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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Durch Transkaukasien

Mit der Annäherung an den Rion, dessen gewundne Ufer die Eisenbahn
öfters berührt, verändert die Kultur der Felder ihr Aussehen. Der Boden ist
außer mit Kieseln mit einer Erde bedeckt, die den Anbau des Weines er¬
möglicht. Auf den Feldern stehn Bäume, die durch armstarke Stränge von
Weinreben verbunden sind. Leider hat der Kukuruzbau den des Weines als
weniger gewinnbringend verdrängt und mit den Bäumen auch die sehr wohl¬
schmeckende und saftige Trauben bringenden Reben vernichtet. Vor Ssamtredi
wird der Rion überschritten, ein heftiges Gebirgswasser mit gelben Fluten, das
der Eindämmung bedarf, übrigens zur Kanalisation der Felder der Ebne mit
Vorteil verwandt wird. Wir nähern uns der Landschaft Jmeretien, die sich in
dem majestätischen Kamme des vor uns liegenden Großen Kaukasus verliert
und dort mit Mingrelien berührt. Zwischen der von der wärmenden Sonne
scharf bestrahlten und hell glänzenden Schneedecke des Hochgebirges und der
Niederung werden die schon schneefreien Vorberge mit den Weißen Häusern
ihrer zahlreichen Jmeretinzendörfer sichtbar. Jmeretien ist wesentlich besser an¬
gebaut als Gurien. Weingärten und -berge losen sich ab mit regelmäßigen
Obstpflanzungen und sorgfältig bearbeiteten, von Steinen befreiten eingezäunten
Feldern, die, wie in Oberitalien, mit Maulbeerbäumen reihenweise besetzt und
durch grüne Weinguirlanden berankt sind. Auch hier gibt es noch sumpfige
Strecken; aber man sieht die Kultur gleichsam vorwärts schreiten und zunächst
durch Ziehen von Abwässerungsgräben das bisherige Urland dem Anbau zu¬
führen. Besser gehaltne trockne Wege erleichtern die Bewirtschaftung und den
Verkehr. Auch das Vieh erscheint kräftiger, besser genährt; geräumige und
solidere Häuser in den Anwesen deuten auf größern Wohlstand und bilden
einen wirklich erfreulichen Gegensatz zu dem Verfall und der erbärmlichen
Wirtschaft in den unter türkischer Herrschaft stehenden Ländern in Kleinasien.
Und wenn auch diese Kultur die eines altchristlichen Volkes und weniger den
Russen zu verdanken ist, so erscheint doch Rußland als ihr Träger gegenüber
dem verkommnen Seldschukkentum in vorteilhafter Beleuchtung.

Freilich ist auch hier, wo die Dessjätine (1,1 Hektar) Boden schon 500,
600 und 1000 Rubel kostet, und wo man drei Viertel des Jahres über arbeiten
kann, viel zu bessern. Noch geht der urtümliche alte hölzerne Hakenpflug über
die Felder -- recht bezeichnend für den gegenwärtigen Stand und bei dem
Reichtum des Ertrags für den Wert des Grund und Bodens, für die Frucht¬
barkeit der von den Bergen herabgeschwemmter fetten Lehmschicht, die die breite
ebne Talsohle bedeckt. Und noch liegen südlich vom Rion weite Steppenflächen
unbebaut und müssen von den darauf liegenden Steintrümmern befreit werden.
So wechselnd ist der Charakter des Tales des Rion und seines Nebenflusses,
der Quirila.




Durch Transkaukasien

Mit der Annäherung an den Rion, dessen gewundne Ufer die Eisenbahn
öfters berührt, verändert die Kultur der Felder ihr Aussehen. Der Boden ist
außer mit Kieseln mit einer Erde bedeckt, die den Anbau des Weines er¬
möglicht. Auf den Feldern stehn Bäume, die durch armstarke Stränge von
Weinreben verbunden sind. Leider hat der Kukuruzbau den des Weines als
weniger gewinnbringend verdrängt und mit den Bäumen auch die sehr wohl¬
schmeckende und saftige Trauben bringenden Reben vernichtet. Vor Ssamtredi
wird der Rion überschritten, ein heftiges Gebirgswasser mit gelben Fluten, das
der Eindämmung bedarf, übrigens zur Kanalisation der Felder der Ebne mit
Vorteil verwandt wird. Wir nähern uns der Landschaft Jmeretien, die sich in
dem majestätischen Kamme des vor uns liegenden Großen Kaukasus verliert
und dort mit Mingrelien berührt. Zwischen der von der wärmenden Sonne
scharf bestrahlten und hell glänzenden Schneedecke des Hochgebirges und der
Niederung werden die schon schneefreien Vorberge mit den Weißen Häusern
ihrer zahlreichen Jmeretinzendörfer sichtbar. Jmeretien ist wesentlich besser an¬
gebaut als Gurien. Weingärten und -berge losen sich ab mit regelmäßigen
Obstpflanzungen und sorgfältig bearbeiteten, von Steinen befreiten eingezäunten
Feldern, die, wie in Oberitalien, mit Maulbeerbäumen reihenweise besetzt und
durch grüne Weinguirlanden berankt sind. Auch hier gibt es noch sumpfige
Strecken; aber man sieht die Kultur gleichsam vorwärts schreiten und zunächst
durch Ziehen von Abwässerungsgräben das bisherige Urland dem Anbau zu¬
führen. Besser gehaltne trockne Wege erleichtern die Bewirtschaftung und den
Verkehr. Auch das Vieh erscheint kräftiger, besser genährt; geräumige und
solidere Häuser in den Anwesen deuten auf größern Wohlstand und bilden
einen wirklich erfreulichen Gegensatz zu dem Verfall und der erbärmlichen
Wirtschaft in den unter türkischer Herrschaft stehenden Ländern in Kleinasien.
Und wenn auch diese Kultur die eines altchristlichen Volkes und weniger den
Russen zu verdanken ist, so erscheint doch Rußland als ihr Träger gegenüber
dem verkommnen Seldschukkentum in vorteilhafter Beleuchtung.

