Produkte, die einen höhern Marktwert haben als die gewöhnlichen Ölfrüchte, und ihr Weiterbau ins tiefere Innere, bei der Kamcrunbahn bis Adamaua, ist empfehlenswert. Bei Kamerun müßte damit allerdings die handelspolitische Abschließung nach der englischen Benue- Niger-Wasserstraße Voraussetzung sein. Ein noch ungelöstes Problem ist die Bahnfrage in Ostafrika. Zwar haben wir seit Jahren die Usambarabahn und die im vorletzten Jahre bewilligte Stichbahn von Daressalam nach Morogoro in den Ulugurubergen. Aber damit sind die Hauptaussichten Deutschostafrikas noch nicht ausgenützt. Sie liegen im reichen zentralafrikanischen Seengebiet. Dieses durch eine Eisenbahn mit der Küste zu verbinden, ist die dringlichste und wichtigste Aufgabe unsrer Kolonialpolitik. Da treten aber die gewaltige Entfernung und die schon er¬ wähnte Nentabilitütsgrenze störend dazwischen. Zwar könnte die sich jetzt im Bau befindende Bahn bis Kilossa weitergeführt werden, aber hier hat sie nach menschlicher Berechnung ihre Nentabilitütsgrenze erreicht. Was dahinter liegt, ist zu einem großen Teil entwicklungsunfähiges Land, in dem eine Bahn umsonst arbeitet. Aussichtsvoll wäre vielleicht eine „Nordbahn" nach dem Viktoriasee gewesen, wenn uns nicht die Engländer mit ihrer Ugandabahn, die ebenfalls am Viktoriasee endet, zuvorgekommen wären. Denn die Gebiete, die diese Bahn (die verlängerte Usambarabahn) zu durchqueren hätte, sind zum Teil sehr aussichtsvoll, und die hohe Entwicklungsstufe, auf der die Land¬ schaften am Viktoriasee stehn, würde der Bahn ausreichende Beschäftigung gewährleisten — wenn die Ugandabahn nicht wäre. Die bekannten frühern Fehlschlüge der Usambarabahn, die schließlich die Übernahme der Bahn durch das Reich notwendig machten, besagen hierbei heute nichts, denn sie waren eigentlich nur durch unsre damalige Unerfahrenheit in technischen wie in wirt¬ schaftlichen Dingen verursacht. Es erscheint aber nicht empfehlenswert, dem Reichstage, bei dem die Kolonialfreundlichkeit, wie wir jüngst bedauerlicherweise erfahren mußten, noch auf sehr schwachen Beinen steht, das immerhin unsichere Experiment einer Konkurrenz mit der Ugandabahn zuzumuten, es wäre dies entschieden eine verkehrte Politik. . ^ c>- Das Projekt der Usambarabahn war ursprünglich schon in der Form einer Eisenbahn nach dem Viktoriasee gedacht, dieses Projekt unterlag aber - leider, möchten wir heute sagen — gegenüber dem einer großen ..Zentralbahn" von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/241>, abgerufen am 14.06.2024.