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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

Anlässen im Laufe des vorigen Jahrhunderts beschlossenen Swnäwss 0r<1srs
machen uun eben das aus, was wir Geschäftsordnung nennen. Eunge davou
enthalten Disziplinarvorschriften. Die Disziplin des Unterhauses aber wurzelt
nicht in ihnen, sondern sie sind selbst nur Folgerungen aus der dem englischen
Naturell und der Natur des Hauses angemessenen und auf dem Wege des
Gewohnheitsrechts seit Jahrhunderten ausgebildeten Disziplin. Das Unterhaus
war bis vor wenig Jahren "der feinste Kind"; damit war - stürmische Aus¬
tritte in großen Krisen abgerechnet - für gewöhnlich ein ruhiger Verkehr in
aristokratischen Umgangsformen gesichert. Die Beschaffenheit und die Ein¬
richtungen des Sitzungssaals und die festgewurzelten Bräuche erleichterten die
Aufrechterhaltung einer guten Ordnung. Der Saal, ein Rechteck, enthalt nur
ungefähr vierhundert Sitzplätze, sodasz also eine vollzählige Sitzung gar nicht
'"vglich ist. Die Abgeordneten sitzen auf sechzehn Reihen von Bänken, die so
gestellt sind, daß die Opposition, die links vom speaker sitzt, den Herren der
rechten, der Negiernngsseite. ins Gesicht sieht. Getrennt werden die beiden
Parteien durch den Mittelgang, der vom Eingange zum Tische des Hauses
führt, hinter dem der speaker thront, und der immer frei bleiben muß. (Das
einzige, was wir in Nedlichs Buch vermissen, ist ein Plan des Sitzungssaals,
der für das vollkommne Verständnis mancher Einzelheiten notwendig ist. Die
Leser finden einen in dem Buche "England" von G. Wendt. zweite Auflage.
1898. das wir seinerzeit empfohlen haben. Es enthält auch das Notwendigste
über den Geschäftsgang der Parlamentsverhandlungen, kann aber seiner ganzen
Anlage uach weder vollständiges bieten noch tiefere Einsicht erschließen.) Die
Abgeordneten haben keine Pulte vor sich, können also nicht schreiben und anch
kein Lesematerial anhäufen, haben übrigens keine festen Plätze (bis vor kurzem
mußte, wer sich einen für den Tag sichern wollte, ihn vor Beginn der Sitzung
nur einem Hute belegen, und zwar mit dem voila Las-Hute, d. h. mit dem,
den das Mitglied wirklich als Kopfbedeckung auf dem Kopfe getragen hatte,
nicht etwa mit einem zweiten, bloß zum Platzhalten mitgebrachten). Lesen
während der Sitzung ist als unanständig verpönt. Der Sitzungssaal und die
Verhmidluugszeir können also nicht zu Verrichtungen gemißbraucht werden, die
N"'t dem Zwecke der Versammlung nichts zu schaffen haben und die an steh
'et)°n die Verhandlung stören. Fremde werden natürlich im Schungsramne
uicht geduldet, und die Galerien fassen nur eine sehr geringe Zahl von Z -
Hörern. Die Öffentlichkeit ist grundsätzlich ausgeschlossen und auch nach
die Veröffentlichung von Auszügen der Park°in-ntsverhan klingen nach ^Streit darüber erlaubt wordeu ist, hat man Mer Grundsatz n ^ ° "^l -
ändert. Bis zum Jahre 1875 mußten die Galerien genuine werden, wenn



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^" ^ eine NotstandsgeMf.so" "rü ^Proben von Anträgen und Amendements, vom Verlauf einer siyun" /
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Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

Anlässen im Laufe des vorigen Jahrhunderts beschlossenen Swnäwss 0r<1srs
machen uun eben das aus, was wir Geschäftsordnung nennen. Eunge davou
enthalten Disziplinarvorschriften. Die Disziplin des Unterhauses aber wurzelt
nicht in ihnen, sondern sie sind selbst nur Folgerungen aus der dem englischen
Naturell und der Natur des Hauses angemessenen und auf dem Wege des
Gewohnheitsrechts seit Jahrhunderten ausgebildeten Disziplin. Das Unterhaus
war bis vor wenig Jahren „der feinste Kind"; damit war - stürmische Aus¬
tritte in großen Krisen abgerechnet - für gewöhnlich ein ruhiger Verkehr in
aristokratischen Umgangsformen gesichert. Die Beschaffenheit und die Ein¬
richtungen des Sitzungssaals und die festgewurzelten Bräuche erleichterten die
Aufrechterhaltung einer guten Ordnung. Der Saal, ein Rechteck, enthalt nur
ungefähr vierhundert Sitzplätze, sodasz also eine vollzählige Sitzung gar nicht
'"vglich ist. Die Abgeordneten sitzen auf sechzehn Reihen von Bänken, die so
gestellt sind, daß die Opposition, die links vom speaker sitzt, den Herren der
rechten, der Negiernngsseite. ins Gesicht sieht. Getrennt werden die beiden
Parteien durch den Mittelgang, der vom Eingange zum Tische des Hauses
führt, hinter dem der speaker thront, und der immer frei bleiben muß. (Das
einzige, was wir in Nedlichs Buch vermissen, ist ein Plan des Sitzungssaals,
der für das vollkommne Verständnis mancher Einzelheiten notwendig ist. Die
Leser finden einen in dem Buche „England" von G. Wendt. zweite Auflage.
1898. das wir seinerzeit empfohlen haben. Es enthält auch das Notwendigste
über den Geschäftsgang der Parlamentsverhandlungen, kann aber seiner ganzen
Anlage uach weder vollständiges bieten noch tiefere Einsicht erschließen.) Die
Abgeordneten haben keine Pulte vor sich, können also nicht schreiben und anch
kein Lesematerial anhäufen, haben übrigens keine festen Plätze (bis vor kurzem
mußte, wer sich einen für den Tag sichern wollte, ihn vor Beginn der Sitzung
nur einem Hute belegen, und zwar mit dem voila Las-Hute, d. h. mit dem,
den das Mitglied wirklich als Kopfbedeckung auf dem Kopfe getragen hatte,
nicht etwa mit einem zweiten, bloß zum Platzhalten mitgebrachten). Lesen
während der Sitzung ist als unanständig verpönt. Der Sitzungssaal und die
Verhmidluugszeir können also nicht zu Verrichtungen gemißbraucht werden, die
N"'t dem Zwecke der Versammlung nichts zu schaffen haben und die an steh
'et)°n die Verhandlung stören. Fremde werden natürlich im Schungsramne
uicht geduldet, und die Galerien fassen nur eine sehr geringe Zahl von Z -
Hörern. Die Öffentlichkeit ist grundsätzlich ausgeschlossen und auch nach
die Veröffentlichung von Auszügen der Park°in-ntsverhan klingen nach ^Streit darüber erlaubt wordeu ist, hat man Mer Grundsatz n ^ ° "^l -
ändert. Bis zum Jahre 1875 mußten die Galerien genuine werden, wenn