Freilich ist auch hier, wo die Dessjätine (1,1 Hektar) Boden schon 500,
600 und 1000 Rubel kostet, und wo man drei Viertel des Jahres über arbeiten
kann, viel zu bessern. Noch geht der urtümliche alte hölzerne Hakenpflug über
die Felder — recht bezeichnend für den gegenwärtigen Stand und bei dem
Reichtum des Ertrags für den Wert des Grund und Bodens, für die Frucht¬
barkeit der von den Bergen herabgeschwemmter fetten Lehmschicht, die die breite
ebne Talsohle bedeckt. Und noch liegen südlich vom Rion weite Steppenflächen
unbebaut und müssen von den darauf liegenden Steintrümmern befreit werden.
So wechselnd ist der Charakter des Tales des Rion und seines Nebenflusses,
der Quirila.




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[0528] Durch Transkaukasien Mit der Annäherung an den Rion, dessen gewundne Ufer die Eisenbahn öfters berührt, verändert die Kultur der Felder ihr Aussehen. Der Boden ist außer mit Kieseln mit einer Erde bedeckt, die den Anbau des Weines er¬ möglicht. Auf den Feldern stehn Bäume, die durch armstarke Stränge von Weinreben verbunden sind. Leider hat der Kukuruzbau den des Weines als weniger gewinnbringend verdrängt und mit den Bäumen auch die sehr wohl¬ schmeckende und saftige Trauben bringenden Reben vernichtet. Vor Ssamtredi wird der Rion überschritten, ein heftiges Gebirgswasser mit gelben Fluten, das der Eindämmung bedarf, übrigens zur Kanalisation der Felder der Ebne mit Vorteil verwandt wird. Wir nähern uns der Landschaft Jmeretien, die sich in dem majestätischen Kamme des vor uns liegenden Großen Kaukasus verliert und dort mit Mingrelien berührt. Zwischen der von der wärmenden Sonne scharf bestrahlten und hell glänzenden Schneedecke des Hochgebirges und der Niederung werden die schon schneefreien Vorberge mit den Weißen Häusern ihrer zahlreichen Jmeretinzendörfer sichtbar. Jmeretien ist wesentlich besser an¬ gebaut als Gurien. Weingärten und -berge losen sich ab mit regelmäßigen Obstpflanzungen und sorgfältig bearbeiteten, von Steinen befreiten eingezäunten Feldern, die, wie in Oberitalien, mit Maulbeerbäumen reihenweise besetzt und durch grüne Weinguirlanden berankt sind. Auch hier gibt es noch sumpfige Strecken; aber man sieht die Kultur gleichsam vorwärts schreiten und zunächst durch Ziehen von Abwässerungsgräben das bisherige Urland dem Anbau zu¬ führen. Besser gehaltne trockne Wege erleichtern die Bewirtschaftung und den Verkehr. Auch das Vieh erscheint kräftiger, besser genährt; geräumige und solidere Häuser in den Anwesen deuten auf größern Wohlstand und bilden einen wirklich erfreulichen Gegensatz zu dem Verfall und der erbärmlichen Wirtschaft in den unter türkischer Herrschaft stehenden Ländern in Kleinasien. Und wenn auch diese Kultur die eines altchristlichen Volkes und weniger den Russen zu verdanken ist, so erscheint doch Rußland als ihr Träger gegenüber dem verkommnen Seldschukkentum in vorteilhafter Beleuchtung. Freilich ist auch hier, wo die Dessjätine (1,1 Hektar) Boden schon 500, 600 und 1000 Rubel kostet, und wo man drei Viertel des Jahres über arbeiten kann, viel zu bessern. Noch geht der urtümliche alte hölzerne Hakenpflug über die Felder — recht bezeichnend für den gegenwärtigen Stand und bei dem Reichtum des Ertrags für den Wert des Grund und Bodens, für die Frucht¬ barkeit der von den Bergen herabgeschwemmter fetten Lehmschicht, die die breite ebne Talsohle bedeckt. Und noch liegen südlich vom Rion weite Steppenflächen unbebaut und müssen von den darauf liegenden Steintrümmern befreit werden. So wechselnd ist der Charakter des Tales des Rion und seines Nebenflusses, der Quirila.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/528>, abgerufen am 21.05.2024.