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[0563] Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments Anlässen im Laufe des vorigen Jahrhunderts beschlossenen Swnäwss 0r<1srs machen uun eben das aus, was wir Geschäftsordnung nennen. Eunge davou enthalten Disziplinarvorschriften. Die Disziplin des Unterhauses aber wurzelt nicht in ihnen, sondern sie sind selbst nur Folgerungen aus der dem englischen Naturell und der Natur des Hauses angemessenen und auf dem Wege des Gewohnheitsrechts seit Jahrhunderten ausgebildeten Disziplin. Das Unterhaus war bis vor wenig Jahren „der feinste Kind"; damit war - stürmische Aus¬ tritte in großen Krisen abgerechnet - für gewöhnlich ein ruhiger Verkehr in aristokratischen Umgangsformen gesichert. Die Beschaffenheit und die Ein¬ richtungen des Sitzungssaals und die festgewurzelten Bräuche erleichterten die Aufrechterhaltung einer guten Ordnung. Der Saal, ein Rechteck, enthalt nur ungefähr vierhundert Sitzplätze, sodasz also eine vollzählige Sitzung gar nicht '"vglich ist. Die Abgeordneten sitzen auf sechzehn Reihen von Bänken, die so gestellt sind, daß die Opposition, die links vom speaker sitzt, den Herren der rechten, der Negiernngsseite. ins Gesicht sieht. Getrennt werden die beiden Parteien durch den Mittelgang, der vom Eingange zum Tische des Hauses führt, hinter dem der speaker thront, und der immer frei bleiben muß. (Das einzige, was wir in Nedlichs Buch vermissen, ist ein Plan des Sitzungssaals, der für das vollkommne Verständnis mancher Einzelheiten notwendig ist. Die Leser finden einen in dem Buche „England" von G. Wendt. zweite Auflage. 1898. das wir seinerzeit empfohlen haben. Es enthält auch das Notwendigste über den Geschäftsgang der Parlamentsverhandlungen, kann aber seiner ganzen Anlage uach weder vollständiges bieten noch tiefere Einsicht erschließen.) Die Abgeordneten haben keine Pulte vor sich, können also nicht schreiben und anch kein Lesematerial anhäufen, haben übrigens keine festen Plätze (bis vor kurzem mußte, wer sich einen für den Tag sichern wollte, ihn vor Beginn der Sitzung nur einem Hute belegen, und zwar mit dem voila Las-Hute, d. h. mit dem, den das Mitglied wirklich als Kopfbedeckung auf dem Kopfe getragen hatte, nicht etwa mit einem zweiten, bloß zum Platzhalten mitgebrachten). Lesen während der Sitzung ist als unanständig verpönt. Der Sitzungssaal und die Verhmidluugszeir können also nicht zu Verrichtungen gemißbraucht werden, die N"'t dem Zwecke der Versammlung nichts zu schaffen haben und die an steh 'et)°n die Verhandlung stören. Fremde werden natürlich im Schungsramne uicht geduldet, und die Galerien fassen nur eine sehr geringe Zahl von Z - Hörern. Die Öffentlichkeit ist grundsätzlich ausgeschlossen und auch nach die Veröffentlichung von Auszügen der Park°in-ntsverhan klingen nach ^Streit darüber erlaubt wordeu ist, hat man Mer Grundsatz n ^ ° "^l - ändert. Bis zum Jahre 1875 mußten die Galerien genuine werden, wenn ^^utihrer Ms je, 9. .ed-ich M ^^« ^ ^« ^ eine NotstandsgeMf.so« «rü ^Proben von Anträgen und Amendements, vom Verlauf einer siyun» / ewer Oio»v.i's, von Staatsvoranschlägen usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/563>, abgerufen am 21.05.2024.